Freitag, 28. November 2014

ITER - Nachschlag: ein neuer Chef !

 Sage niemand, dass sich beim Riesenprojekt ITER im südfranzösischen Cadarache nichts tut. Kaum hatte ich vor zwei Wochen darüber einen Blog ins Netz gestellt - schon muss ich diesen, um aktuell zu bleiben, mit einem Addendum versehen. Vorige Woche tagte nämlich das ITER- Berufungskommittee  und es hat sich tatsächlich einen neuen Generaldirektor (GD)für dieses Projekt gefunden. Es ist der Franzose Monsieur Bernard Bigot, bislang Chef für French Alternative Energies and Atomic Energy Commission (CEA). Der 65-jährige M. Bigot ist Physikochemiker mit einem PhD in Chemie und lehrt an der Ecole normale supérieure in Lyon. Er war in verschiedenen hochrangigen staatlichen und ministeriellen Positionen in Frankreich tätig. Natürlich ist er auch Ritter der Ehrenlegion.

Ein Blick zurück

Der Wechsel auf dem Posten des Generaldirektors kam nicht wirklich unerwartet, eine Überraschung war jedoch die Bestellung eines Franzosen. Eigentlich ist für diese Position nämlich ein Japaner gesetzt - als Kompensation für den Umstand, dass Japan einst auf den Standort des ITER in Japan verzichtet hatte. Dementsprechend gab es bisher auch nur Japaner als ITER-Chefs, nämlich die Herren Kaname Ikeda und Osamu Motojima.

 General Director (GD) Ikeda trat sein Amt im Jahr 2005 an, als die Bauarbeiten in Cadarache begonnen wurden. Er war vorher Botschafter Japans in Kroatien und strahlte das typische Charisma japanischer Politiker aus. Seine holprigen, in broken-english vorgetragenen Projektpräsentationen verursachten beim Fachpublikum regelmässig Bauchgrimmen. Nicht zuletzt deswegen wurde ihm bald der Deutsche Norbert Holtkamp als Vertreter zur Seite gestellt wurde, was bei dessen Antritt die französische Zeitung La Provence zu der kecken Phrase veranlasste: "Nun ist der wahre Chef gekommen".

Im Juli 2010 war die Phase Ikeda zu Ende; die Japaner schlugen als Nachfolger Professor Motojima vor, welcher zeitweise in einem Fusionslabor seines Landes tätig war. Die erste Amtshandlung des neuen GD war, dass er seinen Vertreter Holtkamp feuerte, für den man fortan im sonnigen Kalifornien einen gutbezahlten Job fand. Deutschland verlor mit dem stellvertretenden GD zwar einen Top-Posten, aber den Politikern hierzulande war dies nicht unlieb, denn für die Kostenerhöhungen und Terminverzüge des Projekts stand man von da an nicht mehr im ersten Feuer. Motojima, der die meiste Zeit seines beruflichen Lebens Vorlesungen an verschiedenen Universitäten gehalten hatte, bekam das Projekt ITER nie in den Griff. Dafür sammelte er während seiner Amtszeit in der Provence reihenweise Ehrendoktorate renommierter Universitäten (Marseille 2011, Gent 2012, Sokendai 2013).

Blick in die Zukunft

Als die Amerikaner zu Anfang diesen Jahres damit drohten, das Projekt zu verlassen, war Panik angesagt. Ein neuer Generaldirektor musste her. Es traf sich gut, dass die Japaner nicht mehr auf ihr vertragliches Recht zur Besetzung dieser Position beharrten. Zwei eklatante Fehlbesetzungen innerhalb von zehn Jahren hatten bei den Asiaten einen solchen Gesichtsverlust hinterlassen, dass sie sich fortan mit der Benennung eines Franzosen einverstanden erklärte. Ob es irgendwelche Zugeständnisse des ITER-Councils gab, ist (noch) nicht bekannt. Alle Blicke wenden sich nun zu Bernard Bigot. Er soll es richten. Er soll das Projekt aus dem Loch holen - und vor allem die aufsässigen Amerikaner beruhigen. Es wird eine Premiere werden, denn Bigot hat bislang noch kein großes Projekt geleitet.


