Dienstag, 30. Juni 2015

Leseprobe: "Windkraft auf See"

Anbei eine zweite Leseprobe aus meinem Buch "Energiewende und Atomausstieg - Chance oder Irrweg":

Windparks auf See, auch off-shore-Windparks genannt, sind Ensembles, die im Küstenvorfeld der Meere errichtet werden und zwar nicht auf „hoher See“, sondern ausschließlich auf dem Festlandssockel. Solche Standorte zeichnen sich durch kontinuierliche Winde und hohe Windgeschwindigkeiten aus, wodurch die einzelnen Windkraftanlagen (WKA) 3500 bis 5000 Volllaststunden im Jahr erzielen. Noch im Jahr 2000 war die Annahme verbreitet, es gebe in der Bundesrepublik nicht genug Platz, um hinreichend viele WKA auf dem Land (on-shore) aufzustellen. Zugleich wurde in einigen Bundesländern mit relativ windschwachen Standorten die Windkraftnutzung von den dortigen Landesregierungen politisch blockiert. Dazu zählten vor allem Bayern, Baden-Württemberg und auch Hessen. Aufgrund dieser Situation beschloss man, den Aufbau der Windanlagen auf See zu forcieren.

Im Energiekonzept der schwarz-gelben Bundesregierung wurde deshalb im Jahr 2009 als Ziel die Errichtung einer off-shore-Windleistung von 10.000 MW bis zum Jahr 2020 festgelegt; bis 2030 sollten 25.000 MW installiert sein. Davon sind heute, aus Gründen, die unten erläutert werden, erst 520 MW erreicht. Der Fördersatz gemäß EEG für Windparks auf See, welche bis zum Jahr 2015 ans Netz gehen, beträgt 15,4 Cent pro Kilowattstunde für die ersten 12 Betriebsjahre. Diese Vergütung kann bis zu 19,4 ct/kWh für Anlagen steigen, die weit vor der Küste und risikoreich in großer Wassertiefe gebaut werden. Die Vielzahl der Einzelvergütungen kann man Internet nachlesen.

Entsprechend den stärkeren Windkräften auf See sind die Rotoren dieser Windräder für höhere Leistungen als an Land ausgelegt. Derzeit gelten Windkraftanlagen mit 3,6 bis 6 MW und Rotordurchmesser zwischen 107 und 126 Metern als Standard. Prototypen mit Nennleistungen zwischen 6 und 8 MW laufen bereits im Probebetrieb. Anlagen über 10 MW mit Rotordurchmessern bis zu 200 Metern sind in der Entwicklung. Die Installierung von off-shore-Windparks ist teuer und erfolgt mittels geschleppter Hubinseln oder speziell dafür gebauter Errichterschiffe. Zur Standsicherheit der Windräder sind ausgetüftelte Fundamente (Monopiles und Tripods) erforderlich, die das Gewicht des Bauwerks tragen und der Kraft von Wind und Wellen entgegenwirken können. Auch über die Verwendung schwimmender Fundamente wird nachgedacht.

Teure Prototypen: Der erste Windpark in der Nordsee war Alpha Ventus mit 60 MW Gesamtleistung, der von der DOTI-Gruppe betrieben wurde. Er befindet sich 45 km nordnordwestlich vor der Insel Borkum, also außerhalb der 12 Seemeilen-Zone. Die Wassertiefe beträgt am Standort ca. 30 Meter. Alpha Ventus umfasst 12 Windräder zu je 5 MW Leistung. Die Baukosten betrugen 250 Millionen Euro, womit der ursprüngliche Finanzplan um 60 Millionen überschritten wurde.
Der erste Windpark in der Ostsee war Baltic 1, der in der Eigentümerschaft von EnBW errichtet wurde. Er besitzt eine Gesamtleistung von 50 MW und wird von 21 Turbinen gespeist. Sein Standort ist nördlich der Halbinsel Zingst, noch innerhalb der 12-Seemeilen-Zone und in einer Wassertiefe von 16 bis 19 Metern. Baltic 1 wurde im Mai 2011 von der Bundeskanzlerin feierlich in Betrieb genommen. Im Herbst des gleichen Jahres standen die Anlagen einen Monat lang still, weil ein Schlepper die Umspannstation gerammt hatte.

