Montag, 30. November 2015

Compliance - KIT erzieht Gutmenschen

Das englische Wort "Compliance" spielte im Schulunterricht vergangener Jahre kaum eine Rolle; im heutigen Berufsleben ist es von überragender Bedeutung. Im Wörterbuch wird Compliance mit Einwilligung bzw. Befolgung übersetzt, in realiter ist es jedoch zu einem Begriff der Betriebswirtschaftslehre geworden, der die Einhaltung von Gesetzen, Richtlinien und moralisch-ethischen Standards in Wirtschaftsunternehmen und Behörden beschreibt. Im Zentrum steht dabei die Vermeidung von Vorteilsnahmen ("Anfüttern") bis hin zu Bestechung und Korruption. Die Mitarbeiter sollen auf diese Delikte hin sensibilisiert werden und das Risiko einer Sanktionierung erkennen. Alle größeren Unternehmen in Wirtschaft und Verwaltung besitzen heute Organisationseinheiten, welche die Compliance in ihren Betrieben überwachen und die Mitarbeiter darin informieren und schulen.

Die Compliance-Kultur entstand in Deutschland vor ziemlich genau zehn Jahren im Gefolge des Schmiergeldskandals beim Elektrokonzern Siemens. Auf eine anonyme Anzeige hin durchsuchten im November 2006 Hundertschaften von Steuerfahndern und Staatsanwälten die Bürogebäude des Unternehmens sowie die Privatwohnungen der ranghohen Mitarbeiter und brachten dabei Unglaubliches zutage. Die zwei Jahre andauernden Ermittlungen ergaben, dass bei Siemens seit Jahren ein Korruptionssystem installiert war, welches hunderte von weltweit angesiedelten Scheinprojekten mit hunderte von Millionen Mark finanzierte. Der spätere Aufsichtsrat Gerhard Cromme sprach von einem wirtschaftlichen "Paralleluniversum", welches die Mitglieder des Vorstands jahrelang geduldet hatten. In der Buchhaltung gab es sogar einen Geheim-Code. "Legen Sie das in der Datei APP ab" bedeutete, dass Schmiergelder in Höhe von 2,55 Prozent des Preises genehmigt waren (A=2, P=5). Im letzten Abschnitt dieses Blogs werde ich auf die Konsequenzen dieses Skandals bei Siemens zurückkommen.

Aber nicht nur Wirtschaftsunternehmen, sondern auch der Öffentliche Dienst - im weitesten Sinne - ist korruptionsanfällig. (Von international marodierenden Organisationen wie FIFA, UEFA und DFB ganz abgesehen!)  In Schäubles Staatsetat von über 300 Milliarden Euro stecken große Summen für Subventionen und Entwicklungshilfe, deren wirkliche Verwendung jedes Jahr, völlig zu Recht, vom Bundesrechnungshof unter die Lupe genommen wird. Selbst bei Forschungsinstitutionen und Universitäten kommt es zuweilen zu "Unregelmäßigkeiten". Etwa, wenn ein Projektleiter seine eingeworbenen Mittel satzungswidrig verwendet. Oder, wenn ein Professor einen - unangemeldeten und lukrativen - Nebenjob betreibt, der sich langsam zur Hauptbeschäftigung hin entwickelt.

Compliance bei KIT

Kein Wunder, dass man auch beim Karlsruher Institut für Technologie (KIT) Korruptionsprävention betreibt durch den Aufbau einer Compliance-Abteilung. Immerhin werden bei KIT jährlich ca. 800 Millionen Euro an Finanzmittel verwaltet und ausgegeben. Margarita Bourlá ist dort die Beauftragte für Compliance und Korruptionspräventation, eine Rechtsanwältin, bei KIT angestellt als "Syndica" (gendergerecht ausgedrückt). Sie wird unterstützt durch drei Referentinnen, einer Ass. jur., einer Diplomkauffrau und einer Bachelor of Laws LL.B. (oder sollte man, ebenfalls gendergerecht, von "Bachelorette" sprechen?). Eine fünfte Kollegin befindet sich derzeit auf Elternurlaub. Die Häufung von Damen auf dieser Organisationseinheit mag ein Zufall sein, aber vielleicht ist das weibliche Geschlecht für solche Aufgaben besser qualifiziert. Für letzteres spricht, dass sie auch eine weibliche Vorgesetzte haben, die Vize-Präsidentin Dr. Elke Luise Barnstedt, ein Juristin und zeitweilig Direktorin beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe.

In der Hauszeitschrift KIT-Dialog (1.2015) kann man nachlesen, wie bei COMP (die Abkürzung der o. g. Abteilung) die Mitarbeiter des KIT informiert und geschult werden. Geschenke sollten den Wert von 25 Euro nicht überschreiten, empfohlen wird ein Blick in die Geschenkerichtlinie. Geburtstagslisten sind tabu und gegen sexuelle Belästigung wurde ein Leitfaden erstellt. Breiten Raum nehmen die Vorschriften bei Essenseinladungen durch Dritte ein. Belegte Brötchen sind unproblematisch, aber bei Einladungen ins Lokal - oder gar in ein Sternerestaurant - ist Vorsicht geboten. Im Zweifelsfall sollte man immer erst die Korruptionsbeauftragte fragen. Dass der eigene Chef mitgeht, ist nicht ausreichend; im Falle von Bedenken sollte man die Einladung besser ablehnen. Aber selbst wenn man, entgegen dem eigenen Rechtsgefühl, ein Essen ins Sternelokal angenommen habe, ist es sinnvoll - wenigstens hinterher - mit Frau Bourlá darüber zu sprechen. Falls man von einem regelwidrigen Verhalten erfahren hat, sollte man der Syndica einen anonymen Brief schreiben. Früher nannte man das, etwas abfällig, denunzieren oder verpfeifen; heute ist "whistle-blowing" positiv konnotiert.

