Sonntag, 30. Juni 2013

Die Kroaten kommen

Vorbemerkung:  Das äusserliche Format meiner Posts hat sich etwas verändert. Dafür können nun alle Blogs ausgedruckt werden.





Am 1. Juli 2013 wird Kroatien der  28. Mitgliedsstaat der Europäischen Union (EU) werden. Es ist ein Beitritt ohne Begeisterung - auf beiden Seiten. Die ohnehin schon kränkelnde Gemeinschaft fürchtet ein neues Problemkind aufgehalst zu bekommen; Bundestagspräsident Norbert Lammers sprach es sogar öffentlich aus: "Kroatien ist noch nicht beitrittsreif". Aber auch die Kroaten selbst bekunden eine erstaunliche Zurückhaltung: nur schlappe 21 Prozent der Bevölkerung beteiligten sich im vergangenen April an der Wahl ihrer Abgeordneten zum Europaparlament. Warum lässt die EU dann eigentlich die Kroaten in ihre Gemeinschaft? Nun, man will damit das Pulverfass Balkan langfristig entschärfen. Kroatien soll der Stabilitätsanker für die restlichen Balkanstaaten werden und Kriege früherer Art verhindern. Weitere Länder dieser Provenienz (Serbien, Bosnien-Herzegowina) werden folgen. Aber die Brüsseler Kommission sollte die Integrationsfähigkeit der EU nicht überschätzen. Eine grosse EU ist nicht unbedingt eine starke EU.


Desolate Wirtschaftslage, blühende Korruption

Die Wirtschaftslage im Beitrittsland Kroatien ist miserabel. Die maroden Werften haben in den letzten Jahren nur Verluste eingefahren, nun will man sie privatisieren und hofft auf zahlungskräftige Investoren. Ähnliches gilt für die Chemieanlagen und die Raffinerien südlich von Rijeka. Ihnen wurden die hohen Gaspreise und die fehlenden Genehmigungen zum Verhängnis.  Seit fünf Jahren befindet sich das Land in einer Rezession. Hoffnungsträger sind allein die Landwirtschaft (Wein, Tabak) und vor allem der Tourismus, der 20 Prozent zum Bruttosozialprodukt beiträgt.  Das glasklare Wasser der Adria und die vielen Inseln locken seit eh und je die deutschen Urlauber.


Kroatien im Überblick

Die Korruption ist in Kroatien eine alltägliche Plage. Im vergangenen Jahr wurde sogar der langjährige Premierminister Ivo Sanader wegen dieses Delikts zu zehn Jahren Haft verurteilt. Er soll für Millionenbeträge österreichischen und ungarischen Firmen den illegalen Zutritt zum kroatischen Markt verholfen haben. Noch unheilvoller ist im Alltag die sogenannte Schalterkorruption. Auf Grundbucheintragungen muss man schon mal fünf Jahre warten, wenn man nicht bereit ist Schmiergeld zu entrichten. Die Organisation Transparency International hat festgestellt, dass auf den Sektoren Gesundheit, Polizei, Gerichte und Behörden Kroatien zu den korruptesten Ländern in Europa gehört. Inzwischen gibt es zwar Gesetze gegen Bestechung und Vorteilsnahme, aber in praxi werden sie nur mangelhaft umgesetzt. 50 Prozent der kroatischen Bevölkerung sind Rentner. Dies ist nicht erstaunlich, wenn man bedenkt, dass dort das Rentenalter mit 51 Jahren beginnt. Da muss sich nach dem EU-Beitritt einiges verändern und die Kroaten werden darüber kaum begeistert sein.


Subventionen am Horizont

Subventionen aus den EU-Fonds sollen der kroatischen Wirtschaft auf die Beine bringen. Noch in diesem Jahr fliessen 650 Millionen Euro, gewissermassen als "Mitgift", von Brüssel nach Zagreb. Zwischen 2014 und 2020 sind weitere 14 Milliarden an Subventionsgelder eingeplant, die zur Finanzierung von "Anpassungsmassnahmen" vorgesehen sind. Darunter versteht man u. a. die Umrüstung der Werften für höherwertige Spezialschiffe. Auch ins ehemalige Kriegsgebiet um Vukovar soll investiert werden. Dort stehen jetzt noch in jedem Ort abgebrannte Häuser mit umgestürzten Dachstühlen, als wäre der serbische Krieg erst gestern beendet worden.

