Samstag, 26. September 2015

RWE - und seine Kommunen - am Abgrund

Der altehrwürdige, renommierte Energiekonzern RWE mit Sitz in Essen (NRW), steht vor dem finanziellen Abgrund. Abzulesen ist dies an seinem Aktienkurs. Vor der sogenannten Energiewende lag er noch bei 55, jetzt ist er auf 10 Euro pro Aktie abgestürzt. In den vergangenen viereinhalb Jahren hat der Konzern drei Viertel seines Börsenwerts verloren; vom Aktienhöchststand im Jahr 2008 ist gerade noch ein Zehntel übrig geblieben.  An manchen schlimmen Tagen, wie dem 15. September 2015, büßte die Firma sogar eine Milliarde ihres Wertes ein. Das Unternehmen ist damit nicht mehr die langfristig sichere Geldanlage, die vormals als "Witwen- und Waisen-Rentenpapier" empfohlen werden konnte. Einige meiner Freunde bei RWE wollten dies nicht wahrhaben. Sie kauften noch 2014 Aktien zum Kurs von 30 nach - und verloren inzwischen zwei Drittel ihres Investments.

Zu allem Überfluss plagen RWE auch noch riesige Schulden, so um die 35 Milliarden Euro. Sie resultieren zumeist aus Fehlentscheidungen früherer Firmenchefs. Der vormalige Hausjurist und überraschenderweise zum Vorstandsvorsitzenden hochgelobte Dietmar Kuhnt kaufte allerhand marode englische und amerikanische Wasserfirmen auf, was den vorher kerngesunden zum ersten Mal in hohe Schulden trieb. Sein Nach-Nachfolger Jürgen Großmann, ein Zwei-Meter-Manager mit Ruhr-Stallgeruch und einer Statur wie eine deutsche Eiche, investierte zur Unzeit Milliarden in eine Vielzahl von fossilen Kraftwerken. Der jetzige RWE-Chef, Peter Terium (52), geborener Holländer und gelernter Wirtschaftsprüfer, Vegetarier sowie Billardspieler, räumte auf. Er legte die meisten Kraftwerke seines Vorgängers still, darunter das nagelneue Gaskraftwerk "Claus C" und scheute sich auch nicht, das markante Bürohochhaus in Essen (Spitzname "Wattikan") an einen US-Immobilienfonds zu verscherbeln und wieder zurück zu leasen. Mittlerweile ist er bei einem Dutzend kleiner Wasserkraftwerke angelangt, deren Verkauf bis zum Ende d. J. geplant ist, weil sich ihr Betrieb für RWE angeblich nicht mehr lohnt.


Das Bürohochhaus des RWE in Essen ("Wattikan")

Geldsorgen der Kommunen

Die von der Bundesregierung nach Fukushima angeordnete Stilllegung der Kernkraftwerke hat RWE ins Mark getroffen. Drei große Atomkraftwerke (Biblis A und Biblis B) wurden sofort abgeschaltet, drei weitere (Emsland, sowie Gundremmingen B und C) sollen, zeitlich abgestuft, bis zum Jahr 2022 folgen. Diese Kernkraftwerke waren, neben den Kohlekraftwerken, die eigentlichen  Gewinnbringer des Konzerns. Kein Wunder, dass ihre Stilllegung in der Bilanz riesige finanzielle Lücken gerissen hat. Immerhin stellte ein Untersuchungsausschuss des Landes Hessen inzwischen fest, dass zumindest die Abschaltung der Kraftwerke Biblis A und B illegal war, weil der Betreiber dazu - wie im Atomgesetz verlangt - vorher nicht angehört worden war. Ministerpräsident Volker Bouffier schiebt die Verantwortung für diese Maßnahme der Bundesregierung zu. Demnächst wird die Bundeskanzlerin dem Ausschuss Rede und Antwort stehen müssen.

Die finanzielle Schieflage der RWE hat auch Auswirkungen auf die Kommunen in Nordrhein-Westfalen, denen der Konzern zu 24 Prozent gehört. Die Krise trifft sie sogar mehrfach: wegen verminderter Gewinne sinken die Gewerbesteuereinnahmen der betroffenen Städte, daneben müssen diese auch den Wertverlust ihrer Aktien und die Dividendenkürzungen verdauen. Die Reduktion der Dividende auf ca. 50 Cent pro Aktie wirft die Investitionsplanung der Städte Essen und Mülheim total über den Haufen. Fast noch schlimmer ist das Absinken des Börsenwerts für das RWE. Wie viele Kommunen in NRW hat die Stadt Essen bei Einführung der doppelten kaufmännischen Buchführung im Jahr 2007 den damaligen hohen Aktienkurs von 77 Euro als Eigenkapital in ihre Bücher genommen und damit einen satten Buchgewinn erzielt. Nach dem oben geschilderten Börsensturz musste allein die Stadt Essen ca. 800 Millionen auf ihre Beteiligung an RWE abschreiben. Das Eigenkapital der Stadt ist damit fast auf Null angelangt. Im Gegensatz zu Essen gibt es allerdings auch andere Städte in NRW, die nicht unter dieser Misere leiden. Die Landeshauptstadt Düsseldorf, beispielsweise, hat vor sieben Jahren ihre Anteile an RWE rechtzeitig verkauft und ist seitdem schuldenfrei!

