Dienstag, 30. Juni 2015

Leseprobe: "Windkraft auf See"

Anbei eine zweite Leseprobe aus meinem Buch "Energiewende und Atomausstieg - Chance oder Irrweg":

Windparks auf See, auch off-shore-Windparks genannt, sind Ensembles, die im Küstenvorfeld der Meere errichtet werden und zwar nicht auf „hoher See“, sondern ausschließlich auf dem Festlandssockel. Solche Standorte zeichnen sich durch kontinuierliche Winde und hohe Windgeschwindigkeiten aus, wodurch die einzelnen Windkraftanlagen (WKA) 3500 bis 5000 Volllaststunden im Jahr erzielen. Noch im Jahr 2000 war die Annahme verbreitet, es gebe in der Bundesrepublik nicht genug Platz, um hinreichend viele WKA auf dem Land (on-shore) aufzustellen. Zugleich wurde in einigen Bundesländern mit relativ windschwachen Standorten die Windkraftnutzung von den dortigen Landesregierungen politisch blockiert. Dazu zählten vor allem Bayern, Baden-Württemberg und auch Hessen. Aufgrund dieser Situation beschloss man, den Aufbau der Windanlagen auf See zu forcieren.

Im Energiekonzept der schwarz-gelben Bundesregierung wurde deshalb im Jahr 2009 als Ziel die Errichtung einer off-shore-Windleistung von 10.000 MW bis zum Jahr 2020 festgelegt; bis 2030 sollten 25.000 MW installiert sein. Davon sind heute, aus Gründen, die unten erläutert werden, erst 520 MW erreicht. Der Fördersatz gemäß EEG für Windparks auf See, welche bis zum Jahr 2015 ans Netz gehen, beträgt 15,4 Cent pro Kilowattstunde für die ersten 12 Betriebsjahre. Diese Vergütung kann bis zu 19,4 ct/kWh für Anlagen steigen, die weit vor der Küste und risikoreich in großer Wassertiefe gebaut werden. Die Vielzahl der Einzelvergütungen kann man Internet nachlesen.

Entsprechend den stärkeren Windkräften auf See sind die Rotoren dieser Windräder für höhere Leistungen als an Land ausgelegt. Derzeit gelten Windkraftanlagen mit 3,6 bis 6 MW und Rotordurchmesser zwischen 107 und 126 Metern als Standard. Prototypen mit Nennleistungen zwischen 6 und 8 MW laufen bereits im Probebetrieb. Anlagen über 10 MW mit Rotordurchmessern bis zu 200 Metern sind in der Entwicklung. Die Installierung von off-shore-Windparks ist teuer und erfolgt mittels geschleppter Hubinseln oder speziell dafür gebauter Errichterschiffe. Zur Standsicherheit der Windräder sind ausgetüftelte Fundamente (Monopiles und Tripods) erforderlich, die das Gewicht des Bauwerks tragen und der Kraft von Wind und Wellen entgegenwirken können. Auch über die Verwendung schwimmender Fundamente wird nachgedacht.

Teure Prototypen: Der erste Windpark in der Nordsee war Alpha Ventus mit 60 MW Gesamtleistung, der von der DOTI-Gruppe betrieben wurde. Er befindet sich 45 km nordnordwestlich vor der Insel Borkum, also außerhalb der 12 Seemeilen-Zone. Die Wassertiefe beträgt am Standort ca. 30 Meter. Alpha Ventus umfasst 12 Windräder zu je 5 MW Leistung. Die Baukosten betrugen 250 Millionen Euro, womit der ursprüngliche Finanzplan um 60 Millionen überschritten wurde.
Der erste Windpark in der Ostsee war Baltic 1, der in der Eigentümerschaft von EnBW errichtet wurde. Er besitzt eine Gesamtleistung von 50 MW und wird von 21 Turbinen gespeist. Sein Standort ist nördlich der Halbinsel Zingst, noch innerhalb der 12-Seemeilen-Zone und in einer Wassertiefe von 16 bis 19 Metern. Baltic 1 wurde im Mai 2011 von der Bundeskanzlerin feierlich in Betrieb genommen. Im Herbst des gleichen Jahres standen die Anlagen einen Monat lang still, weil ein Schlepper die Umspannstation gerammt hatte.

