Sonntag, 26. August 2018

Diese Inschenöre! Bei VW und den Nibelungen

"Eltern haften für ihre Kinder", so heißt es gemeinhin. Und man könnte hinzufügen: "Manager für ihre Ingenieure".So war es jedenfalls im Zuge des sogenannten "Diesel-Skandals". Die "Inschenöre" bei VW - und den anderen Premiummarken - hatten sich ein schlaues Computerprogramm ausgedacht. Es täuschte auf den Prüfständen des TÜV eine niedrige Abgasrate vor, war ansonsten im Straßenbetrieb aber völlig wirkungslos. Dort wurde die volle Menge an NOx rausgepustet. 

Die Folgen sind bekannt. Der VW-Chef Martin Winterkorn, der (nach eigenen Aussagen) absolut nichts von diesen Vorgängen wusste, verlor seinen Job und musste gehen. Dabei hatte er sich während des größten Teils seiner Arbeitszeit bei VW nur mit den Spaltmassen seiner Autokarossen beschäftigt. Die Sauereien der hierarchisch tief unten in der Motorenabteilung angesiedelten Inschenöre - welche für diese wundersame Reduktion der Abgase verantwortlich waren - konnte er nicht ahnen. Gleichwohl musste seine Firma in den USA milliardenhohe Strafzahlungen leisten.

Noch sind die Folgen des Dieselskandals nicht aufgearbeitet. Viele Vorstandsvorsitzende (CEO) der beteiligten Autofirmen (der Zulieferer Bosch eingeschlossen) getrauen sich seit Jahren keine Dienstreise mehr in die USA zu unternehmen - aus Furcht, sie könnten dort eingelocht werden. Glücklicherweise sind sie wenigstens in Deutschland einigermaßen sicher, was allerdings nicht für den Audi-Chef Rupert Stadler gilt, denn er sitzt bereits seit einigen Monaten in Untersuchungshaft. Fairerweise hat man dem ranghöchsten Auto-CEO, nämlich Martin Winterkorn, davon ausgenommen und ihm eine finanzielle Abfindung von 30 Millionen Euro zugebilligt. Das sollte dem 71-jährigen  eine Zeitlang von der Armut fernhalten.


Schlechtes Vorbild: die Nibelungen

Die Kaste der Inschenöre hat schon in fernen mythologischen Zeiten eine zuweilen unheilvolle Rolle gespielt. Der Komponist und Textdichter Richard Wagner nahm dies zum Anlass, um dazu ein Opus Magnum, bestehend aus vier Opern, zu verfassen. Es wird jedes Jahr unter dem Titel "Der Ring der Nibelungen" in Bayreuth, meiner oberfränkischen Heimat, aufgeführt. Auf angemessenen Plätzen - fünf Reihen hinter Angela M. - und zum Preis von 800 Euro kann man die 18-stündige Aufführung im nichtklimatisierten Festspielhaus an vier Wochentagen bei Augusttemperaturen genießen.

Die Story spielt zu jener Zeit, da Göttervater Wotan noch Herrscher der Welt war - nicht zuletzt deshalb, weil er sich ein großes Waffenarsenal leisten konnte. Dafür zuständig war das Zwergengeschlecht der Nibelungen. In geologischen Tiefen waren sie für die Beschaffung der Erze und Materialien sowie die Waffenherstellung verantwortlich. Der Chef-Inschenör dieser Truppe war der Gnom Alberich, seinem Bruder Mime oblag das Schmieden der Schwerter und Lanzen. Leider waren diese Gesellen keine sonderlich vertrauenswürdigen Personen, sondern machten nebenbei und zu eigenem Nutzen noch allerhand Privatgeschäfte, die vom Göttervater zwar nicht genehmigt waren, ihm aber letztlich doch (über Loge, seinem Geheimdienstchef) zugetragen wurden.


Die vier Opern

In der ersten Oper, "Das Rheingold", erleben wir, wie der Zwerg und Chef-Inschenör Alberich versucht, mit den Rheintöchtern zu flirten - weitergehende Avancen nicht ausgeschlossen. Aber er wird von den schmucken Wassergeschöpfen nur ausgelacht und zurückgewiesen. Aus Rache raubt Alberich das Gold am Grunde des Rheinstroms. Sein Bruder Mime fertigt daraus einen Tarnhelm sowie einen Ring, welcher die Eigenschaft hatte, dass man durch ihn zu unbeschränkter Macht kommen konnte. --- In etwa zur gleichen Zeit ließ sich Göttervater Wotan seine neue Burg Walhall bauen. Die beiden hochgewachsenen Architekten, namens Fafner und Fasolt, standen vor der Tür und erwarteten ihren Lohn. Leider war der Weltenherrscher damals wieder einmal ziemlich klamm. Zur Hilfe kam ihm sein enger Berater Loge, ein gewitzter Halbgott, der vorschlug, die Baumeister mit dem Ring und dem Tarnhelm des Nibelungen Alberich zu bezahlen. Dies geschah denn auch, allerdings unter heftigen Sträuben des Chef-Inschenörs. Zum Schluss ließ dieser noch einen folgenreichen Fluch los: "Tod dem, der ihn trägt". Und tatsächlich wechselte der Ring in der Folge noch acht mal seinen Besitzer und allen Trägern brachte er den Tod. Der erste war Fasolt, den sein Kompagnon Fafner -aus Gier - schon bei der Ringübergabe erschlug.

