Freitag, 14. August 2015

Das Bundesverfassungsgericht - "eine Laienspielschar?"

Heute würde es niemand mehr wagen - schon gar  kein Politiker - die Richter des Bundesverfassungsgericht als "Laienspielschar vom Karlsruher Schlossplatz" zu bezeichnen. Damals, in den fünfziger Jahren, waren derlei despektierliche Redeweisen unter den Politikern der provisorischen Bundeshauptstadt Bonn aber durchaus gang und gäbe. Inzwischen hat das oberste deutsche Gericht mächtig an Status gewonnen. Wenn es seine weitreichenden Urteile verkündet, sitzen im Auditorium in der Regel leibhaftige Minister und nicken brav mit den Köpfen - auch wenn sie den Spruch der hohen Richter ganz und gar nicht goutieren.

Das Ambiente

Am 23. Mai 1949 trat das Grundgesetz in Kraft. Es sah (erstmalig in Deutschland) die Einrichtung eines Verfassungsgerichts vor. Als Standort wurde Karlsruhe gewählt, was kein Zufall war. Baden hatte vorher seine staatliche Selbstständigkeit verloren und war in dem Südweststaat Baden-Württemberg aufgegangen, was von den Einwohnern Badens als "schwerwiegende Verletzung des föderalen deutschen Staatsaufbaus" angesehen wurde. Für die Stadt Karlsruhe war der Titel "Residenz des Rechts" eine gewisse Entschädigung für den Verlust der Hauptstadtfunktion.

Dessen ungeachtet gibt es so etwas wie eine Karlsruher "Urangst", jemand könnte der Stadt das Verfassungsgericht wegnehmen. Tatsächlich wurde bei der Wiedervereinigung kurz erwogen, das Gericht nach Leipzig oder Potsdam zu verlegen. Es kam nicht dazu. Die Richter schätzen das unaufgeregte Karlsruher Lebensgefühl sowie die badische Liberalität. Und die Distanz zum allzeit hektischen Berliner Politikbetrieb.

Im Jahr 1951 nahm das Bundesverfassungsgericht (BVG) seine Arbeit auf. Zunächst war das BVG im Palais des ehemaligen Prinzen Max von Baden untergebracht. Im Jahr 1969 bezog es das von dem Architekten Paul Baumgarten entworfene Gebäudeensemble am Karlsruher Schloss, welches in der Tradition der deutschen Bauhaus-Architektur steht. Transparenz und Offenheit prägen sein Erscheinungsbild, das im Wesentlichen aus sechs würfelartigen Baugruppen besteht. Das denkmalgeschützte Gebäude wurde in den Jahren 2011 - 14 grundlegend saniert.



Das Bundesverfassungsgericht, eingebettet zwischen Schlossplatz (oben) und Botanischen Garten (unten) mit den sechs Gebäudeteilen. (Foto: BNN)

Die transparente Bauweise des BVG signalisiert dem Bürger, dass sich das Gericht in ihren Dienst stellen will. Anders als frühere "Justizpaläste", etwa das Reichsgericht in Leipzig, das mit Portikus und Kuppel ein Beispiel für wilhelminische "Staatsarchitektur" war und das heute als Bundesverwaltungsgericht dient. Freilich ist der Zutritt zum BVG nicht schrankenlos. Eine Hundertschaft der Bundespolizei bewacht das Gebäude subtil aber effizient. Demgegenüber ist der ebenfalls in Karlsruhe beheimatete Bundesgerichtshof (wegen Überfällen in der RAF-Zeit) streng verbarrikadiert und die Generalstaatsanwaltschaft befindet sich sogar in einer Art Festungsbau.

Die Richter

Das Bundesverfassungsgericht ist ein Zwillingsgericht. Es besteht aus zwei Senaten. die mit jeweils acht Richtern und Richterinnen besetzt sind. Die Hälfte dieser Richter wählt der Bundestag, die andere Hälfte der Bundesrat. Wer 40 Jahre alt ist und das 2. Juristische Staatsexamen bestanden hat, kann zum BVG berufen werden. Die Amtszeit beträgt (einmalig) 12 Jahre. Jeder Senat bildet mindestens 3 drei Kammern, mit jeweils drei Mitgliedern. Sie bearbeiten Verfassungsbeschwerden von nicht grundsätzlicher Bedeutung. Das BVG hat insgesamt 260 Beschäftigte und einen Jahresetat von 29 Millionen Euro.

