Der 11. März 2011 war ein ganz besonderer Tag für die Welt und für die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel. Es war der Tag, an dem Teile von Japan durch ein mächtiges Erdbeben und einen nachfolgenden Tsunami verwüstet wurden. Und der Tag, an dem die Bundeskanzlerin ihre bislang positive Einstellung zur Atomtechnik diametral änderte. Die Kanzlerin war auf dem Weg nach Brüssel zu einer Ratssitzung, und auf ihrem iPad konnte sie die Meldungen aus Japan mitverfolgen. Als um 15 Uhr 30 mitteleuropäischer Zeit die japanische Regierung den Notstand ausrief, war etwas eingetreten, was Merkel bis jetzt für unvorstellbar gehalten hatte. Sie absolvierte die Sitzung äußerlich zwar ungerührt, aber für sich, ganz im Stillen, hatte sie wohl bereits eine Entscheidung getroffen.
Am nächsten Montagmorgen, bei der Lagebesprechung im
Bundeskanzleramt, gab Merkel vor ihren engsten Mitarbeiter zu, dass die
dramatischen Ereignisse in Japan ihre Einschätzung des Restrisikos der
Kernkraft verändert habe. „Das Restrisiko
der Kernenergie habe ich vor Fukushima
akzeptiert“, räumte die Kanzlerin ein. Sie sei überzeugt gewesen, dass ein
solcher Unfall in einem Hochtechnologieland wie Japan nicht eintreten werde.
Fukushima habe jedoch gezeigt, dass man sich auf diese Risikoannahmen nicht
verlassen könne. Sie werde deshalb im Sinne einer „zuverlässigen,
umweltverträglichen und sicheren“ Energieversorgung in Deutschland eine
Neubewertung vornehmen. Als Konsequenz aus der Reaktorkatastrophe von Fukushima
sollten die älteren deutschen Kernkraftwerke sofort und die jüngeren in kurzer
Frist gestaffelt und nach einem festgelegten Zeitplan stillgelegt werden. Was
die Kanzlerin damals noch nicht wissen konnte (oder wollte): das Restrisiko
hatte mit der Havarie der japanischen Reaktoren nicht das Geringste zu tun. Es
waren haarsträubende Planungs- und Betriebsfehler, welche den Gang der dortigen
Ereignisse bestimmten.
Tags darauf, am 15. März, traf sich die Bundeskanzlerin
mit den Ministerpräsidenten der Länder, in denen Kernkraftwerke aufgestellt
waren. Sie erläuterte den Plan eines Moratoriums
im Sinne einer vorsorglichen Gefahrenabwehr. Juristisch werde das Moratorium
gestützt durch Atomgesetz §19 Absatz 3, wonach man Kernkraftwerke einstweilen
oder gar endgültig abschalten könne, sofern Gefahr im Verzug sei. Die
Ministerpräsidenten stimmten dem zu. Die Bundeskanzlerin kündigte zusätzlich an,
dass die Reaktorsicherheitskommission (RSK) jedes Atomkraftwerk technisch
überprüfen werde, mit dem Ziel, bisher nicht entdeckte Risiken zu ermitteln.
Gleichzeitig beabsichtige sie eine Ethik-Kommission einzusetzen, welche über
die Zukunft der Kernenergie beraten und einen gesellschaftlichen Konsens vorbereiten
solle. Diese Kommission solle auch Vorschläge für einen praktikablen Übergang
zu den Erneuerbaren Energien vorbereiten. Für den Sommer 2011 stellte die
Bundeskanzlerin die Vorlage eines Gesetzes zum beschleunigten Atomausstieg im
Bundestag und in der Länderkammer in Aussicht.
Aus juristischer Sicht war das Moratorium erstaunlich
stümperhaft zusammengezimmert. Für eine Stilllegungsverfügung benötigt man als
Voraussetzung nämlich eine akute Sicherheitsgefahr. Diese war in Deutschland jedoch
nicht gegeben, da die Gefahrensituation der deutschen Atomkraftwerke sich von
jener der japanischen in Fukushima total unterschied. Die deutsche
Reaktorkommission hat dies später in ihren Bericht deutlich klargelegt. Im
Grunde hätten die Betreiber der stillgelegten deutschen Kernkraftwerke
lediglich eine Klage einreichen müssen, um ihre Anlagen sofort wieder anfahren
zu können. Die Bundesregierung hätte dies nur verhindern können, wenn sie ihre
Stilllegungsverfügung mit einem sogenannten Sofortvollzug
ausgestattet hätte. Dazu fehlte ihr aber die technische Begründung. Wie später
von der Presse aufgedeckt wurde, war dies Bundesumweltminister Röttgen und
seinen Referenten durchaus bekannt, aber man ging dort (und in den
Landesministerien) das Risiko der fehlenden Begründung wohl bewusst ein. Erst
später, als der Mediensturm zu Fukushima abgeebbt war, beschlossen die
Betreiber der abgeschalteten Atomkraftwerken vor Gericht zu ziehen und
Schadensersatz einzuklagen.