Bernard Bigot, der neue Chef bei ITER

Der nicht mehr allzu junge Hoffnungsträger steht vor einer schweren Aufgabe. Er will das Projekt restrukturieren und dem DG mehr Einfluss sichern. Das wird schwer genug sein, denn die sieben Vertragspartner Europäische Union, China, Indien, Japan, Südkorea und Russland waren bisher allesamt bestrebt, ihr eigenes Süppchen zu kochen. Zum Beispiel dadurch, dass sie sich nicht in die nationalen Karten gucken ließen. Wie man hört will Bigot das Projekt viel stärker zentralisieren, ähnlich wie das bei CERN in Genf der Fall ist. Ob es dafür nicht schon zu spät ist, wird sich bald herausstellen. Der neue GD arbeitet zur Zeit an einem entsprechenden Plan, welchen er in Februar 2015 dem ITER- Council vorlegen möchte. Wird dieser akzeptiert, so kann Bigot ab diesem Zeitpunkt als Generaldirektor agieren. Aber nur zusammen mit seinem Vorgänger Motojima, denn Japan hat sich ausbedungen, dass sein Landsmann noch bis zum formellen Vertragsende im Juli 2015 im Amt bleibt. (Seit Benedict XVI und Franziskus gibt es dafür ja hochrangige Vorbilder).

Inzwischen ist bekannt geworden, dass ITER, sofern er mal betriebsbereit sein sollte, zwischen 280 und 530 Millionen Euro Betriebskosten verursachen wird. Wohlgemerkt: pro Jahr. Entgegen allgemeiner Vermutung wird er keinen Strom produzieren, sondern lediglich 150 Grad heissen Wasserdampf. Und das auch nur gelegentlich, denn er arbeitet ja im Impuls-Regime.

99 Jahre Relativitätstheorie

Auf Hollywood ist Verlass. Pünktlich zum 99. "Geburtstag" von Albert Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie kommt die Traumfabrik mit einem dreistündigen Science-Fiction-Opus heraus, in dem Astrophysik und Erlebniskino in aufwendiger Weise miteinander vereint sind. Im Film "Interstellar" durchfliegt das Raumschiff "Endurance" das Universum in der Suche nach einen bewohnbaren Planeten. Auf der Erde war es wegen des Klimawandels inzwischen höllisch heiß und staubig geworden, sodass der Farmer und ex-Astronaut Cooper ein übrig gebliebenes Raumschiff der NASA griff und mit einer Handvoll Gefährten in den Weltraum düste. Über ein sogenanntes Wurmloch in der Nähe des Saturns gelangen sie zu einer anderen Galaxie außerhalb der Milchstraße, entkommen dabei mit knapper Mühe (durch Lastabwurf!) dem Schwarzen Loch "Gargantua" und finden tatsächlich bewohnbare Planeten. Die Gravitation spielt bei dieser Weltreise eine herausragende Rolle, weshalb immer wieder auf die Allgemeine Relativitätstheorie des bereits lange verstorbenen Wissenschaftlers Einstein verwiesen wird. Nach wenigen Stunden Reisezeit kommt die Besatzung (auf obskure Weise) wieder zurück auf die Erde und stellt fest, dass die Zurückgebliebenen inzwischen um mehrere Jahrzehnte gealtert sind. Die Spezielle Relativitätstheorie von Albert Einstein lässt grüßen.

Mit Geld hat man bei diesem Spektakel nicht gespart. Jede Minute soll eine Million Dollar verschlungen haben. und die Spezialeffekte - insbesondere beim Anflug auf das Schwarze Loch - sind beeindruckend. Der Drehbuchautor soll sich angeblich, zusammen mit dem US-Physiker und Bestseller-Autor Kip Thorne ("Gekrümmte Zeit und verbogener Raum"), ein volles Jahr in die beiden Relativitätstheorien vertieft haben. Die Freunde von "Enterprise" werden diesen Film, insbesondere in der Multiplexfassung, sicherlich genießen. Den wenigen Physikern im Zuschauerraum bleibt der Griff zur Pocorntüte und zur Colaflasche.