Der Windpark Riffgat befindet sich 15 km nordwestlich der Insel Borkum. 30 Siemens-Turbinen liefern insgesamt eine Leistung von 108 MW für die Eigentümergruppe Enova. Mit dem Projekt wurde 2011 begonnen; die erste Stromeinspeisung erfolgte im Februar 2014. Beim Bau verunglückte ein Taucher tödlich, als er ein Kabel am Meeresboden befestigen wollte.

BARD 1 ist der erste kommerzielle Windpark der BARD-Investorengruppe in der Nordsee. Er befindet sich 126 km westnordwestlich von Helgoland bei Wassertiefen um 40 Metern. Die Anlage besteht aus 80 Windrädern zu je 5 MW, die insgesamt 400 MW leisten. Der Aufbau begann im Jahr 2009 und sollte 2011 abgeschlossen sein. Aus technischen Gründen (siehe unten) verzögerte sich jedoch die Inbetriebnahme bis zum August 2013. Bei den Bauarbeiten kam ebenfalls ein Berufstaucher ums Leben; ein Arbeiter erlitt einen tödlichen Unfall, als sich eine Anlandeplattform aus ungeklärten Gründen löste und ins Wasser stürzte.

Es gibt eine Reihe technischer Gründe, welche das Tempo des Windkraftausbaus auf See gebremst haben. In erster Linie zu nennen ist der Mangel an sogenannten Errichterschiffen. Dies sind Spezialschiffe, welche die Windräder zu ihrem seeseitigen Standort bringen und dort als Plattform für Montagearbeiten aller Art dienen. Zwei Methoden werden in der Praxis angewandt: entweder die Windkraftanlagen werden als Komponenten auf dem Schiff gelagert (beziehungsweise allenfalls vormontiert) oder die Windräder werden bereits an Land komplett zusammengebaut und auf dem Schiff zum endgültigen Standort transportiert. Errichterschiffe vermögen bis zu 10.000 Tonnen Nutzlast zu tragen und sind entsprechend teuer. In Korea und Dubai werden sie für 150 Millionen Euro gefertigt; man kann sie aber auch für 100.000 Euro pro Tag mieten. In den Sommermonaten, wenn die See einigermaßen ruhig ist, sind alle Spezialschiffe dieser Art für Transporte zu den Küsten Deutschlands, Belgiens, Englands und Dänemarks ausgebucht. Die Besonderheit der Errichterschiffe sind ihre turmhohen Hubbeine, welche bei der Fahrt hoch aufragen. Am Ziel werden sie auf den Meeresboden abgesenkt, sodass sich das Schiff mit eigener Motorkraft in die Höhe ziehen kann, was einen sicheren Stand für die Montage der Windräder schafft. Das wichtigste Arbeitsmittel ist der bordeigene Riesenkran, der insbesondere in der Lage sein muss, die Betonfundamente von 500 Tonnen Gewicht sicher ins Meer abzusenken.

Mit dem weiteren Ausbau von Windkraftanlagen auf See werden in den kommenden Jahren Tausende Tonnen giftiger Metallverbindungen in Nord- und Ostsee eingebracht. Sie sollen das Verrosten der stählernen Fundamente der Windparks verhindern. Die Opferanoden, welche hauptsächlich aus Aluminium, aber auch aus Zink und Schwermetallen bestehen, lösen sich nämlich im Wasser nach und nach auf. Allein für den inneren Rostschutz der Stahltürme, auf denen die off-shore Windräder montiert sind, werden über eine Lebensdauer von 25 Jahren je Turm bis zu zehn Tonnen Aluminium in das Seewasser abgegeben. Das könnte bereits im Jahr 2020 eine zusätzliche Belastung der Nord- und Ostsee in der Höhe von knapp 10.000 Tonnen Aluminium bedeuten.