Der Windpark Riffgat befindet sich 15 km nordwestlich der Insel Borkum. 30 Siemens-Turbinen liefern insgesamt eine Leistung von 108 MW für die Eigentümergruppe Enova. Mit dem Projekt wurde 2011 begonnen; die erste Stromeinspeisung erfolgte im Februar 2014. Beim Bau verunglückte ein Taucher tödlich, als er ein Kabel am Meeresboden befestigen wollte.

BARD 1 ist der erste kommerzielle Windpark der BARD-Investorengruppe in der Nordsee. Er befindet sich 126 km westnordwestlich von Helgoland bei Wassertiefen um 40 Metern. Die Anlage besteht aus 80 Windrädern zu je 5 MW, die insgesamt 400 MW leisten. Der Aufbau begann im Jahr 2009 und sollte 2011 abgeschlossen sein. Aus technischen Gründen (siehe unten) verzögerte sich jedoch die Inbetriebnahme bis zum August 2013. Bei den Bauarbeiten kam ebenfalls ein Berufstaucher ums Leben; ein Arbeiter erlitt einen tödlichen Unfall, als sich eine Anlandeplattform aus ungeklärten Gründen löste und ins Wasser stürzte.

Es gibt eine Reihe technischer Gründe, welche das Tempo des Windkraftausbaus auf See gebremst haben. In erster Linie zu nennen ist der Mangel an sogenannten Errichterschiffen. Dies sind Spezialschiffe, welche die Windräder zu ihrem seeseitigen Standort bringen und dort als Plattform für Montagearbeiten aller Art dienen. Zwei Methoden werden in der Praxis angewandt: entweder die Windkraftanlagen werden als Komponenten auf dem Schiff gelagert (beziehungsweise allenfalls vormontiert) oder die Windräder werden bereits an Land komplett zusammengebaut und auf dem Schiff zum endgültigen Standort transportiert. Errichterschiffe vermögen bis zu 10.000 Tonnen Nutzlast zu tragen und sind entsprechend teuer. In Korea und Dubai werden sie für 150 Millionen Euro gefertigt; man kann sie aber auch für 100.000 Euro pro Tag mieten. In den Sommermonaten, wenn die See einigermaßen ruhig ist, sind alle Spezialschiffe dieser Art für Transporte zu den Küsten Deutschlands, Belgiens, Englands und Dänemarks ausgebucht. Die Besonderheit der Errichterschiffe sind ihre turmhohen Hubbeine, welche bei der Fahrt hoch aufragen. Am Ziel werden sie auf den Meeresboden abgesenkt, sodass sich das Schiff mit eigener Motorkraft in die Höhe ziehen kann, was einen sicheren Stand für die Montage der Windräder schafft. Das wichtigste Arbeitsmittel ist der bordeigene Riesenkran, der insbesondere in der Lage sein muss, die Betonfundamente von 500 Tonnen Gewicht sicher ins Meer abzusenken.

Mit dem weiteren Ausbau von Windkraftanlagen auf See werden in den kommenden Jahren Tausende Tonnen giftiger Metallverbindungen in Nord- und Ostsee eingebracht. Sie sollen das Verrosten der stählernen Fundamente der Windparks verhindern. Die Opferanoden, welche hauptsächlich aus Aluminium, aber auch aus Zink und Schwermetallen bestehen, lösen sich nämlich im Wasser nach und nach auf. Allein für den inneren Rostschutz der Stahltürme, auf denen die off-shore Windräder montiert sind, werden über eine Lebensdauer von 25 Jahren je Turm bis zu zehn Tonnen Aluminium in das Seewasser abgegeben. Das könnte bereits im Jahr 2020 eine zusätzliche Belastung der Nord- und Ostsee in der Höhe von knapp 10.000 Tonnen Aluminium bedeuten.

