Sonntag, 28. Februar 2016

Eine Reise zum Schwarzen Loch

Die Deutschen sind Reiseweltmeister. Mancher Abiturient, mit einem 3,1 Examen, bekommt von seinen freudig erregten Eltern, zum Dank für seine Leistungen, nicht selten eine Reise nach Neuseeland geschenkt. Im anschließenden Berufsleben, etwa als Schraubenvertreter, hat er schon bald den ganzen Globus bereist. Es fehlt erkennbar an neuen Reisezielen, unsere gute alte Erde ist uns einfach zu eng geworden - auch wenn wir (kostenfrei!) jedes Jahr mit ihr um die Sonne schippern. Immerhin eine Reise von ca. einer Milliarde Kilometern durch den Weltraum, die in der Regel ohne  Unfälle verläuft und viel zu wenig geschätzt wird.

Neue Reiseziele müssen also her. Unsere Nachfahren in einigen hundert Jahren werden dies noch dringlicher empfinden als wir heutzutage. Vermutlich wird man im Jahr 2516 Ausflüge ins äußere Sonnensystem oder gar in die Tiefen des Universums anbieten. Dort kann man beispielsweise neue Planeten ansteuern. Leider sind diese Exoplaneten zumeist reine Gaskörpern, in die man einsinken und ersticken kann. Oder sie bestehen aus langweiligem Gestein ohne Fauna und Flora, die wegen  fehlender Atmosphäre nur schwer zu bewohnen sind. Nein - ich empfehle unseren Nachgeborenen etwas viel spannenderes: eine Reise zu einem Schwarzen Loch.

Schwarze Löcher können entstehen, wenn ein leuchtender Stern seinen Energievorrat aufgebraucht hat und anschließend implodiert, also aufgrund seines restlichen Gewichts in sich zusammenkracht. (Wie die abgebrannten Holzscheite in einem Kamin). Es entsteht eine Art "kosmisches Abflussrohr": alles was in seine Nähe kommt - ob Materie oder Licht - wird von dem Schwarzen Loch einfach verschluckt. Im Falle unserer Sonne hätte das - vermutlich erst in fünf Milliarden Jahren - entstehende Schwarze Loch einen Restdurchmesser von nur ca. sechs Kilometern; würde man die Erde zu einem Schwarzen Loch verpressen, so kämen sogar nur zwei Zentimeter heraus. Im Innern unserer Heimatgalaxie, der Milchstraße, befindet sich ein geradezu monströses Loch, das die Masse von ursprünglich vier Millionen (!) Sonnen auf die Größe unseres derzeitigen Sonnensystems zusammen presst.


 Schwarzes Loch mit Ereignishorizont
(-sofern man es mit den Augen sehen könnte)

Was genau sich in einem Schwarzen Loch befindet, das weiß niemand wirklich, da man - einmal angezogen - ihm nicht mehr entkommen kann. Allgemein wird dort eine Art "hochverdichtete Energie" vermutet, die eine gigantische Gravitationskraft auf ihre Umgebung ausübt.

Für interstellare Reisen, insbesondere wenn man sie (fast) mit Lichtgeschwindigkeit durchführen möchte, braucht man viel Energie. Mutig unterstellen wir mal, dass in fünfhundert Jahren der Raketenantrieb mit sogenannter Antimaterie zur Verfügung steht. Man kann diese (negativ geladene) Materie heute schon - in geringen Mengen - in Teilchenbeschleunigern wie dem LHC in CERN erzeugen. Im Kontakt mit gewöhnlicher Materie wird die Antimaterie sofort "vernichtet". Es entstehen bei diesem Kernprozess allerdings "Strahlen", die man, zumindest theoretisch, als "Treibgas" für Raumschiffe verwenden könnte.

Noch im Sonnensystem

Wenn unser Raumschiff in 500 Jahren startet, dann ist für die auf der Erde zurückbleibenden Menschen sicher, dass sie dessen Rückkehr nicht mehr erleben werden. Nehmen wir an, dass das Raumschiff eine Geschwindigkeit von 99,9 Prozent der Lichtgeschwindigkeit erreicht und 10 Jahre unterwegs ist (nach Wahrnehmung der Insassen!), so sind für die Menschen auf der Erde mittlerweile mehr als 10.000 Jahre vergangen. Kaum jemand wird sich noch an diese Mission erinnern. Diese Zeitdifferenz errechnet sich aus der Speziellen Relativitätstheorie, welche der Physiker Albert Einstein 1905 herausgeknobelt hat und die inzwischen vielfach experimentell bewiesen ist.

Ein lohnendes erstes Ziel wäre für unsere Raumfahrer sicherlich der Planet Saturn, welcher ungefähr zehn Mal so weit von uns entfernt ist, wie die Sonne. Der Saturn ist nicht nur ein Gasplanet, sondern ein wahres Kunstwerk am Himmel. Er ist von tausenden schmalen Ringen umgeben, die - wie eine Hutkrempe - den Planeten umschließen. Steuert unser Raumschiff zu diesem attraktiven Ringsystem, so stellt die Besatzung bald fest, dass es vergleichsweise sehr dünn ist. An den meisten Stellen ist es nur wenige Meter dick und die kubikmetergroßen Bruchstücke bestehen in der Regel aus Wassereis mit Silikatbeimengungen. Das Durchqueren der Ringe ist also kein Problem, zumal die Trümmer kilometerweit auseinander liegen.