Genial - aber nicht nobelpreiswürdig

In gewisser Beziehung ist dieses Film-Epos von Regisseur Christopher Nolan eine Hommage an Einsteins größte wissenschaftliche Leistung: die Entdeckung der Allgemeinen Relativitätstheorie, abgekürzt ART. Vor fast genau 99 Jahren, am 25. November 1915, hielt er darüber erstmals einen Vortrag in Berlin bei der Preußischen Akademie der Wissenschaften. Die ART beschreibt die Wechselwirkung zwischen Materie einerseits sowie Raum und Zeit andererseits. Sie deutet die Schwerkraft (Gravitation) als geometrische Eigenschaft der gekrümmten vierdimensionalen Raumzeit. (Pardon, einfacher lässt sie sich nicht "erklären"). Die ART erweitert die ebenfalls von Einstein, aber schon zehn Jahre vorher entdeckte Spezielle Relativitätstheorie (SRT), und geht für hinreichend kleine Gebiete der Raumzeit in diese über.

Die wichtigsten Erkenntnisse der SRT sind, dass die Lichtgeschwindigkeit c in jedem Bezugssystem denselben Wert besitzt, also eine Konstante ist. Entfernungen und Zeiten hängen demnach vom Bewegungszustand des Betrachters ab, wodurch Zeitreisen im Universum - zumindest theoretisch - möglich sein sollten. Außerdem entdeckte Einstein, im Zusammenhang mit der SRT, die Äquivalenz von Masse und Energie, also die berühmte Gleichung E=mc2, worauf u. a. die Energieerzeugung in Kernreaktoren beruht. Materie ist gewissermaßen hochverdichtete Energie.

Einstein wurde zeitlebens zwar nur von wenigen wirklich verstanden, aber von den Menschen fast wie ein Popstar verehrt. Die Medien stürzten sich auf ihn und als er einmal einem Pulk von Pressefotografen mit knapper Mühe im Auto entkam, entstand das berühmte Bild mit der schadenfroh heraushängenden Zuge.

Es ist kaum zu glauben, dass Einstein für keine dieser beiden Relativitätstheorien den Nobelpreis der Physik erhielt. Der Mediziner Alivar Gullstrand, selbst Träger des Nobelpreises für Medizin im Jahr 1911, verhinderte dies erfolgreich. Gullstrand war als Jurymitglied des Nobelpreiskomitees nicht von der Richtigkeit beider Theorien überzeugt, wodurch er die Vergabe des Preises an Einstein verhindern konnte. Erst 1922 sorgte ein jüngeres Jurymitglied mit einem Trick dafür, dass Einstein endlich diese Trophäe erhielt. Der Physiker wurde für die Entdeckung des "photoelektrischen Effekts" ausgezeichnet, eine Entdeckung, die er bereits im Jahr 1905 gemacht hatte, welche aber - obschon nobelpreiswürdig - an den Rang der beiden Relativitätstheorien nicht heran kam.


                                                      Albert Einstein (1879 - 1955)

Auf der Suche nach der Weltformel

Die Allgemeine Relativitätstheorie wurde von den Astronomen immer wieder experimentell bestätigt. Das erste Mal geschah dies 1919, als man bei einer Sonnenfinsternis die Ablenkung (Aberration) des Sternenlichts durch die Schwerkraft der Sonne messen konnte. Zusammen mit der Quantentheorie stellt die ART die Krönung der theoretischen Physik dar. Viel Aufwand wurde seither damit betrieben, die "Weltformel" zu finden, den "heiligen Gral" der klassischen Physik. In dieser Weltformel sollten alle Kräfte der Physik vereint sein, also die Gravitation, die starke und schwache Kernkraft sowie die elektromagnetische Kraft. Trotz ungeheurer Anstrengungen ist es bis dato nicht gelungen, diese Weltformel zu entdecken.

