Samstag, 27. Januar 2018

"Erst das Land, dann die Partei"

Dieser altruistisch anmutende Spruch stammt von dem SPD-Politiker Willy Brandt. Als der ex-Kanzler 1992 von einem Journalisten gefragt wurde, ob er die ausladende Finanzierung der deutschen Wiedervereinigung durch Kanzler Helmut Kohl unterstützen würde, bejahte der Oppositionspolitiker dies und platzierte damit die parteitaktische Erwägungen hinter die damaligen Erfordernisse des Landes.

Der baden-württembergische Ministerpräsident Erwin Teufel verlängerte diese Sentenz, als er 1996 von einem Pressevertreter (ironisch) danach gefragt wurde, weshalb er bei der abermaligen Ernennung zum Landeschef durchgefallen sei, indem er trocken antwortete: "Erst kommt das Land, dann kommt die Partei und ganz zum Schluss erst die Person". Teufel gewann übrigens die zweite Auflage der MP-Wahl noch am gleichen Tag ganz locker und war bis zum Juni 2001 ein sehr erfolgreicher Ministerpräsident.


"Die Welt wartet nicht auf uns"

Mit Fassungslosigkeit blicken die deutschen Bürger derzeit nach Berlin, wo die Spitzenpolitiker von fünf Parteien seit mehr als vier Monaten darum ringen, eine Regierung zu bilden. Merkels Aufruf "Beeilt euch, die Welt wartet nicht auf uns" verhallte fast ungehört. Wenn es ab jetzt besser laufen sollte, dann kann man (vermutlich) ab Ostern 2018 mit einer neuen Regierung rechnen - vielleicht aber auch nicht, sodass es dann wohl Neuwahlen im Herbst diesen Jahres geben muss.

Viele Hoffnungen ruhten auf dem 4er-Bündnis "Jamaika". Aber nach fünf Wochen sogenannter "Sondierungen" beschloss der Jungspund Christian Lindner (FDP) - zur Überraschung aller -  auszusteigen. Seine Begründung hat nur wenige überzeugt, was auch am Absacken des FDP-Wahlergebnisses von 10,7 Prozent auf 8 % abzulesen ist.
Da waren Lindners berühmte Vorgänger Walter Scheel und Hans-Dietrich Genscher aus ganz anderem Holz geschnitzt. Mit bloßen 5,8 Prozent an Wählerstimmen bei der Bundestagswahl 1969 taten sie sich mit der SPD (42,7 %) zusammen und bildeten (vorbei an den Wahlgewinnern CDU/CSU mit 46,1 %) die erste sozialliberale Regierung, welche mit ihrer "Ostpolitik" historische Verdienste einheimste.

Nun sind auch die Sondierungen zwischen SPD und CDU/CSU zu Ende gegangen. Den Sozialdemokraten reichte das Ja des 45-köpfigen Bundesvorstands zum Verhandlungsergebnis noch nicht, ebenso wie die folgende Zustimmung der Bundestagsfraktion mit ihren 153 Mitgliedern. Weil in dieser Partei seit langem jeder jedem misstraut, bedurfte es eines 650-köpfigen Sonderparteitags, um das Sondierungsergebnis abzusegnen. Dies gelang am vergangenen Sonntag mit dem mageren Resultat von 56 Prozent Ja-Stimmen. Nun beginnen die mehrwöchigen Koalitionsverhandlungen mit unsicherem Ausgang. Ein Ja-Ergebnis muss von der Mehrheit der 450.000 SPD-Mitglieder bestätigt werden. (Ebenso, übrigens, wie vorher bei Jamaika: dort wären 64.000 FDP-Mitglieder aufgerufen worden, über 80 Millionen Deutsche zu entscheiden.)