Jenseits vom äußersten Planeten Neptun, etwa fünfzig Sonnenabstände von der Erde, erstreckt sich der sogenannte Kuiper-Gürtel. Diese ringförmige Region ist gewissermaßen der Schrottplatz aus der früheren Planetenbildung. Schätzungsweise 70.000 Objekte, einige mehr als hundert Kilometer im Durchmesser, kreisen dort und kommen gelegentlich auch in Erdnähe. Dort werden sie als Kometen wahrgenommen. Der berühmteste unter ihnen ist der Halleysche Komet, welcher im Mittel alle 76 Jahre der Erde einen Besuch abstattet. Seine nächste Wiederkehr ist für das Jahr 2061 berechnet.

Eine weitere Trümmeransammlung, die sogenannte Oortsche Wolke, befindet sich noch weiter außen und bildet sozusagen die Begrenzung unseres Sonnensystems. Mehr als eine Milliarde von kleinen Himmelskörpern tummelt sich dort und wird - trotz der riesigen Entfernung - von der Gravitationskraft unserer Sonne in der Spur gehalten. Noch ist die Oortsche Wolke nur über Berechnungen nachgewiesen; unser Raumschiff würde ihre Existenz erstmalig verifizieren.

Am Schwarzen Loch

Allmählich verlässt unser Raumschiff das Sonnensystem. Unsere Sonne ist nur noch als kleines leuchtendes Pünktchen zu sehen. Die Raumfahrer begreifen, dass das Universum zum allergrößten Teil aus "Nichts" besteht. Die Abstände zu den Sternen und Planeten sind gigantisch. Es dauert fast vier Jahre, bis das Raumschiff in die Nähe der nächsten Sonnen gerät, des Doppelsterns Alpha Centauri. Er besitzt nur einen Planeten, der aus Gas besteht und demnach unbewohnbar ist. Nach weiteren vier Jahren taucht der hell leuchtende Stern Sirius auf. Er gehört zu den jungen Sonnen mit einem geschätzten Alter von nur 240 Millionen Jahren. Und weiter geht die Reise. Die Mannschaft an Bord (einige tausend Menschen) beginnt sich zu reproduzieren. Die ersten Kinder werden geboren und in der Bordschule in den Zweck der Mission eingeweiht. Sie haben nie etwas anderes gesehen als das dunkle Weltall und finden sich damit ab.

Endlich, nach vielen Jahren, nähern sich die Raumfahrer dem Ziel ihrer Reise. Die Gravitationswellen deuten an, dass ein mittelgroßes Schwarzes Loch bestehend aus ehemals 30 Sonnen am Horizont sein muss. Die Analyse dieser Wellen ergibt jedoch, dass man noch weit vom sogenannten "Ereignishorizont" entfernt ist. Man spricht auch vom "Schwarzschild-Kreis", benannt nach dem deutschen Mathematiker Karl Schwarzschild. Als Artillerieleutnant an der russischen Front 1916 löste dieser die Grundgleichungen der ein Jahr zuvor von Einstein entdeckten Allgemeinen Relativitätstheorie und kam zu der Erkenntnis, dass ein Schwarzes Loch ab einer gewissen Entfernung (nämlich dem Schwarzschild-Radius) alles in sich aufsaugt. Es gibt kein Entkommen mehr für nahe Himmelskörper, ja sogar Lichtstrahlen werden absorbiert. Die gilt natürlich auch für Raumfahrer, welche sich einem Schwarzen Loch bis zum Schwarzschild-Radius (ca. 100 Kilometer vor dem Loch) nähern sollten. Vergleichbar ist dies mit dem Zulauf zu einem Wasserfall. Wer als Paddler auf dem kanadischen Niagarafluss sich den berühmten Wasserfällen nähert, sollte rechtzeitig umkehren, um nicht von den abstürzenden Fluten mitgerissen zu werden.


Die Niagara-Wasserfälle
(oben rechts der zufliessende Niagarafluß)

Und was würden unsere Raumfahrerkolonie in der Nähe des Ereignishorizonts sehen? Enttäuschenderweise fast gar nichts, denn da selbst die Lichtstrahlen darin verschluckt werden, könnten sie nicht auf die Augen der Raumfahrer treffen. Also: mit Vollgas zurück Richtung Erde, um nicht in diesen Schlund hineingerissen zu werden.

Doch man darf annehmen, dass es zumindest einen mutigen jungen Raumfahrer gäbe, der damit nicht zufrieden wäre. Mit einem kleinen Beiboot würde er sich aussetzen lassen, um in Richtung des Loches zu steuern.  Angenommen die Beine des Astronauten wären auf das Loch ausgerichtet, dann würde er dort - anders als an Kopf und Schultern - bald ein gewisses "Ziehen", ähnlich wie bei einer mittelalterlichen Streckbank, spüren. Recht schnell würde der Schmerz den ganzen Körper erfassen und zum Tod des jungen Mannes führen. Bei einem rotierenden Loch würde er sogar noch zu einem "Spaghetti" verdrillt. Seine Schmerzensschreie kämen beim Mutterschiff  glücklicherweise nicht an, denn sie würden vom Schwarzen Loch verschluckt. Schließlich werden auch noch die Körperatome und -elektronen unseres mutigen Raumfahrers zerlegt werden und von ihm wäre nichts weiter übrig

als ein bisschen Energie - allerdings für den Rest der Ewigkeit.

Sonntag, 21. Februar 2016

KIT ist unterfinanziert

Das Karlsruher Institut für Technologie (KIT), der Zusammenschluss zwischen Forschungszentrum und Universität Karlsruhe, beklagt Finanznöte. Das KIT verfügt zwar über einen respektablen Jahresetat von ca. 800 Millionen Euro, aber nur je ca. 30 Prozent steuern Bund und Land bei. Satte 40 Prozent müssen über sogenannte Drittmittel-Aufträge, zumeist bei Industrie und Wirtschaft, eingeworben werden. Der Präsident, Professor Holger Hanselka, gibt ganz offen zu: "Ohne Drittmittel würden wir auf Dauer austrocknen."

