Sonntag, 29. April 2018

EVU: die Monopole kehren zurück

Die Energieversorgungsunternehmen (EVU) sind eine wichtige und verdienstvolle Branche innerhalb der deutschen Volkswirtschaft. Gleichwohl ist anzumerken, dass sie sich von Beginn an weniger dem Wettbewerb aussetzte, sondern sich zumeist im geschützten Terrain von Monopolen und Oligopolen bewegte. Die Urmutter der Stromkonzerne, das RWE, wurde 1898 ( vor 120 Jahren!) im rheinischen Steinkohlerevier gegründet und dort von Hugo Stinnes sowie seinem kongenialen Nachfolger Arthur Koepchen gleichermaßen zum Gebietsmonopolisten getrimmt.


Hugo Stinnes (1870 - 1924), der "Vater" des RWE 


Eine kurze Geschichte der deutschen Stromwirtschaft


In rascher Folge entstanden nach dem 1. Weltkrieg in den anderen deutschen Landen weitere regionale Monopolisten wie das Badenwerk, das Bayernwerk, die PreußenElektra u.s.w. Fortan gab es bis zu neun große länderbezogene Stromkonzerne, welche (erstaunlicherweise) fast 80 Jahre lang den deutschen Strommarkt beherrschten und unter sich aufteilten. Um das Jahr 2000 wurde durch Großfusionen aus den neun Gebietsmonopolisten ein Oligopol von vier mächtigen Stromerzeugern, denen auch die Transportnetze gehörten. RWE, E.ON, EnBW und Vattenfall waren geboren, welche man - mit einem Hauch an Ironie - auch die "Quadriga" nannte.

Der erste Schritt in Richtung "mehr Wettbewerb" gelang mit der sogenannten Liberalisierung des Strommarktes durch die Europäische Kommission. Die Elektrizitätsverbraucher durften sich ab 1998 ihren Stromlieferanten selbst aussuchen. Der zweite Schritt war die "Entflechtung der Stromnetze". Ab dem Jahr 2007 gehörten die Transportnetze nicht mehr den genannten vier Oligopolisten, sondern Amprion, Transnet, Tennet und 50Hertz.

Den nächsten Schritt in Richtung Wettbewerb - bis hin zur Anarchie - brachte die sogenannte Energiewende im Nachgang zu den Störfällen von Fukushima. Am 30. Juni 2011 beschloss der Deutsche Bundestag (mit einer Mehrheit von 85,5 Prozent der Stimmen!), die sofortige bzw. kurzfristige Abschaltung der 17 deutschen Kernkraftwerke und die bevorzugte Einspeisung des Wind- und Sonnenstroms zu festgelegten Subventionspreisen.

Bald darauf verließ das schwedischen Unternehmen Vattenfall den deutschen Markt und bei EnBW war nach dem Rückkauf der EdF-Aktien das Land Baden-Württemberg praktisch 90-prozentiger Anteilseigner geworden, sodass sich das weitere EVU-Firmengeschehen (bis heute) zwischen RWE und E.on abspielt. Es wird im Folgenden kurz beschrieben.


Aus 2 mach 4:  Eon/Uniper  und RWE/Innogy

Die staatlich verordnete "Energiewende" beendete das Monopolgeschehen in Deutschland und führte zu einem chaotischen Wettbewerb. Tausende Eigentümer von Sonnenkollektoren und Windrädern agierten plötzlich als "Betreiber von Kleinkraftwerken" und verlangten von den großen Stromversorgern, ihren "Zappelstrom" zu jeder Tages- und Nachtzeit zum Festpreis in das Stromnetz einzuspeisen. RWE und Eon hatten alle Hände voll zu tun, die Stabilität des Netzes zu sichern, standen dabei aber selbst nahe am wirtschaftlichen Abgrund. Die milliardenschweren Abschreibungen für die Atom- und Kohlekraftwerke rissen den Aktienkurs in die Tiefe und brachte die Konzerne an die Grenzen ihrer wirtschaftlichen Existenz.

