Also machte ich mich mit meinem nicht mehr ganz brandneuen Mercedes auf den Weg ins ehemalige Kernforschungszentrum (Spitzname: Dschungel Nord), grapschte auf dem Weg von einem Getreidefeld noch ein Büschel Stroh - der Bauer möge mir verzeihen - und stand auch sehr bald vor der imposanten bioliq-Chemiefabrik. Leider konnte ich auch nach dreimaligen Umrunden keine Benzintankstelle entdecken, was mein Vertrauen in die Ankündigungen des KIT dialog künftig beeinträchtigen könnte. Auch die beiden Chefs, der im Mitarbeitermagazin in selbstbewusster Pose abgelichtete Betriebsleiter Dr. Bernd Zimmerlin und der Projektleiter Dahmen (ZEIT-Artikel vom 7. August: "Nicolaus Dahmen macht Stroh zu Benzin") waren nicht aufzufinden.
Hält die Fäden zusammen: Dr. Bernd Zimmerlin ist für den Betrieb der bioliq-Anlage zuständig (aus: KIT Dialog 1.2013)
Ein langer WegMittlerweile stellten sich einige Kleinforscher ein, die sich aber durchaus als projektkundig herausstellten und damit das Fehlen der genannten Großforscher einigermaßen kompensieren konnten. So erfuhr ich, dass das Projekt bioliq schon seit mehr als einem Dutzend Jahren betrieben wird, aber bis jetzt noch keinen Synthesekraftstoff in nennenswerter Menge erzeugt hat. Das Verfahrensprinzip ist, wie so häufig, relativ einfach. Im ersten Verfahrensteil, der Pyrolyse-Anlage, wird das Stroh durch thermochemische Spaltung in ein dickflüssiges, schwerölähnliches Produkt umgewandelt, dessen Energiedichte etwa zehnmal so hoch ist, wie die des Ausgangsmaterials. Dieses Stoffgemisch wird in einem Flugstromvergaser bei 80 bar Druck mithilfe von Sauerstoff und Dampf zu Synthesegas weiterverarbeitet. Dessen Hauptbestandteile, Kohlenmonoxid und Wasserstoff, dienen als Bausteine für die Kraftstoffsynthese. Zuvor müssen noch in einem weiteren Prozessschritt durch Heißgasreinigung die Störpartikel und Spurengase bei 800 Grad Celsius abgebaut werden.
Das im vergangenen Jahr ausgerufene Projektziel war, Mitte 2014 mit einer durchgehenden Prozesskette im Vollbetrieb "aus Stroh Benzin zu erzeugen". Dafür war ein Vierschicht-Betrieb inklusive Wochenende vorgesehen, wofür das Betriebsteam auf 45 Mann aufgestockt werden musste. Dieses Ziel wurde offensichtlich bis zum genannten Zeitpunkt nicht erreicht. Die Errichtung der bioliq-Anlage war nicht wirklich billig; bisher wurden 60 Millionen Euro in die Pilotanlage investiert.
Viele Wettbewerber, fragliche Rentabilität
Das bioliq-Verfahren hat viel Konkurrenz. Allein in Deutschland gibt es 20 Vorhaben zur Erzeugung einer neuen Generation von Biokraftstoffen. Anders als bei Bioethanol (E 10-Benzin!) sollen keine Nahrungs- oder Futtermittel, wie Mais, Raps, Weizen oder Zuckerrohr mehr verwendet werden, wodurch das bekannte "Tank oder Teller"-Problem vermieden würde. Die neue Generation an Verfahren begnügt sich mit Abfällen aus der Getreideernte oder der Waldbewirtschaftung. Im Prinzip führen zwei Wege zu Biobenzin: der thermochemische und der biologische. Bei der thermochemischen Methode werden Pflanzenabfälle zu Pflanzenöl umgewandelt und in einem Chemiereaktor zu Synthesegas. Aus den Komponenten Kohlenstoff, Sauerstoff und Wasserstoff lassen sich dann die neuen Kraftstoffe zusammensetzen. Bei der biologischen Methode lösen spezielle Mikroben aus der pflanzlichen Rohmasse den darin enthaltenen Zucker heraus. Durch Gärung wird der Zucker in Ethanol und Biobenzin umgewandelt.
Zurück zum Karlsruher bioliq-Verfahren. Für das dafür erforderliche Stroh gibt es bereits eine Reihe traditioneller Konkurrenten. So verbleibt ein Teil des Strohs auf dem Getreideacker und trägt zur Düngung und Humusbildung bei. Ein anderer Teil wird als Einstreu in den Viehställen verwendet und gelangt als Mist wieder auf die Äcker. Wie viel Stroh die Bauern aus diesen Kreisläufen für das Verfahren bioliq abzweigen können oder wollen, ist schwer abzuschätzen. Wegen der geringen Energiedichte des Strohs müssen die Energieverluste beim Einsammeln des Strohs durch LKW-Transporte möglichst minimiert werden. Man stellt sich vor, dass in jedem Landkreis ein bis zwei Pyrolysereaktoren stehen, in denen das Stroh dieser Gegend zu Pflanzenöl verkocht wird. So verdichtet soll sich der Transport dieses Vorprodukts zur weiter entfernt liegenden Bioraffinerie lohnen, die das Synthesegas erzeugt.
Ob die strategische Entscheidung des KIT, alle Schritte des bioliq-Verfahrens am Standort Karlsruhe durchzuführen, richtig war, wird die Zukunft erweisen. Die bisherigen Terminverzögerungen und Mehrkosten sprechen dagegen. Ein weniger risikoreicher Weg wäre gewesen, nach der Etablierung der Pyrolyse nach erfahrenen Partnern außerhalb des Forschungszentrum zu suchen. Erste Schritte in dieser Richtung waren die Vergasungsversuche in Freiberg, wo von 2003 bis 2005 vier erfolgreiche Kampagnen mit auswärtigen Partnern durchgeführt wurden. Der unnötige Ehrgeiz, die Vergasung am Standort Karlsruhe mit eigener Mannschaft und eigenen Ressourcen quasi zu wiederholen, haben viel Geld und Zeit gekostet und ist eine Strategie, die möglicherweise nicht zum Erfolg führen wird.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen