Mittwoch, 23. November 2016

"Small is beautiful" - die Mini-Reaktoren sind im Kommen

Groß, größer, am größten 
ist ein Slogan, der in der Industrie häufig anzutreffen ist,
beispielsweise bei den deutschen Kernkraftwerken.

Es fing ganz klein und bescheiden an, als die Stromfirma RWE im Jahr 1958 das Kernkraftwerk VAK in Kahl mit einer Leistung von nur 15 Megawatt in Betrieb nahm. Aber schon in den siebziger Jahren bestellte das gleiche Unternehmen von Siemens/KWU ein Atomkraftwerk mit einer elektrischen (Brutto-) Leistung von über 1.000 Megawatt (MW) für den Standort Biblis. Inzwischen sind dieses, sowie neun weitere große Kernkraftwerke (KKW), im Zuge der sogenannten Energiewende, zwangsweise stillgelegt worden. Übrig geblieben sind nur noch die acht KKW Gundremmingen B und C (mit je 1.345 MW), Emsland und Neckarwestheim II (mit 1.400 MW), Grohnde und Philippsburg 2 (mit je 1.450 MW) sowie Brockdorf und Isar 2 (mit je 1.480 MW).

Die letztgenannten  acht Großkraftwerke sollen - gestaffelt - bis zum Jahr 2022 ebenfalls endgültig abgeschaltet werden. Ihr Wegfall wird eine riesige Stromlücke im Grundlastbereich hinterlassen, welche durch die unsteten Wind- und Sonnenkraftwerke nicht annähernd ausgeglichen werden kann. Hinzu kommt, dass die großen Gleichstromtrassen von der deutschen Küste in die Industriegebiete Bayerns und Baden-Württembergs frühestens 2025 zur Verfügung stehen werden.

Im internationalen Bereich geht aber der Bau immer noch größerer Kernkraftwerke ungebremst weiter: in Finnland, Frankreich China und England entstehen derzeit sieben weitere KKW, welche inzwischen für eine Bruttoleistung von 1.650 bis 1.750 MW ausgelegt sind.

Indes, es gibt auch eine zweite Bauphilosophie:
weitgehend unbemerkt von diesem Streben nach Rekordgröße wird immer häufiger über kleine Kernkraftwerke - zwischen 30 und 300 MW - nachgedacht, für die sich offenbar ein zweiter Markt auftut.
Über diese Spezialreaktoren soll im Folgenden berichtet werden.


Wirtschaftliche und technische Gründe

Das Interesse an kleinen Kernkraftwerken (und Reaktoren zu Heizzwecken) besteht schon lange. Es sind vor allem die Entwicklungs- und Schwellenländer, welche das Milliardenkapital für große Kernkraftwerke nicht aufbringen können und in deren kleines nationales Stromnetz Nuklearkraftwerke jenseits von 300 Megawatt elektrisch (MWe) nicht einzupassen sind.
Es ist bekannt, dass einige Aufträge für große Leichtwasserkernkraftwerke in früheren Jahren aus finanziellen Gründen zurück genommen werden mussten; einige Abbestellungen fanden sogar zu jenen Zeitpunkten statt, in denen das Kraftwerk bereits zu 70 Prozent oder mehr gefertigt war. Beim Großblock wird der Bau typischerweise über zehn Jahre abgewickelt, während die zugeordneten Anlagekosten von 6 bis 8 Milliarden Euro anfallen. Die Amortisation dieser Investitionen findet während der folgenden 30 Jahre statt, sodass die gesamte Unternehmung etwa 40 Jahre dauert. Da können kleine Stromfirmen häufig nicht mithalten. Bei kleinen Kraftwerken jedoch verkürzt sich die Bauzeit auf lediglich 5 Jahre, da u. a. die Infrastrukturleistungen am Standort bereits erbracht sind.