Probleme bei den Konverterstationen und der Gesamtplanung: Besonders aufwendig und kostenträchtig ist die elektrische Anbindung der off-shore-Windparks. Das geschieht durch Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung (HGÜ), um die Elektrizität verlustarm und ohne Blindleistung zur Küste leiten zu können. Die für die Stromwandlung benötigten Konverterstationen sind üblicherweise gigantische Stahlbauten, die – wegen ihres gelben Anstrichs – aus der Ferne wie überdimensionierte Briefkästen anmuten. Jeder Stahlkasten ist 62 Meter lang, 42 Meter breit und 42 Meter hoch; er wiegt 9.300 Tonnen und steht auf 100 Meter langen Pfählen. Um den Koloss auf diese Stelzen zu hieven, ist das größte Kranschiff der Welt mit 700 Mann Besatzung nötig. Tägliche Kosten: rund eine Million Euro! Oben, in der Ecke der gelben Box, befindet sich ein Hubschrauberlandeplatz. Im Inneren stehen die Transformatoren unter Überdruck, um die feuchte Seeluft fernzuhalten. Die Konverteranlagen bereiten derzeit noch große technische Schwierigkeiten. Im März 2014 kam es bei der Station Borwin Alpha zum Durchschmoren etlicher Isolatoren und Filter, wodurch der Windpark BARD 1 ohne Netzanbindung war. Als Fehlerquelle haben die Ingenieure der Lieferfirma ABB sogenannte Oberschwingungen ausgemacht, die zu heftigen Spannungsausschlägen führen. Die Beseitigung dieser Störungen scheint nicht einfach zu sein, denn derzeit sind nicht weniger als vier Hochschulinstitute damit beschäftigt.

Immer deutlicher zeigt sich, dass bei der Planung der deutschen off-shore-Windparks gravierende Fehler gemacht wurden. An erster Stelle sind die Standorte zu nennen. Nirgendwo sonst in der Welt werden die Anlagen soweit vom Land entfernt und in so tiefes Wasser gestellt, wie in der Deutschen Bucht. Auch die Zusammenarbeit zwischen Investoren, Hersteller und Netzbetreiber ist verbesserungsbedürftig. Mal ist der Windpark fertig (wie Riffgat), aber die Leitungen für den Stromtransport fehlen. Mal sind die riesigen Konverterstationen errichtet, aber die Windturbinen fehlen. (Zumeist, weil sich nicht genügend Investoren für den Standort gefunden haben). Häufig hinken auch die Geldgeber hinter der Planung und der Genehmigung zum Windpark her. Für die Fehlinvestitionen in nur halbvolle Stromnetze werden sie offensichtlich nicht belangt. Es wäre wohl besser gewesen, den Bau der Windparks und die Netzanbindung in eine Hand zu geben. Immerhin kostet ein Windpark nicht selten eine Milliarde Euro und die gleiche Summe ist noch einmal für die Netzanbindung zu berappen. Egal, wer für die Fehler haftbar gemacht werden kann, dem Stromkunden drohen in den allermeisten Fällen Mehrkosten. Im Jahr 2013 zahlten die Stromkonsumenten 720 Millionen Euro zusätzlich; im Folgejahr dürfte die Rechnung kaum niedriger ausfallen.