Kein Wunder, um aus diesem Dilemma herauszukommen, wurden allerlei kommerzielle Varianten ausprobiert. Zuerst war E.on an der Reihe. Dort spaltete man im Jahr 2016 die kommerziellen Energieerzeugungssparten  Wasser, Kohle und Gas ab und fasste sie in der der neuen Firma "Uniper" zusammen. Dabei ist Uniper ein Kunstwort, das sich aus "unique" und "performance" zusammensetzt. Mit der Leitung der 15.000-Mann-Firma wurde Klaus Schäfer, ehemals Finanzvorstand bei E.on (unter Chef Johannes Teyssen) beauftragt.

RWE stand solchen Abspaltungen zunächst skeptisch gegenüber, zog aber bald mit der Gründung des Unternehmens "Innogy" nach, das ebenfalls ein Kofferwort aus "innovation" und "energy" ist. Innogy vereinigte die Sparten Erneuerbare, Netze und Vertrieb, hatte zeitweise 38.600 Mitarbeiter und wurde von dem ehemaligen RWE-Chef Peter Terium geleitet. Das Unternehmen war nicht nur in Deutschland aktiv, sondern auch in Großbritannien und weiteren europäischen Ländern. Im Jahr 2017 gründete Innogy sogar eine Tochtergesellschaft für Elektromobilität in den USA.


Der Mega-Deal:  Zwei riesige Monopole im Entstehen

Der 11. März 2018 wird in die Geschichte der deutschen Stromwirtschaft eingehen. In einem Überraschungscoup gaben die beiden Essener Unternehmen RWE und E.on bekannt, dass sie ihre Geschäfte neu aufteilen werden. RWE soll zukünftig für die Stromerzeugung bei den Kraftwerken zuständig sein, , während E.on die Stromnetze übernehmen soll sowie das Kundengeschäft.

Im Grunde läuft da eine gigantische "Wette". Der RWE-Chef Rolf Martin Schmitz glaubt offenbar mit seinen konventionellen Kraftwerken und einigen Offshore-Windparks genügend Geld verdienen zu können, um die Gehälter, Pensionslasten und Dividenden seines Konzerns samt der Kosten für den Rückbau der Braunkohletagebaus schultern zu können. Sein E.on-Kompagnon Johannes Teyssen setzt auf die Stromnetze und den Vertrieb. Er ist sich sicher, mit dem An- und Verkauf von Strom - vor allem aber mit den garantierten Renditen beim Betrieb der Energienetze - Umsätze in zweistelliger Milliardenhöhe bei entsprechenden Gewinnen einzufahren.

Die erst vor wenigen Jahren gegründeten Tochtergesellschaften Uniper und Innogy standen bei der Neuorganisation der Muttergesellschaften nur im Wege. In einem ziemlich robusten Managementmanöver entledigten sich RWE und E.on dieser "Altlasten". Uniper, bislang im MDAX gelistet, wurde von E.on "entkonsolidiert", indem die Gesellschaft an das finnische EVU Fortum verkauft wurde. Schwieriger war die Situation bei Innogy, dem Unternehmen, das nach einem fulminanten Start und kurzem Höhenflug vorübergehend zum wertvollsten deutschen Energiekonzern avancierte. Aber bald kam es zum Rückschlag durch allerlei Managementfehler und mangelnde Investitionsmittel. Als der Chef Peter Terium - vor Jahresfrist noch mächtiger Vorstandsvorsitzender bei RWE - im Dezember 2017 eine Gewinnwarnung herausgeben musste, hatte auch Teriums Stunde geschlagen und er wurde von seinem früheren Underling Schmitz in die vorzeitige Rente geschickt. RWE verkaufte seinen 77-Prozent-Anteil bei Innogy an E.on und Innogy verblich zur Geschichte.


Risiken am Horizont

Der Fusionsdeal zwischen den beiden Giganten RWE und E.on ist trotz aller medialer Bekundungen noch keineswegs in trocknen Tüchern. Schon hat sich die Monopolkommission zu Wort gemeldet; sie will untersuchen, ob hier nicht ein Vertrag zu Lasten Dritter - nämlich der Stromkunden - abgeschlossen wurde. Und auch der Chef der noch "gefährlicheren" Kartellbehörde , ihr Präsident Andreas Mundt, will sich die Wettbewerbssituation im Strombereich "zu gegebener Zeit ansehen". Wortreich verteidigen sich RWE und E.on, dass - neben ihnen - noch 150 bis 200 Stromerzeuger und -händler tätig seien. Womit sie formal nicht unrecht haben, aber den Deutschen fehlt zumeist einfach der Mut zum Wechsel des Stromlieferanten. Obwohl das kinderleicht ist.