Besonders kostensparend wirkt sich die Modulbauweise aus. Während bei einer Großanlage umfangreiche Komponenten auf der Baustelle - in speziell errichteten (Einmal-) Werkstätten - gefertigt werden müssen, ist dies bei kleinen Moduln nicht der Fall. Diese können in der Fabrik gefertigt und zusammengebaut werden und - wegen ihrer Kleinheit - auf Fahrzeugen zum Standort gebracht werden. Im wesentlichen handelt es sich dabei um kleine Reaktortanks, sowie Kühlmittelpumpen und Dampferzeugereinheiten. Daraus ergibt sich ein Kostenvorteil von 30 bis 40 Prozent, welcher den Eskalierungskosten wegen Mehrfachfertigung entgegen wirkt.

Ein weiterer Vorteil der modularen Bauweise liegt in der höheren Sicherheit. Bei kleinen Reaktoren ist häufig eine verbesserte nukleare Sicherheit gegeben, weil gewisse Reaktorkoeffizienten (beispielsweise Natriumvoid bei Brutreaktoren) einfacher zu beherrschen sind. Auch die passive Nachwärmeabfuhr bei Ausfall der Kühlkreise ist zumeist gesichert und bedarf nicht des manuellen Eingriffs. Insgesamt erleichtert dies das atomrechtliche Genehmigungsverfahren, was wiederum die Planungs- und Bauzeit reduziert.

Inzwischen hat die Errichtung von Mini-Reaktoren an verschiedenen geografischen Lokationen der Erde begonnen. In Argentinien wird unter der Bezeichnung CAREM-25 bereits ein Modul mit 27 MWe gebaut. In Russland ist die Doppeleinheit KLT-40S mit je zwei 35 MWe-Reaktoren im Bau. In Korea erhielt der SMART-Reaktor (90 MWe) kürzlich seine atomrechtliche Genehmigung. Bei der chinesischen Einheit ACPR50S gibt es noch einige diplomatische Verwicklungen. Die Chinesen wollen einen kleinen Reaktor mit einer Leistung von 200 MW bzw. 60MWe auf einer schwimmenden Plattform errichten. Er soll auf verschiedenen Inseln des Chinesisch-Pazifischen Meeres Wärme und Elektrizität bereitstellen. Dagegen wehren sich die USA und Japan mit dem Argument, dass die Eigentümerschaft dieser kleinen, unbewohnten Inseln nicht geklärt sei.

Reminiszenz an die siebziger Jahre

Das (erneute) Aufkommen der Mini-Reaktoren erinnert an die Schlagwortdebatte der 1970er Jahre, als das Prinzip "Small is beautiful" fast zwei Jahrzehnte lang eine beherrschende Rolle spielte. Es wurde 1973 in einem Buch gleichen Titels von dem in Deutschland geborenen britischen Ökonomen  Ernst Friedrich Schumacher aufgebracht, der sich dabei von der frugalen Lebensweise der buddhistischen Inder inspirieren ließ. Schumacher wurde argumentativ unterstützt von zwei weiteren Slogan-Verbreitern, nämlich Lovins und Traube. Der US-Amerikaner Amory B. Lovins machte sich in seinem Bestsellerbuch stark für die "Sanfte Energie", wobei er in seinen Vorträgen besonders (kleine) Windräder propagierte. Und der kürzlich verstorbene Kernenergiekritiker Klaus Traube kritisierte die Großtechnik der damals verbreiteten Reaktoren und forderte stattdessen 1978 in seinem Buch "Müssen wir umschalten?" den Kollektor auf  jedem Hausdach.


Schumacher und sein Buch

Inzwischen bedecken Freiflächenkollektoren von Fußballfeldgröße die bäuerlichen Landschaften. Die neueste Windkraftanlage der Firma Enercon erreicht die stattlichen Höhe von 230 Metern. Und die Verbindung der alternativen Energiesysteme geschieht über monströse Gleichspannungsleitungen.
Ob E. F. Schumacher diese Technologie jetzt noch als "small" und "beautiful" bezeichnet würde?

PS.: Eines sollte nicht vergessen werden:
die Europäische Energiebehörde NEA schätzt in einen fast hundertseitigem Bericht ab, dass der Anteil der Mini-Reaktoren im gesamten Ausbau der Kernenergie kaum über drei Prozent hinauskommen wird.

