Donnerstag, 28. Februar 2019

99 Prozent kaufen kein Elektro-Auto

Warum schreibe ich dann darüber einen Blog? Nun, man muss gelegentlich auch etwas für die Minderheit tun. Außerdem: fast alle Autohersteller führen E-Mobile in ihrem Portfolio. Es erscheint also ratsam und auch spannend, diesen Mikro-Markt im Auge zu behalten. Denn die Reichweiten der Elektroautos werden immer größer und die Zahl der Ladestationen nimmt zu.


Zwei neue Elektroautos

Zwei Elektroautos mit guter Reichweite sind kürzlich auf den Markt gekommen: der Audi e-tron und der Kia e-Niro.
Der Audi e-tron ist das erste Elektromobil von Audi. Der Preis für den SUV ist entsprechend: 80.000 Euro. Der Akku nimmt den gesamten Unterboden ein und speichert 95 Kilowattstunden (kWh). Laut Prospekt soll das Auto eine Reichweite von 400 Kilometer besitzen. Testfahrer des ADAC kommen eher auf 328 km, wobei sie öfters die Klimaanlage einschalteten und viele Kilometer auf Autobahn fuhren, wo wenig Energie durch Bremsen zurückgewonnen wird. Die beiden Elektromotoren des Audi leisten 265 Kilowatt (KW) und beschleunigen das Gefährt in 6,6 Sekunden (Boost: 5,7) auf Tempo 100. Porsche überholen muss damit ein Spaß sein.

Im Vergleich dazu ist der Kia e-Niro etwas für Normalverbraucher. Bei seinem Preis von 34.300 Euro (ohne staatliche Prämie!) ist er eher in die Golfklasse einzuordnen. Die Batterie speichert 69 kWh und soll für eine Reichweite von 450 Kilometer gut sein. Bei gemischter Fahrweise hat der ADAC damit 400 bis 450 km erreicht. Der Elektromotor von 150 KW beschleunigt in 7,8 Sekunden auf 100 km. Für die Batterie garantiert der Hersteller sieben Jahre.


Zuhause tanken

Die größte Skepsis beim Elektroauto rankt sich um die Reichweite der Batterie und das "Tanken" des Stroms. Letzteres kann grundsätzlich zuhause geschehen oder auswärts, also im öffentlichen Bereich.
Eine Heim-Ladestation, auch Wallbox genannt, ist eine Art Steckdose in der eigenen Garage. Je nach Ladeleistung und Ausstattung kostet sie zwischen 500 und 2500 Euro. Im Online-Handel sind einfachere Ausführungen schon für 300 Euro erhältlich. In allen Fällen kommen die Kosten für die Installation dieses elektrischen Geräts noch hinzu; nach den Rechtsvorschriften muss dies durch eine Elektrofachkraft geschehen.

Im Handel sind Modelle mit Ladeleistungen von 3,7 bis 22 kW erhältlich. Weil das erste Elektroauto ja nicht unbedingt das letzte sein muss, sollte die Wallbox universell einsetzbar sein. Empfohlen wird allgemein die 3-phasige 11-kW-Ladestation, beispielsweise vom Hersteller ABL. Mit ihr kann 1-phasig mit 3,7 kW, 2-phasig mit 7,4 kW und 3-phasig mit 11 kW geladen werden. Selbst bei einer Ladeleistung von nur 3,7 kW lädt sie rund 30 kWh in die Batterie. Das reicht in der Regel für 150 km, also die Strecke zur Arbeit und zurück.

Problematischer ist die Installation von Wallboxen in Mehrfamilienhäusern. Hier müssen die Eigentümer der Installation zustimmen, wofür bei zehn Wohneinheiten schon mal 20.000 Euro zusammenkommen können. Das kann zu Zündstoff bei den Eigentümerversammlungen führen. In Tiefgaragen noch größerer Gebäude parken zuweilen 50 Autos und noch mehr. Hier werden Ladeleistungen verlangt, wofür das Gebäude selten ausgelegt ist.