Probleme bei den Konverterstationen und der Gesamtplanung: Besonders aufwendig und kostenträchtig ist die elektrische Anbindung der off-shore-Windparks. Das geschieht durch Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung (HGÜ), um die Elektrizität verlustarm und ohne Blindleistung zur Küste leiten zu können. Die für die Stromwandlung benötigten Konverterstationen sind üblicherweise gigantische Stahlbauten, die – wegen ihres gelben Anstrichs – aus der Ferne wie überdimensionierte Briefkästen anmuten. Jeder Stahlkasten ist 62 Meter lang, 42 Meter breit und 42 Meter hoch; er wiegt 9.300 Tonnen und steht auf 100 Meter langen Pfählen. Um den Koloss auf diese Stelzen zu hieven, ist das größte Kranschiff der Welt mit 700 Mann Besatzung nötig. Tägliche Kosten: rund eine Million Euro! Oben, in der Ecke der gelben Box, befindet sich ein Hubschrauberlandeplatz. Im Inneren stehen die Transformatoren unter Überdruck, um die feuchte Seeluft fernzuhalten. Die Konverteranlagen bereiten derzeit noch große technische Schwierigkeiten. Im März 2014 kam es bei der Station Borwin Alpha zum Durchschmoren etlicher Isolatoren und Filter, wodurch der Windpark BARD 1 ohne Netzanbindung war. Als Fehlerquelle haben die Ingenieure der Lieferfirma ABB sogenannte Oberschwingungen ausgemacht, die zu heftigen Spannungsausschlägen führen. Die Beseitigung dieser Störungen scheint nicht einfach zu sein, denn derzeit sind nicht weniger als vier Hochschulinstitute damit beschäftigt.

Immer deutlicher zeigt sich, dass bei der Planung der deutschen off-shore-Windparks gravierende Fehler gemacht wurden. An erster Stelle sind die Standorte zu nennen. Nirgendwo sonst in der Welt werden die Anlagen soweit vom Land entfernt und in so tiefes Wasser gestellt, wie in der Deutschen Bucht. Auch die Zusammenarbeit zwischen Investoren, Hersteller und Netzbetreiber ist verbesserungsbedürftig. Mal ist der Windpark fertig (wie Riffgat), aber die Leitungen für den Stromtransport fehlen. Mal sind die riesigen Konverterstationen errichtet, aber die Windturbinen fehlen. (Zumeist, weil sich nicht genügend Investoren für den Standort gefunden haben). Häufig hinken auch die Geldgeber hinter der Planung und der Genehmigung zum Windpark her. Für die Fehlinvestitionen in nur halbvolle Stromnetze werden sie offensichtlich nicht belangt. Es wäre wohl besser gewesen, den Bau der Windparks und die Netzanbindung in eine Hand zu geben. Immerhin kostet ein Windpark nicht selten eine Milliarde Euro und die gleiche Summe ist noch einmal für die Netzanbindung zu berappen. Egal, wer für die Fehler haftbar gemacht werden kann, dem Stromkunden drohen in den allermeisten Fällen Mehrkosten. Im Jahr 2013 zahlten die Stromkonsumenten 720 Millionen Euro zusätzlich; im Folgejahr dürfte die Rechnung kaum niedriger ausfallen.

Viele Naturschutzauflagen: Bei der Identifizierung von off-shore-Standorten gibt es erhebliche Konkurrenz. Selbstverständlich ist das Naturschutzgebiet Wattenmeer tabu. (Dafür wird sich in ferner Zukunft dahinter ein „Megawattenmeer“ ausdehnen). Daneben gilt es aber auch die Fahrtrouten der Handelsschiffe zu meiden sowie militärische Sperrgebiete. Weite Areale der Deutschen Bucht sind zugeschüttet mit immer noch intakter Munition aus dem 2. Weltkrieg. Alliierte Flieger ließen nicht abgeworfene Sprengkörper oft einfach in die Nordsee plumpsen, um Sprit für den Heimflug zu sparen. Genehmigungsbestimmungen sehen vor, dass zuallererst Taucher den Meeresgrund mit Sonargeräten abzusuchen haben. Aber auch die Schweinswale sind per Auflage geschützt. Damit diese Säuger keinen Gehörschaden erleiden, schreiben die Behörden beim Rammen der Pfähle einen Grenzwert von 160 Dezibel vor. Delphine sollen zuerst mit Tröten „vergrämt“ werden. Es folgen Vibrationen und ein Präludium aus sanften Schlägen. Erst danach darf der Hammer auf Volllast gehen. All das kostet Zeit und Geld. Hinzu kommt, dass bei kabbeliger See im Schnitt ein Drittel der Arbeitstrupps wegen Übelkeit ausfällt.