Erhebliche Unruhe gibt es bereits bei den Beschäftigten der früheren Tochter Innogy. Die übernehmende Gesellschaft E.on will dort nämlich bis zu 5.000 Planstellen streichen und streitet sich darum, ob der Verzicht auf "betriebsbedingte Kündigung" aufrechterhalten werden kann. Nur gut, dass der Kurzzeitchef Peter Terium eine Abfindung von rd. 12 Millionen Euro kassieren durfte. Damit hat der Niederländer (in altruistischer Weise) sogar noch auf 5,5 Millionen verzichtet.


Samstag, 14. April 2018

Die Deutsche Bank im Niedergang

Der Deutschen Bank geht es schlecht. Dieses einstige Kronjuwel der deutschen Wirtschaft, 1870 zusammen mit dem Deutschen Reich in Berlin gegründet, macht kaum noch Gewinne und ist zudem in kostspielige Rechtshändel verstrickt. Trotzdem zahlt sie horrende Boni an ihre glücklosen Banker, aber kaum noch Dividende an die Aktionäre. Wenn nicht schnell eine Wende zum Besseren eintritt, dann ist dieses Geldinstitut in seinem Weiterbestand höchst gefährdet.


Die Bürotürme der Deutschen Bank in Frankfurt
(Spitzwort: "Soll und Haben")


Hohe Bonuszahlungen trotz karger Erträge

Früher war sie mit an der Weltspitze, heute kommt die Deutsche Bank bei ihrem derzeitigen Marktwert von ca. 30 Milliarden Euro gerade noch unter die 60 größten Banken weltweit. Das Ausmaß des Scheiterns verdeutlichen vier Kapitalerhöhungen seit der Finanzkrise 2008: sie entsprechen gerade noch dem aktuellen Börsenwert. Ohne diese Kapitalerhöhungen wäre die Deutsche Bank überhaupt nichts mehr wert. 

Angesichts dieser Kapitalvernichtung sollten für die Deutsche Bank Erfolgsbonuszahlungen eigentlich tabu sein. Aber der Vorstand will sie wieder in Milliardenhöhe ausschütten. Angedacht sind Bonuszahlungen in der Höhe von einer Milliarde Euro, womit die Bank 705 Angestellte zu Einkommensmillionären machen würde. Und das bei einem Verlust von 2,3 Milliarden Euro!  9.000 Arbeitsplätze (von etwa 100.000 weltweit) stehen damit auf der Kippe. 180 Filialen wurden allein in Deutschland bereits geschlossen, aus einigen Auslandsmärkten hat sich die Bank komplett zurückgezogen.

Aber Sparen ist dennoch nicht angesagt. Insbesondere bei den Investmentbankern - sie handeln mit komplizierten Aktienprodukten, Derivaten und begleiten die Konzernfusionen - lässt man es immer noch so richtig krachen. Sie hat ihren Sitz vorwiegend im teuren London, ihre Manager buchen gerne Hotelzimmer für mehrere Tausend Euro pro Nacht und eine einzige Abteilung verprasste beispielsweise im Vorjahr 22 Millionen Euro an Spesen.


Viele Leichen im Keller

Seit 20 Jahren schröpfen die Investmentbanker die Deutsche Bank. Auf hohe Gewinne folgten horrende Verluste und Rechtskosten. Einiges ist inzwischen unter hohen Strafzahlungen bereinigt, andere "Leichen" liegen noch im Keller. Beispielhaft seien einige dieser Altlasten kurz beschrieben.