Eines der grössten Projekte ist eine Brücke bei Dubrovnik. Diese Stadt ist zur Zeit praktisch nur mit dem Schiff erreichbar, da die kroatische Landzunge im Zuge der Friedensverhandlungen mit Bosnien-Herzegowina abgetrennt wurde. (Man wollte diesem Binnenstaat den Zugang zur Adria ermöglichen). Die EU soll nun eine Brücke - vielleicht auch einen Tunnel -  finanzieren, die von der Enklave zur kroatischen Halbinsel Peljisac führt. Das zweimalige Überqueren der EU-Aussengrenze mit entsprechenden Zollformalitäten wäre dann nicht mehr notwendig.


Als "Schwabe" in Kroatien

Die deutschen Touristen  nennen die Kroaten Svabo, also Schwaben. Im Sommer fliegen diese in grosser Anzahl  in Split an der Adriaküste ein (eine Stunde Flugzeit von Stuttgart), bevölkern an der Riva die Cafés und trinken ihren Kava. Die Riva ist das Herz der Stadt und, wenn man am Ufer entlang spaziert, muss man nicht einmal auf den Verkehr achten, denn diese Promenade gehört allein den Fussgängern. Gleich in der Nähe befindet sich die Altstadt mit dem Diokletian-Palast. Er zählt seit 1979 zum Weltkulturerbe der Unesco.  Diokletian, der einzige römische Kaiser der Geschichte, der vorzeitig in den Ruhestand trat, hatte sich den Ort um das Jahr 300 n. Chr. als Alterssitz erwählt und in einer Rekordzeit von zehn Jahren einen Palast direkt ans Meer bauen lassen. Von Split aus legen die Fähren ab zu den vielen kroatischen Inseln, z. B. Hvar und Korcula. Nach Hvar fährt man etwa eine Stunde, es ist ein wunderschönes langgestrecktes Eiland mit einem mondänen Hafen und dazugehöriger Flaniermeile. Trotzdem kann man dort, wenn man etwas sucht, noch eine Privatwohnung zum Tagespreis von 200 Kuna, entsprechend etwa 30 Euro anmieten. (Ich hab´s ausprobiert.)

Mehr Gedränge gibt es zur Sommerzeit in Dubrovnik. Auch dort kann man eine mittelalterliche Altstadt bewundern. Sie verkraftet eigentlich nur 7.000 Touristen, aber meistens tummeln sich dort 25.000. Das hängt vor allem mit den vielen Kreuzfahrtschiffen zusammen, die dort anlegen und ihre Gäste entladen. Dubrovnik ist im Sommer regelrecht besetzt, der angestrebte Qualitätstourismus ist in Massentourismus umgekippt. Deswegen werden - durch Spekulation und Korruption -  immer mehr Hotelbauten hochgezogen, die man groesstenteils, leider, als "architektonische Verbrechen" bezeichnen muss. Kroatien besitzt etwa tausend Inseln mit unzähligen Badestränden. Leider sind sie zumeist sehr steinig, Sandstrände sind Mangelware. Ebenfalls bedauerlich ist, dass so wenige Stege ins glasklare Wasser ragen.


Weitere EU-Kandidaten ante portas

Kroatien wird nicht das letzte Land sein, welches der EU beitritt. Es gibt noch etwa zwei Dutzend Staaten, die aufgrund ihrer geografischen Lage und ihrer Geschichte in weiterer Zukunft der Europäischen Union beitreten könnten. Der Artikel 49 des EU-Vertrags räumt jedem europäischen Land das Recht ein, einen Antrag auf EU-Mitgliedschaft zu stellen. "Europäisch" wird dabei in einem diffusen politisch-kulturellen Sinne verstanden.

Derzeit führt die EU-Kommission Beitrittsverhandlungen mit drei Ländern: Island, Montenegro und der Türkei. Relativ unproblematisch verlaufen die Gespräche mit Island, von den Fischfangrechten in den dortigen Gewässern mal abgesehen. Die Staatsbürger von Montenegro dürfen bereits seit 2009 ohne Visum in die EU einreisen; grössere Problem für die Aufnahme dieses Landes sind nicht bekannt. Schwierig gestalten sich die Verhandlungen mit der Türkei, das schon seit 1999 offizieller Beitritttskandidat ist. Die Bundesrepublik und weitere Länder lehnen die türkische EU-Vollmitgliedschaft aus verschiedenen Gründen ab. Sie führen u. a. an, dass der Grossteil des Staatsgebiets der Türkei nicht in Europa, sondern in Asien liegt. Zudem sei die Türkei als vornehmliches muslimisches Land kulturell nicht zum christlichen Europa gehörig. Schliesslich werden auch Menschenrechtsfragen ins Feld geführt.

