Wieder einmal beginnt alles bei Einstein, der seine "Allgemeine Relativitätstheorie" (ART) im Jahr 1916 - also vor genau hundert Jahren - der Preußischen Akademie der Wissenschaften in Berlin vorgetragen hat. Die ART beschreibt die Wechselwirkung zwischen Materie und Feldern einerseits, sowie zwischen Raum und Zeit andererseits. Die Schwerkraft (Gravitation) wird als geometrische Eigenschaft der vierdimensionalen Raumzeit gedeutet. Für Einstein war das Universum noch ein statisches, immer gleich bleibendes Gebilde, angefüllt mit Materie und Energie. Als er einmal gefragt wurde, ob das Universum unendlich sei, antwortete er mit feiner Ironie: Zwei Dinge sind unendlich, das Universum und die menschliche Dummheit - aber beim Universum bin ich mir nicht ganz sicher.
Schon zehn Jahre nach der Publikation der ART wurde immer deutlicher, dass sich das Universum ausdehnt. Der Astronom Edwin Hubble hatte die Rotverschiebung der Spektrallinien des Lichts entdeckt und der Physiker Alexander Friedmann lieferte die theoretische Beschreibung eines (gleichmäßig!) expandierenden Weltalls dazu. Diese - beobachtete - "Galaxienflucht" führte letztlich zur Theorie des "Urknalls". Vor 13,7 Milliarden Jahren muss ein Zustand unendlich hoher Dichte vorgelegen haben, woraus durch Expansion unser Weltall entstanden ist. Unklar ist, ob diese Ausdehnung unendliche Zeit andauern wird, oder ob sie irgendwann zum Stillstand kommt und wegen der Wirkung der Gravitation in eine Kontraktion übergeht. Ähnlich wie ein Ball, den man im die Höhe wirft und der, wegen der Schwerkraft, schließlich umkehrt und nach unten fällt. Sozusagen ein umgekehrter Urknall.
Dunkle Energie contra Schwerkraft
Künftige Generationen brauchen jedoch nicht zu befürchten, dass Ihnen die Sterne und Galaxien - wegen der anziehenden Schwerkraft - so schnell auf den Kopf fallen. Im Gegenteil: vor knapp zwanzig Jahren haben die drei Physiker Riess, Schmidt und Perlmutter entdeckt, dass es im Weltall noch eine weitere, viel größere Gegenkraft gibt, welche das Universum auseinander treibt und gegen die Schwerkraft (erfolgreich) ankämpft. Die Astrophysiker nennen sie "Dunkle Energie", weil ihr Wesen den Experimenten (noch nicht) zugänglich ist und sie deswegen weitgehend im Dunkel bleibt. Fakt ist aber, dass diese Dunkle Energie einen solchen Druck ausübt, dass sie die riesigen Galaxien beschleunigt auseinander treibt. Das bedeutet, dass zwei beliebige Sternhaufen, die sich noch vor wenigen Minuten mit einer bestimmten Geschwindigkeit voneinander entfernen, in diesem Moment bereits schneller auseinander driften. Es ist, als würde der "Liebe Gott" auf dem Gaspedal stehen bleiben.
Die Physik-Nobelpreisträger 2011(v. l.): Adam G. Riess, Saul Perlmutter, Brian P. Schmidt
Die Existenz der Dunklen Energie ist eindeutig erwiesen, im Jahr 2011 haben die drei oben genannten Physiker dafür den Nobelpreis erhalten. Eine wissenschaftliche Erklärung für dieses Phänomen gibt es aber noch nicht. Man tappt buchstäblich noch im Dunkeln. Rechnerische Abschätzungen haben allerdings ergeben, dass das Weltall zu 70 Prozent mit dieser Dunklen Energie angefüllt sein muss. Weitere 25 Prozent gehen auf das Konto der Dunklen Materie, welche als eine Art "Klebstoff" die Galaxien davor bewahrt durch die Fliehkraft auseinander gerissen zu werden. Und gerade mal 5 Prozent sind der menschlichen Beobachtung zugänglich, also beispielsweise Sonne, Mond und Sterne. Man nennt sie die baryonische Materie, um welche die klassische Physik kreist.
Erklärungsversuche zur Dunklen Energie
Derzeit gibt es zwei Hypothesen, um das Wesen der Dunklen Energie zu erklären: die Vakuumenergie und die Quintessenz. Die "Vakuumhypothese" geht von der Quantenmechanik aus, diese kennt kein Nichts. Selbst in einem perfekten Vakuum ist Energie enthalten, weil dort immer wieder "virtuelle Teilchen" entstehen. Das sind Paare aus Teilchen und Antiteilchen, die spontan entstehen und sich nach kürzester Zeit gegenseitig wieder vernichten. Diese "flimmernden" subatomaren Objekte enthalten Energie, welche der Gravitation entgegen wirkt, also das Weltall auseinander drücken können. Die Vorstellung entspricht einem Gedanken, den bereits Albert Einstein hatte, als er die sogenannte "kosmologische Konstante" in seine Feldgleichungen einführte.
