Samstag, 18. Juli 2015

KKW Grafenrheinfeld: Kapitalvernichtung par excellence

Für das Kernkraftwerk Grafenrheinfeld gab es in seiner Geschichte drei Stilllegungstermine. Im April 2002 setzte die damalige rot-grüne Bunderegierung unter Schröder/Trittin im sog. Atomkonsens durch, dass das KKW Grafenrheinfeld seine Stromproduktion im Jahr 2014 beenden müsse. Im Oktober 2010 beschloss die schwarz-gelbe Regierung unter Merkel/Westerwelle eine Laufzeitverlängerung um 14 Jahre. Nach den Vorfällen in Fukushima ordnete die gleiche Bundesregierung ein halbes Jahr später den sog. Atomausstieg an. Für Grafenrheinfeld bedeutete das die endgültige Abschaltung zum Ende des Jahres 2015. Tatsächlich wurde das Kraftwerk bereits am 27. Juni 2015 um 23.59 Uhr aus dem Betrieb genommen. Der Anlass für diese vorzeitige Abschaltung war nach Angaben des  Betreibers Eon die mangelnde Wirtschaftlichkeit der Anlage infolge der Brennelementsteuer.

Das Kernkraftwerk liegt etwa 7 Kilometer südlich von Schweinfurt und 25 km nordöstlich von Würzburg. Es ist damit im sog. Schweinfurter Becken gelegen; der Main verläuft in etwa 500 Meter Entfernung. Die Region um das KKW gilt als erdbebensicher und ist durch Hochwasserschutzdämme vor Überflutungen geschützt. Die Bereitstellung großer Mengen Wasser für die Kühltürme ist durch die nahe Lage des Mains gewährleistet.


Das KKW Grafenrheinfeld und seine Umgebung

Bau und Betrieb der Anlage

Die Planungen für das Kernkraftwerk Grafenrheinfeld reichen zurück bis ins Jahr 1969. Damals beschloss das Energieversorgungsunternehmen Bayernwerk AG in dieser fränkischen Gegend ein Kernkraftwerk zu bauen. Die Politik unterstützte dies Vorhaben, wobei der damalige SPD-Forschungsminister Klaus von Dohnanyi 1972 bei einer Podiumsdiskussion feststellte: dass es angesichts des ständig steigenden Energiebedarfs keine Alternative zur Kernenergie gibt. Der Auftrag zur Errichtung des Kernkraftwerks ging an Siemens-KWU; mit dem Bau wurde 1975 begonnen. Ins Auge gefasst war ein Druckwasserreaktor der 3. Generation, eine sog. "Vor-Konvoi-Anlage". Die thermische Leistung lag bei 3765 Megawatt, die elektrische Bruttoleistung wurde (später) auf 1345 MW festgelegt. Die Schmiederinge für den 530 Tonnen schweren Reaktordruckbehälter wurden in Japan gefertigt. Er war auf einen Druck von 160 bar ausgelegt und wurde (pro Stunde) von 68.000 Tonnen 300 Grad heißem Wasser durchströmt.

In Betrieb ging Grafenrheinfeld im November 1981. Die gesamten Baukosten beliefen sich auf 2,5 Milliarden DM. Der Bundespräsident Karl Carstens besuchte damals den Standort und bekundete: die deutschen Kernkraftwerke sind die sichersten in Europa, kein Weg führt an der Kernenergie vorbei. Auffallend war, dass die abgehenden Leitungen auf teilweise sehr niedrigen Strommasten verlegt waren. Die Benutzung des Weges außerhalb des Kraftwerkgeländes entlang der Schaltanlage war deshalb für Fahrzeuge mit mehr als vier Meter Höhe untersagt. Der Reaktorbetrieb verlief insgesamt ohne ernsthafte Störungen. Es gab nur einen einzigen Vorfall, welcher mit der INES-Stufe 1 in der sonst siebenfachen Bewertungsskala eingeordnet wurde. Dies waren Korrosionsschäden an den Buchsen der Steuerstäbe.

Wertung und Fazit

Erstens:  Hervorragende Betriebsbilanz

Das KKW Grafenrheinfeld blickt auf 33 Jahre zuverlässigen Betrieb mit einer durchschnittlichen Verfügbarkeit von 90 Prozent zurück. Mehrfach wurde es "Kraftwerks-Weltmeister", d. h. dasjenige Kernkraftwerk, welches - weltweit und jährlich - den meisten Strom produzierte. Insgesamt platzierte sich Grafenrheinfeld 15 Mal in dieser sog. Top-Ten-Liste der ca. 400 Kernkraftwerke weltweit.
Bis Ende März 2015 wurden insgesamt 331 Milliarden Kilowattstunden Strom produziert. Das entspricht einer Einsparung von ca. 330 Millionen Tonnen CO2 - einer Menge, die der gesamte deutsche Straßenverkehr in 2 Jahren verursacht.