Auswärts tanken

Bei Überlandfahrten reicht die in der eigenen Garage getankte Strommenge meist nicht aus, um das Ziel zu erreichen. Derzeit ist die Suche nach einer öffentlichen Ladesäule noch beschwerlich, denn es gibt kein zentrales Verzeichnis für Elektro-Tankstellen. Hilfreich sind "Apps" auf dem eigenen Smartphone, welche allerdings auch nicht immer aktuell sind. Der Stromkonzern EnBW bietet in Deutschland, Österreich und der Schweiz derzeit 25.000 Ladepunkte an, die über "Roaming" - ähnlich wie das Funknetz - miteinander verknüpft sind. Zuweilen sind dafür auch Zusatzgebühren erforderlich.



Typische Ladesäule

Experten beklagen dennoch den Tarif-Wirrwarr an den Stromzapfsäulen. Zuweilen differieren die kWh-Preise um 300 Prozent. Nach Angaben des Anbieters "Lichtblick" kostet die Kilowattstunde an den Ladestationen von EnBW 54,5 Cent, bei den Stadtwerken München 46,7 Cent, bei Innogy 39 Cent und bei Maingau 10 Cent. Zum Vergleich: der Haushaltsstrom kostet weniger 30 Cent. Außerdem sind es die Diesel- und Benzinfahrer gewohnt aus hunderten von Metern Entfernung zu sehen, was sie pro Liter zu bezahlen haben.  Die Stromkunden erfahren dies häufig erst an der Ladesäule. Hinzu kommt, dass Diskounter, wie Aldi, oder Billigunternehmen wie IKEA oder McDonalds zuweilen ihren Kunden hohe Rabatte einräumen, ja sie sogar kostenlos tanken lassen. Also: preislicher Wildwuchs allenthalben.

Blackouts drohen, wenn viele E-Autos gleichzeitig tanken. Das kann in einigen Jahren der Fall sein, wenn die Pendler der Großstädte abends mit fast leeren Akkus heimkehren und nahezu gleichzeitig für den nächsten Tag auftanken wollen. Bei Ladestationen mit einer Leistung von 50 kW kommen die örtlichen Stromnetze an ihre Grenzen. Dann geht der Transformator in die Knie, sodass es zu einem lokalen Stromausfall kommen kann. Wenn also die Elektromobilität richtig Fahrt aufnehmen sollte, dann kommt man nicht umhin, die Ortsnetze auszubauen.

Wie so häufig im Leben, sind auch beim Elektromobil Vor- und Nachteile eng beeieinander. Allerweltsschäden am Vorder- oder Hinterteil des Autos können sehr teuer werden, wenn der elektrische Stromeinfüllstutzen dabei beschädigt wird. Und der Spaß beim schnellen Beschleunigen und Abbremsen wird dadurch gemindert, dass die Bremsbeläge beim E-Mobil öfters gewechselt werden müssen.


Ausblick

Die Umstellung der Verbrennertechnologie (OTTO, Diesel) auf Elektromobilität wird noch lange dauern. Der Grund dafür ist, dass der Entwicklung von wirtschaftlichen und zuverlässigen Autos Technik auf höchstem Niveau ist und dass der Tankvorgang sowie die dazugehörige Infrastruktur inhärent zeitaufwendiger und teurer sind. Dafür einige Beispiele:

Als stärkster Konkurrent für die konventionellen Autos gilt der US-amerikanische Konzern Tesla. Dieses Unternehmen (unter seinem großsprecherischen CEO Elon Musk) versucht seit 2010 die Nr. 1 auf dem Markt der E-Mobile zu werden. In diesen knapp zehn Jahren hat diese Firma weniger als 100.000 E-Autos in heterogener Ausführung gebaut und damit praktisch jedes Jahr dreistellige Millionenverluste gemacht. Das derzeitige Top-Model ist der Tesla Model 3. Er hat eine Reichweite von 290 km und kostet 75.000 Euro. Zum Vergleich: der VW-Konzern produzierte und verkaufte  11 Millionen Autos - allein im Jahr 2018 - und erzielte damit einen Gewinn von 14 Milliarden Euro.