Die vielen technischen und naturbedingten Schwierigkeiten haben die Geldgeber und Betreiber der offshore-Windparks verunsichert, ja verschreckt. Überall betreten ihre Ingenieure Neuland. Fritz Vahrenholt, der lange bei RWE die Öko-Sparte Innogy leitete, verglich das Vorhaben gar mit dem „ersten Flug zum Mond“. Hinzu kommt, dass die Naturschützer und Biologen strengere Umweltverträglichkeitsprüfungen fordern. Sie haben nämlich festgestellt, dass Amseln, Drosseln und Rotkehlchen große Gefahren von den Windrädern drohen. Bei schlechtem Wetter orientieren sich die Zugvögel an erleuchteten Punkten und geraten so massenhaft in die blinkenden Rotoren. Deshalb musste RWE auch einen bereits vor Helgoland genehmigten Windpark wieder aufgeben, weil sich dieser als Lebensraum des Seetauchers herausstellte, der unter Naturschutz steht.


Der Rückzug der Investoren, Betreiber und Großfirmen (wie Siemens) geschieht bereits, wenn auch weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit. Der deutsch-russische Financier Arngolt Bekker, der das Unternehmen BARD gründete und den gleichnamigen Windpark errichtete, gab bereits einen Großteil seines Geschäftes auf und entließ im August 2013 rd. 120 Mitarbeiter. Auch die vier großen deutschen Energieversorgungsunternehmen E.ON, RWE, EnBW und Vattenfall sind vorsichtiger geworden und investieren weitaus weniger als früher geplant. Alle Geldgeber meiden die sogenannten Cluster-Risiken, bei denen große Finanzmittel in Einzelprojekten gebunden sind. So wird das ursprüngliche Ziel, im Jahr 2020 10.000 MW am Netz zu haben, mit Sicherheit nicht erreicht werden. Allenfalls rechnet man mit einem Ausbau von 2000 – 3000 MW. Und auch das nur, wenn sich die Projekte unter den Fördersätzen der schwarz-roten Koalition rechnen. An der Küste und im norddeutschen Raum bangt man um mehrere zehntausend Arbeitsplätze, wenn auch die Zulieferindustrie ins Erlahmen gerät. Die Wirtschaftsminister der nördlichen Bundesländer sowie viele Bürgermeister richteten deshalb im August 2013 den „Cuxhavener Appell“ an die Politik: Die Bunderegierung solle sich um Investitionssicherheit im off-shore-Bereich sorgen. Bislang ist aus Berlin aber noch keine belastbare Antwort erfolgt.


PS.: Eine begrenzte Anzahl von Autorenexemplare sind für 10 Euro erhältlich. Hierfür Autor kontaktieren.

Samstag, 20. Juni 2015

Mein neues Buch: "Energiewende und Atomausstieg"


Hallo liebe Blogleser:

Nächste Woche, am 30. Juni 2015, jährt es sich zum 4. Mal, dass die sogenannte Energiewende samt Atomausstieg im Deutschen Bundestag beschlossen wurde. 85,5 Prozent oder 513 Abgeordnete waren dafür; 79 Volksvertreter, zumeist Linke, die den Ausstieg in der Verfassung verankert haben wollten, lehnten das Vorhaben ab. Wie aus meinen Blogs zu erkennen ist, habe ich mich in den vergangenen zwei Jahren sehr intensiv mit den Details und den Konsequenzen dieser Entscheidung befasst. Daraus ist ein Buch entstanden mit dem Titel "Energiewende und Atomausstieg - Chance oder Irrweg".

