Sonntag, 29. Mai 2016

Wischi-Waschi bei Solaranlagen

Die Freunde der Energiewende - eine Spezies, die im Abnehmen ist - werden es mit Genugtuung registriert haben: die in Deutschland installierte Erzeugungsleistung für Wind- und Sonnenstrom ist inzwischen bei 86 Gigawatt (GW) angekommen. Die Solaranlagen tragen 40 GW bei, die Windräder 46 GW. An einem sonnigen Tag mit frischem Wind ist die regenerative Stromeinspeisung deutlich höher als der maximale Bedarf für die gesamte deutsche Volkswirtschaft.

Am vergangenen 8. Mai, einem wunderschönen Frühlingssonntag, war es wieder einmal so weit: Sonne und Wind ballerten die Netze mit Strom voll und die Netzbetreiber mussten schnell handeln.  Satte 352 Gigawattstunden (GWh) waren zu viel im Angebot. Das ist eine beachtliche Energiemenge, denn ein großes Kernkraftwerk muss dafür 15 Tage ununterbrochen in Betrieb sein. Da gerade Muttertag war, sollte der Strom (zumeist) ins Ausland verschenkt werden. Aber die Beschenkten wollten anfangs dieses Präsent gar nicht annehmen. So mussten die Strommanager noch 21,3 Millionen Euro in bar dazu legen, damit ihr Überschussstrom überhaupt abgenommen wurde. 

Dieser Irrsinn wird noch eine Zeitlang anhalten und dem privaten deutschen Stromkunden hohe Kosten aufhalsen. Denn der Ausbau der Stromnetze kommt nicht voran und ihre (teilweise) unterirdische Verlegung wird sehr teuer sein. Das hat auch zur Folge, dass die EEG-Umlage von derzeit 6,3 Cent je Kilowattstunde im nächsten (Wahl-) Jahr weiter klettern wird. Allein schon wegen der stark fallenden Großhandelsstrompreise. Denn merke: je tiefer die Strompreise an der Börse fallen, desto höher steigt die Umlage! Verstanden? (Falls nein, Gabriel fragen.)

Frühjahrsputz: der Dreck muss weg

Damit der Sonnenstrom in geplanter Höhe erzeugt wird und die staatliche Einspeisung die Kasse füllt, muss zuerst mal "Frühjahrsputz" betrieben werden. Und zwar sowohl bei dem Besitzer einer kleinen häuslichen Solaranlage als auch bei dem "Kapitalisten" einer großen Freiflächenanlage. Das aber sei voraus geschickt: mit ein bisschen "Wischi-Waschi" ist es dabei keineswegs getan!

Photovoltaik- und Solarthermieanlagen sind 24 Stunden am Tag der Witterung ausgesetzt. Dabei wirken nicht nur Regen, Wind, Schnee und Sonne auf die Module ein - auch Verschmutzungen durch Luftstaub, Vogelkot oder Baumlaub können Solarpanels auf die Dauer beträchtlich zusetzen. Am Übergang zwischen Rahmen und Glas nistet sich besonders gerne Schmutz ein, ja, hier können sich im Laufe der Zeit sogar Moose und Flechten ansiedeln.

Immer wieder wird auf den Selbstreinigungseffekt von Regen und Schnee verwiesen. Dies ist jedoch kaum mehr als ein Verkaufsargument. Unbestritten hilft ein heftiger Regenguss bei der Reinigung, aber in der Sonne festgebackene Verunreinigungen lassen sich damit nicht entfernen. Darüber hinaus hängt dieser Reinigungseffekt von der Dachkonstruktion ab; unter 12 Grad Neigung ist er kaum spürbar. Im Durchschnitt wird man im ersten bis dritten Jahr nach der Inbetriebnahme feststellen können, dass der Ertrag der Solaranlage wegen Verschmutzung sich um 6 bis 15 Prozent mindert. In extremen Fällen können es bis zu 35 Prozent sein.

Inzwischen gibt es mehrere hundert Firmen, die sich professionell mit der Reinigung von Solaranlagen beschäftigen. Sie kennen die Vorgaben der Modulhersteller, wie etwa: Reinigung mit kalkfreiem Reinstwasser, Nutzung von tensidfreien Reinigungsmitteln und Wahrung von maximal 20 Grad Temperaturunterschied zwischen Wasser und Panel. Die Einhaltung dieser Kriterien ist deshalb so wichtig, weil man sonst die Gewährleistungs- und Garantieleistungen des Herstellers verlieren kann. Naturgemäß schwanken die Preise der Reinigungsfirmen. Für die professionelle Reinigung einer 15 kWp-Anlage auf einem Einfamilienhaus muss man mit ca. 350 Euro einschließlich Anfahrt rechnen. Wird eine Hubbühne benötigt, so können nochmals 400 Euro hinzu kommen. Die Preise hängen auch davon ab, wie gut oder schlecht die Solaranlage zugänglich ist und ob sie vom Boden aus oder nur vom Dachfirst erreichbar ist.

Dachreinigung mit fahrbarer Hubbühne

Selbst ist der Mann - aber Vorsicht!

Natürlich kann man die Reinigung der eigenen Solaranlage auch selbst vornehmen. Keinesfalls sollte man aber einfach mit dem Gartenschlauch darauf spritzen, denn Leitungswasser enthält zumeist viel Kalk nebst anderen schädlichen Salzen. Dadurch kommt es zu Schlierenbildung und die Sonne brennt die Kalkreste zudem noch ein. Jede Hausfrau kennt dieses Problem vom Fensterputzen. In Baumärkten werden bereits Heimwerkersets angeboten, welche die Entsalzung des Wassers ermöglichen. Außerdem sollte man keine zu harten Bürsten oder Schrubber verwenden, da hierdurch die Glasoberfläche beschädigt werden kann, wodurch die Lichtdurchlässigkeit der Module leidet. Rotierende Reinigungssysteme zerstören nicht selten die Antireflexbeschichtungen; die Folge ist die Blendung der Anwohner oder gar des Luftverkehrs. Wasserführende Teleskopstangen sollten zur Grundausrüstung eines jeden Heimwerkers gehören.

