Die sozialdemokratischen Väter
Das Kernkraftwerk SNR 300 Kalkar war vom Beginn bis zu seinem Ende eine Unternehmung, bei dem die Politiker das Sagen hatten und die Richtung sowie seinen Ausgang bestimmten. Nur wenige wissen, dass es der ehemalige sozialdemokratische Bundeskanzler Willy Brandt war, der das Projekt SNR 300 aus der Taufe hob. Bei einer Kabinettssitzung im Februar 1972 verwies Brandt auf die knappen Uranreserven in der Bundesrepublik Deutschland und beauftragte seinen damaligen Forschungsminister Klaus von Dohnanyi, den Bau des Schnellen Brüters in Kalkar am Niederrhein (vorwiegend) aus Bundesmitteln zu finanzieren. Dohnanyi gelang es, die Belgier und Holländer ins Boot zu holen und schon im November des gleichen Jahres standen den Industriekonsortien fast zwei Milliarden DM für den Bau des SNR 300 zur Verfügung. Im Dezember 1972 wurde Horst Ehmke (SPD) Forschungsminister; unter seiner Ägide erteilte die Genehmigungsbehörde die hochwichtige erste atomrechtliche Teilerrichtungsgenehmigung (1. TEG), womit gleichzeitig das Grundkonzept des Reaktors genehmigt war.
Als Ende 1974 Brandt wegen der Guillaume-Affäre zurücktreten
musste, wurde der Sozialdemokrat Helmut Schmidt zum Bundeskanzler gewählt. Die
Fortführung des Brüterprojekts war im Koalitionsvertrag mit der FDP verankert.
Sein Forschungsminister Hans Matthöfer (SPD), ein knorriger Gewerkschaftler,
war ein besonders standfester Vertreter des SNR 300. In einem Interview aus dem
Jahr 1976 brachte er die Idee des Brüters in nur zwei Sätzen voll auf den
Punkt: „Der Schnelle Brüter soll das in den Leichtwasserreaktoren erzeugte hochradioaktive
Abfallprodukt Plutonium sinnvoll wiederverwerten. Zudem soll er die knappen
Vorräte an Uran so wirtschaftlich nutzen, dass dessen Bedarf in einigen
Jahrzehnten nahezu gegen Null geht.“ Matthöfer gelang es, seine Parteigenossen
zur Finanzierung der sich schon damals abzeichnenden Mehrkosten zu bewegen. Im
Februar 1978 wurde der ehemalige Frankfurter Oberbürgermeister Volker Hauff
(SPD) zum Bundesforschungsminister ernannt. Er konnte erreichen, dass das
Bundesverfassungsgericht die Gültigkeit des Atomgesetzes auch für den Schnellen
Brüter bestätigte. Im November 1980 folgte (als letzter SPD-Forschungsminister)
Andreas von Bülow nach. Unter ihm gab der Deutsche Bundestag seine politische
Zustimmung zur (späteren) Inbetriebnahme des SNR 300. Ausserdem konnte Bülow
die Industrie zu einer signifikanten finanziellen Eigenbeteiligung am Projekt
bewegen. Dafür gab er öffentlich die Versicherung ab: „Kalkar wird keine Ruine
sozialdemokratischer Forschungspolitik werden.“
Die christdemokratischen Väter
Die christdemokratischen Väter
Im Oktober 1982 erfolgte in Bonn ein Regierungswechsel. Im
Zuge der sogenannten Wende wurde Helmut Kohl (CDU) zum Kanzler der
Bundesrepublik ernannt. Er bestimmte Heinz Riesenhuber (CDU) zum
Forschungsminister. Im Dezember des gleichen Jahres hob der Deutsche Bundestag
die letzten Vorbehalte gegen die Inbetriebnahme des Brüters in Kalkar auf. Durch Einschiessen neuer Finanzmittel kam es
zu einem kräftigen Anstieg der Baustellentätigkeit. Nach dem Einfüllen des
Natriums in die Reaktorkreisläufe (1985) und einigen Restarbeiten war das
Kernkraftwerk Kalkar 1986 zur Gänze errichtet. Mittlerweile waren bereits 17
Teilerrichtungsgenehmigungen für den SNR 300 erteilt worden; die 18. TEG – für
die Beladung des Reaktors mit Brennelementen und seine Inbetriebnahme – war in
Bearbeitung. Das Projekt schien auf dem besten Weg zu seiner Vollendung zu
sein.