Das Buch hat 198 Seiten und ist bei Amazon und Thalia sowie allen Buchhandlungen auf Bestellung und zum Preis von 14,95 Euro erhältlich. Das eBook kostet 3,99 Euro.

Eine Leseprobe ("Bundeskanzlerin Merkel: das war´s") steht hier zur Verfügung. Weitere Leseproben folgen in den Posts der kommenden Wochen. Das untenstehende Inhaltsverzeichnis des Buchs vermittelt einen Überblick zur gesamten Thematik der Energiewende.


Inhaltsverzeichnis

1    Der Aufstieg der deutschen Stromkonzerne
1.1    Erfinder und Unternehmer
1.2    Vom Monopol zum Oligopol
1.3    Die Liberalisierung des Strommarktes
1.4    Die Entflechtung der Stromnetze
1.5    Die Strategien der Energiekonzerne
2    Frühe Szenarien zum Atomausstieg
2.1    Der moderate Atomausstieg unter Rot – Grün (2001)
2.2    Der verzögerte Atomausstieg unter Schwarz – Gelb (2010)
2.3    Die verhinderte nukleare Entsorgung
3    Die moderate Energiewende
3.1    Das Stromeinspeisungsgesetz
3.2    Das Erneuerbare–Energien–Gesetz
4    Der umstrittene Klimawandel
4.1    Spuren- und Treibhausgase
4.2    Das Kyoto-Protokoll
4.3    Kontroversen um den Klimawandel
5    Fukushima
5.1    Viele Opfer durch Erdbeben und Tsunami
5.2    Die Reaktorunfälle von Fukushima-Daiichi
5.3    Die japanische Atompolitik nach Fukushima
6    Der abrupte Atomausstieg in Deutschland (2011)
6.1   Bundeskanzlerin Merkel: das war’s
6.2    Die Prüfungen der Reaktorsicherheitskommission
6.3    Die Erkenntnisse der Ethik-Kommission
6.4    Die Ausstiegsgesetze
7    Energiewirtschaftliche Probleme der abrupten Energiewende
7.1    Fehlende Stromtrassen
7.2    Instabile Stromnetze
7.3    Fehlende Grundlast, fehlende Speicher
7.4    Börsenstrompreis und EEG-Umlage
7.5    Die sogenannte EEG-Reform 2014
7.6    Energiewirtschaftliche Daten zur Stromproduktion
8    Boom und Crash der EE-Firmen
8.1    Windkraft auf See
8.2    Windkraft an Land
8.3    Photovoltaik
8.4    Biomasse
8.5    Geothermie
9    Der Niedergang der deutschen Stromkonzerne
9.1    RWE: Ein wankender Riese
9.2    E.ON: Weiter auf Talfahrt
9.3    EnBW: Kein überzeugendes Geschäftsmodell
9.4    Vattenfall: Rückzug nach Schweden?
9.5    Eine Stiftung für die Atomkraftwerke?
9.6    Ein Stromkonzern macht Lastabwurf
10    Zusammenfassung und Wertung

Literaturhinweise
Abbildungsnachweise
Dank
Über den Autor

Leseprobe: "Bundeskanzlerin Merkel: das war’s"

Anbei eine Leseprobe aus meinem Buch "Energiewende und Atomausstieg - Chance oder Irrweg":


Der 11. März 2011 war ein ganz besonderer Tag für die Welt und für die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel. Es war der Tag, an dem Teile von Japan durch ein mächtiges Erdbeben und einen nachfolgenden Tsunami verwüstet wurden. Und der Tag, an dem die Bundeskanzlerin ihre bislang positive Einstellung zur Atomtechnik diametral änderte. Die Kanzlerin war auf dem Weg nach Brüssel zu einer Ratssitzung, und auf ihrem iPad konnte sie die Meldungen aus Japan mitverfolgen. Als um 15 Uhr 30 mitteleuropäischer Zeit die japanische Regierung den Notstand ausrief, war etwas eingetreten, was Merkel bis jetzt für unvorstellbar gehalten hatte. Sie absolvierte die Sitzung äußerlich zwar ungerührt, aber für sich, ganz im Stillen, hatte sie wohl bereits eine Entscheidung getroffen.