Montag, 14. November 2016

Vor 40 Jahren: der Karlsruher Münzskandal

Geldfälschen ist eine uralte Profession, aber technisch durchaus anspruchsvoll. Mit dem Aufkommen des Papiergeldes schien es leichter zu werden und der "falsche Fuffziger" war in aller Munde. Aber inzwischen hat die Geldbehörde Bundesbank die Latte höher gelegt und das Papier mit allerlei Wasserzeichen und sogar Hologrammen versehen, an denen die schweren Jungs sich auch mit Farbkopierern die Zähne ausbeißen.

Mancher geht deshalb reumütig wieder zum Münzgeld zurück, wo man mit Rohlingen aus Kupferblech, handziseliertem Prägestempel sowie Hammer und Amboss - also einer gewöhnlichen "Bauhaus"-Ausstattung - Falschmünzerei im eigenen Schuppen betreiben kann. Aber diese Arbeit ist kaum lohnenswert, denn der Geldwert der Pfennige beziehungsweise Cents ist eben niedrig und an 2-Euro-Münzen traut sich kaum einer heran.

Doch in dieser Denkweise liegt ein Fehler verborgen. Vor gut 40 Jahren ist es drei Karlsruhern gelungen, durch Prägen weniger  Münzen an ein kleines Vermögen zu kommen. Unter anderem deshalb, weil sie das Problem von der "Quelle" aus angegangen haben. Natürlich sind auch sie letztlich gescheitert. Aber die Geschichte ihres schlitzohrigen Vorgehens ist wert nacherzählt zu werden. Wobei auf das Nachmachen aber tunlichst verzichtet werden sollte.

"An der Quelle saß der Knabe..."

In unserer Geschichte ist die Quelle die altehrwürdige Karlsruher Münzstätte und der Knabe ist der Herr Direktor O.. Die Staatliche Münze Karlsruhe ist ein ansehnlicher Bau des bekannten Architekten Friedrich Weinbrenner und wurde vom Badischen Großherzog im Jahr 1827 mit der Prägung der ersten Zehnguldenmünze ihrer Bestimmung übergeben. Seitdem werden dort jährlich bis zu 250 Millionen Münzen aller Art hergestellt.


Die Karlsruher Münze

Die beiden anderen Darsteller in unserem 3-Personen-Stück sind der Stellvertretende Direktor H. und, der zwar untergeordnete, aber dennoch sehr wichtige Prägevorarbeiter F. Von den dreien war nur der Direktor O. ein "Karrierebeamter", der es vom Fachschulingenieur schnell zum Leiter der Staatlichen Münze brachte. Die beiden anderen hatten eine eher gebrochene Berufslaufbahn, wie es in der Nachkriegszeit nicht unüblich war. So war der Stellvertreter H. in der Slowakei Aushilfslehrer und diente danach eine Zeitlang als Koch bei der US-Army, bevor er in der Münze vom einfachen Arbeiter bis zum Regierungsamtmann hochstieg. Der Facharbeiter F. war gelernter Zimmermann und kletterte in der Münze rasch vom Hilfsarbeiter zum Vorarbeiter der Medaillenabteilung empor.

Das Delikt

Die Falschmünzerei in der Staatlichen Münze Karlsruhe nahm ihren Anfang in den 1970er Jahren und ging vom Chef, also dem Direktor O. aus. Dieser hatte gerüchteweise gehört, dass die Politiker sich mit dem Gedanken trugen, die beiden Münzstätten Karlsruhe und Stuttgart zusammenzulegen. Direktor O. fiel darob in panische Angst, denn bei dieser Fusion mit der größeren Münze in der Landeshauptstadt drohte ihm der Verlust seiner schönen Karlsruher Position. Schließlich kam ihm ein Gedanke, wie er das Unheil wenden konnte: er plante  die jährliche "Tagung der deutschen Münzstättenleiter" zu besuchen, um dort (auf seine Art)  Lobbyarbeit für das Weiterbestehen der Karlsruher Münze zu betreiben. Die Konferenz wurde üblicherweise auch von wichtigen Beamten des Bundesfinanzministerium und der Bundesbank besucht, an welche sich Direktor O. wandte, indem er den Referatsleitern und Abteilungsleitern dieser Oberbehörden ein "kleines Präsent" zusteckte. Dies war in der Regel ein Satz seltener Münzen aus seiner eigenen Prägeanstalt.