Bevor man sich aber mit Eimer und Schrubber bewaffnet an die Reinigung der teuren Solarkollektoren macht, sollte man das Unfallrisikos dieser Tätigkeit abschätzen - in Verbindung mit dem eigenen Lebensalter! Das Betreten der Panels ist "streng verboten". Zu leicht könnte man abrutschen oder die Glasflächen beschädigen. Und eines sollte man im Gedächtnis behalten:

Beim Reinigen von Solaranlagen sind in den letzten 10 Jahren  weitaus mehr Menschen zu Schaden gekommen als beim Betrieb der deutschen Kernkraftwerke über 40 Jahre hinweg.

Sonntag, 15. Mai 2016

EnBW auf Schrumpfkurs

Die Aktionärsversammlungen des baden-württembergischen Stromgiganten EnBW waren früher so gut besucht, dass in der Stadthalle des Kongresszentrums kaum ein Sitzplatz frei blieb. Das hat sich nach der Energiewende 2011 drastisch verändert. Bei der diesjährigen Hauptversammlung am 10. Mai 2016 waren gut zwei Drittel der Besucherstühle leer, als der Vorstandsvorsitzende Frank Mastiaux mit seinem Vortrag zur Lage des Konzerns begann. Er hatte aber auch wenig Gutes zu verkünden. In geraffter Form möchte ich - als leidgeprüfter Kleinaktionär - über diese Veranstaltung berichten.

Schwache Wirtschaftszahlen:  Die Abschreibungen auf den Kraftwerkspark schlagen weiterhin kräftig auf die Bilanz durch. Volle 950 Millionen Euro betrugen diese Sondereffekte im Jahr 2015 - nach 1,5 Milliarden im Jahr zuvor. Ursächlich dafür sind vor allem die niedrigen Strompreise von ca. 20 Euro pro Megawattstunde, wegen der bevorzugten Einspeisung von Wind- und Sonnenstrom. Vor diesem Hintergrund wäre eigentlich überhaupt keine Dividende für die Aktionäre möglich gewesen. Aber die Unternehmensleitung verkaufte in einer "Gnadenaktion" eine halbe Milliarde an rückgestellten Wertpapieren, was zu einem (fiktiven) Konzernüberschuss von 125 Millionen Euro führte. Daraus wurden pro Aktie 55 Cent Dividende ausgeschüttet. Eine fragwürdige Aktion, dieser Verkauf des Tafelsilbers!
Ein mächtiges Trio (von rechts) : Vorstandsvorsitzender Frank Mastiaux, Technikvorstand Hans-Josef Zimmer, Personalvorstand Bernhard Beck

Aber in einem höheren Sinne war diese Ausschüttung doch berechtigt, denn Vorstand und Aufsichtsrat der EnBW gönnten sich auch einen Schluck aus der (eigentlich leeren) Pulle. Damit stieg Mastiaux´s Gehalt in diesem verlustreichen Jahr um ein Drittel auf nunmehr satte drei Millionen Euro. Seine drei Vorstandskollegen Beck, Kusterer und Zimmer zogen mit und löhnen jetzt gut die Hälfte ihres Chefs. Der für diese Vergütungssprünge hauptverantwortliche Aufsichtsratsvorsitzende Claus Dieter Hoffmann hat sich selbst auch nicht vergessen: sein Jahresgehalt stieg von 81.500 auf nunmehr 98.000 Euro. Und auch "einfache" Mitglieder der zwanzigköpfigen Aufsichtsgremiums - wie Nils Schmidt,  der ehemalige baden-württembergische Finanz- und Wirtschaftsminister, sowie Vorsitzender der Landes-SPD - konnten sich von 43.000 auf 52.000 Euro verbessern.  Da gewinnt der neue Slogan der EnBW: "wir machen das schon", eine ganz neue Bedeutung.

Nils Schmidt ließ sich zum Schluss der Hauptversammlung erneut - für fünf Jahre - in den Aufsichtsrat der EnBW wählen. Eigentlich hat er dafür gar keine Zeit, denn in der wichtigen Vormittagssitzung der Karlsruher Veranstaltung war er gerade mal eine halbe Stunde auf seinem Platz. Ein Kleinaktionär wollte, wegen dieser offenkundigen Missachtung des Gremiums, sogar die Sitzung unterbrechen lassen. Aber der Aufsichtsratschef Hoffmann erlaubte das nicht. Begründung: Restaurant und Toiletten zählen (wegen der Audioübertragung) offiziell zu den Veranstaltungsräumen. Clever!

Der an sich bedächtige (und fast etwas dröge) AR-Vorsitzende Claus Dieter Hoffmann soll bei der Vorbereitung der Aktionärsversammlung sogar von einer "möglichen Pleite" der EnBW gewarnt haben.  Hintergrund für diese Äußerung waren der rasche Rückgang des Eigenkapitals und die bedrohliche Zunahme der Schulden. Hoffmann dementierte erstaunlicherweise nicht, sondern erklärte, dass man sich bei EnBW eben für "worst-case"-Szenarien wappne.

