Sonntag, 26. März 2017

Die Achillesferse der Energiewende

Es gibt nicht wenige Zeitgenossen, die im Glauben sind, mit der Aufstellung tausender von Windrädern und Solarkollektoren sei die sogenannte Energiewende im wesentlichen bewerkstelligt. Dies ist ein Irrglaube, denn noch fehlen die verbindenden Stromtrassen, welche die elektrische Energie von den Küsten zu den südlichen Bundesländer Bayern, Baden-Württemberg und Hessen transportieren. Der Ausbau dieses überregionalen Stromnetzes sollte nach ursprünglicher Planung um das Jahr 2020 komplett sein. Aber nach derzeitigen Abschätzungen wird es bis 2025, vielleicht sogar bis 2030 dauern, bis die vier großen Nord-Süd-Gleichstromtrassen in Betrieb genommen werden können. Diese Zeitverzögerung bringt horrende technische , wirtschaftliche und politische Probleme mit sich, welche in diesem Blog dargelegt werden sollen.


Unser instabiles Stromnetz

Das derzeitige (alte) Wechselstromnetz ist für die Einspeisung von Wind- und Solarstrom aus vielen Quellen und mit wechselnder Menge ("Zappelstrom") nicht ausgelegt. Die Ingenieure der Netzbetreiber müssen immer wieder per Hand eingreifen, um die Frequenz stabil bei 50 Hertz zu halten. Dazu ist es notwendig, die Kraftwerke ständig hoch- oder herunterzufahren. Diese "Redispatch"-Maßnahmen stellen ein "Engpassmanagement" dar und kann als "Notbewirtschaftung" der Stromnetze bezeichnet werden. Dabei nimmt das Redispatch-Volumen ständig zu: in den ersten beiden Monaten dieses Jahres umfasste es bereits 63 Prozent des gesamten Vorjahres.

Der wachsende Einsatz für den Redispatch sorgt dafür, dass sich die Kraftwerksbetreiber nicht mehr als Herren über ihre Anlagen fühlen können. Es gibt inzwischen Kraftwerke, die - übers Jahr gesehen - kaum mehr frei am Markt agieren können, da sie fast ausschließlich und zu nicht vorhersehbaren Zeiten für Redispatch-Leistungen angefordert werden. Die Kosten für diese Noteingriffe werden (per Gesetz) dem Stromkunden aufgebürdet. Sie sind Bestandteil der Netzentgelte und machen bereits jetzt ein Viertel des Endkundenpreises für Strom aus. Im Jahr 2015 beliefen sich die Kosten für dieses Engpassmanagement auf gut eine Milliarde Euro. Die Tendenz ist stark steigend. Für das Jahr 2020 rechnet die Deutsche Netzagentur mit Zusatzkosten von 5 Milliarden Euro allein aus dieser Position.

Gleichstromtrassen versus Erdkabel

Eine längst als obsolet abgelegte Technologie feiert bei der Energieübertragung im Bereich der regenerativen Energien wieder fröhliche Urständ: die Gleichstromtechnik. Zum Stromtransfer über weite Strecken nutzt man die sogenannte Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung (HGÜ) aus zwei Gründen: weil es bei HGÜ das Blindstromproblem nicht gibt und weil die Energieverluste dort nur halb so groß sind wie bei der Wechselstromtechnik. Ein Nachteil der HGÜ-Technik ist allerdings die aufwendige Umwandlung von Gleichstrom in Wechselstrom, wozu man Konverterstationen in der Größe von Fußballfeldern benötigt. Derzeit sind zwei dieser HGÜ-Stromautobahnen in der Endphase der Planung: das Südlink zwischen Brunsbüttel und Obrigheim, sowie das Südostlink zwischen Magdeburg und Landshut. Zwei bis drei weitere sind angedacht sowie zusätzliche Anbindungen an die Meereswindparks.

Bei den o. g. landgestützten Trassen gibt es erhebliche Widerstände aus der Bevölkerung. Die betroffenen Anwohner in der Rhön und im Fichtelgebirge sprechen von "Monstertrassen", insbesondere wegen der riesigen Masten. Deshalb werden viele Trassenabschnitte als Erdkabel in den Boden verlegt. Diese verursachen erhebliche Mehrkosten (Faktor 5 bis 8). Die Gesamtkosten für die genannten Stromtrassen werden von den vier Netzbetreibern Amprion, Tennet, 50Hertz und TransnetBW auf mindestens 50 Milliarden Euro geschätzt. Auch sie werden den Stromkunden in Rechnung gestellt. Die Inbetriebnahme dieser Stromleitungen wird, wie oben erwähnt, möglicherweise erst im Jahr 2030 stattfinden.


