Sonntag, 14. April 2013

KIT: Dafür stand Rudolf Greifeld

Das KIT, eine Fusion aus Technischer Hochschule und dem (ehemaligen) Kernforschungszentrum Karlsruhe hat Probleme mit einem ihrer Ehrensenatoren. Diese Liste verdienter Persönlichkeiten umfasst knapp zweihundert Namen, darunter auch - den inzwischen gestrichenen - Robert Ley, der in der NS-Zeit Führer der Deutschen Arbeitsfront war. Neuerdings befasst sich eine eigens eingerichtete Kommission mit dem vor 44 Jahren zum Ehrensenator ernannten Dr. Rudolf Greifeld. Ihm wird u. a. vorgeworfen, während der Besetzung von Frankreich im Zweiten Weltkrieg als Wehrmachtsangehöriger in der Kommandantur der Stadt Paris gearbeitet zu haben. Greifeld, seit langem verstorben, war ehedem Geschäftsführer des Kernforschungszentrums Karlsruhe und dort für die Verwaltung zuständig. Im Folgenden werden einige Stationen seiner Vita aufgezählt, die den damaligen Rektor der Technischen Hochschule Karlsruhe, Professor Heinz Draheim, veranlasst haben, Greifeld 1969 die Würde des Ehrensenators zu verleihen.

Schwierige Standortsuche

Dr. Rudolf Greifeld, von der Ausbildung her Jurist, wurde 1956 vom Land Baden-Württemberg als Geschäftsführer der neugegründeten Kernreaktor Bau- und Betriebsgesellschaft mbH berufen. Er war zuständig für die gesamte Verwaltung dieser Gesellschaft, also insbesondere für die Fachgebiete Personal, Bau, Finanzen, Recht und Infrastruktur. Bis zu seiner Verabschiedung (mit Bundesverdienstkreuz) im Jahr 1974 standen ihm nacheinander die drei technisch-wissenschaftlichen Geschäftsführer Gerhard Ritter (1956-60), Walter Schnurr (1960-70) und Otto Haxel (1971-74) zur Seite. Für den gesonderten Geschäftsbereich Versuchsanlagen war Josef Brandl verantwortlich.


Wegzeichen beim Reaktorstandort Leopoldshafen

Zu Greifelds ersten Aufgaben gehörte die Bereitstellung des Standorts für den geplanten Forschungsreaktor FR 2. Anfangs war dafür ein Gelände in Maxau vorgesehen, das sich aber bald als zu grundwassernah herausstellte. Schliesslich endete die Suche im Hardtwald, wo die Landkreisgemeinde Leopoldshafen gerne bereit war, entsprechende Grundstücke abzugeben. (Die Nachbargemeinde Linkenheim blieb bis heute skeptisch und leistete - vergeblich - Widerstand).   Greifeld gelang es jedoch, die wichtige atomrechtliche Standortgenehmigung für den Reaktor FR 2 zu erhalten, sodass dieser im Dezember 1962 in Betrieb gehen konnte.

Bau des Kernforschungszentrums

Ab April 1957 leitete Greifeld den Bau des Kernforschungszentrums auf der Leopoldshafener Gemarkung ein. Innerhalb von nur neun Jahren (bis 1966) wurden auf einer Fläche von 164 Hektar  (entsprechend ca. 200 Fussballfeldern) 17 Hektar Strassen gebaut und 50 voluminöse Gebäude hochgezogen. Darunter befanden sich 15 wissenschaftliche Institute, ein Dutzend Speziallaboratorien und mehrere verbunkerte Gebäude für Reaktoren geringer Leistung, wie SNEAK und STARK. Darüberhinaus entstanden die notwendigen Infrastruktureinrichtungen wie Kantinen, Wasserwerke, Feuerwehren, Bibliotheken u. a. m.

Die von Bund und Land bewilligten Finanzmittel beliefen sich - kumuliert - bis September 1966  auf 722 Millionen DM. Sie wurden etwa hälftig zur Finanzierung der Investitionen und des Betriebs der Labors und der Reaktoren verwendet. Zur Bewältigung dieser Aufgaben konnte sich Greifeld auf tüchtige Prokuristen für die Fachgebiete Recht (Ziegler), Finanzen (Neck), Beschaffung (Krieg, später Tebbert), Bau (Sommer, später Sesemann) und Personal (Schaible), abstützen.