Verlorene Prozesse:  Im Berichtsjahr 2015 war die EnBW in eine Reihe von Prozessen involviert, welche sie zumeist verloren hat. So kämpfte das Unternehmen vor dem Bonner Landgericht um eine Summe von 261 Millionen Euro als Schadensersatz für die Stilllegung einiger Kernkraftwerke im Zuge des Fukushima-Moratoriums. Mit dieser Forderung blitzte die EnBW vor einigen Wochen jedoch ab. Die Richter ließen durchblicken, dass der Konzern daran selbst schuld sei, weil er nicht rechtzeitig Klage erhoben habe. Offensichtlich wollte das Unternehmen, welches sich mehrheitlich im Besitz des Landes befindet, nicht gegen den eigenen Gesellschafter klagen und sich damit bei der eigenen Regierung "unbeliebt" machen. Ohne große Aussicht auf Erfolg hat die EnBW inzwischen Berufung beim Oberlandesgericht Köln eingelegt.

Auch beim Bundesverfassungsgericht Karlsruhe klagt die EnBW um Schadenersatz für ihre stillgelegten Kernkraftwerke. Nach Medienberichten geht es dabei um eine Milliardensumme. Aber im Gegensatz zu den Hauptklägern RWE, E.on und Vattenfall ist die EnBW bei diesem Prozess nur "Beifahrer". Auch hier liegt der Grund darin, dass die EnBW nahezu vollständig im Staatsbesitz ist und vor diesem Senat nur Privatpersonen klagen dürfen.

Seit 2012 klagt das Land Baden-Württemberg gegen einen Deal des früheren Ministerpräsidenten Stefan Mappus. Dieser hatte im Dezember 2010 in einer Nacht- und Nebelaktion die EnBW-Anteile einiger Kraftwerke vom französischen EdF für 4,7 Milliarden Euro zurückgekauft, welche aber später nur noch 3,4 Milliarden wert waren. Die Klage des Landes auf Rückzahlung von 840 Millionen Euro wurde jedoch vom internationalen Schiedsgericht ICC abgelehnt. Mappus fühlt sich nun rehabilitiert.

Schließlich gibt es immer noch den obskuren Dauerstreit zwischen der EnBW und ihrem eigenen Technikvorstand Hans-Josef Zimmer, der bei den jährlichen Hauptversammlungen immer wieder für Erregung sorgt. Die EnBW hat Zimmer im Zusammenhang mit dubiosen Russland-Geschäften auf einen hohen zweistelligen Millionenbetrag verklagt - hält aber weiterhin an ihrem kompetenten und kenntnisreichen Technikexperten fest.  Inzwischen hat sie sogar seinen Anstellungsvertrag bis zum Mai 2021 verlängert. Das verstehe, wer kann!

Der Stand beim KKW Fessenheim:  Bei der Diskussion des Geschäftsberichts wurde im Publikum immer wieder nach den eventuellen Verpflichtungen für das französische Kernkraftwerk Fessenheim gefragt, insbesondere die Rückbaukosten. Ein Vorläufer der EnBW, das Badenwerk, übernahm bekanntlich im Jahr 1972 ca. 17 Prozent der Baukosten dieses Projekts, wofür die Franzosen eine entsprechende Stromlieferung zusagten. Aus technischen Gründen wurde das Recht zum Strombezug im Zuge eines Tausches später an den E.on-Konzern weiterverkauft. Im vergangenen Jahr 2015 haben sich EdF und EnBW vertraglich darüber geeinigt, dass für das deutsche Unternehmen keine Rückbaukosten entstehen werden. Zu den Einzelheiten dieser Übereinkunft wurde Stillschweigen vereinbart, sodass die Aktionäre bei der Hauptversammlung dazu nichts Weiteres erfahren konnten.

Die Verlautbarungen der französischen Regierung über den Zeitpunkt der Abschaltung der beiden Reaktoren Fessenheim sind, gelinde gesagt, widersprüchlich. Mitte September 2012 gab der französische Staatspräsident Francois Hollande bei Amtsantritt bekannt, dass das KKW Fessenheim Ende 2016 stillgelegt werden solle. Zwei Jahre später bestätigte die französische Umweltministerin Segolene Royal, dass "zwei Reaktoren in Frankreich" abgeschaltet würden, sobald das Kernkraftwerk Flamanville mit zwei Blöcken ans Netz gehe. Im September 2015 äußerte Hollande bei einem Interview, dass - wegen der Bauverzögerungen in Flamanville - Fessenheim bis 2018 am Netz bleiben müsse. Inzwischen sind, infolge erheblicher technischer Probleme in Flamanville, die Inbetriebnahmetermine für dieses Projekt seriös nicht zu benennen.

Die Energieerzeugung schrumpft:  Bedenklich für den zukünftigen Geschäftsbetrieb der EnBW ist die Tatsache, dass die eigene Stromerzeugung ständig schrumpft. Vor der Energiewende hatte das Unternehmen noch ein Energieerzeugungsporfolio von 15.771 Megawatt (MW). Es setzte sich zusammen aus: konventionelle Kraftwerke (mit 7.240 MW), Kernkraftwerke (4.846 MW), Laufwasser- und Speicherkraftwerke (3.510 MW) sowie erneuerbaren Energien (175 MW).


Im Jahr 2015 ist die Stromerzeugungskapazität bei EnBW bereits auf 13.000 MW geschrumpft, entsprechend dem obigen Balkendiagramm. Und dieser Prozess wird weiter gehen, denn in wenigen Jahren sind auch die restlichen Kernkraftwerke qua Gesetz abzuschalten. Auch die konventionellen Kraftwerke, fast allesamt auf Kohlebasis, werden sich reduzieren, da der politische Druck auf die Verbrennung der fossilen Stoffe (wegen Klima etc.) wächst. Längerfristig übrig bleiben 3 - 4.000 MW an Kapazität aus den Wasserkraftwerken. Und die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien, welche derzeit mickrige 700 MW ausmacht. Sie wird in Zukunft nur zögerlich ansteigen, da dem EnBW die Investitionsmittel zum Ausbau dieser Energieträger fehlen. Deutlich wird das an den Windparks in der Ostsee. Sie wurden bereits zur Hälfte an Finanzfonds verkauft, da die EnBW zu wenig Geld in der Kasse hat. In realiter ist die EnBW mehr ein Projektierer als ein Betreiber von Windparks. Man kann ohne Risiko vorhersagen, dass bei der EnBW der Rückgang der Stromerzeugung bei Kernkraft und Kohle bei weitem nicht kompensiert werden wird durch den Zubau bei Wind und Sonne.