Sollte einmal der Anteil der E-Mobile auf 50 Prozent und darüber ansteigen, so muss - flächendeckend! - die Stromversorgung in allen Orten und auch auf dem flachen Land auf wesentlich höhere Stromleistungen umgebaut werden. Das ist eine Anstrengung vergleichbar mit dem Bau der gegenwärtigen Nord-Süd-Gleichstromleitungen und wird viel Geld kosten und auf ähnliche Akzeptanzprobleme stossen. Und trotzdem wird diese Infrastruktur nicht verhindern, dass ein Benziner in zwei Minuten soviel "Reichweite" tankt, wie ein E-Auto in zwei Stunden.

Zweifelhaft ist auch der ökologische Nutzen der Elektromobilität. Nur wenn das Auto seinen Strom von Wind und Sonne bezieht ist das Öko-Label einigermaßen vertretbar. Durch die Abschaltung der Kern- und Kohlekraftwerke ist soviel Ökostrom aber gar nicht verfügbar.

Die ausgefeilte Verbrennertechnologie wird uns also noch lange erhalten bleiben, insbesondere, weil auf dem Gebiet der Abgasreinigung und des Brennstoffverbrauchs noch bedeutende Innovationen zu erwarten sind.
Meine Vermutung: auf mehr als10 Prozent dürfte der Anteil der E-Autos in den kommenden 20 Jahren kaum ansteigen.




Mittwoch, 20. Februar 2019

Der Kohleausstieg - ein Faß ohne Boden

Im Aussteigen aus Großprojekten sind die Deutschen wahre Meister. Der (vorzeitige)  Ausstieg aus der Fußballweltmeisterschaft ist den Fans noch im Gedächtnis; vor wenigen Tagen verkündete Airbus den Ausstieg aus dem Großprojekt A 380. Der folgenreichste Ausstieg - jener aus der Kernenergie - im Frühjahr 2011, ist wohl den meisten auch heute noch in Erinnerung: Im Nachgang zu den Unfällen im japanischen Fukushima ordnete die Bundeskanzlerin die sofortige Stilllegung von 8 deutschen Kernkraftwerken an und den gestaffelten Ausstieg aus weiteren 9. Und das, obwohl bis dato in Deutschland weder Monstererdbeben noch Tsunamiwellen aufgetreten sind.

Nun steht ein weiterer Super-Ausstieg bevor: jener aus der Kohle. Er wurde in einer Art Panikreaktion beschlossen, weil die Zielwerte der deutschen CO2-Emissionen offenkundig verfehlt werden. Hätte man die Kernkraftwerke nicht abrupt abgeschaltet - sondern wie in allen anderen Ländern - moderat noch eine Zeitlang weiter laufen lassen, wäre diese Klemmsituation nicht entstanden. Der Ausstieg aus Steinkohle und Braunkohle bedeutet, dass in Zukunft fast 40 Prozent der deutschen Stromerzeugung entfallen und anderweitig ersetzt werden müssen. Hinzu kommt, dass viele Arbeitsplätze in den traditionellen Kohlegebieten, insbesondere den Tagebauen, entfallen.


Die Kohlekommission

Eigentlich wäre es die Aufgabe des zuständigen Bundeswirtschaftsministers gewesen, eine Marschroute für den im Kabinett beschlossenen Kohleausstieg festzulegen. Aber Peter Altmaier war die Sache wohl zu heikel, sodass er nach einem altbewährten Politikerrezept vorging: "Wenn man nicht mehr weiter weiss, gründet man  ´nen Arbeitskreis". So kam im Juni 2018 die sogenannte Kohlekommission zustande, mit offiziellem Namen "Kommission für Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung".