Mit den Koalitionsverhandlungen entscheidet sich auch das Schicksal des gegenwärtigen SPD-Vorsitzenden Martin Schulz. Erst am 19. März 2017 gewählt - aber mit sensationellen 100 Prozent!!! - könnte er binnen Jahresfrist schon wieder hart bei Null aufschlagen. Schulz wäre nicht der einzige Kurzfrist-Parteichef der SPD. Nach Willy Brandt hat die SPD bis jetzt bereits 11 Vorsitzende verbraucht: Vogel, Engholm, Rau, Scharping, Lafontaine, Schröder, Müntefering, Beck, Steinmeier, Müntefering, Gabriel. Martin Schulz würde das Dutzend voll machen.
Bei der CDU war man vergleichsweise sparsam. Im gleichen Zeitraum gab es nur drei Vorsitzende: Kohl, Schäuble, Merkel. Und von diesen ist Merkel noch im Amt!


Die Kosten der Bundestagsabgeordneten

Man darf sich fragen, weshalb unsere Politiker partout keine Regierung bilden wollen. Werden sie von uns Wahlvolk etwa zu schlecht entlohnt?  Nun, ich habe mich aus seriösen Quellen kundig gemacht und komme für den überwiegenden Teil der Bundestagsabgeordneten ("Hinterbänkler") zu folgenden

A. Monatlichen Bezügen:

9.542 Euro:  Entlohnung bzw. "Diät"; sie steigt jeweils automatisch zur Mitte des Jahres.

4.318 Euro:  Steuerfreie Kostenpauschale für Büroausstattung im Wahlkreis; steigt ebenfalls automatisch.

1.000 Euro:  Büroausstattung im Bundestag für Computer, Smartphone, Schreibmaterial etc; darf alles privat genutzt werden.

20.870 Euro:  für Gehaltszahlungen an Personal (Sekretärin, Referent etc)


B. Nebenleistungen an Bundestagsabgeordnete:

Büroausstattung:  Neben der Kostenpauschale haben alle Abgeordnete Anspruch auf ein eingerichtetes Büro im Reichstag in der Größe von 54 Quadratmetern für sich und ihre Mitarbeiter samt Möbelausstattung und Kommunikationsmitteln.

Reisekosten:  Bahncard 1. Klasse, auch für persönliche Urlaubsfahrten verwendbar; dazu Inlandsflüge 1. Klasse.

Übergangsgeld:  Nach dem Ausscheiden aus dem Bundestag gibt es bis zu 18 Monate Übergangsgeld.

Altersversorgung:  Abgeordnete zahlen keine Beiträge zu ihrer Altersversorgung; monatlich werden 5 bis 6.000 Euro in einen Fonds einbezahlt. Bereits nach einem halben "Arbeitsleben" erhält ein MdB den maximalen Pensionsanspruch von 67,5 Prozent der Diät, derzeit ca. 6.441 Euro pro Monat.


C. Verdeckte Nebenleistungen:

Funktionszulagen: für Vorsitzende der Fraktionen und Ausschüsse

Zuschuss an Fraktionen (sogenanntes "Kopfgeld" in fünfstelliger Höhe)

Dienstwagenflotte des Bundestags: Steht jedem MdB zur Verfügung.


Im Fazit bleibt festzustellen, dass man als Bundestagsabgeordneter zwar nicht zum Millionär wird,
aber von den Steuerzahlern doch ganz ordentlich entlohnt wird. Zu "Regierungsstreik", wie derzeit  beobachtbar, besteht also keine Veranlassung.


Das aufgeblähte Parlament

Regulär besteht der Bundestag aus 598 Abgeordneten. Davon werden 299 in den Wahlkreisen direkt gewählt, weitere 299 kommen über die Parteilisten der Länder hinzu. Dem gegenwärtigen Bundestag gehören jedoch 709 Abgeordnete an, also 111 mehr als es sein sollten. Schuld daran sind die sogenannten "Überhangsmandate" . Sie entstehen, wenn eine Partei bei der Wahl mehr Direktmandate über die Erststimmen erhält, als ihr Sitze im Bundestag gemäß der Anzahl der Zweitstimmen zustehen. Klingt kompliziert und wird auch nicht dadurch einfacher, dass es noch dazu die sogenannten "Ausgleichsmandate" gibt. Die 111 Überhangsmandate teilen sich alle sieben im Bundestag vertretenen Parteien nach folgendem Schlüssel:  CDU 36, SPD 22, FDP 15, AfD 11, Grüne 10, Linke 10 und CSU 7. Der Bund der Steuerzahler schätzt die Mehrkosten, welche in dieser Wahlperiode allein durch diese Zusatzpöstchen entstehen auf satte 300 Millionen Euro.