Die Kehrseite dieser Situation ist, dass ein großer Teil der Projekte, welche über Drittmittel finanziert werden, zeitlich befristet sind, also keine Daueraufträge darstellen. Diese Vorhaben werden üblicherweise durch Mitarbeiter abgewickelt, die einen zeitlich befristeten Arbeitsvertrag besitzen. Bei KIT sind sie in der Mehrheit, wie vom Personalrat seit langem beklagt wird. Nach den derzeit verfügbaren Zahlen waren von 5546 Mitarbeitern am KIT 4065 mit einem befristeten Vertrag ausgestattet; im Bereich der Universität waren es sogar 2704 von 2952 insgesamt. Die Arbeitsverträge haben Laufzeiten von wenigen Jahren, zuweilen sogar nur über ein halbes Jahr und werden nicht selten ein halbes Dutzend mal verlängert ("Kettenverträge").

Die Nöte der Jungakademiker

Die Praxis der befristeten Arbeitsverträge ist an allen deutschen Hochschulen gang und gäbe. In der Altersklasse zwischen 25 und 34 Jahren haben mehr als 70 Prozent einen Arbeitsvertrag mit Verfallsdatum, wie Arbeitsmarktforscher festgestellt haben. Ein Großteil dieser Kontrakte weisen zudem extrem kurze Laufzeiten von weniger(!) als einem halben Jahr auf und werden mickrig entlohnt. Für die Betroffenen ist es schwierig, sich im Berufs- und Familienleben einzurichten. Wer einen befristeten Arbeitsvertrag hat, bekommt häufig keinen Kredit von der Bank, etwa für ein Auto oder eine Wohnungseinrichtung - ganz zu schweigen vom Kauf einer Immobilie.

Bundesbildungsministerin Johanna Wanka hat deshalb ein Gesetz auf den Weg gebracht, um die akademische Laufbahn besser planbar zu machen. Arbeitsvertrag und Einsatzdauer sollen besser synchronisiert werden, Kurzbefristungen sind zu minimieren. Im Gefolge dieser Initiative brachte das KIT im November vergangenen Jahres ein siebenseitiges Rundschreiben heraus, in dem die oben genannten ministeriellen Vorschläge aufgenommen sind. Gleichwohl sind in diesem Schreiben eine ganze Anzahl von Ausnahmen vermerkt; zum Durchdringen des Textes sind einige Semester Jurastudium hilfreich.

Schlecht sieht es in Deutschland um die Betreuung der Studenten aus, deren Anzahl zwischen den Jahren 2003 und 2013 um 20 Prozent gewachsen sind. Parallel dazu hat sich die Betreuungsrelation von Studierenden zu wissenschaftlichen Mitarbeitern und Professoren im Bundesmittel von 13,5 auf 16,1 verschlechtert, in den Ingenieursfächern sogar von 11,0 auf 17,7. Diese Überlastung des Lehrpersonals führt zu grotesken Zuständen. Häufig wird die Lehre auf andere Gruppen übertragen, die dafür nur 40 Euro pro Stunde - oder überhaupt nichts - bekommen. Diese Lehrenden, welche (außerhalb des Vorlesungsverzeichnisses) vor den Studenten stehen, kommen von Forschungseinrichtungen oder aus der Industrie und wollen Kontakt zur Hochschule halten. Darunter sind auch Lehrbeauftragte, die nur für ein Semester und zwei Stunden pro Woche eingesetzt werden. Und schließlich die "letzte Reserve", nämlich wissenschaftliche Mitarbeiter, die ihr (schmales) Gehalt fürs Forschen oder Promovieren bekommen, die aber nicht nein sagen können, wenn der Herr Professor sie in den Vorlesungsbetrieb einspannt. Motto: wer nicht als Dozent (im offiziellen Vorlesungsverzeichnis) geführt wird, der holt auch keine Studenten an die Uni. Ein Drittel des Lehrkörpers an den Universitäten soll unbezahlt sein!

Exzellenzinitiative - keine Bonanza

In der Hoffnung auf zusätzliche Geldquellen setzt mancher Universitätsrektor oder -präsident auf die sogenannte Exzellenzinitiative. Sie wurde 2005 von der damaligen Bundesforschungsministerin Edelgard Buhlman ausgelobt und hat seitdem (in drei Runden) im Zusammenwirken von Bund und Ländern einige Milliarden Euro Finanzmittel verteilt. Unterstützt wurden Hochschulen, die ein überzeugendes "Gesamtkonzept" vorlegen konnten, sowie bei den Forschungsprojekten ("Clustern") und der Post-Doktoranden-Lehre ("Graduiertenschulen") besser waren als der Rest. Auch das KIT war von 2006 bis 2012 in diesem bevorzugten Club und durfte sich zeitweilig sogar "Elite-Universität" nennen. Umso stärker war die Enttäuschung, als diese Förderung 2012 - insbesondere wegen schwacher Proposals der Nanoforscher - auslief. Monatelang konnten damals noch nicht einmal die armen "Hiwis" bezahlt werden und die Ausgabe der Diplomzeugnisse verzögerte sich, da zu wenig Schreibkräfte zur Verfügung standen.


Das neue attraktive Casino des KIT
(beliebt bei Kantinen-Gourmets)

Trotzdem: diese Zusatzförderung allein ist nicht die finanzielle Rettung der Universitäten. Von 2006 bis 2017 werden Bund und Länder insgesamt 4,6 Milliarden Euro ausgeworfen haben. Auf erstem Blick ist das eine respektable Summe und doch ist es relativ wenig. So erhält beispielsweise die große Technische Universität München insgesamt 289 Millionen. Umgerechnet auf ein Jahr sind das bloße 26 Millionen - bei einem Jahresetat von 1,3 Milliarden Euro! Von den amerikanischen Hochschulen, wie MIT und Harvard, welche über viele Jahre hinweg ein milliardenschweres Kapitalvermögen angesammelt haben, ist man da noch meilenweit entfernt.