Weitere Beitrittskandidaten sind die Balkanländer Mazedonien, Serbien, Albanien, Bosnien-Herzegowina und Kosovo.

Mögliche zukünftige Beitrittskandidaten sind Lichtenstein, Norwegen und die Schweiz, welche aber bislang keinen Aufnahmeantrag gestellt haben.

Im östlichen Bereich kämen Armenien, Aserbaidschan, Georgien, Moldawien und Kasachstan infrage. Problematischer ist die Situation für die beiden ehemaligen Sowjetrepubliken Ukraine und Weissrussland. Beide sind derzeit noch so eng an Russland gebunden, dass man sich einen Beitritt zur EU nicht vorstellen kann.

Für die Zwergstaaten Andorra, Monaco, San Marino und Vatikanstaat ist ein EU-Beitritt kaum denkbar. Einige sind Steueroasen und deshalb für vermögende Ausländer als Wohnsitz sehr interessant. Der Vatikanstaat stellt in mehrfacher Hinsicht einen Sonderfall dar. Er ist eine absolute Monarchie bzw. Theokratie, was die Mitgliedschaft in der EU von vornherein ausschliesst.

Bleibt noch Russland. Dieser Staat  ist zwar Mitglied des Europarats, wird aber kaum je der EU beitreten. Russland betrachtet sich nach wie vor als Weltmacht und allenfalls pari mit Ganz-Europa.
Na, ja.

Sonntag, 23. Juni 2013

Mein Landsmann Jean Paul

Jean Paul, dessen Geburtstag sich im vergangenen März zum 250. Mal jährte, war zu seinen Lebzeiten ein hochberühmter Dichter. Seine Frühwerke waren "Bestseller" und wurden mehr gelesen als die Romane der Weimarer Klassiker Goethe und Schiller. Heute weiss man mit den dickleibigen Werken Jean Pauls nur noch wenig anzufangen. Aber neben den Seminaristen an den Universitäten hält sich immer noch ein kleiner und treuer  Leserstamm. Dazu gehört, erstaunlicherweise, auch der Präsident des Karlsruher Bundesverfassungsgerichts, Professor Andreas Voßkuhle.

Als Fichtelgebirgler und Oberfranke

Jean Paul wurde am 21. März 1763 in Wunsiedel geboren und auf den Namen Johann Paulus Friedrich Richter getauft. Das Fichtelgebirgsstädchen gehörte zu dem Hohenzollern-Fürstentum Bayreuth und war damit Teil eines der mehr als 300 Staaten, aus denen Deutschland damals bestand. (Ich selbst bin nur wenige Kilometer von Wunsiedel entfernt auf die Welt gekommen; für die Pennäler aus dieser Gegend stand die Lektüre der Werke von Jean Paul in den fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts noch obenan). Die Familie Richter waren Hungerleider. Der Vater war Lehrer und Organist in Wunsiedel - aber leider nur als "Tertius" (dritter Lehrer) nach dem Rektor und dem Subrektor. Zudem hatte er geschlagene zehn Jahre auf diese bescheidene Stelle warten müssen, währenddessen der studierte Theologe als Hauslehrer seine Familie mühsam ernähren musste.


Jean-Paul-Denkmal in Wunsiedel

Nach zwei Jahren gelang es Vater Richter endlich, eine Pfarrstelle in Joditz, nicht weit von der oberfränkischen Stadt Hof, zu ergattern. Dort wohnten die Richters zehn Jahre lang. Der kleine Fritz bezeichnete Joditz später als seinen "eigentlichen", nämlich "geistigen" Geburtsort. In diesem Städtchen befindet sich übrigens auch heute noch ein wunderbar originelles und stimmiges Privatmuseum zu Ehren des Dichters, das von dem Ehepaar Eberhard und Karin Schmidt betrieben wird. Jedes Detail zu Jean Paul wird hier gewusst, gesammelt und mit lässigem fränkischen Charme präsentiert. Germanisten aus aller Welt schauen in Joditz vorbei; auch der oben genannte Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle kam schon mehrfach und verewigte sich mit dem Ausspruch: "Was für ein Ort! Wieviel Herz und Begeisterung." Das kleine Museum wird übrigens nur nach telefonischer Vereinbarung geöffnet (09295-8188).