Trüber Ausblick:   Das Unternehmen EnBW geht einen schweren Weg. Es verliert - aus politischen Gründen - die hauptsächlichen Gewinnbringer Kohle und Kernkraft. Zum Ausbau der (wenig zuverlässigen) Energieträger Sonne und Wind fehlt ihm das Investitionskapital. Das wird, aus heutiger Sicht, den Konzern erheblich schrumpfen lassen. Vielleicht auf die Größe eines mittleren Stadtwerks oder zu einem bloßen Stromhändler.

Aber es kann noch schlimmer kommen. Durch die geplante Umrüstung aller Verbrauchsstellen auf "intelligente Zähler", bekommen die Kommunikationsanbieter Zugriff auf die Verbrauchsdaten. Schon steht Telekom startbereit, um als "Gateway-Administrator" zu dienen. Denn:

Wenn Airbnb heute der größte Zimmervermieter ohne eigene Zimmer ist, wenn Uber das größte Taxiunternehmen ohne Taxis ist, wer sagt dann eigentlich, dass nicht irgendein Kommunikationsunternehmen bald der größte Stromanbieter ist - ohne jede eigene Erzeugung, ohne eigenes Netz und ohne Systemverantwortung für die Stromversorgung?

Sonntag, 8. Mai 2016

Karlsruher U-Bahn: eine Laienschar am werkeln.

Wer mit dem Auto durch Karlsruhe fahren möchte, muss starke Nerven haben. Seit Jahren ist die Innenstadt allerorten durch Baustellen, Zäune und Absperrungen blockiert, bei deren Umfahrung selbst das Navi nur bedingt helfen kann. Es sind die dauernd wechselnden monströsen Ausschachtungen der geplanten U-Bahn, welche die Autofahrer seit einem halben Dutzend von Jahren fast zur Raserei bringen.

Der offizielle Name für das Karlsruher U-Bahn-Projekt heißt "Kombilösung". Damit ist bereits angedeutet, dass es sich um eine Kombination von verschiedenen Vorhaben handelt, nämlich der U-Bahn unter der zentralen Kaiserstraße und dem Umbau der parallelen Kriegsstraße. Die U-Bahn hat eine Länge von zweieinhalb Kilometern zwischen Mühlburger und Durlacher Tor mit einem Südabzweig am Marktplatz. Sie soll die Kaiserstraße zukünftig verkehrsfrei halten und wieder zu einer eleganten Flanierstraße für Fußgänger machen. Beim zweiten Vorhaben wird ein Tunnel unterhalb der Kriegsstraße den Autoverkehr aufnehmen, womit oberirdisch Raum geschaffen werden soll für eine Straßenbahntrasse zwischen Radwegen und Baumalleen - aber ohne Laufgeschäfte längsseit. Eine Kateridee!


Schematische Verkehrsskizze der Kombilösung zwischen Kaiserstraße und Kriegsstraße

Im Vorfeld des Bürgerentscheids im Jahr 2002 wurden die Gesamtkosten der Kombilösung mit 380 Millionen Euro für den Stadtbahntunnel und mit 150 Millionen für die Kriegsstraße, also zusammen auf 530 Millionen Euro abgeschätzt. Die Finanzierung sollte mit 60 Prozent vorrangig durch den Bund erfolgen, 25 Prozent wollte das Land beisteuern; den Rest von 15 Prozent, also etwa 57 Millionen Euro, sollten die Karlsruher Verkehrsbetriebe, eine Tochterfirma der Stadt, übernehmen. (Bei dieser Kostenkalkulation waren - das zeigt sich heute -  entweder Nichtskönner oder Schönrechner am Werk). Die Terminplanung sah den Projektbeginn zum Jahr 2010, die Inbetriebnahme des Stadtbahntunnels 2016, die Fertigstellung des Kriegsstraßentunnels und der darüber liegenden Straßenbahntrasse im Jahr 2019 vor. Zur Abwicklung des Projekts Kombilösung war vorher schon die Karlsruher Schieneninfrastruktur-Gesellschaft (KASIG) als Tochtergesellschaft der Stadt Karlsruhe gegründet worden. KASIG sollte als Bauherr agieren und das Projekt managen - ungeachtet der finanziellen Gesamtverantwortung der Stadt. Vorsitzender des KASIG-Aufsichtsrats ist der Karlsruher Oberbürgermeister Dr. Frank Mentrup.

Der Bundesrechnungshof legt sich quer

Inzwischen ist das Jahr 2016 angebrochen, aber die U-Strab unter der Kaiserstraße ist noch längst nicht in Betrieb. Im Gegenteil, die Karlsruher Innenstadt ist an allen Ecken und Enden regelrecht demoliert und die Bürger kochen vor Wut. Der KASIG-Chef Uwe Konrath konnte bei einem kürzlichen Interview in der regionalen Zeitung BNN noch nicht einmal einen Termin zur Fertigstellung dieser Trasse nennen. Selbst auf den Beginn der Arbeiten für die Kriegsstraße wollte er sich nicht festlegen lassen. Bautechnisch versierte Beobachter der Karlsruher Kombi-Szene glauben, dass die U-Strab frühestens 2020, der Autotunnel Kriegsstraße erst 2022 oder später (oder überhaupt nicht, siehe unten!) gebaut wird. Die Gesamtkosten für die Kombilösung sind inzwischen bei 900 Millionen Euro angelangt und werden sicherlich bald die Milliardengrenze übersteigen.

