Montag, 19. August 2019

Braucht CERN wirklich eine Riesenschleuder ?

In den letzten Jahren ist es vergleichsweise still geworden um das Forschungszentrum CERN bei Genf. Die letzte , weltweit registrierte Hurra-Meldung, ist schon sieben Jahre her, als 2012 der experimentelle Nachweis für das sogenannte Higgs-Teilchen gelang. Die beiden Theoretiker Peter Higgs (Schottland) und Francois Englert (Belgien) hatten dieses Kernteilchen schon Jahrzehnte vorher postuliert, aber erst mit dem damals weltweit leistungsfähigsten Beschleuniger LHC (= Large Hadron Collider) konnte es nachgewiesen werden, was den beiden Forschern 2013 den Nobelpreis für Physik einbrachte. Seitdem gab es keinen Anlass mehr für Champagnerparties mit der Marke Veuve Cliquot.

Fragt man die Experten in Genf, so ist die Ursache für diese forscherische Flaute die zu geringe Leistung des Kreisbeschleunigers  LHC. Kein Wunder, dass man bei Cern inzwischen an einem noch größeren Protonenbeschleuniger plant. Der LHC soll - samt einem upgrade - zwar noch 20 Jahre im Betrieb bleiben, aber inzwischen soll an seiner Seite die Riesenmaschine FCC (= Future Circular Collider) entstehen. Im französisch-schweizerischen Grenzgebiet soll ein 100 Kilometer langer Tunnel mit entsprechend starken Magneten ausgestattet werden. Zum Vergleich: der bestehende Teilchenbeschleuniger LHC besitzt "nur" einen 27 km langen Tunnel. Ersten Planungen zufolge wäre der FCC bis zu 100.000 mal leistungsfähiger als bisherige Anlagen am Cern. Der geringe Krümmungsradius des FCC hat den Vorteil, dass viel höhere Strahlgeschwindigkeiten  erreicht werden - ohne befürchten zu müssen, dass die Kernteilchen zur Seite davonfliegen. Der Beschleuniger FCC soll in den fünfziger Jahren in Betrieb gehen und (voraussichtlich) 25 Milliarden kosten. Deutschland wäre mit ca. 20 Prozent unter den Financiers.


Ziele und Konkurrenten

Das Ziel der Experimente am FCC ist - ganz allgemein gesprochen - Licht in das Dunkle Universum zu bringen. Etwa 95 Prozent des Kosmos bestehen aus Dunkler Materie (zu ca 25 %) und Dunkler Energie (ca. 70 %). Zahlreiche Forscherteams haben nach Teilchen und Feldern gesucht, aus denen sie bestehen könnten - ohne Erfolg. Die Dunkle Materie (DM) bewirkt den Zusammenhalt der Galaxien, die Dunkle Energie (DE) sorgt für die Expansion des Kosmos.




Das Arsenal der Beschleuniger am CERN


Ein wichtiges Modellkonzept der Theoretischen Physik ist die Supersymmetrie (SUSY). Dabei werden Teilchen mit ganzzahligen Spin (Bosonen) und solche mit halbzahligen (Fermionen) ineinander umgewandelt. Allerdings konnte bislang nicht der Nachweis erbracht werden, dass diese Supersymmetrie in der Natur tatsächlich existiert. Insbesondere wurden noch keine Superpartner bekannter Teilchen beobachtet. Seit fast 50 Jahren wird diese Theorie sowie die mit ihr verwandte Stringtheorie von klugen theoretischen Physikern beackert - ohne Erfolg. Auch hier soll der FCC experimentelle Ergebnisse - womöglich neue Kernteilchen - liefern.

Das Projekt FCC hat Konkurrenz in China und Japan. Chinas Super-Mathematiker Yau, der im Land großen Einfluss besitzt. steht an der Spitze der Promotoren. "Von der Großen Mauer zum Großen Beschleuniger" lautet der Titel des Buches, in dem er seine Visionen der Öffentlichkeit präsentiert. Die Politiker, welche in China allein die Entscheidungen treffen, halten sich bisher noch bedeckt. ---
Auch in Japan gibt es Pläne für einen (linearen) Teilchenbeschleuniger, der unter dem Namen CLIC bekannt ist. Als Standortland müsste Japan den Großteil der Baukosten selbst übernehmen, was seine Nutzung für Ausländer billiger macht. Deutschland hat bereits sein Interesse bekundet und somit den FCC an die zweite Stelle gerückt. Ist es nur Poker oder eine wirkliche Strategie, das vermag derzeit niemand zu sagen.