Das überfüllte Parlament


Das Bundesverfassungsgericht hat diese Aufblähung des Parlaments mehrfach gerügt und Reduktion verlangt. Ohne Erfolg! Alle Abgeordnete sind sich offensichtlich darin einig, es bei dem "XXL-Bundestag" zu belassen. Die Bürger werden nicht gefragt und haben keinen Einfluss. Das letzte Mal hat der scheidende Parlamentspräsident Norbert Lammert im Frühjahr 2017 - also noch vor der Wahl - auf reduzierende Maßnahmen gedrungen, kam aber mit seinen Vorschlägen nicht durch. Dabei wäre eine Änderung schon durch die Verringerung der Wahlkreise (z. B. auf 400) zu erreichen. Wahlrechtsexperten sagen voraus, dass der Bundestag (falls das Wahlrecht beibehalten wird) im Wahljahr 2021 auf mehr als 800 Abgeordnete anschwellen wird. In diesem Fall wird der zusätzliche Platz im Abgeordnetensaal nicht mehr allein durch Schreiner zu bewerkstelligen sein - sondern man wird Maurer benötigen!


Verlängerung der Legislaturperiode

Kurz vor der letzten Bundestagswahl haben sich die Fraktionsspitzen aller Bundesparteien für eine Verlängerung der Wahlperiode von vier auf fünf Jahre ausgesprochen. Inzwischen stimmten auch die Neuparteien AfD und FDP in diesen Chor ein. Die Führungen der SPD und CDU begründeten eine solche Reform wie folgt: "Die Verlängerung würde der Komplexität vieler Gesetze gerecht und sinnvolle Nachsteuerungen wären noch vor der nächsten Wahl möglich. Hinzu käme, dass nach einer Bundeswahl mehr Zeit für Koalitionsverhandlungen verbliebe und diese nicht zu Lasten der Regierungszeit ginge". Gleichzeitig wurde vorgeschlagen, die Regierungszeit der Kanzler - wie in den USA - auf  (maximal) zwei Legislaturperioden zu begrenzen.

Sicherlich würde die Verlängerung der Legislaturperiode mehr Kontinuität bei der Parlamentsarbeit bringen. Aber man sollte sie nicht zu früh (und nicht unkonditioniert) zulassen. Sie wird nämlich von den gleichen Politikern gefordert, welche seit Jahren die überfällige personelle Deckelung des Bundestags verhindern und keine Anstalten machen, die unsäglichen Überhangmandate abzuschaffen. Das Parlament muss kleiner werden - erst dann sollte man über längere Legislaturperioden nachdenken. Wünschenswert wäre auch die Schaffung der Möglichkeit durch gezielte Abgabe der Zweitstimme die Parteilisten durcheinander wirbeln zu können, welche häufig in geheimen Hinterzimmern aufgestellt wurden.


Anderswo läuft´s anders

Beim deutschen Parlamentswesen läuft vieles schief. Wenden wir, zum Vergleich, den Blick nach draußen - zum Beispiel in die USA.

Das dortige Repräsentantenhaus, vergleichbar mit unserem Bundestag, umfasst (konstant!) 435 Abgeordnete. Überhangs- oder Ausgleichsmandate gibt es dort nicht. Aber diese Abgeordneten tragen die politische Verantwortung für ein Land, welches - mit 350 Millionen(!) - fast vier Mal so viele Einwohner hat wie die Bundesrepublik Deutschland.
Und die Bezüge dieser Politiker?
Sind mit (umgerechnet) 11.000 Euro nahezu gleich groß wie bei uns.

