Samstag, 3. August 2013

Der neue "Ring" - Triumph des Regietheaters?

"Regietheater" ist ein abwertender Begriff der Theaterkritik, welcher in den 1970er Jahren aufgekommen ist. Den Regisseuren wird damit vorgeworfen, dass sie die ursprünglichen Intentionen der Stückeautoren verletzen, indem sie willkürliche Kürzungen vornehmen oder die Handlung "grundlos" an einen anderen Ort oder in eine andere Zeit verlegen, womit die Inszenierung vom eigentlichen Gehalt des Werkes ablenkt. Zumeist tummeln sich solche Regisseure  im Sprechtheater, neuerdings treiben sie ihr Unwesen aber auch im Musikbereich.

Frank Casdorf wird zu den Vertretern des Regietheaters gezählt. Ihm wurde kurzfristig von den beiden Bayreuther Intendantinnen Katharina Wagner und Eva Wagner-Pasquier die Inszenierung der Tetralogie "Der Ring der Nibelungen" anvertraut, nachdem vorher schon die Regisseure Tom Tykwer und Wim Wenders abgesagt hatten. Castorf hatte angeblich nur 30 Tage Zeit für seine Interpretation eines Werkes, wofür Richard Wagner sich 30 Jahre abmühte. Castorf, hauptamtlich Chef der Berliner Volksbühne, ist bekannt als "Stückezertrümmerer". Das scheint ihm auch beim Ring gelungen zu sein.


Obskure Orte, perfide Personen

Wagners Kosmos im Ring besteht gewissermassen aus drei Abteilungen: der Götterwelt, der Menschenwelt und der Unterwelt. Sie sind bestückt mit Göttern, Menschen, Riesen, Nixen und Zwergen, welche miteinander an den verschiedensten Orten agieren. Die wichtigste "Requisite" ist der Ring, welcher aus dem Gold des Rheins geschmiedet wurde und der seinem Besitzer unbegrenzte Macht verleiht, der aber gleichzeitig mit einem argen Fluch belegt ist.

Castorfs Grundidee ist es, das Gold durch Erdöl zu ersetzen, was aber leider nur unzulänglich gelungen ist. So spielt das Rheingold in Texas an der "Route 66". Die Rheintöchter sind drei laszive blonde Miezen, die gelangweilt am Pool eines miesen Motels herumlungern und ihre Spitzenhöschen auf eine Wäschespinne hängen. Der Göttervater Wotan ist ein zwielichtiger Pate in rosa Anzug und  Goldkettchen. Er hurt herum und wird nur zärtlich, wenn er mit der Hand über seinen silbernen Mercedes streicht. Der Zwerg Alberich erscheint als schmieriger Mafiosi, sein Bruder Mime schwenkt immerzu - warum eigentlich? - die Regenbogenfahne der Schwulenbewegung. Auf dem Dach des Motels hat Castorf eine Videoleinwand aufstellen lassen, auf der Live-Bilder des Bühnengeschehens  zu sehen sind. Wie im Fussballstadion! Der Brudermord des Riesen Fafner an Fasolt wird in Grossaufnahme zelebriert.

Die Walküre spielt auf einem Ölfeld in Aserbaidschan. Die Kulisse ist ein schäbiger Förderturm auf einer Drehbühne. Nach der Liebesnacht zwischen Siegmund und Sieglinde - bei welcher der spätere Held Siegfried gezeugt wird - lässt Castorf auf einer Leinwand einen historischen Schwarzweissfilm mit einer gelungenen Ölbohrung abspulen. Bei einem Gasunfall werden einige "Helden der Arbeit" getötet, die sodann von den acht Walküren bei ihrem wohlbekannten Walkürenritt eingesammelt werden. Hojotoho! Da sich Brünnhilde der Forderung ihre Göttervaters Wotan widersetzt hat, wird sie zur Strafe auf dem Ölfeld in Arrest gelegt. Neben ihr brennt, zur Bewachung, ein Ölfass.