Die aufwendige Verlegung von Erdkabeln


Kernkraftwerke: Abschaltung oder Weiterbetrieb?

Die Generalplanung der Energiewende im Jahr 2011 sah eigentlich vor, die heimischen Kernkraftwerke (KKW) sukzessive bis zum Jahr 2022 abzuschalten und den Windstrom von der Küste zu den deutschen Südstaaten zu transportieren. Dies wird unmöglich, wenn -wie dargestellt - hierfür die Stromleitungen fehlen. Von den 17 deutschen KKW wurden im Gefolge zu Fukushima 8 sofort abgeschaltet; für die restlichen 9 sah das Ausstiegsgesetz vom Sommer 2011 eine gestaffelte Abschaltung vor. Inzwischen wurde im Jahr 2015 das KKW Grafenrheinfeld außer Betrieb genommen; es folgen das KKW Gundremmingen B (im Jahr 2017) und Philippsburg 2 (in 2019). Während der kurzen Zeitspanne 2021 bis 2022 jedoch sollen die restlichen 6 größten deutschen KKW abgeschaltet werden, nämlich Gundremmingen C, Grohnde, Brokdorf, Isar 2, Emsland und Neckarwestheim II. Fast auf einen Schlag werden dann nahezu 9.000 Megawatt Stromerzeugung fehlen - und zwar in der so wichtigen und wertvollen Grundlast!

Vor diesem Hintergrund ist es vorstellbar, dass der Weiterbetrieb der letztgenannten 6 KKW fünf bis zehn Jahre lang über den politisch markierten Abschaltzeitpunkt hinaus aus wirtschaftlichen Gründen in Erwägung gezogen wird. Der Strombedarf der hochindustrialisierten Länder Bayern, Baden-Württemberg und Hessen ist dafür ein gewichtiges Argument. Der Import von (Atom-) Strom aus den umliegenden Ländern Frankreich, Schweiz und Tschechien ist über eine solche Zeitdauer keineswegs gesichert. Sofern Politik und Wirtschaft sich auf den Weiterbetrieb einiger KKW einigen sollte, dann sind spätestens 2018/19 eine Reihe von Entscheidungen zu treffen: (1) Das parlamentarische Ausstiegsgesetz wäre für einen begrenzten Weiterbetrieb entsprechend zu novellieren; (2) Die atomrechtlichen Genehmigungen zur Erlangung des Weiterbetriebs wären rechtzeitig zu beantragen; (3) Die Aufträge zur Brennstoffanreicherung in Gronau und zur Brennelementfertigung in Lingen wären termingerecht zu erteilen. Für Letzteres müsste Bundesumweltministerin Barbara Hendricks ihre Bemühungen zur Stilllegung der Anlagen in Gronau und Lingen einstellen.


Gaskraftwerke am Horizont

Man kann sich gut vorstellen, welche Öffentlichkeitswirkung im "ökologisch" ausgerichteten Deutschland ein solcher Antrag zum verlängerten Betrieb einiger Kernkraftwerke hätte. Insbesondere, wenn er (wie zu vermuten) in die Zeit des anstehenden Wahlkampfes fallen würde. Deshalb haben die vier Betreiber des deutschen Übertragungsnetzes vorsorglich die Idee zum Bau von zusätzlichen Gasturbinen lanciert. Demnach sollen mehrere Anlagen dieser Art mit einer Gesamtkapazität von 2.000 Megawatt weiträumig verteilt über Bayern, Baden-Württemberg und Hessen zur Netzstabilisierung errichtet werden. Bei Netzstörungen, hervorgerufen durch Überlastung oder menschliche Fehlhandlungen, sollen diese Turbinen schnell in Betrieb genommen werden und das Gesamtsystem in einen sicheren Zustand überführen.

Die Bundesnetzagentur prüft derzeit die technischen Unterlagen. Sollte sie zustimmen, so würden die Investitions- und Betriebskosten dieser "Notstromanlagen" dem Stromverbraucher angelastet werden.
Wetten, dass...?

Montag, 20. März 2017

Freihandel, Protektionismus und "Trumpismus"

Frau Merkel, die deutsche Bundeskanzlerin, befand sich am Montag vergangener Woche bereits in ihrem Auto zum Berliner Flughafen Tegel, als sie ein Eilanruf des US- Präsidenten erreichte. Donald Trump bat um Verschiebung des für den nächsten Tag anberaumten Gesprächstermins im Weißen Haus, weil die amerikanischen Meteorologen einen Schneesturm (Blizzard) vorher gesagt hatten, der die Landung von Flugzeugen an der Ostküste unmöglich machte. So blätterten die beiden Super-alpha-Tiere eigenhändig in ihren Terminkalendern und verschoben das Gespräch auf den Freitag in der gleichen Woche. Sicherlich zum Missfallen von Joachim Gauck, der am gleichen Tag vor Schloss Bellevue mit einem Zapfenstreich - im Beisein der Kanzlerin - verabschiedet werden sollte.

