Wer mit dem Auto durch Karlsruhe fahren möchte, muss starke Nerven haben. Seit Jahren ist die Innenstadt allerorten durch Baustellen, Zäune und Absperrungen blockiert, bei deren Umfahrung selbst das Navi nur bedingt helfen kann. Es sind die dauernd wechselnden monströsen Ausschachtungen der geplanten U-Bahn, welche die Autofahrer seit einem halben Dutzend von Jahren fast zur Raserei bringen.
Der offizielle Name für das Karlsruher U-Bahn-Projekt heißt "Kombilösung". Damit ist bereits angedeutet, dass es sich um eine Kombination von verschiedenen Vorhaben handelt, nämlich der U-Bahn unter der zentralen Kaiserstraße und dem Umbau der parallelen Kriegsstraße. Die U-Bahn hat eine Länge von zweieinhalb Kilometern zwischen Mühlburger und Durlacher Tor mit einem Südabzweig am Marktplatz. Sie soll die Kaiserstraße zukünftig verkehrsfrei halten und wieder zu einer eleganten Flanierstraße für Fußgänger machen. Beim zweiten Vorhaben wird ein Tunnel unterhalb der Kriegsstraße den Autoverkehr aufnehmen, womit oberirdisch Raum geschaffen werden soll für eine Straßenbahntrasse zwischen Radwegen und Baumalleen - aber ohne Laufgeschäfte längsseit. Eine Kateridee!
Schematische Verkehrsskizze der Kombilösung zwischen Kaiserstraße und Kriegsstraße
Im Vorfeld des Bürgerentscheids im Jahr 2002 wurden die Gesamtkosten der Kombilösung mit 380 Millionen Euro für den Stadtbahntunnel und mit 150 Millionen für die Kriegsstraße, also zusammen auf 530 Millionen Euro abgeschätzt. Die Finanzierung sollte mit 60 Prozent vorrangig durch den Bund erfolgen, 25 Prozent wollte das Land beisteuern; den Rest von 15 Prozent, also etwa 57 Millionen Euro, sollten die Karlsruher Verkehrsbetriebe, eine Tochterfirma der Stadt, übernehmen. (Bei dieser Kostenkalkulation waren - das zeigt sich heute - entweder Nichtskönner oder Schönrechner am Werk). Die Terminplanung sah den Projektbeginn zum Jahr 2010, die Inbetriebnahme des Stadtbahntunnels 2016, die Fertigstellung des Kriegsstraßentunnels und der darüber liegenden Straßenbahntrasse im Jahr 2019 vor. Zur Abwicklung des Projekts Kombilösung war vorher schon die
Karlsruher Schieneninfrastruktur-Gesellschaft (KASIG) als Tochtergesellschaft der Stadt Karlsruhe gegründet worden. KASIG sollte als Bauherr agieren und das Projekt managen - ungeachtet der finanziellen Gesamtverantwortung der Stadt. Vorsitzender des KASIG-Aufsichtsrats ist der Karlsruher Oberbürgermeister Dr. Frank Mentrup.
Der Bundesrechnungshof legt sich quer
Inzwischen ist das Jahr 2016 angebrochen, aber die U-Strab unter der Kaiserstraße ist noch längst nicht in Betrieb. Im Gegenteil, die Karlsruher Innenstadt ist an allen Ecken und Enden regelrecht demoliert und die Bürger kochen vor Wut. Der KASIG-Chef Uwe Konrath konnte bei einem kürzlichen Interview in der regionalen Zeitung BNN noch nicht einmal einen Termin zur Fertigstellung dieser Trasse nennen. Selbst auf den
Beginn der Arbeiten für die Kriegsstraße wollte er sich nicht festlegen lassen. Bautechnisch versierte Beobachter der Karlsruher Kombi-Szene glauben, dass die U-Strab frühestens 2020, der Autotunnel Kriegsstraße erst 2022 oder später (oder überhaupt nicht, siehe unten!) gebaut wird. Die Gesamtkosten für die Kombilösung sind inzwischen bei 900 Millionen Euro angelangt und werden sicherlich bald die Milliardengrenze übersteigen.
Bezeichnend für die "Stimmung" bei KASIG ist, dass Gerhard Schönbeck, der Vorgänger von Konrath, welcher das Projekt U-Strab und Kombilösung über 16 Jahre hinweg als Projektleiter führte, im Februar 2009 freiwillig seinen Job aufgegeben hat. Stattdessen zog er sich ins städtische Tiefbauamt zurück, wo er sich mit dem (relativ minoren) Posten des stellvertretenden Amtschef begnügte. (Sollte auch Konrath hinwerfen, dann stünde sein Vize Frank Nenninger bereit).