Alternativ könnte es sich bei der Ursache der Dunklen Energie auch um ein Energiefeld handeln, das die Physiker "Quintessenz" nennen. Es durchdringt das Universum und versieht jeden Punkt des Raumes mit einer Eigenschaft, welche der anziehenden Gravitation entgegen wirkt. Die Physiker kennen solche Felder bereits mit der Gravitation und dem Elektromagnetismus. Grob vereinfacht kann man sich die Quintessenz als einen Ball vorstellen, der an jedem Raumpunkt bergab rollt. Wenn das Quintessenz-Teilchen leicht genug ist, läuft es - etwa im heutigen Weltall - zuerst sehr langsam, weil es relativ wenig Bewegungsenergie besitzt. Das ändert sich mit der Zeit. Man kann sich vorstellen, dass in der kosmischen Frühzeit die Gravitation der Expansion noch sehr effektiv entgegen wirken konnte, wodurch großräumige Strukturen, also Sonnensysteme und Galaxien entstehen konnten. Als jedoch das Universum einige Milliarden Jahre alt war, dünnte die Materie aus. Die Beschleunigung gewann die Oberhand über die Schwerkraft und stoppte so die weitere Bildung von Sternhaufen.
Vom Graus der großen Zahlen
Als die Astronomen die beschleunigte Expansion des Weltalls sichergestellt und die Physiker die Vakuumenergie als mögliche Ursache benannt hatten, machten sich die mathematisch versierten Physik-Theoretiker daran, die Dunkle Energie zu berechnen. Dabei kam es zu einer Riesenüberraschung. Die Aufsummierung aller möglichen Quantenzustände führte nämlich zu einer Gesamtenergie, die um 120 Größenordnungen über den Messwerten der Astronomen lag. Selbst bei Berücksichtigung neuerer Erkenntnisse aus der Supersymmetrie blieb noch eine Differenz von einigen Dutzend Größenordnungen. Für diese enorme Diskrepanz gibt es bis heute noch keine schlüssige Erklärung.
Stattdessen taucht als Erklärungsmuster immer mehr die fantastische Idee von "Parallelwelten" auf. In jeder dieser separaten Universen könnten andere Naturgesetze und andere Naturkonstanten herrschen. So könnte in einigen dieser Welten die Abstoßung von Anbeginn so heftig sein, dass sich die dortige Materie nie zu Galaxien zusammengeklumpt hat, also menschliches Leben, wie wir es gewohnt sind, nicht möglich ist. Es gibt Forscher, welche die "kosmische Inflation", kurz nach dem Urknall, als Quelle der Paralleluniversen vermuten. In diesem "Aufbrodeln" könnten ihrer Meinung nach, diese Tochteruniversen entstehen. Benutzt man darüber hinaus die Stringtheorie, so könnte das "Multiversum", also die Gesamtheit aller Universen, aus zehn hoch 500 Universen bestehen. Die ist eine unvorstellbar hohe Zahl, wenn man bedenkt, dass es in unserem Weltall nicht mehr als zehn hoch 80 Atome gibt.
Die Vorstellung von Parallelwelten fasziniert die Freunde von Science Fiction und Star Wars immer wieder aufs Neue. Bei den Physikern steigt eher der Blutdruck, wenn das Wort Multiversum nur fällt. Sie halten solche Konzepte für schlicht spekulativ, weil diese mit ihren bewährten wissenschaftlichen Methoden nicht überprüfbar sind. Die Existenz von Parallelwelten nachzuweisen ist - Stand heute - nicht möglich. Ihre Akzeptanz wäre das Ende der Astrophysik.
Ein Ausweg ist derzeit noch nicht gefunden. Stattdessen hat man das Problem an die Astronomen für weitere Messungen zurückgegeben. Die Astronomen haben zu diesem Zweck das internationale Projekt "Dark Energy Survey" (DES) gegründet, welches mit den leistungsstärksten Fernrohren und Kameras unseren Kosmos präzis vermessen soll. (Eine moderne "Vermessung der Welt" nach Kehlmann). Über 400 Wissenschaftler, auch aus Deutschland, beschäftigen sich nun damit, eine hoch aufgelöste Karte unseres Weltalls zu liefern. Dabei sollen 200 Millionen Galaxien und viele Sternexplosionen (Super Novae) vermessen werden. Das Ziel ist, die Geschichte der Expansion unseres Weltalls während der vergangenen zehn Milliarden Jahre experimentell zu bestimmen.
Alle Astrophysiker weltweit blicken gespannt auf diese Ergebnisse und erhoffen sich aus dieser Erkundung der Vergangenheit nun Antworten zur Zukunft unseres Weltalls.
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