Sonntag, 28. Februar 2016

Eine Reise zum Schwarzen Loch

Die Deutschen sind Reiseweltmeister. Mancher Abiturient, mit einem 3,1 Examen, bekommt von seinen freudig erregten Eltern, zum Dank für seine Leistungen, nicht selten eine Reise nach Neuseeland geschenkt. Im anschließenden Berufsleben, etwa als Schraubenvertreter, hat er schon bald den ganzen Globus bereist. Es fehlt erkennbar an neuen Reisezielen, unsere gute alte Erde ist uns einfach zu eng geworden - auch wenn wir (kostenfrei!) jedes Jahr mit ihr um die Sonne schippern. Immerhin eine Reise von ca. einer Milliarde Kilometern durch den Weltraum, die in der Regel ohne  Unfälle verläuft und viel zu wenig geschätzt wird.

Neue Reiseziele müssen also her. Unsere Nachfahren in einigen hundert Jahren werden dies noch dringlicher empfinden als wir heutzutage. Vermutlich wird man im Jahr 2516 Ausflüge ins äußere Sonnensystem oder gar in die Tiefen des Universums anbieten. Dort kann man beispielsweise neue Planeten ansteuern. Leider sind diese Exoplaneten zumeist reine Gaskörpern, in die man einsinken und ersticken kann. Oder sie bestehen aus langweiligem Gestein ohne Fauna und Flora, die wegen  fehlender Atmosphäre nur schwer zu bewohnen sind. Nein - ich empfehle unseren Nachgeborenen etwas viel spannenderes: eine Reise zu einem Schwarzen Loch.

Schwarze Löcher können entstehen, wenn ein leuchtender Stern seinen Energievorrat aufgebraucht hat und anschließend implodiert, also aufgrund seines restlichen Gewichts in sich zusammenkracht. (Wie die abgebrannten Holzscheite in einem Kamin). Es entsteht eine Art "kosmisches Abflussrohr": alles was in seine Nähe kommt - ob Materie oder Licht - wird von dem Schwarzen Loch einfach verschluckt. Im Falle unserer Sonne hätte das - vermutlich erst in fünf Milliarden Jahren - entstehende Schwarze Loch einen Restdurchmesser von nur ca. sechs Kilometern; würde man die Erde zu einem Schwarzen Loch verpressen, so kämen sogar nur zwei Zentimeter heraus. Im Innern unserer Heimatgalaxie, der Milchstraße, befindet sich ein geradezu monströses Loch, das die Masse von ursprünglich vier Millionen (!) Sonnen auf die Größe unseres derzeitigen Sonnensystems zusammen presst.


 Schwarzes Loch mit Ereignishorizont
(-sofern man es mit den Augen sehen könnte)

Was genau sich in einem Schwarzen Loch befindet, das weiß niemand wirklich, da man - einmal angezogen - ihm nicht mehr entkommen kann. Allgemein wird dort eine Art "hochverdichtete Energie" vermutet, die eine gigantische Gravitationskraft auf ihre Umgebung ausübt.

Für interstellare Reisen, insbesondere wenn man sie (fast) mit Lichtgeschwindigkeit durchführen möchte, braucht man viel Energie. Mutig unterstellen wir mal, dass in fünfhundert Jahren der Raketenantrieb mit sogenannter Antimaterie zur Verfügung steht. Man kann diese (negativ geladene) Materie heute schon - in geringen Mengen - in Teilchenbeschleunigern wie dem LHC in CERN erzeugen. Im Kontakt mit gewöhnlicher Materie wird die Antimaterie sofort "vernichtet". Es entstehen bei diesem Kernprozess allerdings "Strahlen", die man, zumindest theoretisch, als "Treibgas" für Raumschiffe verwenden könnte.

Noch im Sonnensystem

Wenn unser Raumschiff in 500 Jahren startet, dann ist für die auf der Erde zurückbleibenden Menschen sicher, dass sie dessen Rückkehr nicht mehr erleben werden. Nehmen wir an, dass das Raumschiff eine Geschwindigkeit von 99,9 Prozent der Lichtgeschwindigkeit erreicht und 10 Jahre unterwegs ist (nach Wahrnehmung der Insassen!), so sind für die Menschen auf der Erde mittlerweile mehr als 10.000 Jahre vergangen. Kaum jemand wird sich noch an diese Mission erinnern. Diese Zeitdifferenz errechnet sich aus der Speziellen Relativitätstheorie, welche der Physiker Albert Einstein 1905 herausgeknobelt hat und die inzwischen vielfach experimentell bewiesen ist.

Ein lohnendes erstes Ziel wäre für unsere Raumfahrer sicherlich der Planet Saturn, welcher ungefähr zehn Mal so weit von uns entfernt ist, wie die Sonne. Der Saturn ist nicht nur ein Gasplanet, sondern ein wahres Kunstwerk am Himmel. Er ist von tausenden schmalen Ringen umgeben, die - wie eine Hutkrempe - den Planeten umschließen. Steuert unser Raumschiff zu diesem attraktiven Ringsystem, so stellt die Besatzung bald fest, dass es vergleichsweise sehr dünn ist. An den meisten Stellen ist es nur wenige Meter dick und die kubikmetergroßen Bruchstücke bestehen in der Regel aus Wassereis mit Silikatbeimengungen. Das Durchqueren der Ringe ist also kein Problem, zumal die Trümmer kilometerweit auseinander liegen.