Für Merkel war das Treffen im Washington keine vergnügungssteuerpflichtige Angelegenheit. Donald war während des üblichen Fototermins erkennbar so grantig, dass er Angela sogar den  Handschlag verweigerte. (Später korrigierte sein Pressesprecher Sean Spicer diesen Fauxpas dahingehend, dass der Präsident die Bitte der Fotografen überhört habe. Na ja).


Gute Freunde im Gespräch

Praktisch zeitgleich mit dem Treffen in Washington fand in Baden-Baden eine Konferenz der G20-Finanzminister statt. Das Ergebnis war hüben wie drüben das Gleiche:
Die Amerikaner weigerten sich, ein klares Bekenntnis zum Freihandel und gegen den Protektionismus abzugeben. In Zukunft gelte für die USA die Trump-Doktrin: America First!
In der Kurstadt konnten sich die G20-Teilnehmer noch nicht einmal auf ein Abschlussprotokoll einigen. Der Welthandel steht damit vor einem Riesenproblem.

Der Freihandel - nicht nur positiv

Die Begriffe Freihandel und Protektionismus spielen eine große Rolle in der Volkswirtschaft und werden deshalb an den Universitäten intensiv gelehrt. Als Freihandel bezeichnet man den internationalen Handel, der nicht durch Hemmnisse, wie Zölle oder Importkontingente eingeschränkt ist. Die Reedervereinigung Hanse war ab dem 12. Jahrhundert der erste bedeutende Wirtschaftsbund Europas, bei dem die Grundlagen für einen freien Warenaustausch gelegt wurden. Im Jahr 1353 schlossen England und Portugal wechselseitige Verträge zur Handelsfreiheit für ihre Kaufleute ab. Der Deutsche Zollverein bewirkte in der Bismarck-Ära die Abschaffung der Zölle für viele industrielle Produkte im Deutschen Bund. Die sogenannte Globalisierung zielte nach dem 2. Weltkrieg auf die vollständige Liberalisierung des Welthandels und wurde in den (nur zum Teil realisierten) Abkommen NAFTA und TTIP weiter gedacht.

Die wirtschaftswissenschaftliche Begründung des Freihandels geschah i.w. durch Adam Smith und David Riccardo. Sie forderten, dass sich jedes Land auf die Produktion solcher Güter konzentrieren solle, die es relativ günstiger als ihre Nachbarn herstellen könne. Die Begriffe der absoluten und relativen Kostenvorteile geht auf diese frühen Nationalökonomen zurück. Die in der Nachkriegszeit gegründeten Welthandelsorganisationen WTO (früher GATT) haben in acht Verhandlungsrunden den heute erreichten Abbau der Zölle bewirkt.

Aber in einer Welt mit ca. 165 Ländern garantiert das System des Freihandels keine Stabilität. Die wirtschaftlich und politisch stärksten Ländern würden die Macht an sich reißen. Deshalb ist es notwendig Sperren einzubauen, sodass die Unterschiede Arm/ Reich nicht zementiert und perpetuiert werden. Im folgenden Abschnitt werden dafür Beispiele genannt.


Der Protektionismus - nicht immer schlecht

Will ein Staat (oder eine Freihandelszone, wie EU) seinen eigenen Binnenmarkt schützen, so kann er zu verschiedenen protektionistischen Maßnahmen greifen:

- er kann Zölle auf importierte Güter erheben, die wie eine Art Steuer wirken;
- er kann die Importmenge bestimmter Güter durch Kontingente begrenzen;
- er kann das Überleben bestimmter Branchen durch Gewähren von Subventionen sichern;
- er kann den Export durch Exportsubventionen steigern;
- er kann die sog. Konformitätsanforderungen verschärfen (Z.B. DIN, "deutsches Bier" etc.)

Anfällig für Protektion sind die Rüstungskonzerne, wo Sicherheitsinteressen zum Tragen kommen. Auch die Nahrungsmittelhilfen für die Bauern sind ein bekanntes Beispiel. Schließlich sind aufstrebende Unternehmen zu nennen, deren Produkte über eine gewisse Entwicklungszeit protegiert werden sollen. Protektionismus in Maßen, keine rigide Abschottung, kann also durchaus eine Weile Sinn machen.


