Sonntag, 27. Oktober 2013

Wirtschaftnobelpreise - anything goes

Mit den Nobelpreisen ist es so eine Sache. Der Eine wartet sein ganzes Leben (vergeblich) darauf, dem Anderen fällt er quasi in den Schoss. Der US-Präsident Barack Obama erhielt schon bei Amtsantritt im Jahr 2009 den Friedensnobelpreis; noch heute rätselt man, wofür er ihn eigentlich bekam. Demgegenüber wartet der amerikanische Schriftsteller Philip Roth seit Jahren sehnlichst auf den Preis für Literatur, den er für seine Romane Good bye, Columbus sowie Jedermann etc. etc. längst verdient hätte. Hoffen wir, dass er diese Auszeichnung noch erlebt; er ist immerhin bereits 80 Jahre alt. Selbst bei den Naturwissenschaftlern wundert man sich zuweilen über die Selektion des Stockholmer Komitees. So wurde der Physiker Albert Einstein nie für die Entdeckung der beiden universellen Relativitätstheorien ausgezeichnet, dafür aber für den vergleichsweise minoren Photoeffekt.

Seit 1969 werden Nobelpreise auch in dem Fach Wirtschaftswissenschaften verliehen. Nicht durch die Nobelstiftung ( Alfred Nobel hasste angeblich die Wirtschaftsleute) sondern durch die Schwedische Reichsbank - aber nach den gleichen Kriterien wie die übrigen Preise. Inzwischen gibt es 74 Preisträger in den Wirtschaftswissenschaften, davon sind 53 US-Amerikaner, fast ausschliesslich Professoren der Volkswirtschaft. Nur ein einziges Mal wurde ein Deutscher ausgezeichnet: der Professor - nomen est omen - Reinhard Selten erhielt den Preis 1994 zusammen mit zwei Engländern für seine "grundlegende Analyse des Gleichgewichts in nichtkooperativer Spieltheorie".


Der deutsche Nobelpreisträger 1994 Reinhard Selten, Universität Bonn

Universität Chicago contra Universität Yale

In diesem Jahr wurde der Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften wiederum zwischen drei US-Amerikanern gesplittet. Eigentlich nichts Besonderes - und doch eine Sensation. Zwei Ökonomen, Eugene Fama und Robert Shiller, erhielten den Preis, obwohl ihre wissenschaftlichen Erkenntnisse diametral entgegengesetzt sind. Der Dritte, Lars Peter Hansen, lief sozusagen ausser Konkurrenz; er wurde für seine statistische Methodik ausgezeichnet.

Fama von der Universität Chicago und Shiller von der Yale Universität in New Haven, Connecticut, beackern seit Jahrzehnten das gleiche Gebiet - nämlich die Finanzmärkte - und kommen dabei zu total unterschiedlichen Ergebnissen. Man häte verstanden, wenn die Schwedische Reichsbank einen von den beiden ausgezeichnet hätte; dass sie beide für preiswürdig hielt - noch dazu im gleichen Jahr - bedarf der Erläuterung.

Eugene Fama untersuchte seit 1960 in langen Zeitreihen die Aktienkurse der New Yorker Börse. Er wollte wissen, wie schnell der Kurs einer Aktie reagiert, wenn beispielsweise eine höhere Dividende angekündigt wird. Er kam zu der Erkenntnis, dass alle (verfügbaren) Informationen umgehend in die Kurse einfliessen, also "eingepreist" werden. Fama erfand dafür die "Theorie der effizienten Finanztmärkte", wonach die Aktienkurse rational alle Informationen widerspiegeln. Die Investoren erkennen, nach Fama, wenn er Kurs zu hoch ist und betreiben Arbitrage, d. h. sie verkaufen und nehmen die Gewinne mit. Folglich können sich auf den Aktienmärkten (wie auf anderen Finanzmärkten) keine "Blasen", also Übertreibungen ausbilden. Nach Professor Fama kann niemand besser sein als der Markt, was seitdem auch die Verkäufer von Indexfonds behaupten.