Auch die Stadtwerke München haben große finanzielle Sorgen. Nachdem sie zuletzt noch 80 Millionen Euro Gewinn gemacht haben, wird dieses Jahr erstmals ein Minus vor dem Ergebnis nach Steuern stehen. Der Energiesektor hat seit Jahren den teuren, aber defizitären und unverzichtbaren U-Bahn-Ausbau mitfinanziert. Aus den Gewinnen der Stadtwerke konnte der Stadtkämmerer bisher zuverlässig ca. 100 Millionen Euro in den städtischen Haushalt einstellen. Das gilt zukünftig nicht mehr. Aber dieses Unglück kommt nicht allein. Die Stadt München ist auch mit 25 Prozent an dem Atomkraftwerk Isar II beteiligt und hat offensichtlich zu wenig Geld für dessen Abriss ab dem Jahr 2022 zurückgelegt. Etwa um 100 Millionen Euro muss diese Rücklage, angesichts der niedrigen Zinsen, aufgestockt werden. Dessen ungeachtet propagieren die Grünen dieser Stadt, dass München große Gewinne aus dem Betrieb von Windkraftanlagen zieht, an denen sie beteiligt ist. Verschwiegen wird, dass diese aus Subventionen herrühren, die vom Stromverbraucher bezahlt werden.

Zoff im Aufsichtsrat

Zu allem Überfluss hat bei RWE auch der seit 2009 agierende Aufsichtsratsvorsitzende Manfred Schneider angekündigt, dass er diesen Posten bei der nächsten Hauptversammlung im Frühjahr 2016 aufgeben werde. Ein neuer Kontrollchef musste also her; Gehalt: um die 300.000 Euro pro Jahr, also pea-nuts bei Herren dieses Kalibers. Üblicherweise obliegt es dem abgehenden Chef seinen Nachfolger zu finden - natürlich im Einvernehmen mit den anderen Aufsichtsräten. Und da begannen die Probleme, denn das hohe Gremium war sich nicht einig. Die Kommunen halten, aus historischen Gründen, zwar nur etwa ein Viertel des Aktienkapital, haben aber - wiederum aus historischen Gründen - volle 4 der insgesamt 10 Aufsichtsräte. Sie mussten in den Findungsprozess eingebunden werden.

Und der war nicht einfach, denn die Kommunen und die Kapitalseite (6 Sitze) verfolgen verschiedenartige Geschäftsmodelle. Die Kommunen wollen, etwas platt gesagt, aus dem weltweit agierenden Energiekonzern RWE wieder einen regionalen Versorger machen, ein großes "Stadt- und Landwerk", wie einer der ihren sagte. Sie betrachten den Konzern fast als Eigentum der Stadt- und Landkreise und halten es für das Wichtigste, dass es genug Dividende für die klammen Kommunen gibt - selbst wenn das Unternehmen wenig abwirft und jeden Euro eigentlich für die Investitionen bräuchte. Die Kapitalseite betrachtet diese Vision als rückwärts gewandt und zieht da nicht mit. Der Kandidat der Kommunen war der ehemalige Bundeswirtschaftsminister Werner Müller, derzeit Chef der Ruhrkohle AG und ein Strippenzieher allererster Güte. Er hätte, im Sinne der Kommunen, das RWE mehr oder minder verstaatlicht, wie seinerzeit seine Abbruchfirma RAG.

Nun, Müller ist aus dem Rennen, denn Schneider hat seinen Nachfolger gefunden. Es ist der ehemalige Chef des Software-Konzerns SAP, namens Werner Brandt. Zwei weitere Mitglieder wollen den RWE-Aufsichtsrat ebenfalls verlassen, unter ihnen der Daimler-Vorstandschef Dieter Zetsche. (Will er etwa die Diesel-Software in Sindelfingen überprüfen?). Da vom kommenden Jahr an bei der Besetzung des RWE-Aufsichtsrats die Frauenquote zu berücksichtigen ist, werden zwei sachkundige Damen gesucht.

Also: "Ladies to the front!"

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