Jenseits vom äußersten Planeten Neptun, etwa fünfzig Sonnenabstände von der Erde, erstreckt sich der sogenannte Kuiper-Gürtel. Diese ringförmige Region ist gewissermaßen der Schrottplatz aus der früheren Planetenbildung. Schätzungsweise 70.000 Objekte, einige mehr als hundert Kilometer im Durchmesser, kreisen dort und kommen gelegentlich auch in Erdnähe. Dort werden sie als Kometen wahrgenommen. Der berühmteste unter ihnen ist der Halleysche Komet, welcher im Mittel alle 76 Jahre der Erde einen Besuch abstattet. Seine nächste Wiederkehr ist für das Jahr 2061 berechnet.

Eine weitere Trümmeransammlung, die sogenannte Oortsche Wolke, befindet sich noch weiter außen und bildet sozusagen die Begrenzung unseres Sonnensystems. Mehr als eine Milliarde von kleinen Himmelskörpern tummelt sich dort und wird - trotz der riesigen Entfernung - von der Gravitationskraft unserer Sonne in der Spur gehalten. Noch ist die Oortsche Wolke nur über Berechnungen nachgewiesen; unser Raumschiff würde ihre Existenz erstmalig verifizieren.

Am Schwarzen Loch

Allmählich verlässt unser Raumschiff das Sonnensystem. Unsere Sonne ist nur noch als kleines leuchtendes Pünktchen zu sehen. Die Raumfahrer begreifen, dass das Universum zum allergrößten Teil aus "Nichts" besteht. Die Abstände zu den Sternen und Planeten sind gigantisch. Es dauert fast vier Jahre, bis das Raumschiff in die Nähe der nächsten Sonnen gerät, des Doppelsterns Alpha Centauri. Er besitzt nur einen Planeten, der aus Gas besteht und demnach unbewohnbar ist. Nach weiteren vier Jahren taucht der hell leuchtende Stern Sirius auf. Er gehört zu den jungen Sonnen mit einem geschätzten Alter von nur 240 Millionen Jahren. Und weiter geht die Reise. Die Mannschaft an Bord (einige tausend Menschen) beginnt sich zu reproduzieren. Die ersten Kinder werden geboren und in der Bordschule in den Zweck der Mission eingeweiht. Sie haben nie etwas anderes gesehen als das dunkle Weltall und finden sich damit ab.

Endlich, nach vielen Jahren, nähern sich die Raumfahrer dem Ziel ihrer Reise. Die Gravitationswellen deuten an, dass ein mittelgroßes Schwarzes Loch bestehend aus ehemals 30 Sonnen am Horizont sein muss. Die Analyse dieser Wellen ergibt jedoch, dass man noch weit vom sogenannten "Ereignishorizont" entfernt ist. Man spricht auch vom "Schwarzschild-Kreis", benannt nach dem deutschen Mathematiker Karl Schwarzschild. Als Artillerieleutnant an der russischen Front 1916 löste dieser die Grundgleichungen der ein Jahr zuvor von Einstein entdeckten Allgemeinen Relativitätstheorie und kam zu der Erkenntnis, dass ein Schwarzes Loch ab einer gewissen Entfernung (nämlich dem Schwarzschild-Radius) alles in sich aufsaugt. Es gibt kein Entkommen mehr für nahe Himmelskörper, ja sogar Lichtstrahlen werden absorbiert. Die gilt natürlich auch für Raumfahrer, welche sich einem Schwarzen Loch bis zum Schwarzschild-Radius (ca. 100 Kilometer vor dem Loch) nähern sollten. Vergleichbar ist dies mit dem Zulauf zu einem Wasserfall. Wer als Paddler auf dem kanadischen Niagarafluss sich den berühmten Wasserfällen nähert, sollte rechtzeitig umkehren, um nicht von den abstürzenden Fluten mitgerissen zu werden.


Die Niagara-Wasserfälle
(oben rechts der zufliessende Niagarafluß)

Und was würden unsere Raumfahrerkolonie in der Nähe des Ereignishorizonts sehen? Enttäuschenderweise fast gar nichts, denn da selbst die Lichtstrahlen darin verschluckt werden, könnten sie nicht auf die Augen der Raumfahrer treffen. Also: mit Vollgas zurück Richtung Erde, um nicht in diesen Schlund hineingerissen zu werden.

Doch man darf annehmen, dass es zumindest einen mutigen jungen Raumfahrer gäbe, der damit nicht zufrieden wäre. Mit einem kleinen Beiboot würde er sich aussetzen lassen, um in Richtung des Loches zu steuern.  Angenommen die Beine des Astronauten wären auf das Loch ausgerichtet, dann würde er dort - anders als an Kopf und Schultern - bald ein gewisses "Ziehen", ähnlich wie bei einer mittelalterlichen Streckbank, spüren. Recht schnell würde der Schmerz den ganzen Körper erfassen und zum Tod des jungen Mannes führen. Bei einem rotierenden Loch würde er sogar noch zu einem "Spaghetti" verdrillt. Seine Schmerzensschreie kämen beim Mutterschiff  glücklicherweise nicht an, denn sie würden vom Schwarzen Loch verschluckt. Schließlich werden auch noch die Körperatome und -elektronen unseres mutigen Raumfahrers zerlegt werden und von ihm wäre nichts weiter übrig

als ein bisschen Energie - allerdings für den Rest der Ewigkeit.

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