Der SNR 300 in Kalkar am Niederrhein (um 1985)
Der böse Stiefvater Johannes Rau
Aber weit gefehlt! Im Mai 1985 gewann Johannes Rau,
SPD-Genosse, gelernter Buchhändler und Freizeitprediger, die Landtagswahlen in
Nordrhein-Westfalen (NRW) und wurde damit Ministerpräsident des Landes, welches
für die Erteilung der Betriebsgenehmigung zuständig war. Er schien der richtige
Gegenkandidat zu Helmut Kohl bei der 1987 anstehenden Bundestagswahl zu sein,
nachdem Hans-Jochen Vogel zwei Jahre zuvor dem Pfälzer unterlegen war. Rau
formulierte die „Kohle-Vorrang-Politik“, bei gleichzeitigen Ausstieg aus dem
Schnellen Brüter und der Wiederaufarbeitung. Sein Parteikollege Friedhelm
Farthmann kündigte an: „…dass man notfalls solange prozessieren werde, bis der
sanfte Tod des Brüters eintreten wird“. So geschah es denn auch. Der für die Genehmigung des Betriebs zuständige Wirtschaftminister Reimut Jochimsen liess die gleichen technischen Sachverhalte immer wieder durch neue Gutachter bewerten. "Kalkarisieren" nannte die Wochenzeitung "Zeit" diese hinterhältige Methode. Nach fünf Jahren des Tretens auf der Stelle zog Kohls Forschungsminister Riesenhuber die Reissleine und beendete das Projekt Kalkar. In seiner Presserklärung vom 21. März 1991 steht der Satz. "Die Verantwortung für das Ende von Kalkar liegt eindeutig beim Land Nordrhein-Westfalen."Der SNR 300 in Kalkar am Niederrhein (um 1985)
Der böse Stiefvater Johannes Rau
Betrachten wir, im Rückblick, die Ergebnisse der Rau´schen
Kohlepolitik, getrennt nach Braunkohle und Steinkohle. Zur Nutzung der Braunkohle zwischen Köln und Düsseldorf
genehmigte Rau 1987, also unmittelbar nach Amtsantritt, die Ausbeutung des
Feldes Garzweiler II. Es umfasst etwa
50 Quadratkilometer, auf denen bis zum Jahr 2045 rund 1,3 Milliarden Tonnen
Braunkohle abgebaut werden sollen. Dafür war die Enteignung und Umsiedlung von
7.000 Bewohnern erforderlich. Einige verharren noch auf ihren Grundstücken und
klagen sich seit 20 Jahren durch alle Instanzen. „Bergrecht bricht Grundrecht“
hält man ihnen zynisch entgegen. Doch inzwischen sind sie beim
Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe angelangt und mit einem
höchstrichterlichen Urteil zu Garzweiler II ist noch in diesem Jahr zu rechnen.
Mittlerweile ist sogar das Umweltbundesamt auf die Seite der Kläger getreten. Im
Zeichen der Energiewende und der Abkehr von den fossilen Energieträgern ist es
geradezu absurd, soviel schmutzige Braunkohle für die deutsche Stromversorgung
einzuplanen.
Noch schlimmer ist die wirtschaftliche und ökologische Bilanz für die Nutzung der Steinkohle in Nordrhein-Westfalen. Die Förderung der Steinkohle im Ruhrgebiet ist
nur bei Kosten von 150 Euro pro Tonne möglich. Auf dem Weltmarkt kann man aber
die gleiche Menge schon für 50 Euro kaufen. Rau beharrte trotzdem auf
der Ausbeutung seiner heimischen Flöze und liess sich die Differenzkosten von
der Bundesregierung subventionieren. Bisher sind (umgerechnet) mehr als 130 Milliarden Euro
an Subventionen für die Steinkohle aufgewendet worden, weitere 40 Milliarden
wird der Abbau noch bis zum Jahr 2018 kosten, wenn endlich diese unsinnige
Kohleförderung zu Ende gehen soll. Zur Erinnerung: in den SNR 300 sind
(umgerechnet) 2 Milliarden an öffentliche Fördergelder geflossen, woraus man
aber ein völlig neues Energieerzeugungssystem entwickelt hat. Das Land
Nordrhein-Westfalen hat übrigens den Brüter mit Null Euro unterstützt, sondern
nur Vorteile aus den Bundesgeldern gezogen, die für den SNR 300 nach NRW
geflossen sind.
Vollends katastrophal wird die Kohlebilanz in Nordrhein-Westfalen,
wenn man die langfristigen Kosten und Schäden dieser Technologie betrachtet.
Bis zu 2.000 Meter Tiefe ist das Kohlegebiet wie ein Schweizer Käse von
Schächten und Stollen durchsetzt. Auf der bebauten Erdoberfläche entstehen
immer wieder Schäden an Gebäuden und Strassen, wenn das darunter liegende
Abbaugebiet durch Bildung von Rissen und Trichtern wegsackt. Inzwischen hat
sich die Erdoberfläche im Bergbaugebiet um bis zu 40 Meter abgesenkt, in der Innenstadt von Essen allein um 16 Meter. Die
Hausbesitzer in NRW reichen pro Jahr 40.000 Schadensmeldungen ein,
zumeist vergeblich. Das allergrösste Problem stellt jedoch das Grubenwasser
dar. Es dringt von unten in die Schächte und Stollen ein und verseucht
ausserdem das Trinkwasser. Ohne ständiges Abpumpen wäre das Ruhrgebiet längst
eine Seenlandschaft. Eine grosse Anzahl mächtiger Pumpen muss Tag und Nacht
laufen; allein bei Walsum liegt die Fördermenge bei 20 Milliarden Kubikmetern
jährlich.
Man bezeichnet diese Lasten – auch offiziell – als
Ewigkeitslasten und die damit verbundenen Kosten als Ewigkeitskosten. Sie gehen
einher mit einem unbegrenzten Energieverbrauch. Da der Energieinhalt der
geförderten Steinkohle endlich ist, der Stromverbrauch für die Pumpen aber
„ewig“ anfällt, wird dessen Energieinhalt dem der geförderten Steinkohle bald übertreffen.
Damit haben Rau und Genossen ein ökologisches Desaster geschaffen, welches die
Problematik der nuklearen Endläger bei weitem übertrifft.
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