Eigentlich hätte er diese Münzen ohne den speziellen Auftrag des Bonner Finanzministerium gar nicht herstellen dürfen, aber Direktor O. erteilte sich diesen Auftrag quasi selbst. Seinem Stellvertreter H. kam die Aufgabe zu, den Tresor, wo die alten Prägestempel lagerten, zu öffnen und der Vorarbeiter F. erledigte schließlich die Stanzarbeit. Die Auswahl der Nachprägungungen war wohl überlegt. In der Regel stanzten sie die unter Sammlern sehr begehrte 50-Pfennig-Münze mit der Aufschrift "Bank Deutscher Länder" und die 2-Pfennig-Münze von 1967 mit dem Eisenkern. Der Sammlerpreis für diese Objekte lag damals bereits bei 1.000 bis 2.000 DM. Direktor O. ließ auch großzügig seine beiden Gehilfen an dem "Geschäft" teilhaben. Sein Vertreter H. finanzierte mit diesen Einkünften die standesgemäße Heirat seiner Tochter und der Vorarbeiter F. den Bau seines Hauses in Karlsruhe-Spöck. Später fand man heraus, dass die drei Falschmünzer in drei Jahren etwa 6.000 bis 10.000  50-Pfennig-Münzen und ca. 1.000  2-Pfennig-Münzen hergestellt und in den Sammlerkreislauf gebracht hatten.



Betroffene Münzen
(oben: 50-Pfennig-Stück; unten: 2-Pfennig-Stück)

Das plötzliche vermehrte Auftreten wertvoller Münzen aus der Nachkriegszeit wurde von den Sammlern sehr wohl registriert. Es war der Münzexperte K., Herausgeber der Fachzeitschrift "Der Münzensammler und der Münzmarkt", welcher aktiv wurde. Im November 1974 sandte er einen Satz Münzen des Jahrgangs 1967 (G) zur Echtheitsprüfung an die zuständige Bundesbank in Frankfurt. Bereits zwei Wochen später bestätigten ihm die Fachleute der Bank, das es sich um "echte Münzen" handelt, die jedoch "nachträglich hergestellt" wurden, u. zw. mit einer "Werkzeugkombination", wie sie 1967 noch nicht verfügbar war. (Der Karlsruher Prägevorarbeiter F. hatte da wohl nicht sorgfältig genug gearbeitet). Anfang 1975 nahmen die staatsanwaltlichen Ermittlungen ihren Lauf.

Der Prozess

Die "Drei von der Münze" waren durchaus geständig, insbesondere nachdem man sie einige Wochen im Untersuchungsgefängnis hatte schmoren lassen. Für die Strafkammer des Karlsruher Landgerichts schien der Prozess eine einfache Sache zu sein. Sie konnte sich bei der Anklage direkt auf einen Paragraphen des Strafgesetzbuches beziehen,  den §146 StGB. Sein Wortlaut stand früher noch auf jedem Geldschein, nämlich: "Wer Geld nachmacht, oder nachgemachtes Geld in den Verkehr bringt, wird...bestraft". Die Staatsanwaltschaft plädierte also auf Falschmünzerei und in den Verkehr bringen von Falschgeld.

Zur großen Überraschung fiel sie jedoch mit beiden Anschuldigungen durch. Die gewitzten Verteidiger argumentierten nämlich, dass in einer Staatlichen Münze niemals Falschgeld geprägt werden könne - selbst wenn es keinen Auftrag des Bundesfinanzministerium gäbe. Außerdem seien die dort geprägten Münzen (wegen ihres hohen Sammlerwertes) nicht in den öffentlichen Geldverkehr gebracht worden, sondern nur in den Sammlerkreislauf, wo sie gewissermaßen gehortet wurden. Im Übrigen, behaupteten die Angeklagten, hätten sie für jede nachgeprägte Münze eine andere (neue, also praktisch wertlose) Münze "verwalzt", und somit unbrauchbar gemacht. Letzteres konnte ihnen nicht widerlegt werden.