Einer der "Stars" im Zocker- bzw. Investmentbetrieb war der Londoner Händler Christian Bittar, welcher 2001 von der französischen Societe Generale abgeworben worden war. Er ließ sich 2008 von der Deutschen Bank den Rekordbonus von 40 Millionen Euro auszahlen. Wenig später wurde bekannt, dass Bittar illegalerweise dafür den Referenzzinssatz "Libor" manipuliert hatte. Der Bank kostete dies einige Milliarden an Strafe. Bittar sitzt derzeit in Untersuchungshaft und hat sich für schuldig erklärt.

Hohe Strafzahlungen entstanden für die Bank auch durch windige Hypothekengeschäfte im Zuge des US-Immobilien-Crash 2007. Sogenannte CDO- und SWAP- Geschäfte waren dafür die Ursache. Auch deutsche Kommunen, wie Pforzheim, wurden schwer geschädigt.--- Im Zuge der sogenannten "Luxemburg-Leaks" verschob die Deutsche Bank illegalerweise hohe Gewinne in Steueroasen, was im Jahr 2014 aufgedeckt und sanktioniert wurde.

Schließlich sei noch auf die höchst unprofessionelle Äußerung des ehemaligen Vorstandsvorsitzenden Rolf Breuer hingewiesen, der öffentlich die Kreditwürdigkeit seines Großkunden Leo Kirch bezweifelte, was der Bank in einem nachfolgenden Prozess sage und schreibe 975 Millionen Euro kostete.


Manager in allen Güteklassen

In ihrer fast 150-jährigen Geschichte kann die Deutsche Bank auf eine stattliche Zahl von Führungspersönlichkeiten zurückblicken. Am Anfang stand der von Bismarck eingesetzte Vorstandsvorsitzende Georg von Siemens, der das Geldinstitut 30 Jahre lang (von 1870 bis 1900) leiten durfte. Im Dritten Reich, während der Kriegsphase, war Hermann Josef Abs Vorstandssprecher (1938 - 45); der Bundeskanzler Konrad Adenauer vertraute ihm so sehr, dass er Abs auch während der ersten Wiederaufbauphase (1957 - 67) die Bank leiten ließ. Unter den folgenden Managern ragt Alfred Herrhausen (1970 - 89) heraus, der die riskante Investmentsparte einführte und 1989 einem Attentat der Terrororganisation RAF zum Opfer fiel.

Von nun an wurde es turbulent; die Wahl des Spitzenpersonals war selten überzeugend. Von Hilmar Kopper (1977 - 99) bleibt nur in Erinnerung, dass er die gegenüber den Frankfurter Handwerkern (bei der Schneider-Pleite) entstandene Schadenssumme von 50 Millionen DM als "pea-nuts" bezeichnete, was prompt zum "Unwort des Jahres 1994" ausgewählt wurde. Über die unglaubliche sprachliche Fehlleistung des Nachfolgers Rolf Breuer (1985 - 92) gegenüber seinem Kreditnehmer Leo Kirch wurde oben bereits berichtet. Der charmante und charismatische Josef Ackermann (1996 - 2012) war aus heutiger Sicht ein Blender; sein mit großem Trara ausgegebenes Renditeziel von 25 Prozent war absurd. Die Doppelbesetzung Anshu Jain und Jürgen Fitschen (2009 - 15) brachte die Bank in den Negativsumpf. Der Inder war überdies so arrogant oder sprachlich unfähig, dass es ihm innerhalb von 6 Jahren nicht gelang, angemessen deutsch zu sprechen. Und das bei der deutschen Deutschen Bank!

Im Juli 2015 wurde der knorrige Engländer John Cryan zum Vorstandschef der Deutschen Bank ernannt. Er war kein Netzwerker und hatte keinen Rückhalt im politischen Berlin. Bei der 14-Milliarden-Forderung des US-Justizministerium im Jahr 2016 ließ ihn die deutsche Regierung im Regen stehen. Demgegenüber konnte die englische Downing Street bei der Barclays Bank (welche ähnlich große Lumpereien gemacht hatte) den Strafbetrag auf nur 2 Milliarden herunterverhandeln. Cryan zahlte also bei der DB einen überaus hohen Betrag an die knallharten Amerikaner und  als sich von 2015 bis 2017 auch noch keine Gewinne einstellten, war seine Stunde gekommen. Mit einer Abfindung von 6,8 Millionen Euro und einigen sonstigen "Bonbons" wurde er im April 2018 in die Wüste geschickt.