Diese Kommission hatte 28 stimmberechtigte Mitglieder aus Vertretern der Industrie, den Energieverbänden, den Gewerkschaften und Umweltverbänden sowie aus Bürgerinitiativen und Wissenschaftlern. Sie sollten als Abbild der Gesellschaft den schrittweisen Ausstieg aus der Stein- und Braunkohle skizzieren sowie ein "finales Ausstiegsdatum" vorschlagen. Darüber hinaus sollten die Kosten abgeschätzt werden sowie der Verlust der Arbeitsplätze in den Kohlerevieren und bei den Kraftwerken. Der Abschlussbericht sollte bis Februar 2019 vorliegen. Die Umsetzung dieses Planungen in die Realität wollte sich die Bundesregierung vorbehalten.


Der Ausstiegsbericht

Der pünktlich vorgelegte Bericht war 126 Seiten lang und hatte einen 210-seitigen Anhang. Darin beschreibt die Kommission, wie sie sich diesen schrittweisen Ausstieg aus dem Kohlestrom und den Umstieg auf erneuerbare Energien vorstellt. Als Enddatum für die Kohlenutzung wurde das Jahr 2038 festgelegt, alternativ, falls möglich, das Jahr 2035. In den Jahren 2023, 2026 und 2029 soll der Ausstiegsplan mit Blick auf die Versorgungssicherheit, die Strompreise, die Jobs und die Klimaziele von Experten evaluiert werden.

Von den derzeit am Netz befindlichen Kohlekraftwerken mit insgesamt ca. 40 Gigawatt (GW) sollen bis 2030 höchstens noch 17 GW am Markt sein. Bis 2022 sollen 12,5 GW vom Netz gehen. Bis 2030 sollen die Betreiber für die Stilllegung ihrer Kraftwerke entschädigt werden; je älter ein Kraftwerk ist, desto geringer ist die Entschädigung. Das moderne Steinkohle-Großkraftwerk Datteln mit 1,1 GW, welches 1,5 Milliarden Euro an Baukosten verschlungen hat, ist zwar fertiggestellt soll aber nicht mehr in Betrieb genommen werden. Den Betreiber Uniper (früher Eon) wird das nicht freuen.

Als Entschädigung für die Eigentümer stellt man sich 600 Millionen Euro pro GW Leistung vor, bei Steinkohle deutlich weniger. Der Bund entscheidet, wieviel Kapazität stillgelegt werden soll. Wer die geringsten Entschädigungen verlangt, oder das meiste CO2 durch die Abschaltung einspart, erhält den Zuschlag.

Für die Beschäftigten an den stillgelegten Kohlekraftwerken soll es ab 58 Jahren bis zum Ruhestand ein Überbrückungsgeld geben, sowie einen Ausgleich bei Renteneinbußen. Für jüngere Mitarbeiter sind Weiterbildungsprogramme geplant. Im Osten sollen nach Möglichkeit Bundesbehörden und Bundeswehrstandorte angesiedelt werden.


Unterstützung für die Kohleländer

Für die betroffenen Braukohlereviere in der Lausitz, in Mitteldeutschland und im Rheinland soll es umfangreiche staatliche Hilfen geben. Dieses Geld soll den Strukturwandel in den genannten Gebieten abfedern und neue Arbeitsplätze schaffen. Allerdings steht - anders als bei der Steinkohleförderung früherer Jahre - dafür kein Vermögen bereit, aus deren Stiftungserträgen die Kosten refinanziert werden könnten. Bereits jetzt wird deshalb in den genannten Kohleländern heftig um die (potentiellen) Bundessubventionen gerungen.


Tagebau in der Lausitz

Viel diskutiert wurde in der Kommission auch über den berühmt-berüchtigte Hambacher Forst, bevor sein Erhalt schließlich im Bericht als "wünschenswert " bezeichnet wurde. Das könnte für den Steuerzahler sehr teuer werden. Das rund 200 Hektar große Waldstück im Rheinischen Braunkohlerevier ist seit Jahren Gegenstand gewalttätiger Auseinandersetzungen zwischen "Waldschützern" und der Polizei. Der Stromkonzern RWE will den Forst roden, um den Tagebau weiter abgraben zu können. Etwa 15 Prozent des gesamten Strombedarfs in Nordrhein-Westfalen werden durch Braunkohle aus diesem Gebiet gedeckt. Die Landesregierung NRW hat bereits angekündigt, dass sie in Bälde eine "Leitentscheidung" zur Nutzung des Hambacher Forsts treffen werde, wobei die Ergebnisse der Kohlekommission berücksichtigt würden.