Im Jahr 1776 siedelte die Familie ins Fichtelgebirge nach Schwarzenbach an der Saale über, nachdem der Vater, vermittelst einer Gönnerin, dort eine noch bessere Pfarrstelle erhalten hatte. Der kleine Fritz ging nun im nahen Hof aufs Gymnasium und bald erstaunte er seine Lehrer damit, dass er das hebräische und griechische Testament mündlich fliessend ins Lateinische zu übersetzen vermochte. Zum grossen Unglück verstarb der Vater bereits nach drei Jahren. Er hinterliess eine Menge Schulden, eine Witwe und fünf minderjährige Söhne. Aber mit Hilfe von privaten Gönnern, die sein Talent erkannten, gelang es Fritz, den Abiturabschluss zu erreichen.

Friedrich Richter schrieb sich an der Universität Leipzig zum Studium der Theologie ein. Aber er wurde dort nicht glücklich. Die Vorlesungen langweilten ihn, sodass er meisten zu Hause Bücher las, querbeet von der Trigonometrie bis zu Kants Kritik der Vernunft. Insbesondere quälte ihn seine Mittellosigkeit. Er machte Schulden wo er nur konnte und eines Tages floh er aus der ungeliebten Stadt und quartierte sich wieder daheim bei Muttern in Oberfranken ein.

Im elterlichen Haus widmete er sich voll der Schreibkunst; etwas Geld verdiente sich der "verkrachte Student" als Hauslehrer bei Kleinadeligen und Bürgern. In dieser Zeit, von 1784 bis 1795 schrieb er einige seiner bekanntesten Novellen und Romane, wie Schulmeisterlein Wutz, Die unendliche Loge und vorallem sein Hauptwerk Hesperus. Richter fand dafür druckwillige Verleger und vor allem eine grosse Leserschaft. Der Dreissigjährige war zum Dichter aufgestiegen. In dieser Zeitperiode wechselte er auch seinen Namen: aus Johann Paulus Friedrich Richter wurde Jean Paul Friedrich Richter oder später ganz einfach: Jean Paul. Seine Sympathie für die Französische Revolution und den Naturphilosophen Jean-Jaques Rousseau hatte Friedrich zu diesem Namenswechsel veranlasst.


Weimar und Berlin rufen

Der Aufstieg des jungen Schriftstellers wurde auch in Weimar, der damaligen Literaturhauptstadt Deutschlands, aufmerksam registriert. Bald erreichten Jean Paul Einladungen in diese Residenzstadt von damals 6.500 Einwohnern, denen er sich nicht entziehen konnte. Von Johann Gottfried Herder  und dessen Freunden wurde er überschwänglich empfangen, von den Koryphäen Goethe und Schiller weniger. Goethe konnte offenbar nicht verknusen, dass Jean Pauls Roman Hesperus weit mehr Leser erreichte als sein fast zeitgleich herausgekommenes Werk Wilhelm Meister. Er bezeichnete Jean Paul als " Chinesen in Rom" und Schiller sprach von einem "aus dem Mond Gefallenen".

Viel Anklang fand unser Dichter bei der Weimarer Damenwelt. Die adeligen Frauen und Fräuleins  umschwärmten ihn, für sie war er der Dichter der überströmenden Gefühle. Charlotte von Kalb versuchte ihn zu umgarnen, ebenso wie Karoline von Feuchtersleben. Aber vergeblich - Jean Paul zog es nach Berlin, wo mit Königin Luise noch eine weit höherrangige Dame auf seinen Besuch wartete. Auch hier, in der preussischen Gesellschaft, war er Hahn im Korb. Nur der König Friedrich Wilhelm fertigte ihn kühl ab, als sich Jean Paul mit der Bitte um eine Staatsrente an ihn wandte. Dem Regenten war sein biederer Preussendichter  v. Kotzebue offenbar lieber. Zur Überraschung der adeligen Damenwelt entschloss sich Jean Paul 1781 in Berlin die Bürgerstochter Karoline Mayer zu ehelichen und gleich darauf über Meiningen und Weimar nach Oberfranken zurück zu kehren.