Zweitens:  Millionenschwere Nachrüstung

Im Laufe der Jahre wurden 600 Millionen Euro in die Nachrüstung zur Anlagenverbesserung investiert. Noch im Jahr 2013/14 wurden die Kältemaschinen ausgetauscht, weil der Einsatz des bisherigen Kältemittels wegen einer EU-Verordnung nicht mehr zulässig war. Zudem setzte die Betriebsleitung alle Punkte der "Post-Fukushima-Maßnahmen" ohne Einschränkung trotz des vorgesehenen Abschalttermins in 2015 um.

Drittens:  Internationale Entwicklung

Das deutsche Beispiel der vorzeitigen Abschaltung funktionstüchtiger Kernkraftwerke findet international keine Nachfolger. Im Gegenteil: in vielen Ländern werden die Betriebsgenehmigungen der laufenden Atomkraftwerke auf 50 bis 60 Jahre ausgedehnt. Darüberhinaus gibt es konkrete Neubaupläne für Kernkraftwerke in Polen und Großbritannien. Mit finanzieller Unterstützung der EU.

Viertens:  Kapitalvernichtung

Die im Frühjahr 2011 sofort abgeschalteten 8 Kernkraftwerke und die 9 bis zum Jahr 2022 stillzulegenden Anlagen besitzen einen erheblichen Restwert. Von Finanzfachleuten wird er auf 20 bis 25 Milliarden Euro abgeschätzt. Dieses Kapital ist durch die politische Entscheidung zum vorzeitigen Atomausstieg vernichtet worden. Gleichzeitig wird der volkswirtschaftliche Schaden dadurch vermehrt, dass im Zuge der Energiewende für die Förderung von Wind und Sonne jährlich 25 Milliarden an Subventionen verschlungen werden.

Samstag, 11. Juli 2015

KIT kippt ANKA

Man kann nicht behaupten, dass das KIT - der Zusammenschluss des ehemaligen Forschungszentrums mit der Technischen Universität Karlsruhe - bei der Durchführung seiner Großprojekte sonderlich Fortune hätte. Die vor etwa 15 Jahren begonnenen Projekte Katrin und Bioliq  schleppen sich so hin; die Fortschritte sind infinitesimal, die Mehrkosten und Terminverzögerungen hingegen substantiell. Nun kommt ein weiteres "krankes" Großforschungsgerät hinzu: die Synchrotron-Strahlenquelle ANKA. Im Gegensatz zu den beiden Vorgenannten ist die Anlage aber bereits seit längerem erfolgreich in Betrieb. Nun jedoch scheint es für sie keine Finanzmittel mehr zu geben, weshalb das KIT-Präsidium die Abschaltung der ANKA angeordnet hat.

Skepsis und Euphorie zu Beginn

Die Idee für ANKA kam in den neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts auf, als der damalige Geschäftsführer  (M. Popp) die "Denuklearisierung" des Kernforschungszentrums so heftig betrieb, dass die Notwendigkeit zum Bau einer neuen Strahlenquelle für die Materialforschung offenkundig wurde. Anfangs wehrte sich der Bundesforschungsminister Jürgen Rüttgers noch erfolgreich gegen dieses Projekt, da seiner Meinung nach mit Bessy II in Berlin und alsbald mit Petra III in Hamburg genügend Anlagen dieser Art in der Bundesrepublik verfügbar waren. Als jedoch der baden-württembergische Ministerpräsident Erwin Teufel dem Bund anbot, 50 Prozent der Investitionskosten beizusteuern (statt üblicherweise 10 Prozent), kam das Projekt ins Laufen. Bund und Land teilten sich die Gesamtkosten von 54 Millionen DM. So konnte am 2. Februar 2001 der Festakt zur Einweihung der ANKA vor 400 geladenen Gästen mit viel Prominenz stattfinden. Popp spendete allen Beteiligten viel Lob und konnte sich nicht enthalten, auch die rote Haarpracht der neuen Forschungsministerin Edelgard Bulmahn zu würdigen.