Unter solch rigiden Randbedingungen wird sich die Zahl künftiger Gourmet-Essen bei KIT in Grenzen halten. Einen Event sehe ich jedoch, der unbedingt mit einem sehr gutem Menü in einem Sternelokal gefeiert werden muss: nämlich wenn, in ferner Zukunft, etwa um das Jahr 2025, die Messungen an dem kernphysikalischen Großversuch "Katrin" erfolgreich abgeschlossen sein werden. Wenn der Projektleiter und Professor D. in aller Welt bekannt gibt, dass die Ruhemasse des Elektron-Neutrino zu 8*10^-6 MeV/c^2 in Karlsruhe KIT Campus Nord bestimmt worden ist, dann ist eine Sause unausweichlich. Einladen wird vermutlich eine der Vakuumfirmen, welche, über zwei Jahrzehnte hinweg, eine Vielzahl von (kostbaren) Komponenten für diesen Versuch zugeliefert hat.

Zehn Personen, fünf von Katrin, fünf von der Lieferfirma sind eine angemessene Besetzung. Als Speisenfolge schlage ich (im gedanklichen Rückgriff auf frühere, längst vergangene, Projektleitertätigkeiten) vor: Hummersüppchen, Seezunge, Rehrücken, Rohmilchkäse, mousse au chocolat - begleitet von Champagner, Riesling und rotem Bordeaux. Die Rechnung wird sich, in einem guten Ein-Sterne-Restaurant, auf ca. 2.000 Euro belaufen - ein Klacks, in Anbetracht der ca. hundert Millionen Investitions- und Betriebsaufwendungen für die Katrin-Anlage. Möglicherweise wird Frau Bourlá, wenn sie im Vorfeld darüber informiert wird, skeptisch die Augenbrauen hochziehen. In diesem Fall schlage ich vor, die fünf COMP-Damen mit ins Restaurant einzuladen. Vergrößert die Rechnung auf 3.000 Euro.

Großes Aufräumen bei Siemens

Der Korruptionsskandal bei Siemens wurde in den Jahren von 2006 bis 2008, aufgearbeitet. Als erstes traf es den Aufsichtsratsvorsitzende Heinrich von Pierer und den Vorstandsvorsitzende Klaus Kleinfeld, die beide entlassen wurden. Hinzu kamen einige Vorstandmitglieder, wie der Finanzvorstand Heinz-Joachim Neubürger. Die Amtsnachfolger Gerhard Cromme (im AR-Vorsitz) und der CEO Peter Loescher installierten eine zuweilen 500 Mann starke Untersuchungsabteilung, die jede Kontobewegung im fraglichen Zeitbereich unter die Lupe nahm. Der ehemalige Finanzminister Theo Waigel wurde als unabhängiger "Compliance-Monitor" verpflichtet. Von Pierer hat in seiner Autobiografie "Gipfel-Stürme" (bei Amazon noch für 4,64 Euro erhältlich) die damalige bewegte Zeit ausführlich beschrieben. Bekenntnisse zur eigenen Schuld sollte man in diesem Werk allerdings nicht erwarten.


Von Pierers Autobiographie

Die Gesamtkosten der verhängten  Strafen, Beraterkosten und Steuernachzahlungen beliefen sich schließlich auf 2,9 Milliarden Euro. Zu dieser erstaunlich hohen Summe hat auch das Drängen der US-amerikanischen Börsenaufsicht SEC beigetragen, denn die Aktie von Siemens war damals an der Wallstreet gelistet. Heinrich von Pierer stand im Zentrum der Recherchen, schließlich hatte er Siemens von 1992 bis 2005 als Vorstandsvorsitzender geleitet. Eine Schuld im juristischen Sinne war ihm jedoch nicht nachzuweisen, denn Schmiergeldzahlungen bei Wirtschaftsgeschäften waren damals in Deutschland nicht strafbar. Als der Druck der Öffentlichkeit zu groß wurde, bekannte er sich v. Piererzu seiner Verantwortung und zahlte im Jahr 2010 "freiwillig" 5 Millionen Euro - ohne Schuldanerkenntnis. Auch der ehemalige Finanzvorstand Neubürger - Vorgänger des jetzigen CEO Josef "Joe" Kaeser - geriet unter Druck. Aber erst 2014 konnte man sich mit ihm auf eine Schadensersatzsumme von 2,5 Mio Euro einigen, welche die Aktionärsversammlung der Siemens AG am 27 Januar 2015 akzeptierte.

Wenige Tage nach dieser Einigung beging Hans-Joachim Neubürger Selbstmord.

1 Kommentar:

  1. Unsere Generation hat in ihrer Jugend noch gelernt, dass anonyme Briefe in den Papierkorb gehören.

    Rudolf Avenhaus

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