Die Anklage fiel vollends in sich zusammen, als der angerufene Bundesgerichtshof (BGH) diese Rechtsauffassung bestätigte. Plötzlich stand die Strafkammer ohne anwendbares Gesetz da und nach dem alten römischen Rechtsgrundsatz "nulla poena sine lege" (keine Strafe ohne Gesetz), hätte sie die drei Übeltäter freisprechen müssen. Aber das wäre gegen die Ehre der Karlsruher Elitejuristen (mit oder ohne doctor iuris utriusque) gegangen. Über zwei Jahre hinweg wurde die Causa zwischen drei Kammern des Landgerichts und zwei Mal zur Revision an den BGH geschickt. Schließlich fand man doch noch einige Paragraphen um die Drei zu verurteilen. Direktor O. wurde wegen Unterschlagung belangt, sein Vertreter H. wegen Diebstahls, Betrugs und Beihilfe zur Unterschlagung und Vorarbeiter F. wegen Diebstahls und versuchten Betrugs in zwei Fällen. Schadensersatzklagen wurden vom Gericht immer mal wieder ins Gespräch gebracht, aber dagegen wehrten sich die Sammler mit allen Kräften. Sie fanden sich nicht geschädigt; kein Wunder war der Sammlerwert ihrer Münzen doch inzwischen  auf 10.000 DM gestiegen und die Sammler wollten ihre Objekte auf keinen Fall mehr herausgeben.

Die Sanktionen

Die Strafen waren maßvoll. Die drei Übeltäter wurden zu Gefängnisstrafen von unter einem Jahr verurteilt. Da sie nicht vorbestraft waren, wurde diese sogar zur Bewährung erlassen. Den schönen Job in der Münze waren sie allerdings los. Einige hohe Beamte im Bundesfinanzministerium und bei der Bundesbank wurden  zwar wegen Mithilfe angezeigt, aber es fand kein Verfahren und damit auch keine Verurteilung statt. Wer denkt da nicht an George Orwells Fabel von der "Farm der Tiere": Alle Tiere sind gleich, aber manche sind gleicher. Der Paragraph 146 im Strafgesetzbuch wurde verschärft. In Zukunft müssen "Innentäter" für ähnliche Delikte mit Gefängnisstrafen von fünf bis zehn Jahren rechnen.

Bei der Münzstätte geht es jetzt viel rigider zu. Neu entwickelte Geldzählmaschinen erlauben nicht nur die Münzen sondern auch die Rohlinge zu zählen, welche früher nur (ungenau) gewogen wurden. Die Tresore dürfen nur von zwei Mitarbeitern gleichzeitig geöffnet und geschlossen werden. Beim Ein- und Ausgang werden alle Beschäftigte mit Spezialdetektoren kontrolliert. Außerdem wurde für die Mitarbeiter Plastikgeld eingeführt. Dies ist die betriebseigene "Währung" für die Angestellten zum Zahlen in der Kantine. Echtgeld darf nicht mitgeführt werden.

Schließlich wurde 1998, im Vorfeld der Euro-Einführung, auch die frühe Befürchtung des ex-Direktor O. zur bitteren Realität:
die beiden Münzstätten Karlsruhe und Stuttgart wurden zur baden-württembergischen Münze zusammengelegt.

Sonntag, 6. November 2016

Das Fusionsprojekt ITER wieder in Geldnot

Der Fusionsreaktor ITER (=Internationaler Thermonuklearer Experimentalreaktor) an dem seit ca. zehn Jahren im südfranzösischen Cadarache gebaut wird, gilt als die komplizierteste Maschine der Welt. Komplizierter als ein Jumbojet oder ein Kernreaktor. Außerdem ist er viel voluminöser und verursacht dadurch horrende Materialkosten. Einige Beispiele sollen das verdeutlichen:  Jede der 18 D-förmigen Toroidalfeldspulen besitzt ein Gewicht von 360 Tonnen und wiegt damit so viel wie eine vollbesetzte Boeing 747. Der sogenannte Tokomak, das Herzstück des ITER soll aus einer Million Einzelteilen zusammen gebaut werden und wird damit das Gewicht des Eiffelturms um das Doppelte übertreffen. Schließlich: allein zur seismischen Isolierung gegen Erdbeben sind 360.000 Tonnen Beton einzubringen, was dem Gewicht des Empire State Building in New York entspricht.