Voraussichtliche Gesamtkosten und Finanzierung

Die gesamten Kosten für den Kohleausstieg lassen sich derzeit nur ganz grob abschätzen. Sicher ist, dass dieses Projekt - mit Abstand - das teuerste ist, welches bis dato in der Bundesrepublik auf Kiel gelegt worden ist. Einige der wichtigsten und kostenträchtigsten Kostenarten und Kostenstellen wurden in der Kommission und von den Kraftwerksbetreibern bereits veröffentlicht. Sie seien, mit aller Vorsicht, hiermit weiter gegeben.

---Der größte Brocken sind die Bundeshilfen für die betroffenen Kohleländer Nordrhein-Westfalen, Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Sachsen. Sie werden auf 40 Milliarden (Mrd) Euro abgeschätzt.

---Hinzu kommen jährlich 2 Mrd zur Entlastung stromintensiver Industriebetriebe und Verbraucher, sowie 1,5 Mrd für die Stromnetze. Über die ganze Laufzeit des Projekts summiert sich dies auf ca. 32 Mrd.

---Für das sozialverträgliche Gleiten der Beschäftigten in den Ruhestand sowie die Weiterbildung werden 5 Mrd veranschlagt. Das wird kaum ausreichen, denn allein in NRW und Brandenburg verlieren 26.000 Beschäftigte ihren Job.

---Hohe Entschädigungszahlungen sind für die 40 stillzulegenden Kohlekraftwerke zu erwarten. Diese Kosten sind derzeit noch nicht bekannt.

---Aufsummiert: Experten schätzen die Gesamtkosten für den Kohleausstieg auf mindestens 80 Mrd ab. Da noch nicht alle Kostenstellen kalkuliert sind, rechnet man mit
                                                100 Milliarden Gesamtkosten.

Nicht eingerechnet ist dabei die Ersatzbeschaffung für den Kohlestrom durch Wind, Sonne und (russisches) Gas.


Die Finanzierung liegt ganz überwiegend beim Bund. Es verwundert deshalb nicht, dass die zuständigen Abgeordneten bereits Sturm laufen. So kritisierte Axel Fischer, ein Mitglied des sehr einflussreichen Haushaltsausschusses, dass die Parlamentarier nicht in die Kohlekommission eingebunden waren. Dort saßen nur Vertreter von Gruppen, die an zusätzlichem Geld interessiert waren. Außerdem bestehe nach Meinung des Ausschusses die Gefahr, dass die Ansprüche der Kommission 1:1 von der Regierung übernommen werden. Im übrigen kämen die Finanzierungsforderungen zu einem denkbar ungünstigem Zeitpunkt. Denn bis zum Jahr 2023 sei im Bundeshaushalt mit einem Defizit von 77 Mrd zu rechnen; die Zeiten der "Schwarzen Null" sind vorbei.

Besonders riskant ist der Terminverzug bei den Nord-Süd-Gleichstromleitungen. Die Bundeskanzlerin Angela Merkel wird in der "Bild"-Zeitung hierzu mit folgendem Satz zitiert:

"Wenn wir so weiter machen, werden wir scheitern".

Sonntag, 10. Februar 2019

BREXIT oder "Viel Lärm um nichts"

Wenn William Shakespeare nicht vor 500 Jahren gelebt hätte, sondern in der Jetztzeit, dann hätte er seine Dramen wohl ganz anders konstruiert. Zum Beispiel die Komödie "Much ado about nothing", uns Deutschen unter dem Titel "Viel Lärm um nichts" bekannt. Dieses Theaterstück hätte dann vermutlich nicht in Florenz am Hof eines Adeligen gespielt, sondern im britischen Unterhaus. Und im Mittelpunkt wäre dann nicht die Hochzeit von Claudio mit Hero gestanden samt all ihrer Verwirrungen, hervorgerufen durch den Intriganten Don Johns, dem illegitimen Bruder des Königs von Aragon.