Stattdessen zeigten sich immer mehr die Grenzen der Gültigkeit der Allgemeinen Relativitätstheorie. Ihre Anwendung versagt, wenn Raum und Zeit gegen Null und die Energiedichte sowie die Temperatur gegen Unendlich gehen. Diese sogenannten Singularitäten verhindern beispielsweise die Beschreibung des Urknalls sowie der Schwarzen Löcher. In das Standardmodell der Kosmologie mussten mindestens drei unbekannte Größen eingeführt werden, um irritierende astronomische Daten zu erklären. Dies sind die Dunkle Materie, welche die Dynamik der Galaxien erklärt, sowie die noch mysteriösere Dunkle Energie, welche die beschleunigte Ausdehnung des Weltalls antreibt. Schließlich benötigt man noch ein hypothetisches Feld, das Inflaton genannt wird und das unser Weltall Sekundenbruchteile nach dem Urknall überhaupt erst so groß gemacht hat, wie es jetzt ist. Ohne das Inflaton hätte das Weltall nur die Größe eines Fußballs.

Ganze Heerscharen der besten Physiker versuchen seit fast zwei Generationen diese Phänomene zu erklären und in eine schlüssige mathematische Theorie zu pressen. Die Stringtheorie ist dafür ein Beispiel. Leider ist die einheitliche Beschreibung der Kräfte und Felder bis dato nicht gelungen. Im Gegenteil: die Struktur des Mikrokosmos und des Makrokosmos wird immer verwirrender. Elf Raumzeitdimensionen benötigt die Stringtheorie, von Anschaulichkeit keine Spur. Inzwischen deutet manches darauf hin, dass die Raumzeit nicht fundamentaler Natur ist, sondern sich aus winzigen Mikrostrukturen aufbaut - ähnlich wie ein Foto, das sich bei näherer Beobachtung in einzelne Bildpunkte auflöst. Auch die Schwerkraft könnte nach Meinung mancher Physiker möglicherweise keine grundlegende Eigenschaft des Raumes sein, sondern lediglich eine abgeleitete Größe, ähnlich wie die Temperatur. All diese Spekulationen hätten zur Folge, dass Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie zwar weiterhin gültig ist, aber nicht mehr in der allgemeinen Form, sondern eher als Sonderfall einer allumfassenden neuen Theorie, ähnlich wie Newtons klassische Mechanik ein Einzelfall im Rahmen der ART und SRT ist.

Einstein war zeitlebens von der Gültigkeit der Allgemeinen Relativitätstheorie überzeugt, arbeitete aber  dessen ungeachtet an ihrer "Revision", indem er immer wieder die Gültigkeitsgrenzen der ART auslotete. Er drückte es so aus: "Für eine physikalische Theorie kann es kein schöneres Schicksal geben, als dass sie in einer umfassenderen Theorie als Grenzfall weiter lebt". Bei dieser lebenslangen Suche war Einstein auf sich allein gestellt. Obschon vielfacher Professor, bildete er nicht einen einzigen Doktoranden aus. In seiner Wissenschaft wollte er Einzelgänger bleiben.

Einsteins Tod

Einstein starb am 18. April 1955 im Alter von 76 Jahren in Princeton, USA, an inneren Blutungen, die durch die Ruptur eines Aneurysmas im Bereich der Aorta verursacht wurde. Die Nachtschwester berichtete, dass er kurz vor seinem Tod etwas auf Deutsch gemurmelt habe. Er wurde noch an seinem Todestag verbrannt; seine Asche wurde, seinem Wunsch entsprechend, an einem unbekannten Ort verstreut. Gegen den Willen Einsteins erfolgte jedoch vorher eine Obduktion. Bei dieser Operation entwendete der Pathologe Thomas Harvey das Gehirn des toten Einsteins. Er wollte es - ob seiner möglicherweise einzigartigen Struktur - für weitere Untersuchungen der Nachwelt erhalten. Harvey verlor daraufhin die ärztliche Approbation und musste sich jahrelang als Fabrikarbeiter durchschlagen. Eine besonders auffällige Struktur der Gehirnwindungen konnte bei den medizinischen Untersuchungen allerdings nicht gefunden werden. 1997 übergab Harvey Einsteins Gehirn in zwei Einweckgläsern an dessen Enkelin in Kalifornien.