Professor Andreas Voßkuhle ist derzeit Präsident des Bundesverfassungsgericht. Er kommt von der Universität Freiburg, wo er einige Jahre Rektor war. Sein Stellvertreter ist Ferdinand Kirchhof, dessen wissenschaftlicher Heimathafen die Universität Tübingen ist. Kirchhof ist der Bruder des einstigen Verfassungsrichter und Steuerexperten Paul Kirchhof. Seit 2011 agiert Peter Müller als Verfassungsrichter am BVG und ist dort zuständig für das hochkomplexe NPD-Verbotsverfahren. Müller war 12 Jahre lang Ministerpräsident des Saarlandes und vorher Richter am Landgericht Saarbrücken.

Jeder Richter hat vier Assistenten bzw. Assistentinnen, die ihnen zuarbeiten. Es sind junge, hochqualifizierte Juristen, manche bereits mit Richtererfahrung, welche die Literatur auswerten und die Fälle für ihren jeweiligen Richter vorbereiten. Sie werden als der heimliche "dritte Senat" bezeichnet. Logischerweise sind diese auf wenige Jahre befristeten Stellen bei juristischen Berufsanfängern sehr begehrt.


Die Richtertracht des BVG

In der Öffentlichkeit sind die Richter und Richterinnen durch die scharlachroten Roben mit weißem Jabot bekannt. Die Roben sind der traditionellen Richtertracht der Stadt Florenz aus dem 16. Jahrhundert nachempfunden; sie hat ein Karlsruher Kostümbildner entworfen.

Die Verfahren

Das Bundesverfassungsgericht ist Hüter des Grundgesetzes. Es umfasst derzeit 141 Artikel, beginnend mit dem Artikel 1, die Würde des Menschen ist unantastbar (whatever that is), über den Artikel 16a, Politisch Verfolgte genießen Asyl, bis zum Artikel 141, der die Religionsfreiheit sicherstellt. Die häufigste Verfahrensart ist die Verfassungsbeschwerde. Jedermann kann behaupten durch Gerichtsurteile oder behördliche Verfügungen in seinen Grundrechten verletzt worden zu sein und demzufolge Verfassungsbeschwerde vor dem BGV erheben. Hierfür werden keine Gebühren verlangt. Im Normenkontrollverfahren prüft das BVG, ob Gesetze des Bundes oder der Länder mit dem Grundgesetz vereinbar sind. Der Erste Senat ist als sog. Grundrechte-Senat für die Verfassungsbeschwerden zuständig, der Zweite Senat, als sog. Staatsgerichtshof für die Bund-Länder-Streitigkeiten. Die mündlichen Verhandlungen und Urteilsverkündigungen sind öffentlich.

Von 1951 bis 2014 wurden insgesamt 214.462 Verfahren beim BVG anhängig. Davon sind 7.826 im Senat und 180.044 in den Kammern abgehandelt worden. Bei 2.704 Anträgen wurde auf Erlass einer einstweiligen Verfügung entschieden. Der freie und kostenlose Zugang zum Verfassungsgericht birgt auch Schattenseiten. Unter den Kunden des BVG gibt es einige "Dauerkläger", die bereits 300 bis 400 Verfassungsbeschwerden (erfolglos) erhoben haben. Ein Anwalt ist für solche Klagen nicht erforderlich und die durchschnittlichen Kosten von 5.000 Euro trägt die Staatskasse.

Bei der Vollstreckung der Urteile gab es vor allem in den Anfangsjahren einige Schwierigkeiten. Im Bewusstsein, sich nicht um "die Laienspielschar am Karlsruher Schlossplatz" kümmern zu müssen, negierten manche Parlamente einfach die Urteile des BGV. Das geschah zum Beispiel bei der Entscheidung zur Gleichstellung von nichtehelichen Kindern in den sechziger Jahren. Der Gesetzgeber ließ die Frist, die ihm das Bundesverfassungsgericht zur Herstellung einer verfassungsgemäßen Rechtslage gesetzt hatte, tatenlos verstreichen. Daraufhin drohte das Gericht, alle Gesetze, die diese Fälle betreffen, für verfassungswidrig zu erklären. Das hat den Gesetzgeber motiviert, dann doch sehr schnell verfassungskonforme Regelungen zu verabschieden.

Ansonsten fühlen sich die Richter des Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe gut aufgehoben. Wer in diesen warmen Sommertagen das Café Max beim Prinz-Max-Palais besucht wird nicht selten dem einen oder anderen begegnen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Impressum

Angaben gemäß § 5 TMG:

Dr. Willy Marth
Im Eichbäumle 19
76139 Karlsruhe

Telefon: +49 (0) 721 683234

E-Mail: willy.marth -at- t-online.de