Sein Nachfolger (seit 10. April 2018) ist der Westfale Christian Sewing, welcher bislang das Privatkundengeschäft der DB leitete. Eine prominentere, international bekannte Persönlichkeit, hatte der seit 2012 (nicht immer glücklich agierende) österreichische Aufsichtsratsvorsitzende Paul Achleitner nicht gefunden.


Quo vadis, Deutsche Bank?

Mit dem 48-jährigen Christian Sewing hat der Aufsichtsrat ein Eigengewächs als Hoffnungsträger der zukünftigen Deutschen Bank auserkoren. Als ausgebildeter Bankkaufmann und langjähriger Leiter des Privatkundengeschäfts kennt er die DB von innen wie wenige seiner Vorgänger. In einem flammenden Email an die 100.000 Angestellten seines Konzerns formulierte er klar: "Mit Blick auf die Erträge müssen wir unsere Jägermentalität zurückgewinnen. Unsere Kosten dürfen zukünftig 23 Milliarden Euro pro Jahr nicht übersteigen". Damit hob Sewing auf eines der Ziele ab, das sein Vorgänger Cryan zuvor klar verfehlt hatte.

Aber das wird schwer werden. Die Deutsche Bank leidet immer noch bitter unter der Großmannssucht mehrerer Managergenerationen, die sich im internationalen Kapitalmarktgeschäft mit der amerikanischen Weltspitze messen wollten - und darüber das erdverbundene Heimatgeschäft mit Privatpersonen und Unternehmen vernachlässigten. Früher Dreh- und Angelpunkt der deutschen Konzerne, hat die DB das heimische Terrain schon vor Jahren praktisch aufgegeben.

Und die deutsche Wirtschaft zeigt, dass es auch ohne die heimische Bank geht: die milllionenschwere Übernahme von Monsanto wurde vom Bayer-Konzern ohne die DB gestemmt. Und als Großaktionäre figurieren bei der Deutschen Bank vorwiegend ausländische Adressen, wie die HNA Group aus China, die Herrscherfamilie aus Katar, sowie die US-Fonds Blackbox und Cerberus. Kein deutscher Eigentümer weit und breit! Sogar die deutschen Industriekapitäne Johannes Teyssen, Henning Kagermann sowie Peter Löscher haben den Aufsichtsrat verlassen.

Die Deutsche Bank ist krank an Leib und Seele.

"Sewing, Sewing, du gehst einen schweren Gang".









Samstag, 7. April 2018

Fukushima: der löcherige Eiswall

In diesem Monat März jährt sich die Katastrophe von Fukushima zum siebten Mal. Am 11. März 2011, um 14 Uhr 46 Ortszeit, wurde ein Erdbeben der Stärke 9 registriert, das bislang stärkste Beben auf der japanischen Insel. Die Folge war ein großflächiger Stromausfall in der Präfektur Fukushima und das Anlaufen eines 14 Meter hohen Tsunamis. Diese Wasserwelle tötete 19.000 Einwohner der Region, viele wurden durch die Rückflut in das Meer gezogen und werden bis heute vermisst.

Drei der vier Kernkraftwerke (KKW) der Anlage "Daichi" schalteten unmittelbar nach dem Erdbeben sicherheitsgemäß ab; das vierte KKW war wegen Wartung außer Betrieb. Der anrollende Tsunami überspülte den Schutzdeich, welcher (fahrlässigerweise) nur 5 Meter hoch war. Die Notstromdiesel funktionierten kurzzeitig bestimmungsgemäß, "soffen" dann aber ab, weil sie (ebenfalls fahrlässigerweise) im tiefen Keller platziert waren. Die Kapazität der Akkus reichte zur Kühlung der Reaktorkerne nur wenige Stunden. In der gesamten Reaktoranlage kamen (wegen Wassereinbruch und Stürze) vier Menschen aus dem Betriebspersonal ums Leben, davon niemand aus reaktortechnischer Ursache.