Der grundsätzliche technische Aufbau der ANKA (= Angströmquelle Karlsruhe) ist schnell erzählt. Durch zwei Beschleuniger werden Elektronen in einen Speicherring von 110 Metern Umfang eingeschossen und  dort im Ultrahochvakuum bis zu einer Strahl-Stromstärke von 200 Milliampere angesammelt. 16 Magnete halten die Elektronen auf dieser Ringbahn; bei deren Ablenkung entsteht die Synchrotronstrahlung, welche - über Strahlrohre - für Versuche zur Bildgebung, Spektroskopie, Materialuntersuchung etc. verwendet wird. Im Vergleich zu konventionellen elektromagnetischen Quellen liefert ein Synchrotron eine höhere spektrale Bandbreite und eine höhere Intensität.

Aufschwung und Niedergang

Nach der Fertigstellung des Speicherrings dauerte es noch bis zum Jahr 2003, bis die sieben Strahlrohre zur Nutzung der ANKA eingebaut waren. (Heute sind 20 sog. beam-lines entweder installiert oder im Bau bzw. in der Planung). Die Anlage stand nun endlich den Forschern zur Verfügung und die Helmholtzgemeinschaft finanzierte sie entsprechend als Großgerät der Leistungskategorie II (LK II) Damit stand sie auch für externe Nutzer bereit und für diese hochwillkommenen (und zahlende) Kunden  wurde sogar ein schmuckes Gästehaus mit 10 Zimmern unweit der ANKA errichtet. Als 2006 der Zusammenschluss von FZK und TU Karlsruhe zum KIT verkündet wurde, schien man auf der richtigen Spur zu sein. Die neue Großorganisation verfügte über ein jährliches Gesamtbudget von 700-800 Millionen Euro, woraus sich der Bedarf der ANKA in Höhe von 20-30 Millionen Euro jährlich scheinbar locker finanzieren ließ. Die (sachkundigen) Professoren Maschuw und Saile hielten ihre schützende Hand über das neugeborene Baby.



Das Gästehaus der ANKA für auswärtige Nutzer

Doch die Euphorie war bald verflogen. Das KIT startete zwar als Gewinner der ersten Exzellenzinitiative sehr erfolgreich, verlor aber den Elite-Status bereits wenige Jahre später. Mit ihm gingen 60-80 Millionen Euro an zusätzlichen Geldern verloren, die bereits eingeplant, ja zum Teil schon investiert waren. Die Finanzsituation am KIT war zeitweise so prekär, dass die Hilfsassistenten ("Hiwis") monatelang kein Geld bekamen und die Absolventen erst nach einem halben Jahr ihr Zeugnis erhielten, weil die magersüchtige Verwaltung zu wenige Sekretärinnen hatte.

Unter dieser Finanzklemme litt zunehmend auch die ANKA-Anlage samt zugehörigem Institut und den Sachleistungen für die Forschung.

Bei der Sitzung des KIT-Senats am 18. 5. 2015 kam das für die ANKA zuständige Präsidiumsmitglied (Professor Löhe) zu einem vernichtenden Urteil bezüglich der Konkurrenzfähigkeit zu anderen Anlagen sowie zur Finanzsituation der ANKA. Mit ihrem vergleichsweise kleinem Speicherring von 110 Metern sei ANKA den Anlagen BESSY II (mit 240 Meter) und vor allem PETRA III (2300 Meter) technisch weit unterlegen. Die Aufrüstung des Speicherrings der ANKA würde mindestens 65 Millionen Euro kosten, was KIT nicht finanzieren könne. Im übrigen befände sich ANKA bereits jetzt in einer finanziell sehr angespannten Lage, da im Budget 6 bis 10 Euro jährlich fehlen und ausserdem angehäufte Schulden in Höhe von 10 Millionen den Anlagenbetrieb strangulierten. Deshalb könne auch der von den Gutachtern vorgeschlagene 24-stündige Versuchsbetrieb über 7 Wochentage hinweg nicht durchgeführt werden. Löhe empfahl stattdessen, die derzeit im Aufbau befindlichen "Super-Strahlrohre" nicht mehr bei ANKA einzubauen, sondern an die genannten Wettbewerber zu verkaufen.

Nach einer längeren Diskussion im KIT-Senat erging folgender Beschluss: ANKA wird sich ab dem Jahr 2020 nicht mehr am nationalen Wettbewerb der deutschen Synchrotronanlagen beteiligen. Stattdessen wird - rückwirkend zum 1. 1. 2015(!) - die Anlage von der Leistungskategorie II in die Leistungskategorie I überführt, also nur noch zur Eigenforschung als (abgemagertes) KIT-Gerät benutzt. Bei der kommenden Herbstsitzung des Helmholtzsenats soll dieser Beschluss zur Bestätigung vorgelegt werden.

