Japan: Wohin mit dem Plutonium?
Japan besitzt 47 Tonnen Plutonium.
Nach herkömmlicher Rechnung reicht dieser Bestand aus für den Bau von 6. 000 Atombomben. Japan will jedoch nicht dem derzeitigen Club von (vermutlich?) 12 Bombenstaaten beitreten. Dafür lässt es sich von der Wiener Atombehörde IAEO peinlichst genau und in kurzen Zeitabschnitten kontrollieren. Bislang wurde noch kein Fehlverhalten – auch nicht im Ansatz – nachgewiesen.
Da mit dem Reaktorunfall von Fukushima im Jahr 2011 die meisten japanischen Kernkraftwerke stillgelegt sind, stellt sich um so dringender die Frage: Was will Japan eigentlich mit dieser riesigen Menge an Plutonium anstellen? Wie war seine ursprüngliche Strategie im Umgang mit diesem Nuklearbrennstoff und was hat sich seit Fukushima daran geändert? Im Folgenden soll dies in seinem historischen Ablauf dargestellt werden.
Ein wohlgeplanter Plutonium-Kreislauf
Das chemische Element Plutonium (abgekürzt: Pu) kommt in der Natur praktisch nicht vor, es kann aber in Kernreaktoren künstlich erzeugt werden. Einige seiner Isotopen (=Atomsorten) sind spaltbar, sodass dieses Pu – ähnlich wie das Uranisotop 235 – zur Kernspaltung geeignet ist. Gängige Kernkraftwerke (KKW) erzeugen pro Jahr etwa 200 Kilogramm Pu in ihren Brennelementen. In Wiederaufarbeitungsanlagen (WAA) wird dieses Pu abgetrennt und zum Bau neuer Mischoxid-Brennelemente (MOX) wiederverwendet. Dieser sogenannte Brennstoffkreislauf ist besonders effizient, wenn man als Reaktoren Schnelle Brüter zugrunde legt.
Japan hat mit dem Bau von Leichtwasserkernkraftwerken (LWR) in den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts begonnen und besitzt inzwischen eine stattliche Flotte von 55 Kernkraftwerken. Mitte der siebziger Jahre kam die Entwicklung der Schnellen Brüter hinzu. Aus sämtlichen LWR-Brennelementen wurde das generierte Pu abgetrennt, zumeist in europäischen Aufarbeitungsanlagen. Von den genannten 47 Tonnen Plutonium befinden sich derzeit 17 Tonnen in England und 20 Tonnen in Frankreich – jeweils an den dortigen WAA Sellafield und La Hague. Weitere 10 Tonnen wurden an kleineren Anlagen in Japan selbst rezykliert.
Das strategische Ziel der japanischen Regierung war, dieses abgetrennte Pu zum größten Teil in Schnellen Brütern zu verwenden. Solche natriumgekühlte Kernkraftwerke nutzen das „Abfallprodukt“ Pu besonders wirkungsvoll, benötigen aber für die Erstbeladung und den äußeren Brennstoffkreislauf erhebliche Mengen an Pu. Ein Schneller Forschungsreaktor „Joyo“ ist für diesem Zweck seit ca. 20. Jahren in Betrieb; ein 300 Megawatt Brüterkraftwerk (vergleichbar mit dem SNR 300 in Kalkar) wurde unter dem Namen „Monju“ in den neunziger Jahren mit erheblichen Schwierigkeiten angefahren.
Nach Fukushima ist alles anders
Freitag, der 11. März 2011, war für die japanische Kernenergiepolitik eine Zeitenwende. Durch ein Erdbeben der Stärke 9 sowie einem nachfolgenden Tsunami kam es in der Präfektur Fukushima bei drei älteren Kernkraftwerken zu einer Kernschmelze. Die Regierung unter Premierminister Naoto Kan ließ alle Atomreaktoren abfahren und beschloss bis zum Jahr 2040 zur Ganze aus der Kernreaktortechnologie auszusteigen. Unter dem nachfolgenden Premier Yoshihiko Noda wurden bereits wieder zwei Blöcke wegen regionaler Stromknappheit hochgefahren. Die nächste Regierung unter Shinzo Abe beschloss 2012 die Wiederinbetriebnahme der stillgelegten Kernkraftwerke nach einer technischen Überprüfung. Seither wurden 15 ältere Kernkraftwerke endgültig stillgelegt, aber 8 wieder in Betrieb genommen. Davon sind 4 in der Lage MOX, also Plutonium zu verbrennen, was den Bestand von 47 Tonnen allerdings kaum nennenswert mindert.
Luftbildaufnahme des Brüterkraftwerks „Monju“
Dies gilt vor allem deswegen, weil die drei genannten Regierungen beschlossen haben, aus dem Schnellen Brüter auszusteigen. Der Forschungsreaktor Joyo und das Brüterkraftwerk Monju wurden bereits stillgelegt und werden derzeit rückgebaut. Sie waren die eigentlichen Nutzer der hohen Pu-Bestände. Aus dieser Sicht wäre es logisch, auch den Bau der großen japanischen WAA Rokkasho in der Nordprovinz Amori zu beenden, welche allerdings (nach vielen Verzögerungen) in zwei Jahren den Betrieb aufnehmen soll. Wegen der wirtschaftlichen Bedeutung dieser Anlage in der armen Präfektur ist die Regierung Abe jedoch nicht mutig genug, diese Entscheidung zu treffen. So tritt eine offensichtliche Unlogik in der japanischen Pu-Strategie zutage: durch die Beendigung der Brüterprogramme und dem baldigen Betrieb der WAA Rokkasho werden sich die japanischen Pu-Bestände auch in der Zukunft weiter erhöhen.
Trump macht Druck
Dies fiel auch in Washington auf, wo ganze Heerscharen von Politikern und Wissenschaftlern die Transporte und Bestände von Pu und angereichertem Uran beobachten und registrieren. Praktischerweise endete vor wenigen Wochen ein vor 30 Jahren zwischen Japan und den USA abgeschlossenes Kooperationsabkommen , wonach dem Inselstaat das Recht zur Pu-Erzeugung wegen seiner Brüterprogramme ausdrücklich eingeräumt wurde. Einen ähnlichen Vertrag gibt es übrigens auch mit der Europäischen Union, wobei die Brütertechnologie in Deutschland ausschlaggebend war. Die Vereinigten Staaten nutzen jetzt die Gunst der Stunde und üben Druck auf Japan aus, um deren Pu-Bestände zu verringern, womit sie gleichzeitig die Denuklearisierung von Nordkorea im Blick haben.
Im Laufe der jüngsten Verhandlungen einigten sich Japan und die USA darauf, in Nippon die Erzeugung der Pu-Bestände zu „deckeln“, um damit den weiteren Zuwachs zu verhindern. Zusätzlich sollen die Waffenstaaten Frankreich und Großbritannien die dort lagernden 37 Tonnen Pu übernehmen, also Japan abkaufen. Zur allgemeinen Überraschung beschlossen die USA und Japan das ausgelaufene Kooperationsabkommen zu verlängern. Allerdings unter einer wesentlichen Prämisse: jede Seite kann den Vertragstermin innerhalb von nur sechs Monaten kündigen. Aus dieser relativ kurzen Zeitspanne wird von mancher Seite auf die technologische Nähe der japanischen Seite zu nichtzivilen Anwendungen geschlossen. Aber das sind bisher nur Vermutungen, die nicht durch Fakten gedeckt sind.