Mit wesentlich höheren Geldsummen wird derzeit in der großen Politik agiert. Die Flüchtlinge, welche Deutschland bereits aufgenommen hat, werden - nach Berechnungen des Instituts der deutschen Wirtschaft - volle 55 Milliarden Euro an Kosten verursachen. Wohlgemerkt: allein in den drei Jahren von 2015 bis 2017! Wenn Bundesminister Schäuble nur eine einzige Milliarde mehr zur Verfügung stellen würde, dann könnte an jeder der hundert deutschen Universitäten ein Studentenwohnheim für je 10 Millionen Euro gebaut werden. Die Wohnungsnot der Studenten - zum Teil aus der Zuwanderung resultierend - könnte dadurch deutlich abgemildert werden.

Ein Hoffnungsschimmer am Horizont

Gegenwärtig wird die vierte Exzellenzinitiative vorbereitet. Die Expertenkommission des schweizer theoretischen Physikprofessors Dieter Imboden hat vor kurzem ihren Bericht vorgelegt und mit Frau Wanka sowie den Landesministern diskutiert. Zwei wesentliche Änderungen bei den Graduiertenschulen und den Zukunftskonzepten scheinen sich anzubahnen. Die Förderung der Graduiertenschulen will man auslaufen lassen und bei den Zukunftskonzepten hat man sich etwas durchaus Originelles ausgedacht. Statt, wie bisher, die in die Zukunft weisende Konzeption der Hochschulen zu bewerten, will man ab jetzt die schon erreichte Forschungsbrillanz der einzelnen Unis evaluieren. "Past merits" sind nach Ansicht von Imboden gute Indikatoren für die Exzellenz. Die baden-württembergische Wissenschaftsministerin Theresia Bauer hat dafür den Namen "Exzellenzbonus" geprägt.

Für das KIT ergibt sich damit die Chance, ab 2017 wieder zu punkten und damit die Scharte von 2012 auszuwetzen. Denn: anno 2006 haben Popp und Hippler, die Chefs des Forschungszentrums und der Technischen Universität Karlsruhe den Zusammenschluss beider Organisationen zum KIT durchgedrückt und dadurch den Exzellenzstatus erreicht. Ihre damalige Argumentation war unter anderem, dass durch die Fusion zum KIT ein "wissenschaftlicher Mehrwert" entstehen würde. Im Rahmen der jetzigen Evaluierung müsste dieser Mehrwert nunmehr feststellbar sein und dann zu entsprechender zusätzlicher finanzieller Förderung des KIT führen. Ist das nicht der Fall, dann wäre der Beweis erbracht, dass die Kreation des KIT vor zehn Jahren nutzlos war und nur zu mehr Bürokratismus geführt hat.

Sonntag, 14. Februar 2016

Zwei Legislaturperioden sind genug!

Zu Beginn etwas Statistik und eine gar nicht so einfache Frage:  Wie viele Bundeskanzler regierten Deutschland seit 1945? Antwort: 7 - und eine Bundeskanzlerin, Angela Merkel. Verglichen mit den häufig wechselnden Präsidenten und Premierministern in Frankreich oder gar Italien gewiss eine überschaubare Anzahl. Bislang war jeder Bundeskanzler jünger als sein Vorgänger. Noch kein Bundeskanzler überlebte seinen Nachfolger - auch nicht Helmut Schmidt, der kürzlich mit fast 97 Jahren starb. Konrad Adenauer hält den Altersrekord: er war bei Amtsantritt 73 Jahre alt und trat mit 87 Jahren als Kanzler ab. Der jüngste Bundeskanzler beim Ausscheiden aus dem Amt war Willy Brandt mit 60 Jahren. Bei Amtsantritt am jüngsten war Angela Merkel mit 51 Jahren.

Der Bundeskanzler bestimmt verfassungsgemäß die Richtlinien der Politik und ist damit der politisch mächtigste Amtsträger, obwohl er in der protokollarischen Rangfolge unter dem Bundespräsidenten (derzeit Joachim Gauck) und dem Bundestagspräsidenten (Norbert Lammert) steht. Die Amtsbezüge des Bundeskanzlers sind überschaubar. Er löhnt das 5/3-fache des Grundgehalts der Besoldungsgruppe B11; das sind nach derzeitigem Stand rd. 250.000 Euro pro Jahr. Die private Nutzung von bundeseigenen Transportmitteln und die Miete der Dienstwohnung werden in Rechnung gestellt.

Der Job des Bundeskanzlers ist relativ sicher. Vor Ablauf der 4-jährigen Legislaturperiode kann er zwangsweise eigentlich nur durch ein konstruktives Misstrauensvotum abgelöst werden. Und er darf  sich - das Einverständnis der Partei und der Wähler vorausgesetzt - beliebig oft wählen lassen. So brachten es die dienstältesten Bundeskanzler Konrad Adenauer und Helmut Kohl auf 14 bzw. 16 Amtsjahre; die amtierende Bundeskanzlerin Angela Merkel ist seit 10 Jahren Chefin und wird, falls sie 2017 wiederum antritt, die Rekordzeit von Helmut Kohl erreichen.

Damit ist aber auch ein Problem verbunden, denn der "Beruf" des Bundeskanzlers ist knochenhart und nicht ohne Grund ist in den USA die Amtszeit auf acht Jahre begrenzt, d. h. er kann nur ein Mal wieder gewählt werden. Wertet man die politische Arbeit der drei dienstältesten deutschen Bundeskanzler im Rückblick, so kann man durchaus zu der Meinung kommen, dass es besser für unser Land wäre, wenn auch hier die Amtszeit der Bundeskanzler auf zwei Wahlperioden begrenzt werden würde.