Personalentwicklung und Arbeitsergebnisse

Ein grosses Problem war in der Frühzeit des Kernforschungszentrums die Anheuerung von sachkundigem Personal zum Betrieb der Institute, Labors und sonstigen Einrichtungen. Auch hierfür trug Greifeld, im Zusammenwirken mit seinen technischen Kollegen, eine besondere Verantwortung. Vor dem Hintergrund der damaligen Personalnot war es als Erfolg zu werten, dass es innerhalb von zehn Jahren gelang, einen kompetenten Personalstab von 3005 Mitarbeitern für die Institute, die Infrastruktur und die Verwaltung zu gewinnen. Das Durchschnittsalter der Arbeiter und Angestellten betrug  35 Jahre; ein Viertel der Mitarbeiter waren Frauen.


Das Geschäftsführer-Trio Greifeld, Schnurr und Brandl (v. l.)

Bis zum Jahr 1966 wurden im Kernforschungszentrum insgesamt 1.896 wissenschaftlich-technische Arbeiten veröffentlicht. Greifelds Mitarbeiter subsummierten daraus 424 Patente und 31 Gebrauchsmuster. Das führte in der Konsequenz zu 17 inländischen und drei ausländischen Lizenzverträgen.

Von den internationalen Kooperationsverträgen, an denen Greifeld als gelernter Jurist an vorderster Stelle mitgewirkt hat, seien  nur drei genannt: Der SEFOR-Vertrag mit amerikanischen Industriepartnern zur Sicherheit des Schnellen Brüters, der EURATOM-Vertrag zur Beschaffung des Brennstoffs für den Reaktor SNEAK und der deutsch-französische Vertrag zur Errichtung des Höchstflussreaktors in Grenoble.


Kooperation mit der TH Karlsruhe

In der Führungsebene des wissenschaftlichen Bereichs legte Greifeld besonderen Wert auf die Verknüpfung mit den benachbarten Universitäten, insbesondere der Technischen Hochschule Karlsruhe. Im Folgenden werden die Institutsleiter genannt, welche (Stand 1966) im Kernforschungszentrum tätig waren:

F. Baumgärtner, Direktor des Instituts für Heisse Chemie, o. Professor an der Universität Heidelberg.
E. W. Becker, Direktor des Instituts für Kernverfahrenstechnik, o. Professor an der Technischen Hochschule Karlsruhe.
K. H. Beckurts, Direktor des Instituts für Angewandte Kernphysik, apl. Professor an der Technischen Hochschule Karlsruhe.
H. Böhm, Institutsleiter am Institut für Material- und Festkörperforschung, Privatdozent an der Technischen Hochschule Karlsruhe.
A. Catsch, Direktor am Institut für Strahlenbiologie, o. Professor an der Technischen Hochschule Karlsruhe.
A. Citron, Direktor am Institut für Experimentelle Kernphysik, o. Professor an der Technischen Hochschule Karlsruhe.
W. Häfele, Direktor des Instituts für Angewandte Reaktorphysik, Leiter des Projekts Schneller Brüter, Honorar-Professor an der Technischen Hochschule Karlsruhe.
H. Kiefer, Leiter der Schule für Kerntechnik, Privatdozent an der Technischen Hochschule Karlsruhe
A. Schoch, Direktor am Institut für Experimentelle Kernphysik, o. Professor an der technischen Hochschule Karlsruhe.
D. Schulte-Frohlinde, Leiter des Instituts für Strahlenchemie, Privatdozent an der Technischen Hochschule Karlsruhe.
W. Seelmann-Eggebert, Direktor des Instituts für Radiochemie, o. Professor an der Technischen Hochschule Karlsruhe.
D. Smidt, Direktor des Instituts für Reaktorentwicklung, o. Professor an der Technischen Hochschule Karlsruhe.
F. Thümmler, Institutsleiter am Institut für Material- und Festkörperforschung, o. Professor an der Technischen Hochschule Karlsruhe.
K. Wirtz, Direktor des Instituts für Neutronenphysik und Reaktortechnik, o. Professor an der Technischen Hochschule Karlsruhe.
K. G. Zimmer, Direktor des Instituts für Strahlenbiologie, o. Professor an der Universität Heidelberg.


