Mit der Einführung der sogenannten Energiewende ist ein weiteres Phänomen hinzu gekommen, über das sich trefflich streiten lässt: die Glättung des Windstroms. Bei den Bürgerversammlungen zur Durchsetzung von Windkraftprojekten taucht dieses Argument immer wieder auf. Bekanntlich produzieren Windmühlen keinen grundlastfähigen Konstantstrom sondern nur volatilen "Zappelstrom", der die Netzstabilität gefährdet und welcher ohne Subventionierung und gesetzlich erzwungene Einspeisung kaum Käufer finden würde. Von den Windkraftfreaks wird deshalb gerne auf die grundsätzlich mögliche Glättung bzw. Verstetigung dieses Stroms durch Pumpspeicher oder Methangasspeicherung hingewiesen - ohne allerdings hinzuzufügen, dass man zur Absicherung einer nur dreiwöchigen Flaute in Deutschland den gesamten Bodensee um satte 300 Meter hochpumpen müsste. Und, dass bei der Methangasspeicherung die Hälfte der ursprünglichen Energie im Prozess verloren geht.
Lastganglinie (=zeitabhängige Einspeiseleistung) aller deutschen Windenergieanlagen
ab 2010 mit aktuell 30.000 MW Nennleistung
Bei den genannten Werbeveranstaltungen werden die anfänglichen Bedenken des Anlegerpublikums - nach meiner Erfahrung! - in etwa mit folgender "Begründung" zerstreut: Es ist zwar richtig, dass ein einzelnes Windrad nur unsteten Zappelstrom erzeugt - aber, wenn mehrere davon, also ein ganzer Park, in Betrieb sind, dann sieht die Sache ganz anders aus. Denn dann füllen sich, wegen der unregelmäßigen Einspeisung, die Stromtäler immer mehr auf und es entsteht schließlich aus dem Zappelstrom ein wertvoller Konstantstrom. Ergänzend wird noch kurz auf die Expertise von Fraunhofer-Professoren hingewiesen, was die Besucher solcher Veranstaltungen zumeist beruhigt und ihre Investitionsbereitschaft anfacht.
Der Streit der Experten
Ein besonders prominenter Vertreter der Glättungshypothese bei Windstrom ist das Fraunhofer-Institut für Windenergie und Energiesystemtechnik (IWES) in Kassel. In ihrem Windenergie Report Deutschland 2012 behauptete das IWES, dass "man nur durch eine gleichmäßige geografische Verteilung über eine große Fläche eine Glättung der Netzeinspeisung erreicht". Diese frohe Botschaft wurde von vielen Windkraftplanern aufgegriffen, aber auch von den Umweltministern aus fünf rot-grün regierten Bundesländern, darunter Franz Untersteller aus Baden-Württemberg. In deren Positionspapier kann man folgendes nachlesen: "Eine ausreichende räumliche Verteilung reduziert die Volatilität der Windkrafteinspeisung und erhöht damit die Versorgungssicherheit".
Diese Tatarenmeldung forderte kritische Bürgerinitiativen, wie die in Hessen und Rheinland-Pfalz sehr aktive Vernunftkraft heraus. Sie hat ein "förmliches Beschwerdeverfahren" gegen das IWES wegen "wissenschaftlichen Fehlverhaltens" eingereicht und dabei ihre eigene These gegenüber gestellt: "Durch den Zubau an Windkraftanlagen wachsen die Schwankungen des erzeugten Stroms immer weiter an. Das Problem der Volatilität wird mit jeder zusätzlichen Windkraftanlage verschärft".
Der technische Experte der Bürgerinitiative Vernunftkraft, Dr.-Ing. Detlef Ahlborn, hat kürzlich in einem wissenschaftlichen Artikel in den Energiewirtschaftlichen Tagesfragen (Heft 12, 2015), aufgrund mathematisch-statistischer Überlegungen, diese Theorien untermauert. Ahlborn kommt zu dem Schluss, dass die Windeispeisungen der verschiedenen Windräder untereinander korreliert sind und zusätzliche Einspeisungen - also der Bau weiterer Windmühlen - die Varianz der Summeneinspeisung nur vergrößern würde. Dabei bemüht er den fundamentalen Zentralen Grenzwertsatz der Statistik. Die Beschwerde der BI Vernunftkraft ging an den Präsidenten der Fraunhofer Gesellschaft, sowie die beiden Ombudsmänner der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Universität Kassel. Auf deren Erwiderungen darf man gespannt sein.
Man kann nicht bei jedem Menschen vertiefte Kenntnisse in mathematischer Statistik voraussetzen, deshalb sei eine Überlegung, die dem "gesunden Menschenverstand" entspricht, nachgeschoben. Die Windräder werden bekanntlich durch meteorologische Tiefdruckgebiete angetrieben. Diese erstrecken sich in Europa über große Flächen. Die Windverhältnisse in Südhessen sind nahezu identisch mit jenen in Nordhessen. Ja, das Gleiche gilt meist auch für Deutschland und das zentrale Europa. Experimentell lässt sich das beweisen, indem man die Windeinspeisung der Länder Deutschland, Schweden, Polen, Finnland, Frankreich, Spanien, Dänemark, Tschechien und Österreich addiert und in einem Diagramm - wie unten dargestellt - übereinander legt.
Kumulierte Stromerzeugung durch Windkraft, ausgewählte Länder, 1. Quartal 2015
Wer hier eine "Glättung der Netzeinspeisung" erkennt, der sollte einen Facharzt für Augenheilkunde konsultieren.