Trump - gegen die Festung Europa

Der amerikanische Präsident, ein erfahrener Geschäftsmann, liebt die "Deals" mit kleineren und schwächeren Partnern. Der britische Brexit kam ihm dabei sehr gelegen; kein Wunder, dass er die  Premierministerin Theresa May schon bald nach seiner Ernennung zu Gesprächen ins Weiße Haus eingeladen hat. Zur Europäischen Union hat der Präsident ein distanziertes Verhältnis. Mit 500 Millionen Konsumenten, einer beachtlichen Wirtschaftskraft und sogar einer eigenen Währung ist diese Freihandelszone für ihn kein Partner mehr, sondern eher ein gleichrangiger Konkurrent. Deshalb animiert Trump - mehr oder weniger unverhohlen -  auch andere EU-Länder zum Austritt und bietet ihnen eigenständige Handelspartnerschaften an.

Deutschland, aufgrund seiner Einwohnerzahl und seiner wirtschaftlichen Potenz, ist ihm da ein besonderer Dorn im Auge. Und Angela Merkel, als derzeit wichtigste europäische Figur, versucht er klein zu reden - insbesondere wegen der nicht wegzudiskutierenden deutschen Handelsüberschüsse. Er droht mit Importzöllen, welche vor allem die deutschen Autohersteller belasten könnten. Dabei unterschlägt der amerikanische Präsident allerdings, dass deutsche Firmen in den USA eine Million Arbeitsplätze sichern und dort 250 Milliarden Euro investiert haben. Und deutsche Produkte in den USA häufig nachgefragt werden, weil sie einfach "besser" sind.

Aber Trump sitzt an einem langen Hebel. Die USA sind ein Riesenmarkt, auf dem jede Exportnation ihre Erzeugnisse verkaufen möchte. Was sollte den Präsidenten hindern, "unliebsame" deutsche Produkte, wie die vielbesagten BMWs, mit einer speziellen Mehrwertsteuer zu belegen? Mit den daraus generierten Einkünften könnte er sogar noch einen Teil seines beachtlichen Haushaltsdefizits vermindern. Hinzu kommt der immer wieder angemahnte sicherheitspolitische Lastenausgleich, sprich: die Erhöhung der NATO-Zahlungen.

Egal, wie lange Trump noch im Amt sein wird: die Welt wird sich verändern.
Und wahrscheinlich nicht zu Gunsten der Europäer und der Deutschen.





  

Sonntag, 5. März 2017

Der Rückbau im Kernforschungszentrum Karlsruhe - langsam und teuer

Der Rückbau der kerntechnischen Versuchsanlagen am ehemaligen Kernforschungszentrum Karlsruhe (KfK) geschah bis zum Jahr 2009 in der Verantwortung des KfK durch den "Geschäftsbereich Stilllegung". Bei der Gründung des "Karlsruher Instituts für Technologie (KIT)" ging dieser Geschäftsbereich in die "WAK GmbH" über, einem Tochterunternehmen der "Energiewerke Nord GmbH (EWN)". Im Februar 2017 wurde aus der WAK GmbH die Firma "Kerntechnische Entsorgung Karlsruhe GmbH (KTE)". Die Finanzmittel zum Rückbau der Altanlagen stammen mehrheitlich vom Bund, mit einem geringen Landesanteil.

Gegenüber der Anfangszeit unter der Führung des Kernforschungszentrums hat das Tempo des Rückbaus stark abgenommen. Bei keinem Projekt wurde das Ziel Abriss bis zur "Grünen Wiese" erreicht. Stattdessen sind die Projekttermine ständig nach hinten verschoben worden und die Kosten haben sich dramatisch erhöht. Im Jahr 2015 hat der Bundesrechnungshof (BRH) eingegriffen und die Geschäftsführung der WAK GmbH dafür heftig kritisiert.

Um den sachlichen Hintergrund besser einschätzen zu können, wird in den zwei folgenden Kurzabschnitten  der jetzige Stand der Projektabwicklung, und die Kritik des BRH beschrieben.


Der terminliche Stand der wichtigsten Entsorgungsprojekte

Die "Lebenszeit" eines Kernkraftwerks (KKW) oder eines anderen nuklearen Projekts teilt man üblicherweise in drei Phasen ein: Bau, Betrieb und Rückbau (bis zur sog. "Grünen Wiese"). Technisch weit anspruchsvoller sind in der Regel Bau und Betrieb. Dort hat man es mit der Planung und dem Bau neuartiger Anlagen zu tun; der Betrieb erfolgt zumeist unter hohem Atmosphärendruck oder unter Nutzung neuartiger Kühlmittel, wie Natrium. Der Rückbau ist eher "Pathologie", unter Zersägen der Baukörper (häufig durch Roboter) und Beachtung einfacher Strahlenschutzvorschriften.
Bei den jetzigen Nuklearprojekten der KTE gilt folgende Phaseneinteilung:

KKW-MZFR: Bau: 4 Jahre; Betrieb: 19 Jahre; Rückbau: seit 33 Jahren
KKW-KNK I+II: Bau: 8 Jahre; Betrieb: 17 Jahre; Rückbau: seit 26 Jahren
Reaktor FR 2: Bau: 4 Jahre; Betrieb: 20 Jahre; Rückbau: seit 36 Jahren
WAK: Bau: 5 Jahre; Betrieb: 19 Jahre; Rückbau: seit 26 Jahren

Keine dieser Anlagen ist bislang zur Grünen Wiese rückgebaut!

Vorher wurden durch den Stilllegungsbereich der KfK folgende Kernkraftwerke (allerdings nach kurzer Laufzeit) bis zur Grünen Wiese rückgebaut:

KKW- Niederaichbach: Grüne Wiese 1995
KKW - HDR: Grüne Wiese 1998


Die Kritik des Bundesrechnungshof (BRH)

Der Bundesrechnungshof hat im April 2015 einen Bericht veröffentlicht, in dem er zu den Mängeln beim Management des Rückbaus der staatlichen Karlsruher Nuklearanlagen Stellung nimmt. Die Langfassung dieses Reports umfasst 52 Seiten, sodass er im Folgenden nur partiell wiedergegeben werden kann.

Gleich zu Beginn weisen die Kontrolleure auf drastisch unterschiedliche Kosten- und Terminschätzungen hin. Für WAK (jetzt KTE) wurde noch vor wenigen Jahren ein Finanzbedarf von 2,6 Milliarden Euro ermittelt, dieser soll inzwischen auf 4,2 Milliarden angestiegen sein, in einem FAZ-Interview sogar auf über 5 Milliarden.  Im gleichen Zeitraum hat sich der Endtermin für den Abschluss aller Rückbauarbeiten vom Jahr 2035 auf 2063 drastisch nach hinten verschoben.

Konsequenterweise bemängelt der BRH erhebliche Defizite in der Projektorganisation, außerdem vermisst er die Anreize für eine wirtschaftliche Projektverwaltung, was besonders in Richtung der Geschäftsführung zielt. Auch die Dachgesellschaft EWN kommt nicht gut weg. Hier wünschte man sich eine stärkere Nutzung von Synergieeffekten, welche sich beim Rückbau vieler gleichartiger Projekte ergeben sollte. Offensichtlich sei die Zusammenarbeit der Beteiligten nicht optimal organisiert worden.

Auch das Controlling ist mit Mängeln behaftet. Die Projektkostenschätzungen sind häufig nicht aktuell und z. T. fehlerhaft. Durch immer wieder auftretende Verzögerungen ergäben sich erhebliche Mehrkosten. Darunter leide auch die Transparenz des Gesamtvorhabens, was zu signifikanten Mehrkosten und Terminverzögerungen führe.


Zügiger Rückbau in der Anfangszeit

Der Rückbau der nuklearen Altanlagen wurde vom ehemaligen Kernforschungszentrum bereits in den neunziger Jahren betrieben. Welcher Stand dabei erreicht wurde, kann man in alten Fortschrittsberichten nachlesen. Für die beiden Kernkraftwerke MZFR und KNK ist der Rückbaustatus um die Jahrhundertwende gut dokumentiert. (Ähnliches gilt für die Wiederaufarbeitungsanlage WAK). Er wird im Folgenden kurz wiedergegeben:

Beim Kernkraftwerk MZFR waren schon bald nach der Abschaltung (1984) der Reaktorkern entladen, sowie das mit Tritium kontaminierte Schwerwasser abgepumpt und entsorgt. Im Jahr 1995 hatte man schon 5 atomrechtliche Teilgenehmigungen (TG) für den Abriss erlangt, womit alle Anlagenteile außerhalb des Primärsystems rückgebaut werden konnten. Bald waren die Kühltürme, die D2O-Anreicherungsanlage und das Notstromsystem abgerissen. Die Dekontamination des Primärsystem erfolgte durch externe Kleinunternehmen. Eine weitere TG ermöglichte den Abtransport der Großkomponenten durch eine Materialschleuse. Für die Zerlegung des Reaktortanks erhielt man 1998 nicht weniger als 15 Angebote von Subfirmen, u. a. von der Firma DETEC. Der Abschluss dieser Arbeiten war für das Jahr 2001 geplant. Die Betriebsmannschaft war inzwischen von ursprünglich 115 auf 20 Personen zurückgefahren und auf andere Kernkraftwerke, wie Philippsburg, verteilt worden.