Im Londoner "House of Commons" hätte Shakespeare all die Charaktere vorgefunden, welche zur maximalen Konfusion hätten beitragen können. So etwa den blondhaarigen und stets ungekämmten Zausel Boris Johnson, früher einmal Bürgermeister von London, der wochenlang vor dem Brexit-Referendum mit einem Doppeldeckerbus umher fuhr auf dem krass falsche Zahlen aufgemalt waren. Oder den glattgekämmten, aber einflussreichen Abgeordneten Rees-Mogg und den wurstigen ex-Premier David Cameron, der seine Briten durch einen schlampig formulierten Text zum Referendum in die politische Irre laufen ließ. Alles "Eton-Boys", also Absolventen des berühmt-berüchtigten Gymnasiums, für das die upper-class-Eltern bereit sind, schon mal 50.000 Euro pro Jahr an Schulgeld hinzublättern.


Theresa May versucht das Unterhaus zu überzeugen

Denn was soll man von einem Parlament, wie dem "Lower House" halten, das in Dutzenden von Abstimmungen nicht in der Lage war, eine Position zum Vertragswerk der Premierministerin zu beziehen. Und das, obwohl der Brexit-Vertrag mehr als zwei Jahre lang zwischen Brüssel und London ausgehandelt worden war. 660 Seiten, nebst tausend Seiten Anhang wurden dabei Wort für Wort durchdekliniert und danach von den 27 EU-Staaten abgesegnet. Und nun wurde, Ende Januar, dieses Opus von Unterhaus mit großer Mehrheit abgeschmettert. Der Gipfel dabei war, dass die Abgeordneten selbst nicht in der Lage waren auszuformulieren, was sie denn stattdessen wollten. Dies konnte auch der "Speaker des House of Commons" , der bräsige John Bercow nicht vermitteln, welcher ansonsten beträchtliches clowneskes Talent offenbarte.


Vier Optionen

Auf welchen Vertragstext sich London und Brüssel schließlich doch noch einigen könnten, ist derzeit schwer absehbar. Es gibt zu viele Klauseln, an denen der Text noch in Maßen variiert werden könnte. Im Überblick lassen sich diese potentiellen Veränderungen auf vier Optionen zusammenfassen. Als mögliche Szenarien sollen sie kurz beschrieben werden. 

Option 1: London nimmt den Vertrag doch noch an.

Denn es gibt noch 6 Wochen Zeit bis zum geplanten Austrittsdatum am 29. März 2019. Eigentlich genug Zeit, um renitente Unterhaus-Abgeordnete zur Vernunft kommen zu lassen. Vor allem, weil inzwischen der Druck der Wirtschaft erheblich geworden ist und stetig zunimmt.
Prognose: Dieser Deal ist möglich, aber derzeit nicht sehr wahrscheinlich. 

Option 2:  Der Vertrag wird nachverhandelt

Insbesondere über den sogenannten "Backstop" könnte man nochmals verhandeln. Diese Klausel sieht vor, dass Großbritannien so lange in der Zollunion und Nordirland so lange im Binnenmarkt verbleibt, bis sich London und Brüssel auf einen Freihandelsvertrag geeinigt haben. Die gemeinsame Sorge ist allerdings, dass in der ehemaligen Bürgerkriegsregion die Kämpfe wieder aufflammen könnten. 
Prognose: Einigung kompliziert und nicht sehr wahrscheinlich. 

Option 3: Der Brexit wird aufgeschoben.

Derzeit streben beide Partner keinen Aufschub an. Der Druck könnte jedoch so stark werden, dass dies bald die einzige Option sein könnte, welche einen harten Brexit und eine Chaos- Situation vermeiden lässt. 
Prognose: Ein Aufschub um wenige Wochen ist denkbar.