Probleme mit radioaktivem Abwasser

Da in der Anfangsphase des Unfalls keine Kühlung zur Verfügung stand, heizte die Nachwärme der Reaktoren die Brennelemente übermäßig auf und es kam zum Austritt von elementaren Wasserstoff und radioaktiven Nukliden. Zusammen mit Sauerstoff bildete sich ein Knallgasgemisch, dessen Explosion die Betriebsgebäude weitgehend zerstörte. Dadurch kam es zur Freisetzung der leichtflüchtigen Spaltprodukte, wie Jod, Cäsium, Strontium und Tritium aus den geplatzten Brennstäben.

Nach intensiver Kühlung mit Meerwasser aus Feuerwehrschläuchen fiel die Temperatur in den Reaktorkernen nach einiger Zeit auf unter hundert Grad Celsius. Problematisch war allerdings die Vermischung des Kühlwassers mit den genannten Spaltnukliden. Sie kontaminierten das abfließende Wasser, sodass es radioaktiv wurde und unterhalb der Reaktoranlage aufgefangen werden musste, damit es nicht ins Meer gelangte und dort die Fische verseuchte. Die Zwischenlagerung dieses Abwassers geschah in großen Containern, von denen zeitweise 750.000 Stück auf den angrenzende Gelände sichtbar herumstanden. Die verfahrenstechnische Abtrennung der radioaktiven Nuklide wurde zwar versucht, gelang aber nur unzureichend. Insbesondere der superschwere Wasserstoff Tritium, mit einer Halbwertszeit von 12 Jahren, ist nicht zu separieren. Neben der aktiven Kühlung aus Feuerwehrschläuchen ist vor allem das Grundwasser ein großes Problem, da es in die Reaktoren einsickert und dabei selbst radioaktiv kontaminiert wird. Des weiteren trägt das (regenbedingte) Oberflächenwasser zur radioaktiven Fracht bei, weshalb die Anzahl der Lagercontainer ständig vergrößert werden muss.


Die Idee mit dem Eiswall

Eine Lösung musste her - und zwar rasch. Es war die Idee mit dem Eiswall, welche um das Jahr 2014 geboren wurde. Ein Wall aus gefrorenem Wasser und Erdreich, rings um die vier beschädigten Kernkraftwerke, sollte den Zulauf des Grundwassers und Oberflächenwassers stoppen, sodass diese Ströme nicht mehr in Berührung mit den geborstenen Brennelementen kommen konnten. Die japanische Firma Kajima Corp. wurde damit beauftragt, 1.550 mit einem Kühlmittel gefüllte Rohre 30 Meter in die Erde zu treiben und zwar auf der gesamten Umfangslänge von 1,5 Kilometern. Ähnliche Anlagen wurden bereits im Tunnelbau verwendet - allerdings nicht in dieser Größenordnung. Die untenstehende Skizze (von Tepco/Spiegel) vermittelt einen Eindruck von der Größe dieses Unternehmens, welches schließlich 400 Millionen Euro kostete und zwei Jahre Bauzeit zur Realisierung brauchte.



 Schematische Skizze des Eiswalls in Fukushima (Tepco/Spiegel)


Kein voller Erfolg

Inzwischen wird der Eiswall seit ca. zwei Jahren betrieben. Die Temperatur des Kühlmittels beträgt im allgemeinen (-) 30 Grad C, die Rohre haben einen Abstand von ca. einem Meter und das Volumen des gefrorenen Bodens wird auf 70.000 Kubikmeter abgeschätzt. Zweifelslos hat der Eiswall die Menge des entstehenden radioaktiven Wassers reduziert, an manchen Tagen von 400 cbm auf 50 cbm. Zur saisonalen Regenzeit während des Taifuns ist die angewandte Kryotechnik mit der schieren Menge des anflutenden Wassers jedoch überfordert. Stellenweise kommt es zu Temperaturanstiegen über die Nullgradgrenze hinaus. Dies bedeutet, dass der Wall löcherig wird und dort das Wasser hindurch lässt.

Die Betreiberfirma Tepco wird also weiterhin Gelände für zusätzliche Abwassercontainer zur Verfügung stellen müssen. Das Abwasserproblem ist nicht wirklich gelöst. 

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