Das Bühnenbild im Siegfried ist janusköpfig. Vorne zeigt es eine Abwandlung des Mount- Rushmore-Monuments mit Marx, Lenin, Stalin und Mao, das der Anarchist Siegfried gerade mit dem Hammer bearbeitet. Danach dreht sich die Bühne in die Gegenwart und Berlin, Alexanderplatz mit seinen U- und S- Bahnstationen erscheinen. Siegfried schmiedet nicht, wie von Wagner vorgegeben, die Trümmer des Schwerts Nothung zusammen, sondern packt praktischerweise zwei fabrikneue Kalaschnikows aus. Mit einer lautstarken MP-Salve streckt er den Schalterbeamten (alias Drachen) Fafner in einem U-Bahnschacht nieder, was angeblich einen Zuschauer in der 20. Reihe in Ohnmacht fallen liess. Danach kriechen zwei Riesenkrokodile über die Bühne und fressen bedauerlicherweise den so herrlich singenden Waldvogel. Inzwischen haben sich Brünnhilde und Siegfried getroffen und richten vor einem Bahnhofskiosk ihr Hochzeitsdinner aus.

In der Götterdämmerung hantieren die Schicksalsnornen im Hinterhof eines Backsteinhochhauses mit einer eisernen Feuertreppe. Die Behausung von Siegfried und Brünnhilde ist ein Wohnwagen vor dem verhüllten Reichstag. Später fallen die Tücher und die Säulenfundamente der New Yorker Börse kommen zum Vorschein, ganz nach dem Motto: Walhall ist Wall Street. Gunther, der Chef der Gibichungenfamilie weilt ebenfalls in Berlin und herrscht über die erste Dönerbude am Platze, gleich neben der Mauer. Sein Halbbruder Hagen ist Anführer einer schwarz gewandeten Schlägertruppe und erledigt später Siegfried mit dem Basballschläger. Nach diesem Mord lässt Brünnhilde die ganze Szene in einem grossen Feuer aus gestapelten Ölfässern aufgehen. Die Rheintöchter schicken den toten Siegfried mit dem Ring auf einem Schlauchboot in die ewigen Rhein-Jagdgründe.

Musikalisch und sängerisch war das Bayreuther Premierenpublikum mit dem Ring weitgehend zufrieden. Vorsorglich hatten die beiden Wagnertöchter mit Casdorf vorher vereinbart, dass er keine Änderungen an den Texten oder gar an der Musik vornehmen dürfe. Als Dirigent fungierte der Russe Kirill Petrenko, der zum ersten Mal in Bayreuth auftrat und eine makellose Leistung ablieferte. So transparent und gleichzeitig so machtvoll war der Ring auf dem Hügel selten zu hören. Die Sänger waren, bis auf wenige Ausnahmen, durchweg gut bis sehr gut. Leider konnte Lance Ryan als Siegfried das "Bellen" in der Mittellage nicht ganz unterdrücken und der Koreaner Attila Jun als Hagen presste und drückte so stark, dass er mitunter schwer zu verstehen war. Geradezu fulminant aber sangen Anja Kampe als Sieglinde und Johan Bothe als Siegmund. Sie wurden zu Recht vom Publikum stürmisch gefeiert.


Publikumsbeschimpfung zum Schluss

Zusammenfassend muss man sagen, dass Frank Casdorf zu Wagners Jubiläumsjahr beileibe keinen Jahrhundertring abgeliefert hat, sondern eher einen bescheidenen Jahresring. Er machte zwar seinem Ruf als Werkzertrümmerer alle Ehre, dafür musste er aber allzu oft tief in die Klischee-Kiste greifen. Seiner Inszenierung fehlt die grosse durchgängige Idee, das angekündigte Ölthema wird nicht ausgearbeitet und wirkte zeitweise nur banal. Ein paar nette Gags, ein paar beeindruckende Videoperspektiven, aber kein ernst gemeintes einigendes Konzept. Das ist für Bayreuth zu wenig.

Zum Schluss kam es noch - zum ersehnten? - Eklat. Als Castorf nach der Götterdämmerung mit seinem Team zum ersten Mal vor das Publikum trat, wurde er mit vereinzelten Bravorufen, zumeist aber mit wütenden Buhrufen empfangen. Er blieb einige Momente fast regungslos stehen, was stilvoll anmutete. Aber dann begann er zu gestikulieren, tippte sich mit den Fingern ans Hirn und provozierte mit allerhand weiteren unartigen Gesten das Publikum. Schliesslich ging er, nach geschlagenen zehn Minuten, ohne Verbeugung ab.

Ob Castorfs Ring, wie eigentlich geplant, bis zum Jahr 2018 auf dem Bayreuther Spielplan bleiben wird, ist nach dieser Vorstellung zumindest fraglich.











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