Konrad Adenauer

Konrad (Hermann Joseph) Adenauer wurde am 15. September 1949 (mit einer Stimme Mehrheit) zum Kanzler der neu gegründeten Bundesrepublik Deutschland gewählt. Seine Amtszeit war wesentlich geprägt durch außenpolitische Entscheidungen. Gegen den heftigen Widerstand der damaligen SPD (Kurt Schumacher) leitete er die Westbindung der jungen Republik ein, vor allem durch die Gründung der Europäischen Gemeinschaft Kohle und Stahl (dem Grundstein der heutigen Europäischen Union) und dem Beitritt zum westlichen Militärbündnis NATO. Zusammen mit de Gaulle betrieb er die deutsch-französische Aussöhnung und - vor dem Hintergrund des Holocaust - jene mit dem jungen Staat Israel. Innenpolitisch führten der Lastenausgleich und verschiedene sozialpolitische Beschlüsse zur schnellen Erholung der deutschen Wirtschaft, dem sogenannten Wirtschaftswunder.

Nach zwei Legislaturperioden, etwa Ende der fünfziger Jahre, setzte Adenauers politischer Abstieg ein. Seine Ablehnung des beim Volk sehr beliebten Wirtschaftsministers Ludwig Erhardt als Kanzlernachfolger führte zu einem medialen Dauerstreit der beiden Spitzenpolitiker. Adenauers Wille zur Kandidatur als Bundespräsident und die spätere brüske Rücknahme dieser Intention kamen beim Wahlvolk schlecht an. (Schließlich wurde bedauerlicherweise Heinrich Lübke in dieses Amt gewählt). Die verlorene absolute Unionsmehrheit bei der Bundestagswahl im September 1961 und Adenauers unglückliches Taktieren bei der SPIEGEL-Affäre erzwangen am 12. Oktober 1963 seinen Rücktritt zugunsten des ungeliebten Nachfolgers Ludwig Erhardt.

Helmut Kohl

Helmut (Josef Michael) Kohl kam am 1. Oktober 1982 über ein konstruktives Misstrauensvotum gegen seinen Vorgänger Helmut Schmidt ins Amt. Im Zuge vorgezogener Neuwahlen wurde er am 6. März 1983 als Bundeskanzler bestätigt. Helmut Kohl gilt zu Recht als "Kanzler der deutschen Einheit". Nach dem Fall der Berliner Mauer am 9. November 1989 legte er umgehend im Bundestag ein "Zehn-Punkte-Programm" vor, das als Fahrplan für den späteren Einigungsprozess galt. Im Mai 1990 wurde mit der DDR ein Staatsvertrag unterzeichnet, der eine Union mit der BRD auf den Gebieten der Währung, der Wirtschaft und des Sozialwesens vorsah. In den sogenannten Zwei-plus-Vier-Verhandlungen mit den ehemaligen Siegermächten gelang es Kohl, deren Zustimmung zur Wiedervereinigung Deutschlands und seine Einbindung in die NATO zu erreichen.

Am 17. Juni 1991 wählte der (nun gesamtdeutsche) Bundestag Helmut Kohl zum dritten Mal als Bundeskanzler, nachdem er sich gegen Oskar Lafontaine bei der vorausgehenden Wahl durchgesetzt hatte. Mit dieser dritten Legislaturperiode begann Kohls politischer Abstieg. Die versprochenen "blühenden Landschaften" in der ehemaligen DDR blieben lange aus und der 1:1-Umtausch der früheren DDR-Mark erwies sich als zu starke Belastung für die Betriebe der Ostgebiete. Bei der Einführung des Euro im Zuge der Maastricht-Verträge verzichtete Kohl in fahrlässiger Weise auf die Festschreibung von Sanktionen bei Nichterfüllung, was bis heute die Schuldenpolitik der Südländer ermöglicht. Im November 1994 wurde Kohl (gegen Scharping) zwar noch einmal wiedergewählt, aber im Oktober 1998, am Ende seiner 4. Legislaturperiode, verlor er die Bundestagswahl gegen Gerhard Schröder. Nach Kohls Amtszeit wurde bekannt, dass er zugunsten der CDU (unter Verstoß gegen das Parteiengesetz) Spenden angenommen und "schwarzen Kassen" zugeführt hatte.

Angela Merkel

Angela (Dorothea) Merkel wurde am 10. April 2000 im Gefolge von Kohls Spendenaffäre und dem Rücktritt von Wolfgang Schäuble als CDU-Vorsitzende gewählt. Einer ihrer Fürsprecher war der niedersächsische Oppositionsführer Christian Wulff. Bei den vorgezogenen Bundestagswahlen im September 2005 gewann sie knapp gegen Gerhard Schröder und wurde am 22. November 2005 zur ersten deutschen Bundeskanzlerin gewählt. Die 1. Legislaturperiode (2005 - 2009) bestritt sie zusammen mit der SPD in einer Großen Koalition. Diese Amtsperiode war geprägt von der weltweiten Finanzkrise: die amerikanische Investmentbank Lehmann ging bankrott und auch mehrere deutsche Institute (IKW, Hypo und einige Landesbanken) mussten riesige Abschreibungen vornehmen. Im Oktober 2008 gab Merkel, zusammen mit ihren Finanzminister Peer Steinbrück, eine öffentliche Garantieerklärung für die Bankeinlagen der deutschen Sparer ab, was erheblich zur Beruhigung der Finanzmärkte beitrug.