Sonntag, 23. November 2014

Mit heisser Nadel gestrickt

Der Atomausstieg ist fast schon Geschichte. Nicht aber seine juristische Aufarbeitung. Diese beginnt erst und kann (für die Steuerzahler) noch sehr teuer werden. Erinnern wir uns: wenige Tage nach den Vorfällen im japanischen Fukushima, am 11. März 2011, veranlasste die Bundeskanzlerin die sofortige Stilllegung von acht deutschen Kernkraftwerken (das sogenannte Moratorium) und die zeitlich gestufte Abschaltung von weiteren neun bis zum Jahr 2022. Sie begründete diese Maßnahme unter anderem mit dem erheblichen Restrisiko dieser Technologie, wie in Japan ersichtlich. Niemand argumentierte hörbar dagegen - auch nicht die Betreiber der genannten Atomkraftwerke. Dies geschieht erst jetzt und kulminiert in Schadensersatzklagen von hunderten von Millionen, ja sogar solchen in Milliardenhöhe. Wie ist dieses anfängliche Schweigen zu verstehen und welche Aussichten besitzen diese Klagen?

Schwache Argumentationsbasis der Kanzlerin

Wenige Tage nach Fukushima, am 15. März 2011, traf sich die Bundeskanzlerin mit den Ministerpräsidenten der Länder, in denen Kernkraftwerke aufgestellt waren. Sie erläuterte des Plan eines Moratoriums im Sinne einer vorsorglichen Gefahrenabwehr. Juristisch werde das Moratorium gestützt durch das Atomgesetz § 19 Absatz 3, wonach man Kernkraftwerke einstweilen oder gar endgültig abschalten könne, wenn Gefahr im Verzug sei. Die Ministerpräsidenten stimmten dem zu. Die Bundeskanzlerin kündigte zusätzlich an, dass die Reaktorsicherheitskommission (RSK) jedes Atomkraftwerk technisch überprüfen werde, mit dem Ziel, bisher nicht entdeckte Risiken zu ermitteln.

Die RSK legte etwa zwei Monate später einen 115-seitigen Bericht vor, der von über hundert ausgewiesenen Reaktorexperten verfasst war. Die eindeutige Aussage dieser Fachleute war, dass ein ähnlicher Unfall wie in Fukushima an deutschen Kraftwerken nicht passieren könne. Einerseits, weil die geologischen und meteorologischen Verhältnisse dies nicht zulassen und andererseits, weil die deutschen Anlagen gegen Störfälle dieser Art weitaus besser geschützt sind. Der damalige Bundesumweltminister Norbert Röttgen stellte deshalb auf einer Pressekonferenz folgerichtig fest: Unsere Anlagen in Deutschland weisen alle miteinander ein deutlich höheres Sicherheitsniveau und größere Reserven gegenüber solchen Ereignissen auf als die betroffenen Anlagen in Japan. Es gibt deshalb aus sicherheitstechnischer Sicht keine Notwendigkeit, Hals über Kopf aus der Kerntechnik auszusteigen

Späte Gegenwehr der Betreiber

Verwunderlich ist, dass die Betreiber der stillgelegten Kernkraftwerke - also RWE, Eon, EnBW und Vattenfall - diese argumentative Steilvorlage des obersten Aufsehers Röttgen nicht nutzten. Sie hätten lediglich eine Klage gegen die offensichtlich unbegründete Stilllegungsanordnung einreichen müssen, um ihre Anlagen weiterbetreiben zu dürfen. Röttgen hätte in diesem Fall seine Anordnung mit Sofortvollzug samt technischer Begründung ausstatten müssen. Das wäre ihm, angesichts des Votums der RSK, sicherlich schwer gefallen. De facto wäre es juristisch unmöglich gewesen. Aber offensichtlich getrauten sich die Betreiber in der damals aufgeheizten öffentlichen Stimmung gegen die Atomkraftwerke nicht, diesen Schritt zu gehen.