Wahlen im Blick: Bei all ihren Aktionen hatte die
Bundeskanzlerin die Landtagswahl in
Baden-Württemberg im Visier. Sie sollte am 27. März 2011 abgehalten werden
und ein Sieg der CDU war in ihrem Stammland keineswegs sicher. Ein Jahr zuvor
hatte der Übergang vom Ministerpräsidenten Günther Oettinger zu Stefan Mappus stattgefunden,
der als strammer Konservativer eine ideale Zielscheibe für die verbündeten
Parteien SPD und Grüne darstellte, zumal Mappus durch den heimlichen und wohl
auch überteuerten Rückkauf der EnBW- Aktien vom französischen EdF ein
ziemlicher Schnitzer unterlaufen war. Das Wahlergebnis geriet denn auch zum
Desaster für die Christdemokraten. Sie verloren 5,2 Prozent der Wählerstimmen
im Vergleich zur Wahl im Jahr 2006, blieben aber mit 39 Prozent immer noch
stärkste Partei. Das nützte jedoch wenig, denn die Koalition der
Sozialdemokraten und Grünen kam auf 47,3 Prozent. Und das Allerschlimmste aus
Sicht der CDU: die Grünen wurden mit 24, 2 Prozent stärkste Partei und durften
den neuen Ministerpräsidenten stellen. Seitdem regiert Winfried Kretschmann im
einstigen „schwarzen“ Bundesland und findet durch seine gelassene und souveräne
Art sogar Zuspruch bei anderen Parteigängern. Für die Bundeskanzlerin war die
verlorene Wahl in Baden-Württemberg (und die zum gleichen Zeitpunkt
stattgefundene – und ebenfalls verlorene - Wahl in Rheinland-Pfalz) nur noch mehr
Anlass, ihre Anstrengungen in Richtung Atomausstieg zu forcieren. Nach
Meinungsumfragen befürworteten 80 Prozent der Deutschen die Abkehr von der
Kernkraft, so dass selbst die CDU glaubte, auf diesen Megatrend aufspringen zu
müssen. Gleichzeitig hätte der Atomausstieg den letzten politischen Stein aus
dem Weg geräumt, der gegen Koalitionen der Union mit den Grünen auf Bundesebene
noch bestand.
Aber es gab auch heftige Kritik an Merkels Plänen zum Atomausstieg. Sie kamen insbesondere aus der
Industrie. „Die deutlich erkennbare politische Absicht, in einem beispiellos
beschleunigten Verfahren einen finalen und irreversiblen Schlusspunkt für die
Nutzung der Kernenergie in Deutschland zu setzen, erfüllt mich zunehmend mit
Sorge“, schrieb der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie,
Hans-Peter Keitel. Die zuverlässige Stromversorgung rund um die Uhr gehöre zu
den Stärken des Industrielandes Deutschland. Auch Jürgen Grossmann, Chef des
RWE und Betreiber dreier Kernkraftwerke zog vom Leder: „Wir machen Experimente
mit der Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft, aber mit ungewissem Ausgang.
Schon jetzt sind die Stromnetze – wegen der Einspeisung der volatilen Energien
aus Wind und Sonne – nicht mehr so stabil wie sie früher einmal waren“.
Grossmann kündigte außerdem Klage wegen der erzwungenen Stilllegung der Meiler
Biblis A und B an. Während dieses Buch geschrieben wird, hat RWE tatsächlich
seinen Prozess beim Bundesverwaltungsgericht gewonnen, weil die hessische
Regierung im Übereifer die genannten Kernkraftwerke – ohne ausreichende
Begründung und vorherige Anhörung der Betreiber und Eigentümer – stilllegte.
Vor einem Zivilgericht darf RWE auf Schadensersatz in dreistelliger
Millionenhöhe hoffen!
Hallo Herr Marth, die CDU hat bei der Landtagswahl BaWü 2011 nicht 5 Prozent, sondern 5 Prozentpunkte eingebüßt.
AntwortenLöschenHallo Willy, leider sind deine guten Ausführungen in der Bevölkerung zu wenig bekannt.
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