Arme ANKA

Seit der Personalrat vor einigen Wochen das Thema ANKA aufgegriffen hat, ist das Schicksal dieser Anlage das vorrangige Gesprächsthema im ehemaligen Forschungszentrum, sprich KIT Campus Nord. Einige Meinungen der Beschäftigten seien hier kurz dargestellt:

Verwunderung erregt vor allem, dass eine so (budgetmäßig) kleine Anlage das große KIT in finanzielle Schwierigkeiten bringen kann. Im ehemaligen Kernforschungszentrum lief das "Ur-Zyklotron" (in etwa vergleichbar mit ANKA) finanziell unter "ferner liefen".  Damals stemmte man ganze Kernreaktoren (wie FR 2, SNEAK), ja sogar Kernkraftwerke (wie MZFR, KNK I, KNK II) nebst teuren Hilfsanlagen (wie Heiße Zellen) - ohne in finanzielle Bedrängnis zu geraten und sogar mit einem weitaus kleineren Jahresbudget als heute das KIT.

Kolportiert wird unter den Mitarbeitern, dass ANKA nicht mehr unter die neue Strategie des Präsidiums passe, mit den Schwerpunkten Energie, Mobilität, Information. Nun ist allgemein bekannt, dass Schlagworte dieser Art eine geringe Halbwertszeit haben. Noch vor kurzen propagierte man 6 Kompetenzbereiche mit 30 Kompetenzfeldern. Außerdem: warum diese Hervorhebung der Information? Waren es nicht gerade die Informatiker, welche vor einigen Jahren durch unqualifizierte Forschungsanträge für den Verlust des Elite-Status verantwortlich waren?

Den ANKA-Betreibern wird vorgeworfen, sie hätten 10 Millionen Schulden angehäuft. Potz Blitz: da stellt sich doch die Frage nach der Verantwortung der zentralen Abteilung Finanzmanagement! Sie ist direkt unter dem Präsidium angesiedelt. Warum haben die dortigen Manager und Controller nicht rechtzeitig-STOPP!- gerufen und damit den Schuldenaufbau verhindert? Ihn lastet man allein der kleinen wissenschaftlichen Organisationseinheit ANKA an. Nun will das Präsidium, wie großzügig, die Hälfte dieser Schulden übernehmen, die andere Hälfte soll ANKA bis 2019 abtragen. Als blutarmes Institut, auf Eigenforschung zurückgesetzt und ohne zusätzliche Einnahmen durch externe Kunden.

Im übrigen: wo verbleiben die 90 Millionen Finanzmittel, welche die ANKA-Mitarbeiter durch ihren kompetenten Einsatz im Rahmen der PoF III-Begutachtung errungen haben? Durch freiwillige Aufgabe des LK II-Status müssten sie zur Gänze entfallen. Aber wiederum wird kolportiert, dass das Präsidium eine "Deal" mit dem Forschungsministerium und der Helmholtzgemeinschaft vor habe. Er sieht möglicherweise so aus, dass KIT auf 40 Millionen verzichtet, um die restlichen 50 Millionen zu "retten". Von dieser Umorientierung der Photonenquelle wären auch viel Karlsruher Vorhaben negativ betroffen. Das "Verhökern" der wertvollen Strahlrohre an frühere Wettbewerber frustriert  die Mitarbeiter der ANKA ganz besonders.

Nach Ansicht vieler Mitarbeiter wird es zunehmend schwieriger im KIT Campus Nord wissenschaftliche Großprojekte zu initiieren und zu betreiben. Das Präsidium besteht zu wesentlichen Teilen aus Maschinenbauern, der einzige Physik-Präside ist (fachfremd) im Ressort Wirtschaft und Finanzen untergebracht.

Wieviele der 32 Hallenkranfahrer, der 7 Gabelstapelfahrer, der rd. 100 Wissenschaftler und Techniker (knapp die Hälfte sind Zeitverträgler, aber mit fast unersetzbarem Expertenwissen!) werden die 3 leitenden Institutsprofessoren zukünftig noch einsetzen können?  Die gesamte Mannschaft ist in Schockstarre. Verständlich, dass sie die Anlage besser nicht anrührt!


Still ruht der (Elektronen-) See

Impressum

Angaben gemäß § 5 TMG:

Dr. Willy Marth
Im Eichbäumle 19
76139 Karlsruhe

Telefon: +49 (0) 721 683234

E-Mail: willy.marth -at- t-online.de