Montag, 3. Oktober 2016

Das Kernkraftwerk Hinkley Point C: Energiewende auf englisch

Vor wenigen Tagen hat die frisch gekürte britische Premierministerin Theresa May die Entscheidung zum Bau zweier supergroßer Kernkraftwerke getroffen - und zwar aus ökologischen Gründen. An der Südwestküste Englands, dem Standort Hinkley Point soll ein französisch-chinesisches Konsortium zwei Atomkraftwerke der Klasse EPR zu je 1600 Megawatt errichten. Die Kernkraftgegner, insbesondere in Deutschland und Österreich, sind in heller Aufregung; speziell, weil Frau May für ihre Entscheidung Klimagründe ins Feld führt, die im Nachgang zur Pariser Klimakonferenz rational kaum zu entkräften sind. 

Historisch betrachtet war Großbritannien in Europa lange Zeit führend im Bau und Betrieb von Kernkraftwerken zur Stromerzeugung. Das erste Atomkraftwerk mit einer Leistung von 50 Megawatt nahm bereits 1956 den Betrieb in Calder Hall auf. Danach folgten etwa fünfzig weitere, welche fast alle grafitmoderiert und gasgekühlt waren. Rund dreißig dieser KKW sind inzwischen stillgelegt, aber 16 sind noch in Betrieb und stellen 20 Prozent des benötigten Stroms bereit. Der Plan der Engländer ist, im Laufe der nächsten Jahre ein weiteres Dutzend dieser großen EPR-Kernkraftwerke an sechs, bereits bestimmten, Standorten in England, bauen zu lassen. Die Regionen Wales, Schottland und Irland nehmen daran nicht teil.

Lange Vorbereitung

Es war der britische Premierminister Tony Blair, der von 1997 bis 2007 regierte und im Jahr 2004 verkündete, dass Großbritannien seine CO2-Emissionen im Zuge der Kyoto-Klima-Vereinbarungen bis zum Jahr 2050 um 60 Prozent senken wolle. Nach Abschätzung seiner Experten könne dies nicht allein über Energiesparen und dem Einsatz der fluktuierenden Erneuerbaren Energien erreicht werden, sondern am wirtschaftlichsten mit dem Bau einer neuen Generation an Kernkraftwerken. Dieser Beschluss wurde von seinem Nachfolger Gordon Brown (2007 - 2010) übernommen, der zusätzlich verkündete, dass diese Reaktoren von privaten ausländischen Investoren gebaut werden sollten. (Großbritannien hatte damals seine industrielle Basis zum Bau großer Kernkraftwerke bereits verloren, u. a. wegen der jahrzehntelangen Nutzung des eigenen Nordseeöls).

Unter der folgenden Regierung David Cameron (2010 - 2016) wurde Hinkley Point als Standort ausgewählt. In einer internationalen Ausschreibung hatten schon vorher drei renommierte Reaktorhersteller ihr Interesse bezeugt. Dies waren die französische Firma AREVA mit dem Europäischen Druckwasserreaktor EPR sowie zwei amerikanisch/japanische Konsortien. Da der EPR technisch am weitesten fortgeschritten war, wurde er für das Konzept- und Standortgenehmigungsverfahren ausgewählt.

Danach erfolgten die kommerziellen Verhandlungen, die sich über mehrere Jahre hinzogen, da mittlerweile Areva von  Betreiber Électricité de France (EdF) übernommen wurde und die Engländer auf einem recht unkonventionellen Preis- und Vertragsmodell bestanden. Sie wollten nämlich nicht, wie üblich, Abschlagszahlungen gemäß dem Fortschritt beim Bau der Reaktoren leisten, sondern der Lieferant EdF sollte seine Kosten über den Betrieb des fertigen Kernkraftwerks selbst finanzieren. Dabei handelte es sich um die nicht geringe Summe von 24 Milliarden Euro, welche EdF zunächst vorstrecken sollte. Um das Risiko für den Hersteller erträglich zu halten, waren die Engländer bereit - über eine Zeit von 35 Jahren - der EdF einen Strompreis von 10 Cent pro Kilowattstunde zu garantieren. (Als Betriebszeit für Hinkley Point sind 60 Jahre vorgesehen). Eine einfache Überschlagsrechnung zeigt, dass das Doppelkraftwerk mit 3200 Megawatt diese Baukosten in etwa 10 Jahren wieder einspielt, sofern man 8000 Betriebsstunden pro Jahr unterstellt.