Bezeichnend für die "Stimmung" bei KASIG ist, dass Gerhard Schönbeck, der Vorgänger von Konrath, welcher das Projekt U-Strab und Kombilösung über 16 Jahre hinweg als Projektleiter führte, im Februar 2009 freiwillig seinen Job aufgegeben hat. Stattdessen zog er sich ins städtische Tiefbauamt zurück, wo er sich mit dem (relativ minoren) Posten des stellvertretenden Amtschef begnügte. (Sollte auch Konrath hinwerfen, dann stünde sein Vize Frank Nenninger bereit).

Die Kostensteigerungen beim Kombi-Projekt haben die Stadtverwaltung sowie den Gemeinderat aufgeschreckt. Derzeit ist eine regelrechte "Spar-Orgie" im Gange, bei der aber bisher nur 25 bis 30 Millionen Euro für jedes der Jahre 2017 und 2018 herausgekommen sind. Trotzdem ist das Wehklagen über die Jahresetat-Kürzungen beim Theater (470.000 Euro) und beim Museum ZKM (177.000 E) groß. Ansonsten will man u. a. die Steuern und Gebühren erhöhen und bei den Freizeitpädagogen an den Schulen streichen. Die dringend notwendige - und eigentlich bereits fest eingeplante - Sanierung des Staatstheaters kann man unter diesen Umständen mal locker um zwanzig Jahre aufschieben. Gleiches gilt für die Neubauten der Kunsthalle.

Diese Woche erreichte die Karlsruher Kombistrategen eine eiskalte Dusche aus Bonn. Der dort ansässige Bundesrechnungshof (BRH), welcher alle Projekte des Bundes auf ihre Wirtschaftlichkeit hin überprüft, stellte in einem ausführlichen Gutachten fest, dass das Bauvorhaben Kriegsstraße - einschließlich des Südabzweiges (!) - nicht förderungswürdig ist. Angeblich überstiege der spätere Nutzen die vorherigen Kosten nicht, beziehungsweise nur marginal. Somit sollten diese Teilstücke der Kombilösung vom Bundesverkehrsministerium nicht bezuschusst werden. Offensichtlich zieht der BRH damit eine finanzielle Bremse, nachdem einige städtische Projekte (wie der Berliner Flughafen und die Hamburger Elbphilharmonie) in den letzten Jahren massiv aus dem Ruder gelaufen sind und dem Steuerzahler viel Geld gekostet haben.


Baustelle der Tunnelhaltestelle am Europaplatz (2012)

Die Konsequenzen aus dieser Entscheidung des Bundesrechnungshofes sind fatal. Es gibt nur wenige Handlungsoptionen für die Stadtverwaltung. Eine Selbstfinanzierung des Teilprojektes Kriegsstraße, welches inzwischen den Kostenstand von 225 Millionen Euro erreicht hat, ist für Karlsruhe nicht zu stemmen. Außerdem verbietet die im Jahr 2020 verpflichtend einsetzende Schuldenbremse einen solchen Kraftakt. Die andere Option, nämlich Verzicht auf den Ausbau der Kriegsstraße, würde bedeuten, dass zukünftig in der Kaiserstraße nicht nur unterirdisch U-Bahnen, sondern auch oberirdisch Straßenbahnen fahren würden. Aus wäre es mit der Flaniermeile für die Shopper! Die dritte Option, nämlich Aufrechterhaltung der bisherigen Planungen in der Hoffnung Minister Dobrindt und den BRH von deren Sinnhaftigkeit zu überzeugen, ist ein hartes Stück Arbeit für die zuständigen Karlsruher Bürgermeister. Mit Sicherheit wird es viel Zeit in Anspruch nehmen, während der die Angebotsbindefristen der Baugewerke ablaufen würden. Nach den bisherigen Reaktionen ist die Stadtverwaltung und der Oberbürgermeister Dr. Mentrup willens, den letztgenannten Weg zu beschreiten.

Die wichtigsten Personen

Das Desaster Kombilösung ist nicht vom Himmel gefallen. Prominente Funktionsträger in der Stadtverwaltung (sicherlich integer und in bester Absicht) haben - vor und nach der Vertragsunterzeichnung im Jahr 2010 - daran mitgewirkt. Sie können nicht aus der Verantwortung entlassen werden. Ein großes Maß an "Schuld" trägt auch der 48-köpfige Gemeinderat, welcher stets im Besitz der erforderlichen Unterlagen war, aber das Projekt nicht streng genug kontrolliert hat.

Dieter Ludwig, studierter Bauingenieur, war über dreißig Jahre hinweg in wichtigen Positionen verantwortlich für den Karlsruher Schienennahverkehr sowie für die KASIG. Sein Einfluss auf die städtischen Investitionsentscheidungen in diesem Feld ist kaum zu überschätzen; Ludwig galt als "Straßenbahnpapst". Leider war er - im Gegensatz zu seinem vatikanischen Kollegen - nicht unfehlbar. Dieter Ludwig sind mindestens zwei dicke Fehlentscheidungen anzulasten, die direkt zu dem Schlamassel geführt haben, in denen sich das Karlsruher Kombiprojekt derzeit befindet. Fehler eins: er dehnte das Streckennetz viel zu weit aus; die S-Züge nach Heilbronn, Sinsheim, Achern, Freudenstadt etc. waren nur selten voll ausgelastet und trugen damit erheblich zum Defizit der städtischen Verkehrsbetriebe bei. Fehler zwei: Ludwig führte zu viele Bahnen über die Kaiserstraße, was dort zu Verkehrsverstopfungen führte und bei den Laien den Gedanken an eine U-Bahn aufkommen ließ - was vielleicht sogar Ludwigs Absicht war. Hätte man diese meist überlangen S-Züge in südlicher Richtung über den Hauptbahnhof oder die Baumeisterstraße geführt, oder hätte man sie am Durlacher bzw. Mühlburger Tor entladen, dann wäre diese Stausituation in der Innenstadt gar nicht erst entstanden.