Option 4: Harter Brexit oder No Deal

Gelingt es Theresa May nicht, eine Mehrheit im Unterhaus zu erreichen, dann folgt automatisch der ungeregelte Austritt, also der harte Brexit. Die wirtschaftlichen Folgen wären vor allen für das Vereinigte Königreich verheerend.
Prognose: Dieser ungewollte GAU ist nicht unwahrscheinlich.

In dieser Situation sollten wir Kontinentaleuropäer stoische Ruhe bewahren und sagen:

"Laßt sie ziehen, diese Briten"

Dienstag, 5. Februar 2019

TÜV-geprüft! - Alles in Ordnung?

Der Bruch des Staudamms bei einer Eisenerzmine in Brasilien vor knapp zwei Wochen beschäftigt noch immer die internationalen Medien. Das Rückhaltebecken für Flüssigabfälle wurde ganz plötzlich undicht und Millionen von Kubikmetern Schlamm überfluteten die anliegenden Dörfer. Bislang hat man erst 120 Tote geborgen, zum Teil unter 20 Metern Schlamm. Weitere 240 Mitarbeiter werden noch vermisst. Die Eigentümerfirma Vale hatte das Eisenbergwerk im Jahr 2001 von Thyssen-Krupp erworben. Der deutsche Konzern wurde damals heftig kritisiert, weil er Vermögen "verschleudert" habe; heute wird man in Essen darüber ganz froh sein.

An dem Unternehmen Vale ist auch der brasilianische Staat beteiligt. Die Mine wurde höchst rentabel betrieben: im Berichtsjahr 2017 machte man (umgerechnet) 5 Milliarden Euro Gewinn, bei einem Umsatz von 30 Milliarden. An fehlendem Geld kann es also nicht gelegen haben, falls man beim Bau und Betrieb der Rückhaltebecken geschlampt haben sollte. Denn darüber wird in den brasilianischen Medien inzwischen heftig diskutiert. Für den Vale-Chef Fabio Schvartsman ist der "Schuldige" bereits gefunden: es ist die deutsche Firma TÜV Süd, welche den Damm mehrmals - zuletzt im September 2018 - begutachtet und ihn als "stabil und sicher" (samt Siegel) beurkundet hat.


Das begehrte achteckige Siegel des TÜV Süd


In der Münchener Konzernzentrale des TÜV Süd gibt man sich recht schmallippig. Ein Sprecher sagt nur: "Nach unserem - damaligen - Kenntnisstand wurden keine Mängel am Damm festgestellt". Ansonsten verweist man auf die laufenden Ermittlungen der brasilianischen Behörden vor Ort. Diese haben schon mal zwei ranghohe TÜV-Gutachter festgenommen, deren Namen in der Presse mit Makoto Namba und André Yum Yassuda  zitiert werden. Ansonsten hat die örtliche Polizei die Büroräume des TÜV Süd versiegelt und alle Akten und Computer beschlagnahmt.


Historische Verdienste der TÜV e. V.

Die technischen Überwachungsvereine wurden vor gut 150 Jahren im 19. Jahrhundert zur Zeit der Industrialisierung gegründet. Immer mehr Unfälle durch explodierende (genauer: zerknallende) Dampfkessel waren der Anlass. Nach der "Explosion" eines solchen Kessels in der Mannheimer Aktienbrauerei verfolgte man dort die Idee, die Kessel auf freiwilliger Basis regelmäßigen Kontrollen zu unterziehen - wie das übrigens bereits in England der Fall war. 20 badische Dampfkesselbesitzer schlossen sich zusammen, woraus später in Mannheim und andernorts die "Technischen Überwachungsvereine" als eingetragene Vereine e. V. entstanden.

Diese unabhängigen regionalen Überwaschungsorganisationen waren bei der Unfallverhütung so erfolgreich, dass die staatlichen Organe ihnen immer mehr Aufgaben im Sicherheitsbereich übertrugen. Allgemein bekannt ist die regelmäßige Untersuchung der Autos bis hin zur Abwicklung der Führerscheinprüfungen. Alle aus diesen gemeinsamen Wurzeln hervorgegangenen Gruppen benutzen die Marke "TÜV" und einen regionalen Zusatz als Namen, so zum Beispiel: TÜV Süd, TÜV Rheinland, TÜV Nord bis zu TÜV Österreich. Auf einigen Gebieten sollen die TÜVs sogar untereinander und zu anderen Marktteilnehmern im Wettbewerb stehen!