Der US-Preisträger 2013 Eugene Fama, Universität Chicago

Robert Shiller (dessen Frau übrigens Psychologin ist), traute dem Markt diese "Weisheit" nicht zu. Er griff auf die Erkenntnisse der Massenpsychologie und der Verhaltensökonomie zuück, wo Angst und Gier der Anleger eine grosse Rolle spielen. Seiner Meinung nach können sich sehr wohl Blasen auf den Märkten ausbilden, falls Investoren dem Herdentrieb folgen. Beim Platzen dieser Blasen kann es zu chaotischen Zuständen, sprich Finanzmarktkrisen, kommen. Shiller sagte aufgrund seiner Theorie u. a. das Platzen der Internetblase im Jahr 2001 und den preislichen Niedergang am amerikanischen Häusermarkt im Jahr 2007 voraus. Die Marktpreise werden nach Shillers Auffassung nicht nur von harten Informationen sondern auch von den Emotionen der Anleger bestimmt. Und wenn sich die Preise von den ökonomischen Fundamentaldaten abkoppeln, dann können durchaus Blasen - also Übertreibungen - entstehen. Zur Korrektur von Ungleichheiten, z. B. bei der Einkommensschere, empfiehlt Shiller die (automatische!) Progression der Steuersätze für Reiche. Eingriffe des Staates hält er für berechtigt und notwendig, so wie der britische Nationalökonom John Maynard Keynes dies bereits vor 80 Jahren für die Güterwirtschaft gefordert hat.


Der US-Preisträger 2013 Robert Shiller, Universität Yale

Gravierende politische Konsequenzen

Der Theorienstreit der beiden Ökonomen Fama und Shiller hatte enorme wirtschaftspolitische Konsequenzen während der vergangenen zwei Jahrzehnte. In den 1990er Jahren orientierte sich die amerikanische Wirtschaftspolitik vor allem an den Thesen von Fama, wonach der Markt immer effizient ist und zum Gleichgewicht tendiert. Etwaige Eingriffe des Staates wurden demgegenüber als bürokratisch, ineffizient und als nicht notwendig erachtet. Vor diesem theoretischen Hintergrund kam es in den 1990er Jahren zu der verhängnisvollen Deregulierung der Finanzmärkte unter Clinton und Bush sowie dem Chef der US-Notenbank (Fed) Alan Greenspan. Die Finanzmärkte wurden sich selbst überlassen und die Investmentbanken entwickelte sich zu "Zockerbuden", die später mit viel Staatsgeld gerettet werden mussten. Die Wissenschaftler hatten die sich anbahnende Finanzkrise in ihren Rechenmodellen einfach nicht erkannt und konnte deshalb die Politiker auch nicht davor warnen. Staat und Markt agierten, als wären sie zwei getrennte Sphären.

Greenspan, einst als "Magier der Märkte" bezeichnet, der die Fed 19 Jahre geleitet hat, gibt inzwischen offen zu, dass auch er die chaotischen Marktkrisen nicht vorausgesehen hat. In seinem Buch "The Map and the Territory" schreibt er wörtlich: "Es geht um die Triebe (animal spirits), die Menschen dazu bewegen, sich irrational dem Überschwang oder der Panik hinzugeben. Dieses Verhalten kann durchaus gemessen werden und ist ein wichtiger Teil der ökonomischen Vorhersage". Diese Aussage von Greenpan ist bemerkenswert; lange Zeit war er der Ansicht, dass die Menschen sich im Grunde rational verhalten und die Märkte sich deshalb selbst regulieren. Nun spricht er sich dafür aus, die Banken per Auflage zu zwingen, mehr Eigenkapital und Liquidität vorzuhalten um finanzielle Schieflage zu vermeiden. Ausserdem empfiehlt er die Schrumpfung grosser Banken, damit von ihnen keine Gefahr für die Stabilität des Finanzmarkts ausgeht.


Fazit

Shiller scheint der Sieger in diesem ökonomischen Wettstreits zu sein. Warum hat das Stockholmer Komitee dann aber auch einen (gleichhohen) Preis an den unterlegenen Fama verteilt? Nun, immerhin hat der Marktfan Fama in früheren Jahrzehnten einige Standards bzw. Benchmarks gesetzt, an denen sich sein Kontrahent Shiller erst einmal "abarbeiten" musste, um zu seiner Psychotheorie und Psychoökonomik zu gelangen. Miteinander vereinbar sind die beiden Finanzmarkttheorien nicht. Deshalb bemühte die britische Wirtschaftszeitung "Financial Times" auch einen interessanten Vergleich:

Die Entscheidung des Nobelkomitees ist so, als ob man Ptolemäus und Kopernikus zusammen den Preis gegeben habe - von denen der Eine die Erde für den Mittelpunkt des Universums hielt und der Andere die Sonne.



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