Endstation Bayreuth

Die letzten 20 Jahre seines Lebens verbrachte Jean Paul in der oberfränkischen Stadt Bayreuth. Spötter sagen: des Bieres wegen. In Meiningen hatte er das oberfränkische Bier lieben gelernt. Ein Einspänner brachte ihm damals regelmässig Fässer oder Eimer mit Bayreuther, Johanniter oder Kulmbacher Bier nach Meiningen und der Dichter geriet immer in leichte Panik, wenn die Fässer sich leerten, bevor eine neue Sendung angekündigt war. In Bayreuth zog Jean Paul mit seiner Berliner Ehefrau und inzwischen zwei Kindern mehr als ein Dutzend mal um - nur seiner Bierkneipe, der "Rollwenzelei" blieb er treu. Die mit ihm berühmt gewordene Wirtin des bescheidenen "Traiteurhauses" an der Königsallee etwas stadtauswärts nahe der Eremitage gelegen, bot ihm über Jahre hinweg tagtäglich das gleiche Ritual: ein stilles Arbeitsstübchen im Obergeschoss, Berge seiner geliebten fränkischen Pellkartoffeln und ausgezeichnetes braunes, bitteres Bier. Die heutigen Betreiber dieses Gasthauses, die Familie Sommer, sind glühende Jean-Paulianer und öffnen die Dichterstube gerne nach Voranmeldung (0921-980218).


Rollwenzelei mit erhaltener Dichterstube in Bayreuth

Wenn er nicht stundenlang durch die fränkische Hügellandschaft wanderte, lebte Jean Paul in der Rollwenzelei und schrieb und schrieb und schrieb. Seine weiteren Hauptwerke wie die Flegeljahre, Dr. Katzenbergers Badereise, Komet sowie das Leben Fibels hat er dort geschrieben - wenn auch nicht immer zur Gänze fertiggestellt. Ausgelaugt von dieser Arbeit und seinem nicht immer gesunden Leben, starb er am 14. November 1825 im Alter von 62 Jahren in seiner Wohnung in der Friedrichsstrasse. Seine letzten geflüsterten Worte waren: "Wir wollen´s gehen lassen".


Jean Pauls Werk aus heutiger Sicht

Jean Paul hat ein titanisches Werk hinterlassen. Sein Nachlass umfasst 40.000 Seiten und 12.000 Seiten Exzerpte. Das ist vom Volumen her mehr als die Vielschreiber Goethe und Thomas Mann insgesamt zustande brachten. Er war der erste Autor, der unter seinem Pseudonym Jean Paul bekannter war als unter seinem Geburtsnamen. Die Leserschaft vor 200 Jahren - und insbesondere die Damen - liebten seinen Schreibstil mit den vielen Aus- und Abschweifungen, den Vorworten und Vorreden und den unzähligen Fussnoten. Seine Prosa ist kein gerader Weg, sondern einer voller abenteuerlicher Abwege. Niemand ist in der Lage, beispielsweise die Handlung eines Romans wie Hesperus in eigenen Worten komplett nachzuerzählen. Das ist aber auch der Grund, weshalb Jean Paul heute die grosse Leserschaft fehlt. Universitätsgelehrte sind dafür schon zahlenmässig kein Ersatz. Trotzdem: in Oberfranken und insbesondere im Fichtelgebirge stösst man immer wieder auf Menschen, die Abschnitte oder gar Seiten von Jean Pauls verschlungener Prosa auswendig zitieren können.

Zur Erinnerung an den berühmten Sohn ihrer Stadt hat Wunsiedel dieses Jahr eine neugezüchtete Rose mit dem Namen Jean-Paul-Rose herausgebracht. Sie hat orange-apricotfarbene Blüten, glänzend dunkelgrünes Laub und zeichnet sich durch einen buschigen Wuchs aus. Blumenliebhaber und Freunde von Jean Paul können sie zu Preis von 16,50 Euro pro Pflanze erwerben.

Samstag, 15. Juni 2013

Sonntag, 9. Juni 2013

Die Väter des Schnellen Brüters in Kalkar

Professor Wolf Häfele wird in der Öffentlichkeit häufig als "der Vater des Schnellen Brüters" bezeichnet. Nicht selten geschieht dies in der (boshaften) Absicht, ihm die Verantwortung und die Schuld für das Scheitern des teuren Grossprojekts SNR 300 in Kalkar in die Schuhe zu schieben. Das ist nicht gerechtfertigt. Häfele war längst aus der organisatorischen Verantwortungskette, als der Schnelle Brüter in Kalkar seinen Lauf nahm. Die Verantwortung für dieses Projekt trugen - im Guten wie im Unguten - sehr ranghohe deutsche Politiker, wie im Folgenden dargelegt werden soll.