Kritik:  Erst Higgs, dann nix?

Bei Cern sonnen sich immer noch viele im Erfolg der Higgs-Versuche vor sieben Jahren, als man mit dem umgebauten Beschleuniger LHC eine Punktlandung erzielte: Erst identifizierte man das  Higgs-Boson und bereits ein Jahr später kam der Nobelpreis aus Stockholm. Aber nicht wenige altgediente Physiker warnen vor solcher Euphorie in der jetzigen Situation, indem sie sagen: "Wir können nicht erwarten, dass die Natur uns solche Schätze, wie das Higgs, wie reife Äpfel in den Schoß legt. Trotz der viel höheren Kollisionsenergie beim FCC könnte in den avisierten Energiebereich nichts zu finden sein, weil die Versuchsparameter möglicherweise nicht genügend angepasst sind". Dann hieße es also: "Erst Higgs, dann nix" und eine Generation von Astrophysikern würde vergeblich auf den nächsten Nobelpreis warten.

Die Situation beim Higgs-Teilchen und den gegenwärtig gesuchten SUSY-Teilchen in der DM unterscheiden sich nämlich dramatisch. Higgs war gewissermaßen eine "win-win-Situation". Das Boson war seit 50 Jahren bekannt und durch die theoretischen Physiker Higgs und Englert hinreichend spezifiziert. Der Beschleuniger LHC konnte auf die Eigenschaften des Higgs-Teilchen optimiert werden. Wäre das Teilchen nicht gefunden worden, dann hätte das Standardmodell zur Diskussion gestanden und damit für neue, interessante Aufgaben gesorgt. Ein solches "no-lose-theorem"  gibt es bei SUSY nicht. Es kann dort durchaus die Situation eintreten, dass man an der vollkommen falschen Stelle sucht und nichts findet, vielleicht weil Beschleuniger und Detektoren dies verhindern.

Es gibt schon ExpertInnen, die in der Investition für den FCC ein "25-Milliarden-Euro-Grab" sehen. Eine solche Wissenschaftlerin ist die theoretische Physikern Sabine Hossenfelder am Frankfurter Institute for  Advanced Studies. Sie wirft die Frage auf, ob es nicht sinnvoller wäre, das Projekt FCC in Gänze aufzugeben und das Geld in andere Forschungsgeräte zu investieren, die mehr Erkenntnisse erwarten lassen und billiger sind. Sabine hat sogar ein Buch darüber geschrieben mit dem provokanten Titel "Das hässliche Universum", worin sie zu der apodiktischen Feststellung gelangt: "Der FCC ist die 25 Milliarden Euro nicht wert". Kein Wunder, dass solche Empfehlungen in Genf nicht gut ankommen, wo  die Nerven blank liegen. Jemand schrieb ihr (anonym) einen derben Brief zurück, der mit der Aufforderung endete:

"Fuck you"

Sonntag, 11. August 2019

Schottergärten - Gärten des Grauens ?

Winfried Kretschmann, der ansonsten eher gelassene baden- württembergische Ministerpräsident, wurde fuchsteufelswild als er auf einem Kongress der Grünen auf die neuen, in Mode gekommenen Vorgärten aus Stein und Kies - aber praktisch ohne Rasen, Blumen und Stauden - angesprochen wurde. Der studierte Biologe und langjährige Gymnasiallehrer in diesem Fach bezeichnete diese "Schottergärten" als einen Irrweg, der Steinwüsten entstehen lässt, wo Grünpflanzen notwendig wären, um die CO2-Bilanz zu verbessern.