Enorm sind die Anforderungen an die Projektleitung. Die am Bau beteiligten Länder China, Indien, Japan, Korea, Russland und USA, sowie die Europäische Union (EU), worin Deutschland eingebunden ist, tragen sowohl mit Sachmitteln als auch mit Geld zum Projekt bei. Die Spezifizierung aller Komponenten, sodass daraus ein funktionsfähiges Gesamtwerk entsteht, ist eine Riesenaufgabe. In der Vergangenheit war das Top-Management mit der Bewältigung der vielen Probleme offenbar überfordert, sodass es innerhalb von zehn Jahren zu drei Umbesetzungen an der Spitze - dem Amt des Generaldirektors (GD) - gekommen ist. Im Nachgang kann man von zwei Epochen, einer japanischen und einer französischen, sprechen, die nun kurz beschrieben seien.


Die japanische Epoche

Die Position des ITER-Generaldirektors war von Beginn an einem Japaner zugedacht, da die japanische Regierung bei der Endverhandlung des Liefervertrags auf Japan als Standort des Projekts verzichtet hatte. Dementsprechend trat der Japaner Kaname Ikeda im Jahr 2005 sein Amt als Chef in Cadarache an. Ikeda war von seiner Ausbildung her kein Fusionswissenschaftler, sondern ein Karriere-Diplomat; vorher hatte er sein Land als Botschafter in Kroatien vertreten. Die englische Sprache beherrschte er nur rudimentär. Seine holprigen, in "broken-english" vorgetragenen Projektpräsentationen, verursachten beim Fachpublikum regelmäßig Bauchgrimmen. Nicht zuletzt deshalb wurde ihm bald der Deutsche Norbert Holtkamp als Vertreter zur Seite gestellt, was die französische  Zeitung La Provence zu der kecken Phrase veranlasste: "Nun ist der wahre Chef gekommen".

Im Jahr 2010, also schon nach fünf Jahren, war die Phase Ikeda zu Ende. Die Japaner schlugen als Nachfolger für den offensichtlich überforderten Ikeda den Professor Osamu Motojima vor. Er war zeitweise in einem Fusionslabor seines Landes tätig, hatte also gewisse technische Kenntnisse. Die erste Amtshandlung des neuen Generals war, dass er seinen Vertreter Holtkamp feuerte, für den man in Kalifornien einen neuen Job fand. Aber auch Motojima bekam das Projekt ITER nicht in den Griff. Er hatte die meiste Zeit seines Lebens Vorlesungen an verschiedenen Universitäten des Landes gehalten, dafür reihenweise Ehrendoktorate erhalten, indes, die Managementerfahrungen für Großprojekte fehlte ihm. Nach nur einer Periode gab er im Jahr 2015 sein Amt auf. Die Japaner, erkennbar gefrustet, erklärten anschließend, dass sie in Zukunft auf Besetzung des GD-Postens verzichten würden. 

Während dieser japanischen Epoche waren die Baukosten des ITER von 5 Milliarden Euro (bei Vertragsabschluss) auf 15 Milliarden angestiegen.
Der Inbetriebnahmezeitpunkt war von 2015 auf 2026, also um 11 Jahre nach hinten gerückt.


Die französische Epoche

Nach dem Abgang der beiden Japaner Ikeda und Motojima einigte sich das internationale ITER-Konsortium auf einen Franzosen als nächsten Generaldirektor. Er war schwer zu finden. Schließlich gelang es, den 65-jährigen  Monsieur Bernard Bigot vom Ruhestand zurückzuhalten und für die Spitzenposition beim ITER zu gewinnen. Bigot ist Physikochemiker und war über viele Jahre für die französische Atombehörde CEA auf dem Gebiet der Alternativen Energien tätig. Von da her ist er mit den staatlichen und ministeriellen Stellen in Frankreich gut vernetzt.