Aktuelle Strategie:  "Think Big"  -  mit einigen Flops

In den neunziger Jahren flaute das Geschäft bei den TÜVs merklich ab. Ursächlich waren unter anderem die Auftragsrückgänge in der Energiewirtschaft, wo der Neubau von Kraftwerken infolge der Energiewende deutlich einbrach. Statt den Personalstand entsprechend zu verringern, verfolgten die großen regionalen TÜV-Gesellschaften exakt die gegenteilige Strategie. Durch Fusionen mit kleineren TÜVs und Personalaufstockungen (um Größenordnungen!) wurden aus den bescheidenen eingetragenen Vereinen "global player", die fortan als Aktiengesellschaften agierten. So hatte die TÜV Süd AG bald 24.000 Mitarbeiter und weltweit 800 Standorte. Der Jahresumsatz betrug 2016 stattliche 2,4 Milliarden Euro. An zweiter Stelle folgt der TÜV Rheinland mit 20.000 Beschäftigten und 2 Milliarden Umsatz, vor dem TÜV Nord mit 10.000 Mitarbeitern.

Damit einher ging die thematische Diversifikation der Geschäftsfelder, deren Risiken sich jedoch bald abzeichneten. So zertifizierte der TÜV Rheinland in Frankreich fehlerhafte medizinische Brustimplantate mit schmutzigem Silikon.---Ähnliches passierte dem TÜV Süd in Brasilien, wo die Hersteller ebenfalls billigstes Industriesilikon verwendeten.---Betrügereien gab es auch im Finanzbereich, wo kriminelle Banden das honorige Siegel des TÜV Süd "hackten" und damit große Geldsummen illegal abzwackten.---Noch in Erinnerung ist der Zusammenbruch einer achtgeschossigen Textilfabrik in Bangladesch, die kurz vorher vom TÜV Rheinland positiv überprüft worden war.---In Deutschland schlägt der Dieselskandal immer noch hohe Wellen. Leider war es den TÜV-Prüfern nicht gelungen - im Verbund mit dem Kraftfahrt Bundesamt - die Softwareschummeleien der Autohersteller rechtzeitig aufzudecken. Dabei gab es schon frühzeitig Hinweise aus US-amerikanischen Quellen, wonach mit den NOx-Werten "etwas nicht stimmen konnte".


Ausblick

Die Diversifikation der TÜV wurde aus der Not geboren. Heute machen die Hauptuntersuchungen an den Autos nur noch 15 Prozent des Geschäftsvolumens aus. Stattdessen überprüfen die neu angeheuerten TÜV-Mitarbeiter inzwischen in aller Welt Klettergerüste, Fabrikanlagen und Krankenhäuser. Mehr und mehr verlieren die TÜV ihre vormalige technische Kernkompetenz, etwa zur Beurteilung der Sicherheit von Atomanlagen. Aber die neuen Manager drängen darauf, mit ihren diversen, beim Publikum  wohlbekannten Siegeln gute Geschäfte zu machen. Schließlich stehen sie vor einem Berg von  Pensionsverpflichtungen, der momentan auf 3 Milliarden Euro abgeschätzt wird.

Und die Konkurrenz schläft nicht. Allein in Mitteleuropa müssen sich die deutschen TÜV-Firmen mit mächtigen Wettbewerbern herumschlagen. Etwa mit der Schweizer SGS, die einen Jahresumsatz von 4,8 Milliarden Euro erzielt. Oder der Interlok (1,6 Mrd) in London, oder dem französischen Bureau Veritas (3,9 Mrd) und der Dekra (1,16 Mrd).

Unter das unter einer Vielzahl weiterer, wenn auch kleinerer, Konkurrenten!




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