Trotzdem, wer mit offenen Augen an den Vorgärten, insbesondere am Stadtrand vorbei geht, kann nicht übersehen, dass eine neue Gartenkultur (des kleinen Mannes?) im Entstehen ist. Immer mehr der früheren biologischen Gartenfläche wird nun mit Steinen bedeckt als dem vorrangigen Gestaltungsmittel. Pflanzen kommen nicht mehr, oder nur noch in geringer Zahl, vor und sind zumeist noch durch einen strengen Formschnitt künstlich gestaltet. Als Steinmaterial beobachtet man vor allem gebrochene Steine mit scharfen Kanten und ohne Rundungen: eben Schotter. Für den gleichen Gartenstil könnte man auch Geröll, Kies oder Splitt verwenden. Kein Vergleich mehr mit den klassischen Steingärten, bei denen die Vegetation noch im Vordergrund stand.


Motivation und Umsetzung

Umfragen haben zutage gefördert, weshalb ökologisch tote Vorgärten so "beliebt" sind. Offensichtlich haben immer weniger Einfamilienhausbesitzer Zeit und Lust, Gartenarbeit zu verrichten. Was früher Freude bereitete, ist heute zur Last geworden - und das, obwohl die Vorgärten selten größer als hundert Quadratmeter sind und die Renommierfirmen Bosch und Gardena laufend neue Mähroboter und Sprinkleranlagen auf den Markt bringen. Hinzu kommt das Phänomen der Ansteckung: sobald der Nachbar einen angeblich pflegeleichten Schottergarten hat, scheint ein "Virus" alle anderen auch in diese Richtung zu befallen. Hinzu kommt eine neue Gartenästhetik, welche möglicherweise von der japanischen Zen-Kultur angeregt wird. Schließlich sind es natürlich auch die Gartenbaubetriebe, welche die neue Nische ausnutzen.


Drahtkörbe (Gabione) ersetzen Blumenrabatte und Gartenzäune

Und es ist so leicht, eine solche Steinöde anzulegen. Meist muss man nur die Humusschicht des Vorgartens abtragen und den verbleibenden Grund mit einer Plastikfolie abdecken. So kann kein Würmchen und kein Kräutlein von unten mehr durchdringen und der Boden ist auch gleich noch versiegelt. Im Ergebnis ist er so tot wie ein Stück Autobahn und heizt sich ähnlich schnell auf. Manche setzen noch, wie zum Hohn, eine einsame Krüppelkonifere in den Schotter, die dort jahrelang um ihr Leben ringt. Der Gipfel sind die mit Steinen gefüllten Drahtkörbe ("Gabione"), welche häufig Blumenrabatte und selbst Gartenzäune ersetzen. Sie kommen aus dem militärischen Bereich und wurden im Ersten Weltkrieg von den Soldaten als "Schanzkörbe" verwendet. Heute werden die Steine für unsere Hobbygärtner aus Indien und China herangekarrt.


Aber die Natur bricht sich Bahn

Es war der oben erwähnte Grünen-Politiker Kretschmann, der darauf verwies, dass diese neuartigen Schottergärten nicht pflegeleichter sind als normale begrünte Gärten. "Der Löwenzahn weiß sich schon einzunisten. Zudem ist "pflegeleicht" in der Umwelt nicht das entscheidende Kriterium; bei der Natur gilt Reichtum in jeder Beziehung". How! Der Biologielehrer hat gesprochen.

Aber der Herr Ministerpräsident könnte sich auch täuschen. Immer noch sind effiziente Unkrautvernichter und Insektenkiller (auch für Bienen!) auf dem Markt, die zwar ex lege nicht gespritzt werden dürfen - aber wer kann das schon kontrollieren? Deshalb bemühen sich Naturschutzverbände und ökologisch wohlmeinende Politiker darum, die Steingarteneuphorie wenigstens zu dämpfen. BUND und NABU sind an erster Stelle zu nennen, aber die meisten Kommunal- und Landespolitiker zögern noch. Da und dort werden zwar vereinzelt entsprechende Auflagen in die Bauanträge aufgenommen, aber in der Mehrzahl fürchtet man den Zorn der Bürger und ist entsprechend vorsichtig:

Schotterverbot und Pflichtbaum, so weit will man derzeit noch nicht gehen.



Gemütlich ist es im Kiesbett

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