Die Kostensteigerungen beim Kombi-Projekt haben die Stadtverwaltung sowie den Gemeinderat aufgeschreckt. Derzeit ist eine regelrechte "Spar-Orgie" im Gange, bei der aber bisher nur 25 bis 30 Millionen Euro für jedes der Jahre 2017 und 2018 herausgekommen sind. Trotzdem ist das Wehklagen über die Jahresetat-Kürzungen beim Theater (470.000 Euro) und beim Museum ZKM (177.000 E) groß. Ansonsten will man u. a. die Steuern und Gebühren erhöhen und bei den Freizeitpädagogen an den Schulen streichen. Die dringend notwendige - und eigentlich bereits fest eingeplante - Sanierung des Staatstheaters kann man unter diesen Umständen mal locker um zwanzig Jahre aufschieben. Gleiches gilt für die Neubauten der Kunsthalle.
Diese Woche erreichte die Karlsruher Kombistrategen eine eiskalte Dusche aus Bonn. Der dort ansässige Bundesrechnungshof (BRH), welcher alle Projekte des Bundes auf ihre Wirtschaftlichkeit hin überprüft, stellte in einem ausführlichen Gutachten fest, dass das Bauvorhaben Kriegsstraße - einschließlich des Südabzweiges (!) - nicht förderungswürdig ist. Angeblich überstiege der spätere Nutzen die vorherigen Kosten nicht, beziehungsweise nur marginal. Somit sollten diese Teilstücke der Kombilösung vom Bundesverkehrsministerium nicht bezuschusst werden. Offensichtlich zieht der BRH damit eine finanzielle Bremse, nachdem einige städtische Projekte (wie der Berliner Flughafen und die Hamburger Elbphilharmonie) in den letzten Jahren massiv aus dem Ruder gelaufen sind und dem Steuerzahler viel Geld gekostet haben.
Baustelle der Tunnelhaltestelle am Europaplatz (2012)
Die Konsequenzen aus dieser Entscheidung des Bundesrechnungshofes sind fatal. Es gibt nur wenige
Handlungsoptionen für die Stadtverwaltung. Eine
Selbstfinanzierung des Teilprojektes Kriegsstraße, welches inzwischen den Kostenstand von 225 Millionen Euro erreicht hat, ist für Karlsruhe nicht zu stemmen. Außerdem verbietet die im Jahr 2020 verpflichtend einsetzende Schuldenbremse einen solchen Kraftakt. Die andere Option, nämlich
Verzicht auf den Ausbau der Kriegsstraße, würde bedeuten, dass zukünftig in der Kaiserstraße nicht nur unterirdisch U-Bahnen, sondern auch oberirdisch Straßenbahnen fahren würden. Aus wäre es mit der Flaniermeile für die Shopper! Die dritte Option, nämlich
Aufrechterhaltung der bisherigen Planungen in der Hoffnung Minister Dobrindt und den BRH von deren Sinnhaftigkeit zu überzeugen, ist ein hartes Stück Arbeit für die zuständigen Karlsruher Bürgermeister. Mit Sicherheit wird es viel Zeit in Anspruch nehmen, während der die Angebotsbindefristen der Baugewerke ablaufen würden. Nach den bisherigen Reaktionen ist die Stadtverwaltung und der Oberbürgermeister Dr. Mentrup willens, den letztgenannten Weg zu beschreiten.
Die wichtigsten Personen
Das Desaster Kombilösung ist nicht vom Himmel gefallen. Prominente Funktionsträger in der Stadtverwaltung (sicherlich integer und in bester Absicht) haben - vor und nach der Vertragsunterzeichnung im Jahr 2010 - daran mitgewirkt. Sie können nicht aus der Verantwortung entlassen werden. Ein großes Maß an "Schuld" trägt auch der 48-köpfige Gemeinderat, welcher stets im Besitz der erforderlichen Unterlagen war, aber das Projekt nicht streng genug kontrolliert hat.
Dieter Ludwig, studierter Bauingenieur, war über dreißig Jahre hinweg in wichtigen Positionen verantwortlich für den Karlsruher Schienennahverkehr sowie für die KASIG. Sein Einfluss auf die städtischen Investitionsentscheidungen in diesem Feld ist kaum zu überschätzen; Ludwig galt als "Straßenbahnpapst". Leider war er - im Gegensatz zu seinem vatikanischen Kollegen - nicht unfehlbar. Dieter Ludwig sind mindestens zwei dicke Fehlentscheidungen anzulasten, die direkt zu dem Schlamassel geführt haben, in denen sich das Karlsruher Kombiprojekt derzeit befindet.