Während seiner Dienstzeit ist der monomanische Tiefbauer Ludwig zwei Mal mit einem komplett ausgearbeiteten Entwurf für eine U-Bahn an die Karlsruher Öffentlichkeit getreten. Das erste Mal 1996, als er vorschlug unter der Kaiserstraße zwei Röhren in unterschiedlicher Tiefe zu bauen mit einem Südabzweig am Marktplatz entsprechend einem Kostenvolumen von 390 Millionen DM.  Der zweite Entwurf im Jahr 2002 entsprach ziemlich genau der jetzigen Kombilösung.

Heinz Fenrich, der von 1991 bis 98 als Bürgermeister, danach bis 2013 als Oberbürgermeister agierte, hat Ludwig während seiner gesamten Amtszeit voll unterstützt und dessen nicht selten unausgegorenen Ideen politisch zu leichtfertig umgesetzt. Das gilt beispielsweise für den ersten (oben genannten) U-Bahn-Entwurf mit zwei Röhren, den er durchzuboxen versuchte, obwohl sich bald eine lautstarke Bürgerinitiative "Stoppt den Stadtbahntunnel" dagegen gebildet hatte. Fenrich, ausgebildeter Finanzwirt und standhafter Reserveoffizier,  trieb es bis zum Bürgerentscheid am 20. Oktober 1996, bei dem Ludwigs Konzept schließlich mit 67,6 Prozent Gegenstimmen krachend durchfiel. Mit ausschlaggebend war wohl, dass Ludwig am Marktplatz einen Bahnsteig  22 Meter unter der Erde vorsah, was den Karlsruhern denn doch zu tief erschien.

Mehr Glück hatte das Duo Fenrich/Ludwig mit dem zweiten Konzept, gegen das sich auch Widerstand in der Bürgerschaft gebildet hatte. Diesmal war man jedoch erfolgreich. Zusammen mit der Bundestagswahl 2002 wurde die Kombilösung den Karlsruhern am 22. September vorgelegt und diese stimmten diesmal mit 55 Prozent dafür. Möglicherweise entscheidend war, dass man den Stimmbürgern auf dem Wahlzettel eine schienenfreie Fußgängerzone zwischen Europaplatz und Kronenplatz zugesichert hatte. Hiermit steht die Stadtverwaltung in der Verpflichtung; derzeit sieht es nicht so aus, als könne sie ihr Versprechen gegenüber den Bürgern halten.

Fenrich und sein KASIG-Chef Ludwig (bis 2006) brauchten noch bis zum Jahr 2010, um die Kombilösung vertragsreif zu machen. Mehrfach wurde der für die staatliche Förderung so wichtige Nutzen-Kosten-Indikator bestimmt und zuletzt auf mickrige 1, 12 festgelegt. In den Leserbriefforen der Zeitungen wurde immer wieder hinterfragt, welche Mehrkosten beim U-Bahnbetrieb gegenüber dem oberirdischen Betrieb entstehen. Man schätzt sie auf 30 Millionen Euro pro Jahr - ohne, dass es dafür eine offizielle Bestätigung gibt. Die Adaption der vorhandenen Bahnen auf den Tunnelbetrieb könnte nochmals 40 Millionen Aufwand verursachen. Im Dezember 2008 wurde endlich der Bewilligungsbescheid für den Förderantrag erteilt, im Januar 2010 erfolgte der erste Spatenstich und im Februar des gleichen Jahres kam es zum ersten Bauauftrag in Höhe von 300 Millionen Euro an das österreichische Unternehmen Alpine Holding, welches den Bieterwettbewerb gewonnen hatte. Im Juni 2013 musste diese Firma Insolvenz anmelden, was sich schon vorher in Zeitungsartikeln andeutete. (Insofern war die Auftragsvergabe an dieses Unternehmen möglicherweise voreilig, zumindest aber unbedacht).  Am 28. Februar 2013 wurde Heinz Fenrich als Ehrenbürger der Stadt Karlsruhe in den Ruhestand verabschiedet.

Michael Obert, ehemals Fraktionsführer der FDP, wurde im Oktober 2008 zum Baubürgermeister der Stadt Karlsruhe gewählt. Dort ist er für die Bereiche Planen, Bauen, Immobilienmanagement - und Zoo - zuständig. Obert ist Jurist und war vorher mehr als zwanzig Jahre lang für die Rentenversicherung in Baden-Württemberg tätig. Darüber hinaus war Obert viele Jahre Amateurschauspieler im Jakobustheater und aktiver Fastnachter. Über seinen Input in das Baugeschehen der Kombilösung ist öffentlich wenig bekannt.

Im Herbst läuft die achtjährige Amtsperiode von Michael Obert aus und die SPD wäre eigentlich an der Reihe gewesen, einen eigenen Bewerber zu benennen. Sie hat darauf verzichtet, denn kein qualifizierter Kandidat gab sich zu erkennen. Nicht einmal der aus dem Landtag ausgeschiedene ehemalige Abgeordnete Johannes Stober war an diesem 100.000-Euro-Posten interessiert, um den man sich früher geschlagen hätte.  So bat man Obert seinen Job weitere zwei Jahre lang bis zu seinem 65. Geburtstag auszuüben - ungeachtet des Zitats von George Bernard Shaw: Hüte dich vor alten Männern, denn sie haben nichts mehr zu verlieren.