Beim Kernkraftwerk KNK wurde schon bald nach der Abschaltung (1991) mit dem Rückbau begonnen. Die Brennelemente und der Plutoniummischoxidkern waren schon 1994 entladen und entsorgt; die 70 Tonnen radioaktives Natrium zur Gänze im Jahr 1998. Zwischenzeitlich wurde das Tertiärsystem und das Sekundärsystem samt Wärmetauscher und Luftkühler ausgebaut. Der Turbogenerator erhielt einen neuen Eigentümer - in Indien. Das Betriebspersonal wurde (ohne Entlassungen!) von 120 auf 22 reduziert. Die weitere Planung sah die Einbindung eines Subunternehmers für die Zerlegung des Reaktortanks vor. Mit dem Abriss der Gesamtanlage rechnete man damals bis zum Jahr 2003.

Zusammenfassend kann man feststellen, dass der Rückbau der Anlagen MZFR und KNK (sowie der WAK) in der Anfangszeit recht zügig verlaufen ist. Danach sind jedoch, gerechnet von 1997 bis 2017, volle zwanzig Jahre vergangen, ohne, dass auch nur eine einzige Anlage bis zur Grünen Wiese abgeräumt worden wäre. Was ist in diesen abgelaufenen zwei Jahrzehnten eigentlich geschehen?


Mangelhafte Transparenz

Die Dokumentation über die Firma KTE, ihre Tätigkeiten und Ressourcen ist spärlich. In den Bibliotheken des nahen KIT gibt es darüber praktisch nichts Aktuelles. Das ist um so erstaunlicher, als die KTE zwei hauptamtliche  Referenten für ihre Öffentlichkeitsarbeit beschäftigt (wohingegen  beim früheren Stilllegungsbereich der KfK dafür nur eine halbe, nebenamtliche Stelle vorgesehen war). Dieses KTE-Duo hat in den letzten vier Jahren ganze vier Presseinformationen veröffentlicht, also im Schnitt eine Info pro Jahr. Zwecks weitergehender Informationen für diesen Blog wandte ich mich vor wenigen Tagen an Herrn Peter Schira (den Boss der Öffentlichkeitsarbeit) mit der Bitte um Unterlagen, wie Jahresberichte, Organigramme, Termin- und Kostenpläne etc. In einem knappen 4-Zeilen-Mail verwies dieser auf den Internetauftritt der KTE; weitere  Informationen gäbe es für mich nicht. Basta.

Im Internet konnte ich bei KTE.de viele bunte Bildchen entdecken, nebst pauschalen Erläuterungsversuchen in Halbsätzen. Wer sich über die Finanzierung des Unternehmens KTE schlau machen möchte, der kann im Abschnitt EWN-Gruppe folgendes erfahren: "Die Finanzierung erfolgt durch die öffentliche Hand" Weiter nichts, nur dieser einzige Satz. Keine ergänzende Angabe zur Höhe der Zuwendungen. Das Geld fällt bei KTE offensichtlich wie Manna vom Himmel. Kein steter Kampf um Drittmittel, wie beim benachbarten KIT.

Über die Termine und Budgets der einzelnen Rückbauprojekte kann man unter dem Abschnitt Unternehmenspolitik folgendes nachlesen: "Die KTE hält vorgegebene Termine und Budgets ein". Hoppla, das las sich doch im o. g. Bericht des Bundesrechnungshof ganz anders. Eigentlich haben die KTE (und ihr Vorläufer WAK GmbH) ihre Termine und Budgets doch recht selten bis nie eingehalten. Kurzum: der Internetauftritt des Millionenunternehmens KTE ist für Steuerzahler wie mich - Pardon - eine reine Verarsche.

Die Defizite in der Öffentlichkeitsarbeit der KTE sind endlos. Eine Firma, die - nach meiner persönlichen Schätzung - jährlich um die 150 Millionen Euro an Steuergeldern verbrät, kann noch nicht einmal einen Jahresbericht vorweisen, aus dem detailliert die Tätigkeiten und die finanziellen Ressourcen hervorgehen. Für die ca. 600 Mitarbeiter (nebst einigen gutbezahlten externen "Beratern") gibt es kein vorweisbares Organigramm, keine Aufteilung in befristete und unbefristete Arbeitsverträge. Das Unternehmen KTE ist eine "Black Box" im Dunkel des nahen Hardtwalds, wo man aber, abgeschirmt von der Öffentlichkeit,  bis zum Jahr 2063 weiterwursteln möchte. Eine Firma mit Bestandssicherung über Generationen hinweg. Wo anderwärts gibt es das heute noch?