Das hat sich drei Jahre danach geändert. RWE verklagte im Sommer d. J. den Bund und das Land Hessen auf Schadensersatz für die Stilllegung seines Kraftwerks Biblis. In der Presse spekuliert man über einen Betrag von mehreren hundert Millionen Euro. Wenige Monate später verklagte Eon den Bund und mehrere Länder auf Schadensersatz in Höhe von 380 Millionen Euro wegen der dreimonatigen Stilllegung der Meiler Unterweser und Isar 1. Besonders teuer könnte der erzwungene Atomausstieg bei Vattenfall werden. Diese Firma klagt vor einem amerikanischen Gericht in Washington D. C. gegen die Abschaltung der Kernkraftwerke Krümmel und Brunsbüttel auf sage und schreibe 4,7 Milliarden Euro. Vattenfall ist dieser Gang nach USA möglich, da es ein schwedisches Unternehmen ist. Nach Einschätzung der juristischen Experten haben sämtliche Klagen durchaus Gewinnchancen für die Versorger.

Politisches Kalkül?

Es stellt sich die Frage, ob der Bundesregierung diese prozessualen Risiken nicht schon im Frühjahr 2011 bekannt waren. Immerhin kann sie auf eine Vielzahl höchstqualifizierter Juristen zurückgreifen. Über diese Frage wird derzeit immer mehr spekuliert. Nicht wenige sind der Meinung, dass die maßgebenden Regierungspolitiker damals bewusst dies Ausstiegsentscheidung getroffen haben, weil es die letzten Divergenzen mit der Partei der Grünen beseitigte und dies neue und zusätzliche Koalitionsoptionen eröffnete. Who knows?

Sonntag, 16. November 2014

Der Europäische Druckwasserreaktor EPR in Finnland - ein Albtraum

Der Europäische Druckwasserreaktor EPR wurde gemeinsam vom Siemens und Framatome entwickelt und stellt die sogenannte 3. Generation an Kernkraftwerken dar. In Bezug auf Sicherheit besitzt er u. a. eine hohe Resistenz gegen Kernschmelzen, gegen Erdbeben sowie Flugzeugabsturz und wird gerühmt für seine vorzügliche Nachwärmeabfuhr. Einige Details zu seinem Aufbau sind aus der nachstehenden Abbildung und Beschreibung ersichtlich, welche ich Wikipedia entnommen habe.




Das Reaktorgebäude besteht aus einem doppelschaligen Containment: einer inneren Hülle aus vorgespanntem Beton (2) und einer äußeren Stahlbetonhülle (1). Es umschließt das Hauptkühlmittelsystem mit dem Reaktordruckbehälter (3), den Dampferzeugern (4), dem Druckhalter (5) und den Hauptkühlmittelpumpen (6) als wichtigsten Komponenten. Innerhalb des Containments gibt es eine spezielle Ausbreitungsfläche (7), auf der bei einem extrem unwahrscheinlichen Kernschmelzunfall die Schmelze aufgefangen und gekühlt würde.
Das Maschinenhaus (8) enthält die gesamte „Dampfkraftanlage“, in der der erzeugte Dampf in elektrischen Strom umgewandelt wird: die Turbine, den Generator und den Blocktransformator, der an das öffentliche Versorgungsnetz angeschlossen ist.
Im Falle eines Stromausfalls stellen Notstromdiesel den zur Aufrechterhaltung der Sicherheitsfunktionen benötigten Strom bereit. Sie sind räumlich voneinander getrennt in zwei verschiedenen Gebäuden (9) untergebracht. 