Inzwischen hat sich Bigot in sein neues Feld gut eingearbeitet, sodass er vor einigen Wochen eine neue Kosten- und Terminschätzung vorlegen konnte.

Demnach werden weitere 5 Milliarden Euro an Kosten für den Bau des ITER anfallen, sodass die Gesamtkosten nunmehr auf 20 Milliarden klettern.
Der Volllastbetrieb des ITER wird um weitere 10 Jahre auf 2036 aufgeschoben.
Das Vakuumgefäß, vergeben an ein italienisches Dreierkonsortium, scheint auf dem kritischen Pfad zu liegen.
(Da Deutschland mit 10 Prozent der Gesamtkosten am ITER beteiligt ist, entfallen auf die Bundesrepublik somit ca. 2 Milliarden Euro an Baukosten).

Die neuen Kosten- und Termindaten werden derzeit von den Mitgliedsländern evaluiert. Scharfe Kritik kommt von den Grünen in Deutschland. Die Bundestagsabgeordnete Sylvia Kotting-Uhl, bei der Grünen-Partei zuständig für Fusion und Reaktorsicherheit, hält die Mehrkosten bei ITER für nicht akzeptabel. Sie fordert den Abbruch des Projekts und den Übergang zu den Erneuerbaren Energien in Europa. Kotting-Uhl kann auf eine beträchtliche Expertise verweisen, nämlich ein Kunstgeschichtestudium in Saragossa und ein Fernstudium in Psychologie. Im Übrigen: die Gesamtkosten des ITER mögen mit 20 Milliarden recht hoch sein; sie reichen jedoch bei weitem nicht an die Kosten der Erneuerbaren Energien heran, welche derzeit in Deutschland 27 Milliarden pro Jahr betragen.


Ausblick

Entgegen landläufiger Meinung wird der ITER, sollte er einmal betriebstüchtig sein, keinen elektrischen Strom liefern, sondern allenfalls Wasserdampf von 150 Grad Celsius. Um die Baukosten "niedrig" zu halten, hat man schon in der Frühphase des Projekts das Brutblanket weitgehend weggelassen. In seiner jetzigen Konzeption ist der ITER  im wesentlichen eine (notwendige) Experimentiermaschine für Physiker und Ingenieure.

Sofern die Experimente des ITER erfolgreich verlaufen, kann man sich danach an die Planung eines stromerzeugenden Demonstrationskraftwerks - genannt DEMO -  heranwagen. Das soll ein wirklicher Fusionsreaktor mit einer Leistung von 1.000 Megawatt sein, also einem mittelgroßen Kernkraftwerk, bzw. einem großen Kohlekraftwerk entsprechen. Dieses Projekt wird von dem bisherigen 7er-Staatenbund nicht mehr zu stemmen sein - aus finanziellen und politischen Gründen. Spätestens dann benötigt man die Partizipation der europäischen Stromkonzerne, der sogenannten EVU. Ein organisatorisches Vorbild könnte der European Fast Breeder (EFR) sein, wo in den neunziger Jahren eine Reihe deutscher, französischer und britischer EVU kooperierten und die Planungskosten trugen. Das begleitende Forschungs-und Entwicklungsprogramm wurde von den F+E-Organisationen der genannten Staaten geschultert.

Setzt man ab 2036 (dem Zeitpunkt der Inbetriebnahme des ITER) je 10 Jahre für Planung, Bau und Inbetriebnahme des DEMO an, so befinden wir uns nach diesen 30 Jahren im Jahr 2066.
Das sind 50 Jahre von heute.


Voilà,
die berühmte Prophezeihung, 
wonach die Fusion in 50 Jahren kommen wird,
ist nach wie vor gültig!


Impressum

Angaben gemäß § 5 TMG:

Dr. Willy Marth
Im Eichbäumle 19
76139 Karlsruhe

Telefon: +49 (0) 721 683234

E-Mail: willy.marth -at- t-online.de