Greifeld erhält das Bundesverdienstkreuz
(vom Aufsichtsratsvorsitzenden Haunschild)

Besonderer Erwähnung würdig sind die Entwicklungsarbeiten von Gerhard Krüger am Forschungsreaktor FR 2. Krüger, damals Abteilungsleiter im Institut von Beckurts, installierte 1966 das Datenverarbeitungssystem MIDAS, welches (mit Hilfe von Kleinrechnern) die Messdaten von acht Reaktorexperimenten gleichzeitig aufnehmen und verarbeiten konnte. Ab 1971 wirkte Krüger als Informatikprofessor und Dekan an der TH Karlsruhe, wo er später auch das Institut für Telematik begründete.

Bilanz

Vergleicht man die Ergebnisse nach der Gründung des Kernforschungszentrums und nach der Gründung des KIT, so ist folgendes festzustellen: Das Kernforschungszentrum wurde zwischen 1956 und 1966, also innerhalb von nur zehn Jahren, praktisch aus dem Nichts zu einem international hochgeschätzten Forschungszentrum ausgebaut. Rudolf Greifeld hat dabei in vorderster Front mitgewirkt und sich grosse Verdienste erworben. Beim KIT ist nach sieben Jahren (2006 bis 2013) die innere Fusion immer noch nicht gelungen, stattdessen ist ein bürokratisches Monstrum entstanden. Vom angestrebten Vorbild, dem amerikanischen MIT, ist man meilenweit entfernt. Noch nicht einmal ein vom Aufsichtsrat akzeptiertes Organigramm hat man bislang zustande gebracht. Stattdessen ging mittlerweile sogar der Exzellenztitel verloren und die beiden Präsidenten haben offensichtlich die Flucht angetreten.

Gegen den ehemaligen Geschäftsführer Rudolf Greifeld hat man bei KIT ein Verfahren eingeleitet. Eine im Herbst 2012 eingerichtete Ethikkommission soll sich mit seinen angeblichen NS-Verstrickungen im besetzten Paris befassen. Ob sie an jene von Globke, Filbinger oder ex-Staatssekretär Weizsäcker heranreichen, bleibt festzustellen. Eigens zugezogene Historiker sollen dies klären. Es ist zu hoffen, dass das KIT bei der etwaigen Aberkennung der Ehrensenatorwürde die gleiche Sorgfalt walten lässt wie bei der Zuerkennung vor mehr als vier Jahrzehnten. Auch der Ehrenschutz des 1984 Verstorbenen ist dabei zu beachten, wie das Bundesverfassungsgericht 1971 in seinem "Mephisto-Urteil" (Klaus Mann / Gustav Gründgens) verlangt hat.

Auf die Ethikkommission warten aber noch weitere Aufgaben. Zumindest zwei ehemalige Honoratioren der Technischen Hochschule Karlsruhe haben keine blütenreine Weste: der NS-Parteigenosse und Wehrwirtschaftsführer Carl Wurster, sowie (im Ersten Weltkrieg) der "Vater des Giftgases" Fritz Haber.

2 Kommentare:

  1. Es wäre an der Zeit nach dem kriminellen Franzosen zu suchen, der hier in Staffort, unweit des KIT Campus Nord, im XVI Jahrhundert unser schönes Schloss verbrannt hat. Ihm soll dann bitte sein Legionsorden aberkannt werden.
    Gruß Drazen

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  2. Das KIT ist ein Teil unserer Gesellschaft. Und diese verfällt zunehmend in ein ebenso erbarmungsloses wie bigottes Jagdfieber auf Tote und Lebendige. Unabhängig von all seinen Verdiensten wird dem auch Dr. Greifeld erliegen, sollte er nur zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen sein! Gruß DS

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