Am nächsten Montagmorgen, bei der Lagebesprechung im Bundeskanzleramt, gab Merkel vor ihren engsten Mitarbeiter zu, dass die dramatischen Ereignisse in Japan ihre Einschätzung des Restrisikos der Kernkraft verändert habe. „Das Restrisiko der Kernenergie habe ich vor Fukushima akzeptiert“, räumte die Kanzlerin ein. Sie sei überzeugt gewesen, dass ein solcher Unfall in einem Hochtechnologieland wie Japan nicht eintreten werde. Fukushima habe jedoch gezeigt, dass man sich auf diese Risikoannahmen nicht verlassen könne. Sie werde deshalb im Sinne einer „zuverlässigen, umweltverträglichen und sicheren“ Energieversorgung in Deutschland eine Neubewertung vornehmen. Als Konsequenz aus der Reaktorkatastrophe von Fukushima sollten die älteren deutschen Kernkraftwerke sofort und die jüngeren in kurzer Frist gestaffelt und nach einem festgelegten Zeitplan stillgelegt werden. Was die Kanzlerin damals noch nicht wissen konnte (oder wollte): das Restrisiko hatte mit der Havarie der japanischen Reaktoren nicht das Geringste zu tun. Es waren haarsträubende Planungs- und Betriebsfehler, welche den Gang der dortigen Ereignisse bestimmten.

Tags darauf, am 15. März, traf sich die Bundeskanzlerin mit den Ministerpräsidenten der Länder, in denen Kernkraftwerke aufgestellt waren. Sie erläuterte den Plan eines Moratoriums im Sinne einer vorsorglichen Gefahrenabwehr. Juristisch werde das Moratorium gestützt durch Atomgesetz §19 Absatz 3, wonach man Kernkraftwerke einstweilen oder gar endgültig abschalten könne, sofern Gefahr im Verzug sei. Die Ministerpräsidenten stimmten dem zu. Die Bundeskanzlerin kündigte zusätzlich an, dass die Reaktorsicherheitskommission (RSK) jedes Atomkraftwerk technisch überprüfen werde, mit dem Ziel, bisher nicht entdeckte Risiken zu ermitteln. Gleichzeitig beabsichtige sie eine Ethik-Kommission einzusetzen, welche über die Zukunft der Kernenergie beraten und einen gesellschaftlichen Konsens vorbereiten solle. Diese Kommission solle auch Vorschläge für einen praktikablen Übergang zu den Erneuerbaren Energien vorbereiten. Für den Sommer 2011 stellte die Bundeskanzlerin die Vorlage eines Gesetzes zum beschleunigten Atomausstieg im Bundestag und in der Länderkammer in Aussicht.
Aus juristischer Sicht war das Moratorium erstaunlich stümperhaft zusammengezimmert. Für eine Stilllegungsverfügung benötigt man als Voraussetzung nämlich eine akute Sicherheitsgefahr. Diese war in Deutschland jedoch nicht gegeben, da die Gefahrensituation der deutschen Atomkraftwerke sich von jener der japanischen in Fukushima total unterschied. Die deutsche Reaktorkommission hat dies später in ihren Bericht deutlich klargelegt. Im Grunde hätten die Betreiber der stillgelegten deutschen Kernkraftwerke lediglich eine Klage einreichen müssen, um ihre Anlagen sofort wieder anfahren zu können. Die Bundesregierung hätte dies nur verhindern können, wenn sie ihre Stilllegungsverfügung mit einem sogenannten Sofortvollzug ausgestattet hätte. Dazu fehlte ihr aber die technische Begründung. Wie später von der Presse aufgedeckt wurde, war dies Bundesumweltminister Röttgen und seinen Referenten durchaus bekannt, aber man ging dort (und in den Landesministerien) das Risiko der fehlenden Begründung wohl bewusst ein. Erst später, als der Mediensturm zu Fukushima abgeebbt war, beschlossen die Betreiber der abgeschalteten Atomkraftwerken vor Gericht zu ziehen und Schadensersatz einzuklagen.