Mit der 2. Legislaturperiode (Oktober 2009 - Oktober 2013) begann Merkels Abstieg. Im März 2011, nach dem Reaktorunfall im japanischen Fukushima, verkündete sie spontan und ohne sonderliche Absprache, den Ausstieg aus der Kernenergie. Sofort - und gegen das Votum des RSK-Expertengremiums - legte sie per Weisung acht große deutsche Kernkraftwerke still, denen sie, erst ein halbes Jahr vorher, noch weitere zehn Jahre Laufzeit zugebilligt hatte. Für die sogenannte Energiewende wurde im Sommer 2011 ein Gesetz verabschiedet (EEG), welches die Einführung Erneuerbarer Energien mittels gigantischer planwirtschaftlicher Subventionierungen erzwingt und das  die jahrzehntelang erfolgreichen Stromkonzerne RWE, E.ON und EnBW an die Grenze der Insolvenz bringt. --- In die gegenwärtige 3. Legislaturperiode (ab Dezember 2013) fällt u. a. die sogenannte Griechenlandhilfe. Dieses Land hatte mit Schummelunterlagen - angefertigt von der amerikanischen Investmentbank Goldman Sachs - im Jahr 2001 den Eintritt in die Eurozone geschafft. Über drei finanzielle Hilfspakete, maßgeblich verhandelt durch Merkel, wird Griechenland bislang mit gut 250 Milliarden Euro unterstützt, wovon der größte Teil aus Deutschland kommt. Die parlamentarisch verfügten Sparmaßnahmen kommen in diesem Inselstaat allerdings nur schleppend voran. --- Seit Mitte 2015 beherrscht vor allem ein Thema die deutsche und europäische Öffentlichkeit: die Flüchtlingskrise. Die Bundeskanzlerin Merkel hat daran entscheidenden Anteil, denn mit ihren Alleingang im September 2015 öffnete sie die Schleusen für Migranten aus allen Weltgegenden, durch die Aufnahme der in Ungarn festgehaltenen Flüchtlinge. Seitdem strömten mehr als eine Million Zuwanderer über die deutsche Grenze, viele davon ohne jegliche Registrierung und polizeiliche Überprüfung. --- Die 4. Legislaturperiode Merkel (ab Herbst 2017) ist noch nicht beschlossen. Wie man jedoch immer wieder lesen kann, ist die Bundeskanzlerin durchaus bereit noch einmal zu kandidieren, was ihre Regierungszeit bis 2021 ausdehnen könnte.




Flüchtlingsstrom

Zusammenfassung

Die Erfahrungen mit Bundeskanzlern, die drei oder gar vier Legislaturperioden regiert haben, sind bislang denkbar schlecht. Konrad Adenauer hatte 1957 sein Pulver weitgehend verschossen und hat von da an seine Regierungszeit vorwiegend damit verbracht, indem er seinen präsumptiven Nachfolger Ludwig Erhardt mobbte, das Amt des Bundespräsidenten nachhaltig schädigte und in der Spiegel-Affäre miserabel agierte. Helmut Kohl hat die wirtschaftliche Integration der ehemaligen DDR ab 1991 schlecht organisiert und Wolfgang Schäuble, eigentlich als Nachfolger vorgesehen, erfolgreich vom Kanzleramt ferngehalten.

Angela Merkel hat durch die "Nacht-und-Nebel-Aktion" der sogenannten Energiewende den europäischen Stromverbund stark geschädigt und durch die Zwangseinspeisung des "Zappelstroms" aus Wind und Sonne zur derzeit fragilen Netzstabilität beigetragen. Außerdem sind die gegenwärtigen Subventionskosten von 25 Milliarden pro Jahr - Tendenz steigend - die Ursache für die hohen Strompreise in der Bundesrepublik. --- Die spontane Öffnung der deutschen Staatsgrenzen für die Migranten ist ein Verstoß gegen die Abkommen von Schengen und Dublin. Statt vorher mit den EU-Partnern über die Aufteilung der Flüchtlinge zu reden, hat Merkel die Spaltung Europas herbei geführt und lässt sich von der Türkei zu hohen Geldzahlungen erpressen. Die kulturelle Integration der massenhaften Einwanderer ist fraglich und birgt das Risiko von Parallelgesellschaften und von "no-go-Bezirken". Der finanzielle Aufwand für die Versorgung der Flüchtlinge bis 2017 wird auf unfassbare 55 Milliarden Euro abgeschätzt, was den deutschen Staatshaushalt bald in Schieflage bringen wird.

Es ist eine Erfahrungstatsache, dass die Chefs großer Unternehmen, wie DAX-Firmen, nach vier bis sechs Jahren ausgetauscht werden müssen, weil ihre Führungsfähigkeiten erschöpft sind. Josef Ackermann, Chef der Deutschen Bank über sechs Jahre und Jürgen Großmann, Vorstandsvorsitzender der RWE über 5 Jahre sind hierfür Belege. Der ehemalige Siemens-Chef Heinrich von Pierer (13 Jahre) und der ex-VW-Chef Martin Winterkorn sind in diesem Zusammenhang nur abschreckende Beispiele.

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage:
Warum sollte man die Führung der viel größeren "Deutschland AG" der gleichen Person 12 oder gar 16 Jahre lang anvertrauen?

