Der Bruch des Staudamms bei einer Eisenerzmine in Brasilien vor knapp zwei Wochen beschäftigt noch immer die internationalen Medien. Das Rückhaltebecken für Flüssigabfälle wurde ganz plötzlich undicht und Millionen von Kubikmetern Schlamm überfluteten die anliegenden Dörfer. Bislang hat man erst 120 Tote geborgen, zum Teil unter 20 Metern Schlamm. Weitere 240 Mitarbeiter werden noch vermisst. Die Eigentümerfirma Vale hatte das Eisenbergwerk im Jahr 2001 von Thyssen-Krupp erworben. Der deutsche Konzern wurde damals heftig kritisiert, weil er Vermögen "verschleudert" habe; heute wird man in Essen darüber ganz froh sein.
An dem Unternehmen Vale ist auch der brasilianische Staat beteiligt. Die Mine wurde höchst rentabel betrieben: im Berichtsjahr 2017 machte man (umgerechnet) 5 Milliarden Euro Gewinn, bei einem Umsatz von 30 Milliarden. An fehlendem Geld kann es also nicht gelegen haben, falls man beim Bau und Betrieb der Rückhaltebecken geschlampt haben sollte. Denn darüber wird in den brasilianischen Medien inzwischen heftig diskutiert. Für den Vale-Chef Fabio Schvartsman ist der "Schuldige" bereits gefunden: es ist die deutsche Firma TÜV Süd, welche den Damm mehrmals - zuletzt im September 2018 - begutachtet und ihn als "stabil und sicher" (samt Siegel) beurkundet hat.
In der Münchener Konzernzentrale des TÜV Süd gibt man sich recht schmallippig. Ein Sprecher sagt nur: "Nach unserem - damaligen - Kenntnisstand wurden keine Mängel am Damm festgestellt". Ansonsten verweist man auf die laufenden Ermittlungen der brasilianischen Behörden vor Ort. Diese haben schon mal zwei ranghohe TÜV-Gutachter festgenommen, deren Namen in der Presse mit Makoto Namba und André Yum Yassuda zitiert werden. Ansonsten hat die örtliche Polizei die Büroräume des TÜV Süd versiegelt und alle Akten und Computer beschlagnahmt.
Historische Verdienste der TÜV e. V.
Die technischen Überwachungsvereine wurden vor gut 150 Jahren im 19. Jahrhundert zur Zeit der Industrialisierung gegründet. Immer mehr Unfälle durch explodierende (genauer: zerknallende) Dampfkessel waren der Anlass. Nach der "Explosion" eines solchen Kessels in der Mannheimer Aktienbrauerei verfolgte man dort die Idee, die Kessel auf freiwilliger Basis regelmäßigen Kontrollen zu unterziehen - wie das übrigens bereits in England der Fall war. 20 badische Dampfkesselbesitzer schlossen sich zusammen, woraus später in Mannheim und andernorts die "Technischen Überwachungsvereine" als eingetragene Vereine e. V. entstanden.
Diese unabhängigen regionalen Überwaschungsorganisationen waren bei der Unfallverhütung so erfolgreich, dass die staatlichen Organe ihnen immer mehr Aufgaben im Sicherheitsbereich übertrugen. Allgemein bekannt ist die regelmäßige Untersuchung der Autos bis hin zur Abwicklung der Führerscheinprüfungen. Alle aus diesen gemeinsamen Wurzeln hervorgegangenen Gruppen benutzen die Marke "TÜV" und einen regionalen Zusatz als Namen, so zum Beispiel: TÜV Süd, TÜV Rheinland, TÜV Nord bis zu TÜV Österreich. Auf einigen Gebieten sollen die TÜVs sogar untereinander und zu anderen Marktteilnehmern im Wettbewerb stehen!
Aktuelle Strategie: "Think Big" - mit einigen Flops
In den neunziger Jahren flaute das Geschäft bei den TÜVs merklich ab. Ursächlich waren unter anderem die Auftragsrückgänge in der Energiewirtschaft, wo der Neubau von Kraftwerken infolge der Energiewende deutlich einbrach. Statt den Personalstand entsprechend zu verringern, verfolgten die großen regionalen TÜV-Gesellschaften exakt die gegenteilige Strategie. Durch Fusionen mit kleineren TÜVs und Personalaufstockungen (um Größenordnungen!) wurden aus den bescheidenen eingetragenen Vereinen "global player", die fortan als Aktiengesellschaften agierten. So hatte die TÜV Süd AG bald 24.000 Mitarbeiter und weltweit 800 Standorte. Der Jahresumsatz betrug 2016 stattliche 2,4 Milliarden Euro. An zweiter Stelle folgt der TÜV Rheinland mit 20.000 Beschäftigten und 2 Milliarden Umsatz, vor dem TÜV Nord mit 10.000 Mitarbeitern.