Gabriele Luczak-Schwarz, 54, ist seit Oktober 2014 Finanz- und Wirtschaftsbürgermeisterin der Stadt Karlsruhe. Sie wurde von der CDU dorthin entsandt, deren Fraktionsvorsitzende sie sechs Jahre lang war. Als Juristin war sie in einigen Stabsstellen des Innen-und Umweltministeriums in Baden-Württemberg tätig, bis sie als Abteilungsleiterin an die Karlsruher Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz versetzt wurde. In dieser (relativ kleinen) Behörde war sie zuständig für die "Zentralen Dienste".

Als Nachfolgerin der überaus populären und kenntnisreichen Finanzbürgermeisterin Margret Mergen trägt die neue Amtsinhaberin eine schwere Last. Zum einen, wegen des städtische Etats von über einer Milliarde Euro; zum anderen, wegen der finanziellen Schieflage des Kombiprojekts. Die Sicherstellung der weiteren Projektförderung durch den Bund ist ihre vorrangige Aufgabe, woran sie gemessen werden wird. Dabei sind vor allem die kürzlich geäußerten Bedenken des Bundesrechnungshofs schnellstens aus dem Weg zu räumen. Man wird sehen, ob ihr das gelingt. Andernfalls droht der Stadt die finanzielle Katastrophe

Dr. Frank Mentrup, 52, ist seit 1. März 2013 Oberbürgermeister der Stadt Karlsruhe. Mentrup ist studierter Mediziner und Facharzt für Psychiatrie. Er arbeitete fast zwei Jahrzehnte lang u. a. am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim und in der Kinder- und Jugendpsychiatrie der Klinik Karlsruhe. Etwas überspitzt könnte man sagen, dass der neue OB für die derangierte Situation bei der Karlsruher U-Bahn fachlich gut ausgebildet ist.

In seiner Eigenschaft als OB und Vorsitzender des Aufsichtsrats der Kombilösung trägt er die Gesamtverantwortung für das Gelingen dieses Projekts. Bei den übrigen Mitgliedern des Kombi-Aufsichtsrats sind deren fachliche Fähigkeiten nicht auf dem ersten Blick erkennbar. Immerhin ist ein ehemaliger (dänischer) Grönlandminister unter dieser illustren Schar. Geklärt werden sollte auf alle Fälle, ob für die Bauarbeiten ein umfassender Bewilligungsbescheid vorhanden war. Wenn nicht, dann kann das nur das Versehen von Fenrich oder Mentrup sein. In jedem Fall ein unverzeihlicher professioneller Fehler.

Man möchte Dr. Mentrup Glück und Erfolg für seine anspruchsvolle Tätigkeit in Karlsruhe wünschen. Etwas irritierend für die hiesige Bevölkerung ist allerdings eine kürzliche Nachricht in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, wonach sich unser OB um den Landesvorsitz der SPD in Stuttgart bewirbt.

Sonntag, 1. Mai 2016

Der Abstieg der Internetfirmen Twitter und Yahoo

Es ist bekannt, dass die Technologieaktien aus dem amerikanischen Silicon Valley die Weltbörsen dominieren. An der Spitze liegt das Unternehmen Apple, dessen aktueller Börsenwert derzeit 471 Milliarden Euro beträgt, gefolgt von Google (434) und Microsoft (350). Im erweiterten Feld der Top Ten befinden sich noch Facebook (302) und Amazon (260). Der in früheren Jahren unangefochtene Spitzenreiter Exon Mobil ist wegen der Ölkrise auf Rang 4 abgerutscht, hat aber immer noch einen Wert von 323 Mrd. Euro. Zum Vergleich: das wertvollste deutsche Unternehmen SAP rangiert mit 87 Mrd. weltweit auf Rang 73. Keine chinesische Firma - die sich einst anschickten, die wirtschaftliche Vormachtsstellung der Amerikaner zu durchbrechen - ist noch unter den ersten zehn!

Auch wenn die Internetfirmen auf einer Welle des Erfolgs zu schwimmen scheinen, so darf eines nicht übersehen werden: der Wettbewerb untereinander ist beinhart. Nicht jede "Computerfirma" in San Franzisco und Sunnyvale ist automatisch eine finanzielle Bonanza. Es gibt auch Unternehmen - die weltberühmt sind - welche aber hart gegen den wirtschaftlichen Abstieg kämpfen müssen. Sie werden möglicherweise demnächst von erfolgreicheren Konkurrenten aufgekauft um den Zusammenbruch zu vermeiden. Beispielhaft dafür ist der Kurztextdienst "Twitter" und das Webportal "Yahoo". Beide Unternehmen ringen um ihren Bestand, was im folgenden kurz beschrieben werden soll.

Twitter: die Taube im Sinkflug

Twitter ist eine Kommunikationsplattform zur Verbreitung von kurzen Textnachrichten im Internet. Sie werden Tweets genannt und umfassen maximal 140 Zeichen. Twitter wurde im Jahr 2006 unter dem Namen von "twttr" gegründet und gewann weltweit rasch an Popularität. Den ersten Tweet ("zwitschern") versandte Twitter-Mitgründer Jack Dorsey am 21. März 2006 mit dem Satz: "just getting up my twttr". Seit Juni 2012 gibt es das blaue Twitter-Logo "Larry the bird". Im November 2013 ging die Twitter Inc. an die Börse. Derzeit gibt es ca. 300 Millionen aktive Accounts. Die Jahreseinnahmen betrugen in 2013 (bescheidene) 665 Millionen Dollar.