Strategiefehler?

Analysiert man die Projektstrategie der KTE resp. WAK beim Rückbau der Nuklearanlagen, so erscheinen einige Entscheidungen des Managements unlogisch, möglicherweise sogar als falsch - mit der Folge, dass sich dadurch die Gesamtkosten beträchtlich erhöht und die Endtermine signifikant verzögert haben. Zwei Entscheidungen der Geschäftsführung seien herausgegriffen: der starke Aufbau des Eigenpersonals und die verzögerte Inangriffnahme der neuen Abfallläger.

Die Personalpolitik in den neunziger Jahren, als die KfK noch die Projektleitung inne hatte, sah nach der Stilllegung den sukzessiven Abbau der Betriebsmannschaft vor bis zu einer Stammmannschaft von 15 bis 20 Personen pro Projekt. Diese sollte die Generalplanung, das atomrechtliche Genehmigungsverfahren, sowie die Finanzierung und Kostenkontrolle betreiben. Das überschüssige Betriebspersonal wurde bei den Kernkraftwerken der Umgebung untergebracht. Die Detailplanung und der Abriss - das ist wichtig - wurde an kleine, aber zuverlässige Fremdfirmen in der Umgebung vergeben. Dieses Schema hatte den Vorteil, dass in "flauen Zeiten", wenn etwa eine Genehmigung nicht rechtzeitig eintraf, die Fremdverträge ausgesetzt werden konnten und die Projektkosten im Rahmen blieben.

Als die EWN-Muttergesellschaft im Jahr 2009 das Ruder übernahm, wurde diese Strategie verlassen. Stattdessen wurde das Eigenpersonal bis zur heutigen Stärke von ca. 600 Mann aufgestockt und die Fremdfirmen entsprechend reduziert. Das führte beispielsweise in den Jahren 2013/14, als der Geldgeber Bund etwas "klamm" war und die Zuwendungen entsprechend kürzte, dazu, dass die große Eigenpersonalmannschaft nicht ausgelastet war. "Design to Budget" war angesagt. Die Flexibilität war verloren gegangen.

Dubios erscheint auch die verspätete Inangriffnahme der beiden zusätzlichen Abfallläger. Dieser Engpass zeichnete sich für den Fachmann doch schon seit langem ab. Nun ist man in eine Drucksituation gekommen, weil manche Projekte nur noch "mit gebremsten Schaum" rückgebaut werden können, da die Lagerung der radioaktiven Abfallstoffe logistische Probleme bereitet.


Die Geschäftsführer und der Faktor Pi

Die beiden Geschäftsführer (Gf) der KTE GmbH werden für ihre Dienste um die Firma durchaus stattlich bezahlt. Wie man dem letzten verfügbaren Governance Bericht für 2015 entnehmen kann, erhielt der damals gerade erst angeheuerte Kaufmännische Gf Daniel Beutel ein Jahresgehalt von (hochgerechnet) ca. 200.000 Euro, der Technische Gf  Professor Manfred Urban sogar 220. 000 E, womit er beinahe schon an das Salär der Bundeskanzlerin herankommt.

Möglicherweise wohnt dieser Entlohnung sogar eine mathematische Gesetzmäßigkeit inne. Denn: der Leiter eines großen Instituts im benachbarten KIT erhält im Schnitt ein Jahresgehalt von 70.000 E; multipliziert man es mit der Kreiszahl Pi=3,14 so kommt man just auf 220.000 E, also das Jahresgehalt des Technik-Gf. Man mag einwenden, dass die beiden Positionen eines Institutsleiters (Il) und eines Gf verschieden sind. Das ist wohl wahr, aber der Il muss sich in seinem Institut praktisch um alles selbst kümmern, während der Gf bei KTE die Unterstützung eines Kaufmännischen Gf und vielen sonstigen administrativen Helfern hat.

Es scheint, dass der Abriss einer kerntechnischen Anlage besser bezahlt wird als deren Aufbau. Dies kann man gedanklich übertragen auf die hochkomplexe Neutrinoversuchsanlage KATRIN, wo der Projektchef G.D. (vermutlich) für ein W3-Gehalt, also um ca. 70.000 E schafft. Landet diese Anlage nach Beendigung der Messungen im Jahr 2025 und wegen ihrer Kontamination mit Tritium im Rückbaubereich, so könnte der dortige Technik-Chef eher mit einer Entlohnung von 220.000 E rechnen. Voìla, das 3,14-fache, entsprechend dem Gesetz der Zahl Pi beim Abriss!