Fehler eins: er dehnte das Streckennetz viel zu weit aus; die S-Züge nach Heilbronn, Sinsheim, Achern, Freudenstadt etc. waren nur selten voll ausgelastet und trugen damit erheblich zum Defizit der städtischen Verkehrsbetriebe bei.
Fehler zwei: Ludwig führte zu viele Bahnen über die Kaiserstraße, was dort zu Verkehrsverstopfungen führte und bei den Laien den Gedanken an eine U-Bahn aufkommen ließ - was vielleicht sogar Ludwigs Absicht war. Hätte man diese meist überlangen S-Züge in südlicher Richtung über den Hauptbahnhof oder die Baumeisterstraße geführt, oder hätte man sie am Durlacher bzw. Mühlburger Tor entladen, dann wäre diese Stausituation in der Innenstadt gar nicht erst entstanden.
Während seiner Dienstzeit ist der monomanische Tiefbauer Ludwig zwei Mal mit einem komplett ausgearbeiteten Entwurf für eine U-Bahn an die Karlsruher Öffentlichkeit getreten. Das erste Mal 1996, als er vorschlug unter der Kaiserstraße zwei Röhren in unterschiedlicher Tiefe zu bauen mit einem Südabzweig am Marktplatz entsprechend einem Kostenvolumen von 390 Millionen DM. Der zweite Entwurf im Jahr 2002 entsprach ziemlich genau der jetzigen Kombilösung.
Heinz Fenrich, der von 1991 bis 98 als Bürgermeister, danach bis 2013 als Oberbürgermeister agierte, hat Ludwig während seiner gesamten Amtszeit voll unterstützt und dessen nicht selten unausgegorenen Ideen politisch zu leichtfertig umgesetzt. Das gilt beispielsweise für den ersten (oben genannten) U-Bahn-Entwurf mit zwei Röhren, den er durchzuboxen versuchte, obwohl sich bald eine lautstarke Bürgerinitiative "Stoppt den Stadtbahntunnel" dagegen gebildet hatte. Fenrich, ausgebildeter Finanzwirt und standhafter Reserveoffizier, trieb es bis zum Bürgerentscheid am 20. Oktober 1996, bei dem Ludwigs Konzept schließlich mit 67,6 Prozent Gegenstimmen krachend durchfiel. Mit ausschlaggebend war wohl, dass Ludwig am Marktplatz einen Bahnsteig 22 Meter unter der Erde vorsah, was den Karlsruhern denn doch zu tief erschien.
Mehr Glück hatte das Duo Fenrich/Ludwig mit dem zweiten Konzept, gegen das sich auch Widerstand in der Bürgerschaft gebildet hatte. Diesmal war man jedoch erfolgreich. Zusammen mit der Bundestagswahl 2002 wurde die Kombilösung den Karlsruhern am 22. September vorgelegt und diese stimmten diesmal mit 55 Prozent dafür. Möglicherweise entscheidend war, dass man den Stimmbürgern auf dem Wahlzettel eine
schienenfreie Fußgängerzone zwischen Europaplatz und Kronenplatz zugesichert hatte. Hiermit steht die Stadtverwaltung in der Verpflichtung; derzeit sieht es nicht so aus, als könne sie ihr Versprechen gegenüber den Bürgern halten.
Fenrich und sein KASIG-Chef Ludwig (bis 2006) brauchten noch bis zum Jahr 2010, um die Kombilösung vertragsreif zu machen. Mehrfach wurde der für die staatliche Förderung so wichtige Nutzen-Kosten-Indikator bestimmt und zuletzt auf mickrige 1, 12 festgelegt. In den Leserbriefforen der Zeitungen wurde immer wieder hinterfragt, welche Mehrkosten beim U-Bahnbetrieb gegenüber dem oberirdischen Betrieb entstehen. Man schätzt sie auf 30 Millionen Euro pro Jahr - ohne, dass es dafür eine offizielle Bestätigung gibt. Die Adaption der vorhandenen Bahnen auf den Tunnelbetrieb könnte nochmals 40 Millionen Aufwand verursachen. Im Dezember 2008 wurde endlich der Bewilligungsbescheid für den Förderantrag erteilt, im Januar 2010 erfolgte der erste Spatenstich und im Februar des gleichen Jahres kam es zum ersten Bauauftrag in Höhe von 300 Millionen Euro an das österreichische Unternehmen
Alpine Holding, welches den Bieterwettbewerb gewonnen hatte. Im Juni 2013 musste diese Firma Insolvenz anmelden, was sich schon vorher in Zeitungsartikeln andeutete. (Insofern war die Auftragsvergabe an dieses Unternehmen möglicherweise voreilig, zumindest aber unbedacht). Am 28. Februar 2013 wurde Heinz Fenrich als Ehrenbürger der Stadt Karlsruhe in den Ruhestand verabschiedet.