Wahlen im Blick: Bei all ihren Aktionen hatte die Bundeskanzlerin die Landtagswahl in Baden-Württemberg im Visier. Sie sollte am 27. März 2011 abgehalten werden und ein Sieg der CDU war in ihrem Stammland keineswegs sicher. Ein Jahr zuvor hatte der Übergang vom Ministerpräsidenten Günther Oettinger zu Stefan Mappus stattgefunden, der als strammer Konservativer eine ideale Zielscheibe für die verbündeten Parteien SPD und Grüne darstellte, zumal Mappus durch den heimlichen und wohl auch überteuerten Rückkauf der EnBW- Aktien vom französischen EdF ein ziemlicher Schnitzer unterlaufen war. Das Wahlergebnis geriet denn auch zum Desaster für die Christdemokraten. Sie verloren 5,2 Prozent der Wählerstimmen im Vergleich zur Wahl im Jahr 2006, blieben aber mit 39 Prozent immer noch stärkste Partei. Das nützte jedoch wenig, denn die Koalition der Sozialdemokraten und Grünen kam auf 47,3 Prozent. Und das Allerschlimmste aus Sicht der CDU: die Grünen wurden mit 24, 2 Prozent stärkste Partei und durften den neuen Ministerpräsidenten stellen. Seitdem regiert Winfried Kretschmann im einstigen „schwarzen“ Bundesland und findet durch seine gelassene und souveräne Art sogar Zuspruch bei anderen Parteigängern. Für die Bundeskanzlerin war die verlorene Wahl in Baden-Württemberg (und die zum gleichen Zeitpunkt stattgefundene – und ebenfalls verlorene - Wahl in Rheinland-Pfalz) nur noch mehr Anlass, ihre Anstrengungen in Richtung Atomausstieg zu forcieren. Nach Meinungsumfragen befürworteten 80 Prozent der Deutschen die Abkehr von der Kernkraft, so dass selbst die CDU glaubte, auf diesen Megatrend aufspringen zu müssen. Gleichzeitig hätte der Atomausstieg den letzten politischen Stein aus dem Weg geräumt, der gegen Koalitionen der Union mit den Grünen auf Bundesebene noch bestand.

Aber es gab auch heftige Kritik an Merkels Plänen zum Atomausstieg. Sie kamen insbesondere aus der Industrie. „Die deutlich erkennbare politische Absicht, in einem beispiellos beschleunigten Verfahren einen finalen und irreversiblen Schlusspunkt für die Nutzung der Kernenergie in Deutschland zu setzen, erfüllt mich zunehmend mit Sorge“, schrieb der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, Hans-Peter Keitel. Die zuverlässige Stromversorgung rund um die Uhr gehöre zu den Stärken des Industrielandes Deutschland. Auch Jürgen Grossmann, Chef des RWE und Betreiber dreier Kernkraftwerke zog vom Leder: „Wir machen Experimente mit der Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft, aber mit ungewissem Ausgang. Schon jetzt sind die Stromnetze – wegen der Einspeisung der volatilen Energien aus Wind und Sonne – nicht mehr so stabil wie sie früher einmal waren“. Grossmann kündigte außerdem Klage wegen der erzwungenen Stilllegung der Meiler Biblis A und B an. Während dieses Buch geschrieben wird, hat RWE tatsächlich seinen Prozess beim Bundesverwaltungsgericht gewonnen, weil die hessische Regierung im Übereifer die genannten Kernkraftwerke – ohne ausreichende Begründung und vorherige Anhörung der Betreiber und Eigentümer – stilllegte. Vor einem Zivilgericht darf RWE auf Schadensersatz in dreistelliger Millionenhöhe hoffen!