Die sozialdemokratischen Väter

Das Kernkraftwerk SNR 300 Kalkar war vom Beginn bis zu seinem Ende eine Unternehmung, bei dem die Politiker das Sagen hatten und die Richtung sowie seinen Ausgang bestimmten. Nur wenige wissen, dass es der ehemalige sozialdemokratische Bundeskanzler Willy Brandt war, der das Projekt SNR 300 aus der Taufe hob. Bei einer Kabinettssitzung im Februar 1972 verwies Brandt auf die knappen Uranreserven in der Bundesrepublik Deutschland und beauftragte seinen damaligen Forschungsminister Klaus von Dohnanyi, den Bau des Schnellen Brüters in Kalkar am Niederrhein (vorwiegend) aus Bundesmitteln zu finanzieren. Dohnanyi gelang es, die Belgier und Holländer ins Boot zu holen und schon im November des gleichen Jahres standen den Industriekonsortien fast zwei Milliarden DM für den Bau des SNR 300 zur Verfügung. Im Dezember 1972 wurde Horst Ehmke (SPD) Forschungsminister; unter seiner Ägide erteilte die Genehmigungsbehörde die hochwichtige erste atomrechtliche Teilerrichtungsgenehmigung (1. TEG), womit gleichzeitig das Grundkonzept des Reaktors genehmigt war.


Als Ende 1974 Brandt wegen der Guillaume-Affäre zurücktreten musste, wurde der Sozialdemokrat Helmut Schmidt zum Bundeskanzler gewählt. Die Fortführung des Brüterprojekts war im Koalitionsvertrag mit der FDP verankert. Sein Forschungsminister Hans Matthöfer (SPD), ein knorriger Gewerkschaftler, war ein besonders standfester Vertreter des SNR 300. In einem Interview aus dem Jahr 1976 brachte er die Idee des Brüters in nur zwei Sätzen voll auf den Punkt: „Der Schnelle Brüter soll das in den Leichtwasserreaktoren erzeugte hochradioaktive Abfallprodukt Plutonium sinnvoll wiederverwerten. Zudem soll er die knappen Vorräte an Uran so wirtschaftlich nutzen, dass dessen Bedarf in einigen Jahrzehnten nahezu gegen Null geht.“ Matthöfer gelang es, seine Parteigenossen zur Finanzierung der sich schon damals abzeichnenden Mehrkosten zu bewegen. Im Februar 1978 wurde der ehemalige Frankfurter Oberbürgermeister Volker Hauff (SPD) zum Bundesforschungsminister ernannt. Er konnte erreichen, dass das Bundesverfassungsgericht die Gültigkeit des Atomgesetzes auch für den Schnellen Brüter bestätigte. Im November 1980 folgte (als letzter SPD-Forschungsminister) Andreas von Bülow nach. Unter ihm gab der Deutsche Bundestag seine politische Zustimmung zur (späteren) Inbetriebnahme des SNR 300. Ausserdem konnte Bülow die Industrie zu einer signifikanten finanziellen Eigenbeteiligung am Projekt bewegen. Dafür gab er öffentlich die Versicherung ab: „Kalkar wird keine Ruine sozialdemokratischer Forschungspolitik werden.“ 



Die christdemokratischen Väter
Im Oktober 1982 erfolgte in Bonn ein Regierungswechsel. Im Zuge der sogenannten Wende wurde Helmut Kohl (CDU) zum Kanzler der Bundesrepublik ernannt. Er bestimmte Heinz Riesenhuber (CDU) zum Forschungsminister. Im Dezember des gleichen Jahres hob der Deutsche Bundestag die letzten Vorbehalte gegen die Inbetriebnahme des Brüters in Kalkar auf.  Durch Einschiessen neuer Finanzmittel kam es zu einem kräftigen Anstieg der Baustellentätigkeit. Nach dem Einfüllen des Natriums in die Reaktorkreisläufe (1985) und einigen Restarbeiten war das Kernkraftwerk Kalkar 1986 zur Gänze errichtet. Mittlerweile waren bereits 17 Teilerrichtungsgenehmigungen für den SNR 300 erteilt worden; die 18. TEG – für die Beladung des Reaktors mit Brennelementen und seine Inbetriebnahme – war in Bearbeitung. Das Projekt schien auf dem besten Weg zu seiner Vollendung zu sein.