Sonntag, 7. Februar 2016

Die Völkerwanderung und der Untergang des Römischen Weltreiches

Die renommierte Schweizer Zeitung "Neue Zürcher Zeitung" (NZZ) brachte am 31. Januar 2016 auf Seite 24 einen bemerkenswerten Artikel unter dem Titel "Zuwanderer brachten den Untergang". Die Redaktion leitete ihn mit folgenden Sätzen ein:
Schon vor 1600 Jahren kam es in Europa zu großen Flüchtlingsströmen. Das damalige Römische Reich war Fremden wohlgesinnt und nahm die Migranten auf. Doch deren Zahl war zu hoch. Sie ließen sich nicht integrieren.Schließlich übernahmen die Zuwanderer die Macht.
Im Rahmen dieses Blogs werden - in leicht gekürzter und editierter Form - die Hauptteile des NZZ-Artikels übernommen. Auf den Autor Alexander Demandt, einen deutschen Geschichtsprofessor, wird zum Schluss hingewiesen.

Der Einbruch der Goten

Aus der Provinz Moesia, nahe der Donaumündung, erschien im Frühling 376 n. Chr. eine Gesandtschaft der Westgoten am römischen Kaiserhof in Antiochia. Sie berichteten, aus Innerasien sei ein wildes Reitervolk, die Hunnen, erschienen, habe die Ostgoten nördlich des Schwarzen Meeres besiegt und den Westgoten ein gleiches Schicksal angedroht. Diese seien geflohen, stünden jetzt am Nordufer der Donau und bäten um Aufnahme in das Römische Reich.-- Im Kronrat zu Antiochia wurden zwar Bedenken laut, aber die Fürsprecher setzten sich durch. Das Reich konnte Zuwanderer als Siedler, Steuerzahler und Söldner brauchen; zudem habe der Kaiser die Pflicht, in christlicher Nächstenliebe, für die Flüchtlinge zu sorgen. Die Grenzen wurden geöffnet und die Goten kamen. Der römische Statthalter in Antiochia versuchte zwar die Ankömmlinge zu zählen, aber die Aktion geriet außer Kontrolle. Tag für Tag pendelten die Fähren über den Donaufluss, der Zeitgenosse Marcellius schreibt: "zahllos wie die Funken des Ätna".

Sehr bald gab es Versorgungsprobleme und die römischen Geschäftsleute verlangten überhöhte Preise. Die Goten begannen zu plündern und erhielten Verstärkung aus den römischen Bergwerken, wo viele germanische Gefangenen schufteten. Bald kam es zu Kämpfen, die Grenztruppen wurden geschlagen und der Kaiser in Rom musste um Hilfe gebeten werden.-- Kaiser Valens erschien mit dem Reichsheer des Ostens. Am 9. August 378 kam es bei Adrianopel, dem heutigen türkischen Edirne, zur Schlacht. Das römische Heer wurde von den Germanen und den eingewanderten Goten zusammen geschlagen; der Kaiser fiel. Sein Nachfolger Theodosius musste den Fremden 382 Land anweisen, wo sie nach eigenem Recht lebten. Die Donaugrenze blieb offen und immer neue Scharen drangen in das Reich. Im Jahr 406 war die Reichsgrenze nicht mehr zu halten: die Völkerwanderung war im Gange. Sie endete erst mit dem Einbruch der Langobarden in Italien im Jahr 568.

Römische Migrationspolitik im historischen Rückblick

Die Aufnahme der gotischen Flüchtlinge um 376 war politisch nichts Neues. Rom war immer fremdenfreundlich. Schließlich war nach der Überlieferung schon Äneas, der Stammvater, selbst ein Zuwanderer aus Troja gewesen. Als Romulus die Stadt gründete, eröffnete er auf dem Palatin ein Asyl, bevölkerte es mit Asylsuchenden und machte diese zu Römern. Es war ein Grundsatz römischer Politik, jeden, der tüchtig war, aufzunehmen. Zu denen zählte unter anderem auch das große, hochberühmte Patriziergeschlecht der Claudier, aus dem später vier Kaiser hervorgingen. Einer von ihnen, Kaiser Claudius, hat unter Hinweis darauf den Galliern das volle Bürgerrecht verliehen.

Die regionale Ausdehnung des Römerreichs brachte es mit sich, dass die Römer keine ethnische Nation, sondern eine Rechtsgemeinschaft waren, verbunden durch Kaiser, Heer, Verwaltung, durch die Sprache und eine hochentwickelte Zivilisation. Die Wirtschaft blühte auf, erregte aber nun auch die Begehrlichkeit der Barbaren jenseits der Grenzen, vor allem der Germanen. Diese waren arm, kinderreich, kriegerisch und wanderfreudig und strebten ins Imperium, wo Land und Beute lockten. Das begann schon um 100 v. Chr. mit den Cimbern und Teutonen, welche mit Weib und Kind von der Nordsee loszogen und nur mit Mühe abzuwehren waren.

Seit Cäsar schwankte die Germanenpolitik zwischen Abwehr und Aufnahme, der Bevölkerungsdruck aus dem Norden war ein Dauerthema. Cäsar vertrieb den nach Gallien eingedrungenen Suebenkönig Ariovist, heuerte aber germanische Reiter für seine Hilfstruppen an. Unter Augustus kam es zur ersten Übernahme ganzer Stämme. Die Kaiser bis zu Nero hielten sich sogar eine germanische Leibwache. Weitere Ansiedlungen folgten, unter Tiberius vierzigtausend, unter Nero angeblich hunderttausend. Das setzte sich fort; die Neulinge erhielten Land und lebten als Bauern. Durch den Handel mit den Städten und durch den Kriegsdienst lernten sie Latein, vermischten sich mit den Bewohnern der römischen Provinzen, verehrten die gleichen Götter wie sie und waren in der zweiten Generation integriert, Mit der Constitutio Antoniniana 212 erhielten sie das römische Bürgerrecht.