Damit einher ging die thematische Diversifikation der Geschäftsfelder, deren Risiken sich jedoch bald abzeichneten. So zertifizierte der TÜV Rheinland in Frankreich fehlerhafte medizinische Brustimplantate mit schmutzigem Silikon.---Ähnliches passierte dem TÜV Süd in Brasilien, wo die Hersteller ebenfalls billigstes Industriesilikon verwendeten.---Betrügereien gab es auch im Finanzbereich, wo kriminelle Banden das honorige Siegel des TÜV Süd "hackten" und damit große Geldsummen illegal abzwackten.---Noch in Erinnerung ist der Zusammenbruch einer achtgeschossigen Textilfabrik in Bangladesch, die kurz vorher vom TÜV Rheinland positiv überprüft worden war.---In Deutschland schlägt der Dieselskandal immer noch hohe Wellen. Leider war es den TÜV-Prüfern nicht gelungen - im Verbund mit dem Kraftfahrt Bundesamt - die Softwareschummeleien der Autohersteller rechtzeitig aufzudecken. Dabei gab es schon frühzeitig Hinweise aus US-amerikanischen Quellen, wonach mit den NOx-Werten "etwas nicht stimmen konnte".
Ausblick
Die Diversifikation der TÜV wurde aus der Not geboren. Heute machen die Hauptuntersuchungen an den Autos nur noch 15 Prozent des Geschäftsvolumens aus. Stattdessen überprüfen die neu angeheuerten TÜV-Mitarbeiter inzwischen in aller Welt Klettergerüste, Fabrikanlagen und Krankenhäuser. Mehr und mehr verlieren die TÜV ihre vormalige technische Kernkompetenz, etwa zur Beurteilung der Sicherheit von Atomanlagen. Aber die neuen Manager drängen darauf, mit ihren diversen, beim Publikum wohlbekannten Siegeln gute Geschäfte zu machen. Schließlich stehen sie vor einem Berg von Pensionsverpflichtungen, der momentan auf 3 Milliarden Euro abgeschätzt wird.
Und die Konkurrenz schläft nicht. Allein in Mitteleuropa müssen sich die deutschen TÜV-Firmen mit mächtigen Wettbewerbern herumschlagen. Etwa mit der Schweizer SGS, die einen Jahresumsatz von 4,8 Milliarden Euro erzielt. Oder der Interlok (1,6 Mrd) in London, oder dem französischen Bureau Veritas (3,9 Mrd) und der Dekra (1,16 Mrd).
Unter das unter einer Vielzahl weiterer, wenn auch kleinerer, Konkurrenten!
An dem Unternehmen Vale ist auch der brasilianische Staat beteiligt. Die Mine wurde höchst rentabel betrieben: im Berichtsjahr 2017 machte man (umgerechnet) 5 Milliarden Euro Gewinn, bei einem Umsatz von 30 Milliarden. An fehlendem Geld kann es also nicht gelegen haben, falls man beim Bau und Betrieb der Rückhaltebecken geschlampt haben sollte. Denn darüber wird in den brasilianischen Medien inzwischen heftig diskutiert. Für den Vale-Chef Fabio Schvartsman ist der "Schuldige" bereits gefunden: es ist die deutsche Firma TÜV Süd, welche den Damm mehrmals - zuletzt im September 2018 - begutachtet und ihn als "stabil und sicher" (samt Siegel) beurkundet hat.
Das begehrte achteckige Siegel des TÜV Süd
In der Münchener Konzernzentrale des TÜV Süd gibt man sich recht schmallippig. Ein Sprecher sagt nur: "Nach unserem - damaligen - Kenntnisstand wurden keine Mängel am Damm festgestellt". Ansonsten verweist man auf die laufenden Ermittlungen der brasilianischen Behörden vor Ort. Diese haben schon mal zwei ranghohe TÜV-Gutachter festgenommen, deren Namen in der Presse mit Makoto Namba und André Yum Yassuda zitiert werden. Ansonsten hat die örtliche Polizei die Büroräume des TÜV Süd versiegelt und alle Akten und Computer beschlagnahmt.
Historische Verdienste der TÜV e. V.
Die technischen Überwachungsvereine wurden vor gut 150 Jahren im 19. Jahrhundert zur Zeit der Industrialisierung gegründet. Immer mehr Unfälle durch explodierende (genauer: zerknallende) Dampfkessel waren der Anlass. Nach der "Explosion" eines solchen Kessels in der Mannheimer Aktienbrauerei verfolgte man dort die Idee, die Kessel auf freiwilliger Basis regelmäßigen Kontrollen zu unterziehen - wie das übrigens bereits in England der Fall war. 20 badische Dampfkesselbesitzer schlossen sich zusammen, woraus später in Mannheim und andernorts die "Technischen Überwachungsvereine" als eingetragene Vereine e. V. entstanden.