                               Der SNR 300 in Kalkar am Niederrhein (um 1985)


Der böse Stiefvater Johannes Rau
Aber weit gefehlt! Im Mai 1985 gewann Johannes Rau, SPD-Genosse, gelernter Buchhändler und Freizeitprediger, die Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen (NRW) und wurde damit Ministerpräsident des Landes, welches für die Erteilung der Betriebsgenehmigung zuständig war. Er schien der richtige Gegenkandidat zu Helmut Kohl bei der 1987 anstehenden Bundestagswahl zu sein, nachdem Hans-Jochen Vogel zwei Jahre zuvor dem Pfälzer unterlegen war. Rau formulierte die „Kohle-Vorrang-Politik“, bei gleichzeitigen Ausstieg aus dem Schnellen Brüter und der Wiederaufarbeitung. Sein Parteikollege Friedhelm Farthmann kündigte an: „…dass man notfalls solange prozessieren werde, bis der sanfte Tod des Brüters eintreten wird“. So geschah es denn auch. Der für die Genehmigung des Betriebs zuständige Wirtschaftminister Reimut Jochimsen liess die gleichen technischen Sachverhalte immer wieder durch neue Gutachter bewerten. "Kalkarisieren" nannte die Wochenzeitung "Zeit" diese hinterhältige Methode. Nach fünf Jahren des Tretens auf der Stelle zog Kohls Forschungsminister Riesenhuber die Reissleine und beendete das Projekt Kalkar. In seiner Presserklärung vom 21. März 1991 steht der Satz. "Die Verantwortung für das Ende von Kalkar liegt eindeutig beim Land Nordrhein-Westfalen."


Betrachten wir, im Rückblick, die Ergebnisse der Rau´schen Kohlepolitik, getrennt nach Braunkohle und Steinkohle. Zur Nutzung der Braunkohle zwischen Köln und Düsseldorf genehmigte Rau 1987, also unmittelbar nach Amtsantritt, die Ausbeutung des Feldes Garzweiler II. Es umfasst etwa 50 Quadratkilometer, auf denen bis zum Jahr 2045 rund 1,3 Milliarden Tonnen Braunkohle abgebaut werden sollen. Dafür war die Enteignung und Umsiedlung von 7.000 Bewohnern erforderlich. Einige verharren noch auf ihren Grundstücken und klagen sich seit 20 Jahren durch alle Instanzen. „Bergrecht bricht Grundrecht“ hält man ihnen zynisch entgegen. Doch inzwischen sind sie beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe angelangt und mit einem höchstrichterlichen Urteil zu Garzweiler II ist noch in diesem Jahr zu rechnen. Mittlerweile ist sogar das Umweltbundesamt auf die Seite der Kläger getreten. Im Zeichen der Energiewende und der Abkehr von den fossilen Energieträgern ist es geradezu absurd, soviel schmutzige Braunkohle für die deutsche Stromversorgung einzuplanen.
Noch schlimmer ist die wirtschaftliche und ökologische Bilanz für die Nutzung der Steinkohle in Nordrhein-Westfalen.  Die Förderung der Steinkohle im Ruhrgebiet ist nur bei Kosten von 150 Euro pro Tonne möglich. Auf dem Weltmarkt kann man aber die gleiche Menge schon für 50 Euro  kaufen. Rau beharrte trotzdem auf der Ausbeutung seiner heimischen Flöze und liess sich die Differenzkosten von der Bundesregierung subventionieren. Bisher sind (umgerechnet) mehr als 130 Milliarden Euro an Subventionen für die Steinkohle aufgewendet worden, weitere 40 Milliarden wird der Abbau noch bis zum Jahr 2018 kosten, wenn endlich diese unsinnige Kohleförderung zu Ende gehen soll. Zur Erinnerung: in den SNR 300 sind (umgerechnet) 2 Milliarden an öffentliche Fördergelder geflossen, woraus man aber ein völlig neues Energieerzeugungssystem entwickelt hat. Das Land Nordrhein-Westfalen hat übrigens den Brüter mit Null Euro unterstützt, sondern nur Vorteile aus den Bundesgeldern gezogen, die für den SNR 300 nach NRW geflossen sind.