Viele Naturschutzauflagen: Bei der Identifizierung von off-shore-Standorten gibt es erhebliche Konkurrenz. Selbstverständlich ist das Naturschutzgebiet Wattenmeer tabu. (Dafür wird sich in ferner Zukunft dahinter ein „Megawattenmeer“ ausdehnen). Daneben gilt es aber auch die Fahrtrouten der Handelsschiffe zu meiden sowie militärische Sperrgebiete. Weite Areale der Deutschen Bucht sind zugeschüttet mit immer noch intakter Munition aus dem 2. Weltkrieg. Alliierte Flieger ließen nicht abgeworfene Sprengkörper oft einfach in die Nordsee plumpsen, um Sprit für den Heimflug zu sparen. Genehmigungsbestimmungen sehen vor, dass zuallererst Taucher den Meeresgrund mit Sonargeräten abzusuchen haben. Aber auch die Schweinswale sind per Auflage geschützt. Damit diese Säuger keinen Gehörschaden erleiden, schreiben die Behörden beim Rammen der Pfähle einen Grenzwert von 160 Dezibel vor. Delphine sollen zuerst mit Tröten „vergrämt“ werden. Es folgen Vibrationen und ein Präludium aus sanften Schlägen. Erst danach darf der Hammer auf Volllast gehen. All das kostet Zeit und Geld. Hinzu kommt, dass bei kabbeliger See im Schnitt ein Drittel der Arbeitstrupps wegen Übelkeit ausfällt.

Die vielen technischen und naturbedingten Schwierigkeiten haben die Geldgeber und Betreiber der offshore-Windparks verunsichert, ja verschreckt. Überall betreten ihre Ingenieure Neuland. Fritz Vahrenholt, der lange bei RWE die Öko-Sparte Innogy leitete, verglich das Vorhaben gar mit dem „ersten Flug zum Mond“. Hinzu kommt, dass die Naturschützer und Biologen strengere Umweltverträglichkeitsprüfungen fordern. Sie haben nämlich festgestellt, dass Amseln, Drosseln und Rotkehlchen große Gefahren von den Windrädern drohen. Bei schlechtem Wetter orientieren sich die Zugvögel an erleuchteten Punkten und geraten so massenhaft in die blinkenden Rotoren. Deshalb musste RWE auch einen bereits vor Helgoland genehmigten Windpark wieder aufgeben, weil sich dieser als Lebensraum des Seetauchers herausstellte, der unter Naturschutz steht.


Der Rückzug der Investoren, Betreiber und Großfirmen (wie Siemens) geschieht bereits, wenn auch weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit. Der deutsch-russische Financier Arngolt Bekker, der das Unternehmen BARD gründete und den gleichnamigen Windpark errichtete, gab bereits einen Großteil seines Geschäftes auf und entließ im August 2013 rd. 120 Mitarbeiter. Auch die vier großen deutschen Energieversorgungsunternehmen E.ON, RWE, EnBW und Vattenfall sind vorsichtiger geworden und investieren weitaus weniger als früher geplant. Alle Geldgeber meiden die sogenannten Cluster-Risiken, bei denen große Finanzmittel in Einzelprojekten gebunden sind. So wird das ursprüngliche Ziel, im Jahr 2020 10.000 MW am Netz zu haben, mit Sicherheit nicht erreicht werden. Allenfalls rechnet man mit einem Ausbau von 2000 – 3000 MW. Und auch das nur, wenn sich die Projekte unter den Fördersätzen der schwarz-roten Koalition rechnen. An der Küste und im norddeutschen Raum bangt man um mehrere zehntausend Arbeitsplätze, wenn auch die Zulieferindustrie ins Erlahmen gerät. Die Wirtschaftsminister der nördlichen Bundesländer sowie viele Bürgermeister richteten deshalb im August 2013 den „Cuxhavener Appell“ an die Politik: Die Bunderegierung solle sich um Investitionssicherheit im off-shore-Bereich sorgen. Bislang ist aus Berlin aber noch keine belastbare Antwort erfolgt.


PS.: Eine begrenzte Anzahl von Autorenexemplare sind für 10 Euro erhältlich. Hierfür Autor kontaktieren.

1 Kommentar:

  1. Vielen Dank. Dies ist ein sehr guter Artikel. Ich möchte auf eine Expedition zu gehen. also habe ich ein Schiff https://poseidonexpeditions.com/de/ships/50-years-of-victory/ gewählt und ich hoffe, dass die Forschung in der Antarktis wird erfolgreich sein.

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