Diese unabhängigen regionalen Überwaschungsorganisationen waren bei der Unfallverhütung so erfolgreich, dass die staatlichen Organe ihnen immer mehr Aufgaben im Sicherheitsbereich übertrugen. Allgemein bekannt ist die regelmäßige Untersuchung der Autos bis hin zur Abwicklung der Führerscheinprüfungen. Alle aus diesen gemeinsamen Wurzeln hervorgegangenen Gruppen benutzen die Marke "TÜV" und einen regionalen Zusatz als Namen, so zum Beispiel: TÜV Süd, TÜV Rheinland, TÜV Nord bis zu TÜV Österreich. Auf einigen Gebieten sollen die TÜVs sogar untereinander und zu anderen Marktteilnehmern im Wettbewerb stehen!
Aktuelle Strategie: "Think Big" - mit einigen Flops
In den neunziger Jahren flaute das Geschäft bei den TÜVs merklich ab. Ursächlich waren unter anderem die Auftragsrückgänge in der Energiewirtschaft, wo der Neubau von Kraftwerken infolge der Energiewende deutlich einbrach. Statt den Personalstand entsprechend zu verringern, verfolgten die großen regionalen TÜV-Gesellschaften exakt die gegenteilige Strategie. Durch Fusionen mit kleineren TÜVs und Personalaufstockungen (um Größenordnungen!) wurden aus den bescheidenen eingetragenen Vereinen "global player", die fortan als Aktiengesellschaften agierten. So hatte die TÜV Süd AG bald 24.000 Mitarbeiter und weltweit 800 Standorte. Der Jahresumsatz betrug 2016 stattliche 2,4 Milliarden Euro. An zweiter Stelle folgt der TÜV Rheinland mit 20.000 Beschäftigten und 2 Milliarden Umsatz, vor dem TÜV Nord mit 10.000 Mitarbeitern.
Damit einher ging die thematische Diversifikation der Geschäftsfelder, deren Risiken sich jedoch bald abzeichneten. So zertifizierte der TÜV Rheinland in Frankreich fehlerhafte medizinische Brustimplantate mit schmutzigem Silikon.---Ähnliches passierte dem TÜV Süd in Brasilien, wo die Hersteller ebenfalls billigstes Industriesilikon verwendeten.---Betrügereien gab es auch im Finanzbereich, wo kriminelle Banden das honorige Siegel des TÜV Süd "hackten" und damit große Geldsummen illegal abzwackten.---Noch in Erinnerung ist der Zusammenbruch einer achtgeschossigen Textilfabrik in Bangladesch, die kurz vorher vom TÜV Rheinland positiv überprüft worden war.---In Deutschland schlägt der Dieselskandal immer noch hohe Wellen. Leider war es den TÜV-Prüfern nicht gelungen - im Verbund mit dem Kraftfahrt Bundesamt - die Softwareschummeleien der Autohersteller rechtzeitig aufzudecken. Dabei gab es schon frühzeitig Hinweise aus US-amerikanischen Quellen, wonach mit den NOx-Werten "etwas nicht stimmen konnte".
Ausblick
Die Diversifikation der TÜV wurde aus der Not geboren. Heute machen die Hauptuntersuchungen an den Autos nur noch 15 Prozent des Geschäftsvolumens aus. Stattdessen überprüfen die neu angeheuerten TÜV-Mitarbeiter inzwischen in aller Welt Klettergerüste, Fabrikanlagen und Krankenhäuser. Mehr und mehr verlieren die TÜV ihre vormalige technische Kernkompetenz, etwa zur Beurteilung der Sicherheit von Atomanlagen. Aber die neuen Manager drängen darauf, mit ihren diversen, beim Publikum wohlbekannten Siegeln gute Geschäfte zu machen. Schließlich stehen sie vor einem Berg von Pensionsverpflichtungen, der momentan auf 3 Milliarden Euro abgeschätzt wird.
Und die Konkurrenz schläft nicht. Allein in Mitteleuropa müssen sich die deutschen TÜV-Firmen mit mächtigen Wettbewerbern herumschlagen. Etwa mit der Schweizer SGS, die einen Jahresumsatz von 4,8 Milliarden Euro erzielt. Oder der Interlok (1,6 Mrd) in London, oder dem französischen Bureau Veritas (3,9 Mrd) und der Dekra (1,16 Mrd).
Unter das unter einer Vielzahl weiterer, wenn auch kleinerer, Konkurrenten!
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