Vollends katastrophal wird die Kohlebilanz in Nordrhein-Westfalen, wenn man die langfristigen Kosten und Schäden dieser Technologie betrachtet. Bis zu 2.000 Meter Tiefe ist das Kohlegebiet wie ein Schweizer Käse von Schächten und Stollen durchsetzt. Auf der bebauten Erdoberfläche entstehen immer wieder Schäden an Gebäuden und Strassen, wenn das darunter liegende Abbaugebiet durch Bildung von Rissen und Trichtern wegsackt. Inzwischen hat sich die Erdoberfläche im Bergbaugebiet um bis zu 40 Meter abgesenkt, in der Innenstadt von Essen allein um 16 Meter.  Die Hausbesitzer in NRW reichen pro Jahr  40.000 Schadensmeldungen ein, zumeist vergeblich. Das allergrösste Problem stellt jedoch das Grubenwasser dar. Es dringt von unten in die Schächte und Stollen ein und verseucht ausserdem das Trinkwasser. Ohne ständiges Abpumpen wäre das Ruhrgebiet längst eine Seenlandschaft. Eine grosse Anzahl mächtiger Pumpen muss Tag und Nacht laufen; allein bei Walsum liegt die Fördermenge bei 20 Milliarden Kubikmetern jährlich.
Man bezeichnet diese Lasten – auch offiziell – als Ewigkeitslasten und die damit verbundenen Kosten als Ewigkeitskosten. Sie gehen einher mit einem unbegrenzten Energieverbrauch. Da der Energieinhalt der geförderten Steinkohle endlich ist, der Stromverbrauch für die Pumpen aber „ewig“ anfällt, wird dessen Energieinhalt dem der geförderten Steinkohle bald übertreffen. Damit haben Rau und Genossen ein ökologisches Desaster geschaffen, welches die Problematik der nuklearen Endläger bei weitem übertrifft.

Donnerstag, 6. Juni 2013

Wolf Häfele +

Professor Dr. Wolf Häfele ist am 5. Juni 2013 in Essen im 86. Lebensjahr verstorben.

Wolf Häfele wurde am 15. April 1927 in Freiburg im Breisgau geboren. Er studierte Physik an der TH München und promovierte 1955 in theoretischer Physik am Max-Plank-Institut in Göttingen. Von 1956 bis 1973 war er am Kernforschungszentrum Karlsruhe tätig; von 1960 bis 1972 als Leiter des Projekts Schneller Brüter.

Am Institut für Neutronenphysik und Reaktortechnik (INR) beschäftigte sich Häfele unter Professor Karl Wirtz mit Reaktorphysik. Über Delegationsbesuche bei Alvin Weinberg im Oak  Ridge National Laboratory, USA, kam er in Kontakt mit der Brütertechnologie. Als am 1. April 1960 im Kernforschungszentrum das Projekt Schneller Brüter (PSB) gegründet wurde, ernannte man Häfele zum Projektleiter. Im Jahr 1963 übertrug man ihm noch zusätzlich die Leitung des Instituts für Angewandte Reaktorphysik.

Im Rahmen des Projekts Schneller Brüter baute Häfele die Gruppen SNEAK, SEFOR, Brennelemententwicklung, Brennstoffzyklus und Systemtechnik auf. Mehrere Jahre lang liess er die Vor- und Nachteile der drei möglichen Kühlmittel für den Schnellen Brüter untersuchen, bis er sich 1969 für Natrium entschied. Er verbreiterte die personelle und finanzielle Struktur des PSB durch Einbeziehung von EURATOM, sowie belgischer und holländischer Forschungszentren. Frühzeitig erkannte Häfele die politische und strategische Bedeutung des Spaltstoffs Plutonium, was zur Gründung des Projekts Spaltstofflusskontrolle führte. Als sich 1972 die Konsortien für den Bau und den Betrieb des SNR 300 gebildet hatten und die industriellen Lieferverträge unterzeichnet waren, trat Häfele als Projektleiter PSB zurück. Seine Nachfolger wurden Peter Engelmann (1972-75), Günter Kessler (1975-78) und Willy Marth (1978-89).

Von 1973 bis 1980 leitete Häfele das Projekt Energiesysteme am Internationalen Institut für Systemanalyse in Laxenburg bei Wien. In den Jahren 1981 bis 1990 war er Vorstandsvorsitzender der Kernforschungsanlage Jülich. Von 1991 bis 1996 fungierte er als Wissenschaftlicher Direktor des neugegründeten Forschungszentrums Rossendorf.

Häfele war Honorarprofessor an den Universitäten Karlsruhe, Wien und Dresden, Mitglied verschiedener Akademien und Träger hoher Orden und Ehrenzeichen.

Willy Marth

Impressum

Angaben gemäß § 5 TMG:

Dr. Willy Marth
Im Eichbäumle 19
76139 Karlsruhe

Telefon: +49 (0) 721 683234

E-Mail: willy.marth -at- t-online.de