Architekturskizze zum Doppel-Kernkraftwerk Hinkley Point C

Die Franzosen zierten sich eine Zeitlang auf dieses Vertragssystem einzugehen, obwohl der zugesicherte Stromabnahmepreis erheblich über dem liegt, welcher zur Zeit in Deutschland erzielbar ist. Demotivierend waren vor allem die technischen Probleme, welche derzeit bei ähnlichen Reaktoren in Olkilouto (Finnland) und Flamanville (Frankreich) auftauchen und dort erhebliche Mehrkosten verursachen. Bei einem dritten EPR-Projekt im chinesischen Taishan läuft jedoch alles nach Plan und die Inbetriebname steht 2017 bevor. So entschloss sich EdF die chinesische Staatsholding CGN als 25-Prozent-Partner ins Boot zu holen, womit die Briten einverstanden waren, sodass die neue Premierministerin Theresa May diesen Deal am 16. September absegnen und den Startschuss für das Projekt geben konnte.

Fazit

Das Vorgehen der Engländer zur Reduktion der CO2-Emissionen ist weltweit einmalig.
(Im Vergleich dazu die Maßnahmen, welche in Deutschland getroffen wurden)

1.  Die Zielstrebigkeit bei der Wiedereinführung der Kernkrafttechnologie in England ist höchst erstaunlich. Der im Jahr 2004 getroffene Beschluss wurde bis 2016 über fünf Kabinette durchgehalten, wovon zwei der Labourpartei (Blair, Brown) und drei der konservativen Partei (Cameron, May) zuzuordnen sind.
(In Deutschland wurde im Herbst 2010 die Betriebszeit der 17 Kernkraftwerke über das ursprüngliche Ziel hinaus verlängert. Bereits ein halbes Jahr später, im Frühjahr 2011, wurden - im Nachgang zu Fukushima - 8 KKW sofort stillgelegt und die Betriebszeit der restlichen 9 drastisch verkürzt).

2.  Das Management des atomrechtlichen Genehmigungsverfahrens ist vorbildlich: vor dem Bau der Kernkraftwerke wird nach intensiver Expertenbegutachtung die Genehmigung zum technischen Konzept und zum Standort erteilt, was Planungssicherheit bei den Reaktorbauern gewährleistet.
(In Deutschland benötigt man zum Bau und Betrieb eines KKW in der Regel mehr als ein Dutzend Teilgenehmigungen. Wird die Letzte versagt, dann kann das Kraftwerk nicht in Betrieb genommen werden. Beispiel: beim Brüterkraftwerk SNR 300 Kalkar wurden 17 Teilgenehmigungen erteilt, die 18. - zur Kernbeladung - wurde vom NRW-Landesministerium aus politisch/opportunistischen Gründen versagt. Folge: Der Schnelle Brüter konnte, obschon fertiggestellt, nicht in Betrieb genommen werden; er wurde in der Folge zu einem Rummelplatz konvertiert.)

3.  Die Standorte für sechs weitere Doppelkraftwerke in England sind bereits jetzt festgelegt. Es sind: Sizewell, Bradwell, Oldbury, Wylfa und Moorside. Der Strom wird  über das bestehende Wechselstromnetz an nahe Verbraucher geleitet.
(In Deutschland wird der - dominierende - Windstrom im Norden erzeugt und muss über aufwendige Gleichstromleitungen und Konverterstationen zu den Hauptverbrauchern im Süden geleitet werden.)

4.  Die Finanzierung des Projekts Hinkley Point ist (aus englischer Sicht) schlicht als genial zu bezeichnen. Weder Bau- noch Betriebskosten entstehen für den Besteller: "NOT A PENNY" - wie die englischen Politiker stolz verkünden.  Und mit EdF als Vertragspartner hat man sogar noch den französischen Staat als "Bürgen" im Boot, da er zu 85 Prozent an EdF beteiligt ist. Die für die englischen Verbraucher zu erwartenden Stromkosten liegen bei 15 - 20 c/kWh.
( In Deutschland kostet die Energiewende jährlich 25 Milliarden an Subventionen. Hinzu kommen ca. 100 Milliarden für die Stromleitungen. Rund 30 Milliarden an Kapital wurde für die vorzeitige Stilllegung der Kernkraftwerke vernichtet. Der Strompreis für die Verbraucher wird über 30 c/kWh liegen. Die Gesamtkosten der Energiewende schätzen Experten auf 1 bis 3 Billionen Euro).

1 Kommentar:

  1. Wenn es die überwiegenden deutschen Mieter nicht stört, die Solaranlagen auf den Dächern der wenigen Hauseigentümer im Namen der Klima- und Weltenrettung gerne zu unterstützen.

    In Frankreich kostet der Strom nur die Hälfte des Preises hier bei geringerem CO 2 - Ausstoß, da ebenfalls hauptsächlich Atomstrom.

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