4 Kommentare:

  1. Jawohl, es gibt zu viele Bundestagsabgeordnete, die Hälfte würde reichen! Aber die Volksvertreter sollen bitte gut vergütet werden. Da soll man nicht zu knauserig sein. Man soll besser anderswo sparen, zB bei den öffentlichen Sendern.
    Gruss Drazen

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  2. Sehr geehrter Herr Marth,
    wiedermal ein interessanter Beitrag, jedoch sehe ich durch unser politisches Parteiensystem unsere Demokratie in Frage gestellt, da ja wie von Ihnen erwähnt die Parteien Ihre Wahllisten anfertigen und somit nur eine Minderheit als Direktkandidat direkt vom Volk gewählt werden kann.
    Somit haben wir in meinen Augen keine wirkliche Demokratie sondern lediglich eine Partikratie. Dies sehen wir auch nun in der Regierungsbildung wo eine von den Wählern abgestrafte Kanzlerin sich weigert einer Minderheitsregierung vorzustehen, da man in dieser ja für seine Gesetzesvorschläge werben müsste um Mehrheiten zu erhalten. Dann ist es einfacher sich in Koalition mit Parlamentsmehrheit auch unter Zuhilfenahme des antidemokratischen Fraktionszwang ohne wenn und aber alle Gesetzentwürfe durchzudrücken.
    Ich habe persönlich mit dieser Känzlerin abgeschlossen, da Menschen ohne Rückkrat in meinen Augen nicht als Führungspersönlichkeiten taugen da Sie ein System nur gerieren respektive verwalten und nicht inspirieren können. Es ist Zeit das wir wieder Menschen in die Politik bekommen die Ihre Überzeugungen auch vertreten können à la Franz Josef Strauß oder auch Christian Ströbele desen Einstellung im Bezug auf die Kerntechnik ich dennoch nicht teilen kann.

    Mit besten Grüßen

    Kai

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  3. Hallo,

    Danke, alles treffend und interessant. Tue mir wie Drazen auch nicht schwer mit den Gehältern, sondern der Aufblähung des Apparats.

    Unklar ist mir der bundesweite Konsens: "der Lindner/die FDP ist schuld". Bei jedem Scheitern gibt es 2 Seiten und die zahlreichen Beispiele sind doch plausibel, dass man irgendwann die Reissleine zieht?

    Am meisten wundert mich, dass gerade die, die sonst immer der FDP "Posten um jeden Preis" und Regierungsgeilheit unterstellt haben, jetzt nicht mal erwähnen, dass z.B. hier "ein Jungspund" auf ein attraktives Ministeramt verzichtet - ob die Chance je noch mal wiederkommt, steht für ihn doch in den Sternen.
    Das darf zumindest mal erwähnt werden, lese ich nirgendwo?

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  4. Das deutsche Parlament und dessen Kosten sind im Grunde zu vernachlässigen angesichts der Kosten, die durch das völlig veraltete und überfrachtete deutsche Steuerrecht entstehen.

    Die Systematik des deutschen Steuerrechts beruht auf einer Grundlage, die 1925 vom damaligen Senatspräsident beim Reichsfinanzhof Alfons Mrozek erdacht wurde.

    Gesetze, Richtlinien, Erlasse und BFH-Urteile füllen tausende von Seiten, ohne eine bessere Einzelfallgerechtigkeit zu schaffen.

    Dieses System hatte noch seine Berechtigung im Nachkriegsdeutschland mit hohen Steuersätzen, aber umfangreichen Ausnahmetatbeständen zur Subventionierung von Branchen und gewerblichen wie privaten (Immobilien-)Investitionen.

    Heute gibt es fast nur noch hohe Steuersätze, da Ausnahmetatbestände und Subventionen fast vollständig abgeschafft wurden. Siehe auch das zu versteuernde Einkommen, bei dem der Spitzensteuersatz erhoben wird, was seit fast drei Jahrzehnten gleich geblieben ist (kalte Progression). Ein zu versteuerndes Einkommen um DM 120.000,00 war einst viel Geld, heute leider nicht mehr.

    Hier wäre - auch angesichts der möglichen Rationalisierungsfortschritte und Kostenersparnisse durch moderne Technik - dringend eine Neuerung von Nöten.

    Von diesem Regulierungsversagen leben aktuell noch gut steuer- und wirtschaftsberatende Berufe und insbesonders die diese unterstützenden Softwareanbieter.

    Vielleicht ist dies ein Thema für einen zukünftigen Blogbeitrag.

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