Das Twitter-Logo:  Larry the bird

Das Unternehmen Twitter gibt Rätsel auf, weil es seit dem Börsengang nicht mehr wächst, sondern allenfalls stagniert. Der miese Ausblick auf das zweite diesjährige Quartal hat die Anleger offensichtlich so verschreckt, dass sie den Aktienkurs prozentual zweistellig fallen ließen. Zeitweise gab es Überlegungen das Textlimit auf 140 Zeichen zu kippen und bis zu 10.000 zu erlauben. Diese Idee hat Firmenchef Dorsey jedoch dementiert. Die Obergrenze von 140 Zeichen pro Tweet geht darauf zurück, dass Twitter bei der Entwicklung vor zehn Jahren zunächst auf SMS-Basis lief. Dieses Fomat hatte sich bei den Onlinekurznachrichtendiensten bereits eingebürgert.

Inzwischen wird die finanzielle Situation bei Twitter dramatisch. Von 2011 bis 2016 verwirtschaftete das Unternehmen einen Verlust von satten 2 Milliarden Dollar. Die Acquisition von Neukunden ist schwierig. Potentielle Nutzer verstehen vielfach nicht, wofür das Angebot von Twitter überhaupt gut sein soll. Menschen, die den Dienst schon einmal ausprobiert haben, wissen oft nicht, wie sie sich inhaltlich einbringen können und wandern wieder ab. Das Management des Unternehmens hat bislang keine zündende Idee, wie sich diese Nachteile beheben lassen. Das führt letztlich dazu, dass die Firma nicht mehr schnell genug wächst, um bei den Börsianern Phantasien zu wecken. Twitter tritt auf der Stelle. Man wird sehen, wo diese Stagnation enden wird.

Yahoo:  akut gefährdet

Eigentlich müsste das global auftretende Webportal Yahoo dort sein, wo sich heute der Konkurrent Google befindet:  nämlich zusammen mit Apple an der Spitze der größten Unternehmen weltweit. Stattdessen ringt Yahoo ums Überleben und steht möglicherweise vor der Zusammenschlagung. Was lief falsch in der nur 22-jährigen Geschichte dieses Unternehmens und was machte Google besser als Yahoo?

Nun, am Anfang war eine knitze Idee und alles lief bestens. Die beiden Doktoranden David Filo und Jerry Yang der amerikanischen Eliteuniversität Stanford machten sich 1994 darüber Gedanken, wie man den Computerlaien dabei helfen könnte, sich im Internet besser zurecht zu finden, welches damals gerade im Aufbau war. Sie legten eine Art Katalog der wichtigsten Webseiten an, den sie zunächst "Jerry and David´s Guide to the World Wide Web" und später dann "Yahoo" nannten. Nur zwei Jahre später ging Yahoo an die Börse und war gleich mehrere hundert Millionen Dollar wert. Das Unternehmen und seine beiden Gründer zählten damit zu den ersten Stars des beginnenden Internetzeitalters.


Das Firmenlogo "Yahoo"

Weitere zwei Jahre später, 1998, machte das Gründer-Duo jedoch einen entscheidenden Fehler, als zwei talentierte junge Männer bei Yahoo vorstellig wurden, erstaunlicherweise ebenfalls Doktoranden der Stanford Universität. Diese beiden, Larry Page und Sergey Brin, wollten Yahoo für ihre neu entwickelte Suchmaschine begeistern. Sie kam - anders als der Yahoo Katalog - beim Durchsuchen des Netzes ohne menschliche Mithilfe aus, sondern nutzte einen Software-Algorithmus. Doch Yahoo lehnte ab und ließ sich damit das Geschäft des Jahrhunderts entgehen.

Kurz darauf gründeten Page und Brin ihre eigene Firma, die sie "Google" nannten. Seit dem Börsengang von Google im Jahr 2004 hat die Google-Aktie mehr als 1.300 Prozent an Wert gewonnen, Yahoo kommt im gleichen Zeitraum zum Zugewinn Null. Während Yahoo, ähnlich wie die Medienkonzerne, eigene Webseiten zu Themen wie Finanzen und Sport kreierten ("Content") geht es bei Google bis heute zuallererst um die Verbesserung der Suchmaschine. Dabei spielte die Relevanz eine entscheidende Rolle: was wichtig ist, muss oben stehen!  Das hat sich bei den Nutzern bald herumgesprochen und führte letztlich zu hohen Werbeeinnahmen.

Yahoo kümmerte sich um diese strategischen Fragen viel zu spät. Stattdessen kaufte die Firma für teures Geld "Tumblr", eine Plattform für Blogs, die weltweit bedeutungslos ist. Demgegenüber erwarb Google schon 2006 Youtube, das beliebteste Videoportal der Welt. Außerdem erkannte Google die neue digitale Welt um das Smartphone viel deutlicher als sein Konkurrent. So überließ Google kostenlos das Handy-Betriebssystem "Android" den Smartphone-Herstellern wie Samsung und sicherte sich damit den Zugang zu den wertvollen Daten von Millionen Handybesitzern.

Inzwischen ist die Situation bei Yahoo so trostlos geworden, dass man einen Ausverkauf (sprich Auktion) der verbliebenen Firmenteile noch in diesem Sommer erwartet. Die Interessenten stehen nicht Schlange. Microsoft, Google, AT&T und andere Giganten haben bereits öffentlich abgewunken. Wahrscheinlich werden die Reste aus dem Webgeschäft und der Mediensparte vom Telekommunikationsunternehmen Verizon übernommen. Man spricht von einem Kaufpreis zwischen vier und acht Milliarden Dollar.

Die Bühne verlassen muss dann auch die derzeitige Firmenchefin Marissa Mayer, die einst von Google abgeworben worden war, die aber in ihrer vierjährigen Arbeit bei Yahoo kein Fortüne hatte. Im wichtigen Anzeigengeschäft konnte sie die Erlöse nicht steigern. Trotzdem: sie fällt nicht ins namenlose Elend. Im Silicon Valley spekuliert man, dass Marissa für ihre angesammelten Aktienoptionen (und vergebliche Bemühungen) die stattliche Abfindungssumme von 55 Millionen Dollar erwarten kann.

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