Sonntag, 3. Juli 2016

Der BREXIT - in literarischer Nachbetrachtung

Der Austritt der Briten aus der Europäischen Union (EU) - Brexit genannt - ist eine politische Sensation allerersten Ranges. Für die meisten, mich eingeschlossen, kam er vollkommen überraschend. Seit Tagen bemühen sich kundige Leitartikler dieses politische Beben einzuordnen und seine Folgen abzuschätzen - bislang ohne überzeugende Wirkung.

In dieser Not habe ich mich den Dichtern und Denkern zugewandt, welche die Menschen in all ihren Widersprüchen besonders gut kennen und daraus kunstvolle Geschichten und Gedichte verfertigt haben. Dabei bin ich in der griechischen Mythologie fündig geworden, aber auch bei Altvater Goethe und bei Hermann Hesse. Einige dieser Erzeugnisse kann man direkt auf den Brexit übertragen, was im Folgenden versucht werden soll.

Die Büchse der Pandora

In grauer Vorzeit ließ der griechische Göttervater Zeus eine wunderschöne Frau, die Pandora, aus Lehm gestalten und führte sie Epimetheus, dem Bruder von Prometheus, als Gattin zu. Auf letzteren war der Olympier schon seit längerem sauer, weil dieser ihm jüngst das Feuer gestohlen hatte. Als Brautgeschenk brachte Pandora eine kleine, kunstvoll gestaltete Büchse mit, in der alle Plagen dieser Welt versammelt - aber sicher eingedost waren. Diese Büchse sollte die liebreizende Pandora nie, nie, nie öffnen. Wir Irdische wissen seit Evas Zeiten, dass Frauen auf solche Ratschläge nicht hören und so geschah es auch in diesem Fall. Die schöne Pandora öffnete das goldbeschlagene Büchslein und - flugs - entwichen daraus alle Plagen und Übel der Welt, welche die Menschheit seither bis in unsere Zeit schikanieren. Die Erde wurde damit zu einem trostlosen Ort. Das "Goldene Zeitalter", in dem die Menschheit vor Arbeit, Krankheit und Tod verschont blieben, war für immer vorbei.

Es mag etwas hochgegriffen klingen, aber das Entweichen der Briten aus der EU erinnert mich an die mythologische Geschichte der Pandora. Ob es möglich ist, den Geist (von UK) in die Büchse zurückzubringen ist - aus heutiger Sicht - mehr als fraglich. Viel politisches Unheil wurde damit in die Welt gesetzt und Heerscharen von Politikern werden sich viele Jahre anstrengen müssen, um die politische Lage wieder zu stabilisieren.

Der Zauberlehrling

Wenn man das derzeitige Tohuwabohu im Vereinigten Königreich Großbritannien betrachtet, dann wird man auch an Goethes Ballade "Der Zauberlehrling" erinnert. In rhythmischer Form wird dort beschrieben, wie die Kleingeister - eben die Lehrlinge - die Dinge durcheinander bringen, wenn der Chef außer Haus ist:

Hat der alte Hexenmeister
sich doch einmal wegbegeben!
Und nun sollen seine Geister
auch nach meinem Willen leben...

Es fällt nicht schwer, in David Cameron den Zauberlehrling zu erkennen, welcher ohne Not die verhängnisvolle Volksabstimmung zum Austritt aus der EU angezettelt hat. Ein weiterer Kleingeist seines Kalibers ist der strubbelige Blondschopf Boris Johnson, einstmals immerhin Bürgermeister der Finanzmetropole London. Im Gedicht ist es ein alter Besen, der zum Wasserholen geschickt wird:

Walle, walle
manche Strecke,
dass zum Zwecke
Wasser fließe
und mit reichem, vollem Schwalle
zu dem Bade sich ergieße.

Aber die Sache geht schief. In London, weil das Wahlvolk die Heilsversprechungen des Brexit von Johnson nun tatsächlich einfordert, dieser aber nicht liefern kann und in der Ballade, als der Zauberlehrling ob der Wasserflut stöhnt:

Herr, die Not ist groß!
Die ich rief, die Geister
werd ich nun nicht los...

Zum Schluss wendet sich - zumindest bei Goethe - alles wieder zum Guten, als der zurückgekehrte Hexenmeister die erlösenden Worte spricht:

"In die Ecke,
Besen, Besen!
Seids gewesen.
Denn als Geister
ruft euch nur zu seinem Zwecke,
erst hervor der alte Meister".

In (Groß- bzw. Klein-) Britannien, wo sich Cameron und Johnson inzwischen aus dem Staube gemacht haben, wartet man noch auf den Meister. Oder die Meisterin.

Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne

Kurz nach dem Brexit-Referendum schien es, als wollten die Briten sofort aus der EU aussteigen. Davon ist, nur eine Woche später, keine Rede mehr. Im Gegenteil: aus der Kakaphonie der Statements kann man sogar heraushören, als wollten die Insulaner den Exit um Wochen - wenn nicht  um Monate, oder gar Jahre - verschieben. Vielleicht würde man den voreiligen Beschluss sogar ganz kassieren wollen, was aber kaum geht, denn: "Volkes Stimme, ist Gottes Stimme". (Wobei mir der vulgär-lateinische Spruch in den Sinn kommt: vox populi, vox Rindvieh).

In diese verquere Situation passt ein lyrisches Gedicht des Schriftstellers Hermann Hesse. Er hat es 1941, nach einer langen Krankheit geschrieben und zuerst unter dem Titel "Transzendieren" veröffentlicht. Heute heißt es, etwas banal, "Stufen" und beschreibt das menschliche Leben als einen fortwährenden Prozess, bei dem auf jedem durchschrittenen Lebensabschnitt (Stufe, Raum) ein neuer Abschnitt folgt. Für die sich anbahnenden Zeitläufte, angesichts der britischen Hängepartie, scheint es mir einigen Trost zu spenden.

Stufen

Wie jede Blüte welkt und jede Jugend
dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,
blüht jede Weisheit auch und jede Tugend
zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.

Es muss das Herz bei jedem Lebensrufe
bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
in andere, neue Bindungen zu geben.

Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.   

Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
an keinem wie an einer Heimat hängen,
der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
er will uns Stuf´ um Stufe heben, weiten.

Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen,
nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.

Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
uns neuen Räumen jung entgegen senden,
des Lebens Ruf an uns wird niemals enden...
Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde.

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