Die Einbürgerung der Germanen minderte den Bevölkerungsdruck auf die Grenzen, konnte ihn aber nicht verhindern. Immer wieder kam es zu Einfällen. Der Plan, Germanien bis zur Elbe zu unterwerfen, scheiterte im Teutoburger Wald. Kaiser Domitian sah sich um 80 n. Chr. genötigt, den Limes zu errichten, eine Militärgrenze gegen das unkontrollierte Eindringen der Fremden. Ganz zu verhindern war es jedoch nicht. Die Plünderungen gingen immer wieder los und wurden bedrohlich, als sich im 3. Jahrhundert die Großstämme der Alamannen, Franken und Sachsen bildeten, den Limes durchbrachen und Gallien sowie Italien heimsuchten. Im Osten besiegten die Goten sogar den Kaiser Decius. Kriegstechnisch waren die Römer immer überlegen, aber durch den Söldnerdienst und den Zugriff auf römische Waffen waren die Germanen nun auf dem gleichen Niveau. Sie modernisierten ihr Kriegswesen gewissermaßen mit römischer Entwicklungshilfe.

Bärte, Pelze, lange Hosen

Die Römer versuchten, das Problem mit den Fremden schlitzohrig zu lösen, indem sie, nach altbewährter Manier, Germanen gegen Germanen einsetzten. Das machte keine Schwierigkeiten, denn bei den Stammesfehden in Germanien kämpften ohnehin stets Germanen gegen Germanen. Die römischen Provinzbewohner, bei denen Kriegsdienst höchst unbeliebt war, konnten sich so der Produktion widmen. Und die Germanen, die lieber Blut als Schweiß vergossen, dienten und verdienten im Heer. So rückten germanische Krieger in Kommandostellen auf. Unter Constantin finden wir die ersten germanischen Heermeister im Generalsrang. Auf der Führungsebene kam es zu Verschwägerungen, sogar mit dem Kaiserhaus. Es entstand eine römisch-germanische Militäraristokratie, ein genealogisches Netzwerk von Verbindungen, durch die alle Entscheidungsträger irgendwie miteinander versippt waren. Während der letzten hundert Jahre des Gesamtreiches lag die politische Führung bei Germanen wie Merobaudes, Bauto, Stilicho, Rikimer und Gundobad. Die Kaiser in ihren beheizten Palästen in Ravenna, Rom und Konstantinopel verloren die Verbindung zur Armee und damit ihre Macht.

Man müsste annehmen, dass die Einbürgerung der Fremden zu einer Integration geführt hätte. Aber je mehr Germanen kamen und je höhere Posten sie errangen, desto schwieriger wurde es. Neid und Ressentiments kamen auf. Die bärtigen Germanen in ihren langen Hosen und Pelzen wurden das Odium des Barbarentums nicht los. Ihr Aussehen grenzte sie als Fremde aus und ihr Bekenntnis zur christlichen Lehre des Arianismus galt als Ketzerei. Gesetze gegen Mischehen, fremde Tracht und falschen Glauben zeigen die Stimmung. Fremdenfeindliche Literatur, Massaker und Mordaktionen richteten sich gegen die Germanen, die man nicht mehr los wurde und auf die man auch nicht verzichten konnte. Denn sie stellten die besten Kontingente. Die Regierung verlor die Kontrolle über die Provinzen, das staatliche Waffenmonopol war nicht mehr aufrecht zu halten. Unzählige Verordnungen ergingen, aber sie wurden nicht ausgeführt; die Exekutive versagte, die überkomplizierte Bürokratie brach zusammen.

Zum Ende übernahmen die Sachsen Britannien, die Franken Gallien und die Alamannen Obergermanien. Italien wurde von den Ostgoten, Spanien von den Westgoten, Nordafrika von den Vandalen besetzt. Auf dem Balkan herrschte Turbulenz, der Osten war durch Glaubenskämpfe zerrissen. Die Provinzbewohner, überall in der großen Mehrheit, waren politisch handlungsunfähig, im langen Frieden gewöhnt, regiert und geschützt zu werden.

Im Wohlstand bequem geworden

Jetzt in der Not ersetzte die Kirche den Staat, die Klöster bewahrten die Reste des Bildungsgutes. Die Städte, in denen die Grundbesitzer wohnten, verarmten. Das kulturtragende Bürgertum verschwand; die Germanen interessierten sich mehr für Waffen als für Bücher. Die Verkehrswege waren nicht mehr sicher, der für den Wohlstand wichtige Fernhandel erlahmte. Naturalwirtschaft machte sich breit. Die Wasserleitungen zerfielen, die Bäder konnten nicht mehr beheizt werden, über den Rhein gab es nur noch Fähren.

Es ist eine alte Frage, weshalb die reiche, hochentwickelte römische Zivilisation dem Druck armer, barbarischer Nachbarn nicht standgehalten hat. Man liest von Dekadenz, von einer im Wohlstand bequem gewordenen Gesellschaft, die das süße Leben des Einzelnen erstrebte, aber den vitalen Germanenhorden nichts entgegenzusetzen hatte, als diese, von der Not getrieben, über die Grenzen strömten. Überschaubare Zahlen von Zuwanderern hätten sich integrieren lassen. Sobald diese eine kritische Menge überschritten und als eigenständige handlungsfähige Gruppen organisiert waren, verschob sich das Machtgefüge. Die alte Ordnung löste sich einfach auf.


Der Autor Alexander Demandt (78)

Der Althistoriker Alexander Demandt lehrte als Professor an der Freien Universität Berlin. Den obigen Text schrieb er im Auftrag des Magazins "Die politische Meinung" der Konrad-Adenauer-Stiftung. Nach der Sylvesternacht von Köln lehnte die Redaktion den Text aber ab. Wie es in der Begründung heißt, bestehe die Gefahr, "dass Textstellen missbräuchlich herangezogen werden könnten, um allzu einfache Parallelitäten zur aktuellen Lage zu konstruieren."

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