 


Finnland bestellt den ersten EPR


Im Jahr 2003 bestellte das kleine Land Finnland den ersten EPR von der Firma AREVA, einem Konsortium aus Siemens und Framatome. Er sollte 3 Milliarden Euro kosten und im Jahr 2009 in Betrieb gehen. Als Standort für den 1.600 Megawatt Druckwasserreaktor war die Halbinsel Olkilouto vorgesehen, wo das finnischen Energieversorgungsunternehmen TVO bereits zwei kleinere Kernkraftwerke betrieb. Für den EPR bestand ein Vertrag, worin ein Festpreis und die schlüsselfertige Übergabe vereinbart war. Inzwischen sind die Kosten auf 8,5 Milliarden Euro aufgelaufen und mit der Übergabe wird nicht vor 2018 gerechnet. Das Konsortium Siemens/ Framatome hat sich vor Gericht im Streit getrennt und Siemens ist (im Gefolge von Fukushima) aus der Reaktortechnologie ausgestiegen.


Wie konnte es zu dieser katastrophalen Situation kommen? Nun, das Projekt stand von Beginn an unter keinem guten Stern. Es gab Probleme, wo man sie nicht erwarten konnte. So entsprach der Beton für die Grundplatte nicht den Spezifikationen und beim Schweißen der Rohrleitungen wurden erhebliche Mängel festgestellt. Zum weitaus überwiegenden Teil geschahen diese Fehlleistungen beim Firmenteil Framatome, welcher für den größeren nuklearen Bereich zuständig war, während Siemens im Wesentlichen nur den Turbogenerator (entsprechend 27 Prozent konventioneller Anteil) und Teile der Kraftwerkssteuerung zulieferte. Nicht ausreichend hatte man bei Areva auch das reduzierte Tageslicht im hohen Norden eingeschätzt, was unweigerlich zu geringerer Effektivität führt - auch wenn man den polnischen Tagelöhnern nur zwei Euro pro Stunde an Lohn ausbezahlte.


Im Jahr 2008 trafen sich Areva und TVO zum ersten Mal vor einem internationalen Schiedsgericht. Sie warfen sich gegenseitig vor, die Fertigstellung des Kernkraftwerks erheblich verzögert zu haben. Areva beschuldigte die Finnen, durch ständige Änderung der Auflagen und Bauausführung diese Situation hervorgerufen zu haben; TVO machte schwerwiegende Fehler der Gegenseite dafür geltend. Im Jahr 2011 beendete Siemens die Zusammenarbeit mit den Franzosen im Streit, wofür der damalige Konzern-Chef Peter Löscher  684 Millionen Euro berappen musste. Auf der Baustelle ist das frühere Konsortium aber weiterhin auf Gedeih und Verderb zur Zusammenarbeit gezwungen, denn der Liefervertrag muss abgewickelt werden.


An dem Kraftwerk wird keine Seite mehr Geld verdienen. Areva hat bislang 3,9 Milliarden Euro als Verluste zurückgestellt; Siemens hatte bisher Belastungen in der Höhe von 583 Millionen Euro zu verkraften. Auch die personellen Abgänge sind erheblich. Der Siemens-Vorstandsvorsitzende Peter Löscher musste inzwischen seinen Sessel räumen - nicht nur wegen Olkilouto, sondern auch wegen milliardenschwerer Verluste bei den Hochsee-Windprojekten. Sein Nachfolger Joe Kaeser wird das Finnlandprojekt weiter im Auge behalten müssen. Auf französischer Seite wurde 2011 die charismatische Anne Lauvergeon noch von Nicolas Sarkozy gefeuert und durch Luc Oursel ersetzt. Bei einer kürzlichen Sitzung des Areva-Aufsichtsrats warf auch Oursel (wegen Krankheit!) das Handtuch. Sein Interimsnachfolger wurde Philippe Knoche.


Vermutlich der richtige Mann für diesen Knochen-Job.



Sonntag, 9. November 2014

ITER: Steigen die Amerikaner aus?