Michael Obert, ehemals Fraktionsführer der FDP, wurde im Oktober 2008 zum Baubürgermeister der Stadt Karlsruhe gewählt. Dort ist er für die Bereiche Planen, Bauen, Immobilienmanagement - und Zoo - zuständig. Obert ist Jurist und war vorher mehr als zwanzig Jahre lang für die Rentenversicherung in Baden-Württemberg tätig. Darüber hinaus war Obert viele Jahre Amateurschauspieler im Jakobustheater und aktiver Fastnachter. Über seinen Input in das Baugeschehen der Kombilösung ist öffentlich wenig bekannt.
Im Herbst läuft die achtjährige Amtsperiode von Michael Obert aus und die SPD wäre eigentlich an der Reihe gewesen, einen eigenen Bewerber zu benennen. Sie hat darauf verzichtet, denn kein qualifizierter Kandidat gab sich zu erkennen. Nicht einmal der aus dem Landtag ausgeschiedene ehemalige Abgeordnete Johannes Stober war an diesem 100.000-Euro-Posten interessiert, um den man sich früher geschlagen hätte. So bat man Obert seinen Job weitere zwei Jahre lang bis zu seinem 65. Geburtstag auszuüben - ungeachtet des Zitats von George Bernard Shaw:
Hüte dich vor alten Männern, denn sie haben nichts mehr zu verlieren.
Gabriele Luczak-Schwarz, 54, ist seit Oktober 2014 Finanz- und Wirtschaftsbürgermeisterin der Stadt Karlsruhe. Sie wurde von der CDU dorthin entsandt, deren Fraktionsvorsitzende sie sechs Jahre lang war. Als Juristin war sie in einigen Stabsstellen des Innen-und Umweltministeriums in Baden-Württemberg tätig, bis sie als Abteilungsleiterin an die Karlsruher
Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz versetzt wurde. In dieser (relativ kleinen) Behörde war sie zuständig für die "Zentralen Dienste".
Als Nachfolgerin der überaus populären und kenntnisreichen Finanzbürgermeisterin Margret Mergen trägt die neue Amtsinhaberin eine schwere Last. Zum einen, wegen des städtische Etats von über einer Milliarde Euro; zum anderen, wegen der finanziellen Schieflage des Kombiprojekts. Die Sicherstellung der weiteren Projektförderung durch den Bund ist ihre vorrangige Aufgabe, woran sie gemessen werden wird. Dabei sind vor allem die kürzlich geäußerten Bedenken des Bundesrechnungshofs schnellstens aus dem Weg zu räumen. Man wird sehen, ob ihr das gelingt. Andernfalls droht der Stadt die finanzielle Katastrophe
Dr. Frank Mentrup, 52, ist seit 1. März 2013 Oberbürgermeister der Stadt Karlsruhe. Mentrup ist studierter Mediziner und Facharzt für Psychiatrie. Er arbeitete fast zwei Jahrzehnte lang u. a. am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim und in der Kinder- und Jugendpsychiatrie der Klinik Karlsruhe. Etwas überspitzt könnte man sagen, dass der neue OB für die derangierte Situation bei der Karlsruher U-Bahn fachlich gut ausgebildet ist.
In seiner Eigenschaft als OB und Vorsitzender des Aufsichtsrats der Kombilösung trägt er die Gesamtverantwortung für das Gelingen dieses Projekts. Bei den übrigen Mitgliedern des Kombi-Aufsichtsrats sind deren fachliche Fähigkeiten nicht auf dem ersten Blick erkennbar. Immerhin ist ein ehemaliger (dänischer) Grönlandminister unter dieser illustren Schar. Geklärt werden sollte auf alle Fälle, ob für die Bauarbeiten ein
umfassender Bewilligungsbescheid vorhanden war. Wenn nicht, dann kann das nur das Versehen von Fenrich oder Mentrup sein. In jedem Fall ein unverzeihlicher professioneller Fehler.
Man möchte Dr. Mentrup Glück und Erfolg für seine anspruchsvolle Tätigkeit in Karlsruhe wünschen. Etwas irritierend für die hiesige Bevölkerung ist allerdings eine kürzliche Nachricht in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, wonach sich unser OB um den Landesvorsitz der SPD in Stuttgart bewirbt.