Die zweite Oper, Die Walküre,  ist für viele die Lieblingsoper in Wagners Quartett. Vor allem wegen des Walkürenritts im dritten Aufzug, wo Wotans Tochter Brünhilde unter "Hojotoho"-Rufen mit ihren Amazonen einen bemerkenswerten Pferdegalopp hinlegt. Der Ring wechselt in dieser Oper seinen Träger nicht, sondern verbleibt beim Totschläger Fafner.--- Ansonsten kommt es in den ersten beiden Aufzügen zu einigen, weniger appetitlichen, inzestuösen Szenen. Aber was sein muss, muss sein: der Held Siegfried wird dabei gezeugt. Und dazu noch der Ritter Hagen von Tronje, welcher in der Schlussoper eine sehr bedeutsame und tragische Rolle spielt. Sein Vater ist, kaum zu glauben: der Zwerg Alberich. Die Glückliche ist nicht bekannt.

In der dritten Oper, Siegfried, lernen wir den jungen Helden kennen, wie er in der Schmiede (seines Ziehvaters) Mime das Wunderschwert Notung fertigt. Um diese Waffe zu testen, zertrümmert der ungestüme Jüngling den Amboss  mit einem Streich. Nun schlägt Alberich vor, damit der Drachen Fafner zu töten. Siegfried tritt dem Untier tapfer entgegen, erledigt es durch einen gezielten Stich in das Herz und badet in dessen Blut. Ring und Tarnhelm entnimmt er aus der Höhle. Als Mime seinen Pflegesohn durch einen Gifttrunk aus dem Weg räumen will um an diese wertvollen Requisiten zu gelangen, muss der illoyale Nibelung dies mit seinem Leben bezahlen. Ein Inschenör weniger! --- Frohgemut tritt Siegfried in die Welt hinaus und begegnet (inkognito) Göttervater Wotan, der als Wanderer umherstreift. Gelangweilt von Wotans lästigem Gerede zerbricht er dessen Speer. Damit ist der Weltenherrscher machtlos geworden, da mit dem Speer auch die darauf verzeichneten Verträge und Wotans überlegenes Wissen vernichtet wurden. --- Schließlich gelangt Siegfried zum Walkürenfelsen, durchschreitet furchtlos das Feuer, welches Brünhilde schützen soll und weckt die Tochter Wotans durch einen langen Kuss. Dadurch lernt Siegfried ein neues Gefühl kennen: die Liebe. "Leuchtende Liebe, lachender Tod", erklingt als finales Leitmotiv in Wagners Komposition.



In der vierten Oper, Götterdämmerung, wechselt der Ring mehrfach zwischen  Brünhilde und Siegfried hin und her. Für Verwirrung sorgt ein Vergessenheitstrunk, mit dem Gutrune an Siegfried und Brünhilde an Gunter gebunden werden soll. Vergeblich! Ritter Hagen von Tronje will den Ring für sich gewinnen und stößt Siegfried den Speer in den Rücken. Brünhilde verbrennt sich mit der Leiche von Siegfried. Die Götterwelt und die Burg Walhall gehen in Flammen auf. Hagen ertrinkt in den Fluten des nahen Strom; Alberich taucht ab in die geologischen Unterwelt, sein Fluch ist wirkungslos geworden. --- Die Rheintöchter holen den Ring und das Gold aus der Asche zurück.


Zurück in die Gegenwart

Auch heute noch sind - bei einigem Glück - die Restbestände göttlicher und irdischer Allmacht zuweilen noch zu besichtigen. Der Schwarzwald ist angefüllt mit Wanderern, von denen mancher mit einem geknickten Stab umhergeht. Es könnte der rastlose, aber machtlose Wotan sein. Man sollte es wagen, ihn darauf anzusprechen. Er könnte darüber sogar erfreut sein.

Und der irdische Allvater Martin Winterkorn wird in einer seiner Immobilien sitzen und über die Vermehrung seiner doch recht bescheidenen Abfindung nachdenken. Nur so kann man verstehen, dass er (wie den Medien zu entnehmen) ernsthaft versuchte, 500.000 Euro  - an der Steuer vorbei - nach Zürich zur renommierten Bank Vontobel zu leiten. Sein Duzfreund Uli Hoeneß war da mutiger.
Dieser probierte es gleich mit 28,5 Millionen und reservierte sich dadurch eine mehrjährige Staatslogis.