Der Internationale Thermonukleare Experimentalreaktor, abgekürzt ITER, welcher derzeit im südfranzösischen Cadarache errichtet wird,  befindet sich in einer gefährlichen Projektphase. Seine Baukosten werden nunmehr auf ca. 50 Milliarden Dollar abgeschätzt, d. h. die Kosten haben sich im Vergleich zur ursprünglichen Planung fast um den Faktor 10 erhöht. Der Terminplan für den Betrieb dieser komplexen Fusionsmaschine hat sich vom Jahr 2020 auf mittlerweile bis 2033 verzögert. Kein Wunder, dass insbesondere in den USA überall Firmen auftreten, welche den Anspruch erheben, die Kernfusion billiger und schneller bewerkstelligen zu können.

Dubiose Alternativen

Die Suche nach Alternativen für das ITER-Prinzip begann bereits 1989, als die beiden US-Physikochemiker Stanley Pons und Martin Fleischmann ein Experiment unter der Bezeichnung "kalte Fusion" vorstellten. Sie behaupteten eine  Fusion bei Zimmertemperatur auf elektrochemischen Weg an einer Palladium-Elektrode durchgeführt zu haben. Die Labor-Ergebnisse von Pons und Fleischmann ließen sich jedoch nicht durch unabhängige Dritte bestätigen. Eine vom Energieministerium der USA eingesetzte Kommission kam zu dem Ergebnis, dass es sich um "pathologische Wissenschaft" handle.

Vor kurzem ist der US-Rüstungskonzern Lockheed Martin  mit dem Anspruch an die Öffentlichkeit getreten, nach nur vierjähriger Arbeit einen Fusionsreaktor mit einer Leistung von 100 Megawatt entwickelt zu haben. Das Kraftwerk soll die bescheidene Größe von nur 7 mal 13 Metern besitzen und könnte damit auf einem mittleren Lastwagen transportiert werden. Die Testversion des sogenannten Compact Fusion Reactor (CFR)  soll in einem Jahr betriebsbereit sein, in zehn Jahren möchte man sogar ein marktreifes Kraftwerk vorstellen. Hinter dem Projekt steht die Forschungsabteilung "Skunk Works", die immerhin den Tarnkappenbomber F-117 entwickelt hat. Statt einen Torus zu verwenden, wollen die Skunk-Works-Ingenieure mehrere Spulen hintereinander im Innern der Reaktorkammer platzieren, um ein Magnetfeld von anderer Geometrie zu erzeugen. Die Arbeiten sind, bis auf einige Patentanträge, noch sehr geheim, sodass sie nicht im Detail bewertet werden können.

Auswirkungen auf den US-Kongress

Im US-Kongress, also dem Senat und Repräsentantenhaus hat der ITER wenige Freunde. Insbesondere die Republikaner sind strikt gegen dieses Projekt eingestellt. Da nach der kürzlichen Wahl diese Partei in beiden Kammern jedoch die Mehrheit erringen konnte, wird die jährliche Mittelbewilligung für ITER sehr erschwert werden. Hinzu kommt die Kontroverse zwischen dem Energieministerium DOE und dem Government Accountability Office GAO, dem amerikanischen Bundesrechnungshof. Das DOE schätzt den erforderlichen Beitrag der USA zum ITER auf 3,9 Milliarden Dollar, der weitaus kritischere GAO hingegen auf satte 6,5 Milliarden. Der Senat hat für das Jahr 2015 bereits angekündigt, dass er nur noch 75 Millionen Dollar bewilligen werde; benötigt werden für die Projektabwicklung aber mindestens 225 Millionen, also drei mal so viel.

Vor diesem Hintergrund - und weil es vielleicht "billigere Wege" zur Kernfusion gibt - wird in den amerikanischen Regierungskreisen ganz offen über den Ausstieg aus dem ITER-Projekt geredet. Republikaner und Demokraten sind sich weitgehend einig darüber, dass die enormen Kostensteigerungen für den Steuerzahler nicht mehr tragbar sind. Vertraglich ist ein Ausstieg vor dem Jahr 2017 allerdings nicht möglich - außer man akzeptiert die festgelegten Strafzahlungen.

Die Kernfusion, so lästern manche Physiker gern, ist die meistversprechende Technologie der Zukunft - und wird es auch immer bleiben!

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