Doch Spaß beiseite.
Bei der Entlohnung der KTE-Chefs fällt auf, dass sie neuerdings feste Bezüge erhalten, also ohne erfolgsabhängigen Anteil. Beim Vorgänger von Gf Beutel, dem Kaufmännischen Gf Hollman, betrug die erfolgsabhängige Komponente - gemäß o.g. Bericht - noch fast die Hälfte der Gesamtvergütung. Was hat sich seitdem verändert? Warum bezahlt man die aktuellen KTE-Gf so risikolos, fast wie Beamte? Nuklearbeamte sozusagen! Niemand weiß es, im gesamten Governance Bericht gibt es dafür keine Erklärung.

Da beim Abriss der Nuklearanlagen aber bisher immer wieder Termine und Plankosten verfehlt wurden, wie im Bericht des Bundesrechnungshof deutlich nachzulesen ist, wäre bei KTE eine erfolgsabhängige Entlohnung durchaus bedenkenswert. Man sollte dabei nicht zu radikal vorgehen, sondern wiederum das Gesetz der Zahl Pi zugrunde legen. Demnach wäre dem Strahlenschutzprofessor Dr. Urban vielleicht das stattliche Gehalt eines (ordentlichen) deutschen Universitätsprofessor zuzubilligen - nämlich ca. 70.000 E. Die zweite, erfolgsabhängige Komponente in Höhe bis zu 150.000 E,  wäre dann bei kosten- und termingerechter Abwicklung seiner Projekte fällig.
Der Aufsichtsrat und die Gesellschafter sollten darüber nachdenken.


Der Aufsichtsrat

Der Aufsichtsrat soll die Geschäftsführung der KTE GmbH überwachen, insbesondere die Unternehmensstrategie und das Risikomanagement. Er besteht aus 6 Personen, die für ihre Tätigkeit keine Vergütung erhalten. Stattdessen rühmt man sich, dass angesichts zweier Mitgliederinnen, der Frauenanteil bei 14 Prozent liegt; in Zukunft wird eine Quote von 33 Prozent angestrebt. Ansonsten rekrutiert sich dieses Gremium aus drei Mitgliedern der Bundes- und Landesministerien und drei Angestellten der KTE, wobei Henry Cordes, der Geschäftsführer der Energiewerke Nord, als Vorsitzender des Aufsichtsrats agiert.

Die Hauptlast im Aufsichtsrat trägt vermutlich die Abgesandte des Bundesforschungsministeriums, Frau Dr. Beatrix Vierkorn-Rudolph, Unterabteilungsleiterin im BMBF. Sie muss (aus dem Finanzministerium) die Hauptmasse des Budgets heranschaffen und trägt damit auch die Verantwortung für dessen Verwendung. Dass sie sich dabei von externen Firmen, wie GRS (früher auch Fichtner), beraten und wohl auch "munitionieren" lässt, geht in Ordnung. Trotzdem: dem Aufsichtsrat der KTE fehlt es an Neutralität und Expertise. Das wird deutlich, wenn man sich das analoge Gremium im benachbarten KIT vor Augen hält. Dort ist die Vorsitzende eine Professorin der renommierten ETH Zürich und als "Experte" steht kein Geringerer als Dieter Zetsche, der Chef der Daimler AG, zur Verfügung.

Man sollte den Aufsichtsrat bei KTE durch einige Fachleute für den Rückbau aufstocken. Diese gibt es in genügender Anzahl, z. B. bei den Energieversorgungsunternehmen. In Frage käme je ein Experte von RWE, Eon und EnBW. Die Vorläuferfirma der EnBW, die vormalige Badenwerk AG, hat beim Aufbau der oben genannten Kernkraftwerke MZFR und KNK mitgewirkt und jahrzehntelang den Betrieb geführt. Ein Fachmann der EnBW wäre sicherlich qualifiziert, auch den Vorsitz im KTE-Aufsichtsrat zu übernehmen.

Henry Cordes könnte dann seiner Lieblingssportart (Paddeln im Greifswalder Bodden) nachgehen.


Epilog

Wie das Rückbauprojekt in Karlsruhe bei Fortführung des bisherigen Managements ausufern könnte, zeigt folgende genealogische Betrachtung:

Als die Kernkraftwerke MZFR und KNK 1963 geplant wurden, war der jetzige Geschäftsführer Urban noch im Kindergarten. Inzwischen bewegt er sich nahe am Ruhestand. Die im Jahr 2063 vorgesehene Beendigung des Rückbaus könnte auf einen seiner Nachfolger zukommen, der  - falls er diese Aufgabe als 45-jähriger schuldert - heute noch nicht geboren ist!

Der Rückbau bei KTE/WAK:  eine Jahrhundertaufgabe.
Deutschlands sicherster Arbeitsplatz.





















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