Es erschien nur folgerichtig, dass sich Siemens und der französische Reaktorhersteller Framatome zusammenschlossen, um den Weltmarkt optimal nutzen zu können. Das Gemeinschaftsunternehmen hiess fortan AREVA, seine Chefin war die französische Physikerin Anne Lauvergeon, geboren 1959. Den Namen Areva hatte sie angeblich entdeckt, als sie einen Katalog spanischer Klöster durchblätterte. AL, wie man sie bald nannte, war eine "Power-Frau" und in den Society-Listen wurde sie mehrere Jahre lang als die "mächtigste Frau Frankreichs" geführt.
Das Abenteuer Olkiluoto-3
Für den deutsch-französischen EPR, der mit einer bis dato nicht gekannten Leistung von 1.600 Megawatt angeboten wurde, fand sich bald ein Interessent. Es war das finnische Energieversorgungsunternehmen TVO, welches auf der Halbinsel Olkiluoto bereits zwei kleinere Kernkraftwerke betrieb und dort als drittes den EPR dazugesellen wollte. Im Jahr 2003 wurde man sich handelseinig: der EPR, unter der Bezeichnung Olkiluoto-3, sollte 3 Milliarden Euro kosten und 2009 an TVO schlüsselfertig zum Betrieb übergeben werden. Die interne Verabredung der beiden Lieferkonsorten sah vor, dass die Franzosen in erster Linie den nuklearen Teil, die Deutschen den konventionellen Part (also den Turbogenerator etc.) bearbeiten und beistellen sollten.
Aber das Projekt stand unter keinem guten Stern. Von Beginn an gab es Verzögerungen und Mehrkosten, u. a. weil der Beton für die Grundplatte nicht den Spezifikationen entsprach und weil Probleme beim Schweissen der Rohrleitungen auftraten. Das reduzierte Tageslicht im hohen Norden führte zu geringerer Effektivität, was man teilweise dadurch ausgleichen wollte, dass man den polnischen Arbeitern auf der Baustelle nur den Hungerlohn von zwei Euro pro Stunde zubilligte. Schliesslich kündigte Siemens an, aus dem Areva-Konzern - nicht aus dem Projekt Olkiluoto - aussteigen zu wollen. Wegen der Einbeziehung der Brennstofffirma Cogema in die Areva war Siemens plötzlich vom 50 %-Partner zu einem Minoritätspartner geworden, mit entsprechend geringerem Einfluss auf das Gesamtprojekt.
Das Kernkraftwerk Olkiluoto-3 als Fotomontage
(Links der EPR, rechts zwei ältere Kernkraftwerke)
Die Tragödie um Olkiluoto-3 ist damit jedoch noch nicht beendet. Seit einiger Zeit wird zwischen Areva und TVO heftig über das Reaktorschutzsystem gestritten. Der Lieferant sah dafür ein modernes digitales System vor, der Betreiber hält dieses aber für störanfällig und verlangt die Installierung eines analogen Reservesystems. Ein Kompromiss ist auf dem heiklen Gebiet der Reaktorsicherheit nicht erkennbar, insbesondere weil der Betreiber TVO in dieser Frage auch noch von der örtlichen finnischen Genehmigungs- und Aufsichtsbehörde unterstützt wird. Unterdessen schwellen die Terminverzögerungen und Mehrkosten weiter an. Nach derzeitigem Stand wird das Kernkraftwerk erst nach dem Jahr 2016 betriebsbereit sein; die Kosten werden bei mindestens 8,5 Milliarden liegen - möglicherweise bei über 10 Milliarden, wenn man die verschiedenen Rechtsstreitigkeiten einbezieht.
Flamanville: Tragödie 2. Teil
Als sich die Probleme mit dem EPR in Finnland andeuteten, beschloss der französische Betreiber EdF, ebenfalls ein Staatsunternehmen, im Jahr 2005 eine Serie dieser Kernkraftwerke im eigenen Land zu bauen. Der erste EPR, als "show-piece" gedacht, sollte bei der normannischen Gemeinde Flamanville errichtet werden, welche sich 20 Kilometer südlich der Wiederaufarbeitungsanlage La Hague befindet. Als Preis war zwischen Areva und EdF 3,3 Milliarden Euro vereinbart worden; das sogenannte Projekt Flamanville-3 sollte 2012 in Betrieb gehen. Das Kernkraftwerk war mit 1.650 MW sogar leistungsstärker als Olkiluoto-3.
Im November 2007 schloss der italienische Versorger ENEL mit EdF eine Vereinbarung über eine 12,5-prozentige Beteiligung am Bau von gleich sechs EPR in Frankreich ab. Zusätzlich plante die italienische Regierung unter Ministerpräsident Berlusconi den Bau von vier bis fünf eigenen EPR im Land. Dieses Vorhaben wurde jedoch durch eine Volksabstimmung verhindert.
Aber selbst in Frankreich entwickelte sich der Bau des EPR Flamanville-3 nicht wie geplant. Auch hier stiegen die Kosten sukzessive an und der Termin für den Betriebsbeginn musste immer weiter hinausgeschoben werden. Ende 2012 gab EdF bekannt, dass ihr Musterrreaktor erst 2016 in Betrieb gehen werde und mindestens 8,5 Milliarden Euro kosten wird. Also ein ähnliches Desaster wie in Finnland!
Die Konsequenzen dieser Verlautbarung waren weitreichend. An der Pariser Börse sank der Kurs der EdF-Aktie auf einen Tiefststand und der italienische Partner Enel beschloss spontan, aus dem Betreiberkonsortium auszusteigen. Gleichzeitig verlangte er die Rückzahlung seiner geleisteten Investitionen. Vor diesem Hintergrund stoppte die französische Regierung den Bau eines weiteren EPR, der ebenfalls in der Normandie (bei Penly) geplant war. Doch damit nicht genug: auch das britische EVU, welches am Standort Hinkley Point zwei EPR durch Areva errichten lassen wollte, sagte diese Projekte ab. Zum Glück soll der Bau der beiden chinesischen EPR-Kraftwerke in Taishan "nach Plan" verlaufen, aber China ist eben eine andere Welt.
Viel wird darüber gerätselt, warum die Projekte Olkiluoto und Flamanville terminlich und kostenmässig so stark aus dem Ruder laufen konnten. Einige Beobachter halten den Bau von Kernkraftwerken mit einer Leistung von 1.600 MW und darüber für technisch und genehmigungstechnisch so anspruchsvoll, dass sie nur schwer in den Griff zu kriegen sind. Andere verweisen darauf, dass durch die fast 20-jährige Pause im Bau von Kernkraftwerken bei Framatome und Siemens (bzw. Areva) viel Ingenieur-Expertise verloren ging, die jetzt in den Planungsbüros und auf der Baustelle fehlt.
Klein, aber fein
Die Errichtungs- und Finanzierungsprobleme der grossen Kernkraftwerke mit einer Blockleistung von 1.600 MW und darüber haben die Vorzüge der kleineren Nuklearkraftwerke wieder in den Fokus gerückt. Insbesondere in den USA interessieren sich die EVU rege für Anlagen unter 300 MW. Sie sind zum "Schnäppchenpreis" von unter 500 Millionen Euro zu haben, ihr Bau soll nur 2 bis 3 Jahre dauern. Häufig werden sie bereits vormontiert geliefert; die abgebrannten Brennelemente sind sicher in der Reaktorhülle gelagert, worin auch der Dampferzeuger integriert ist. Das Sandia Laboratorium in Albuquerque hat bereits einen Reaktor konstruiert, dessen Urankern mit flüssigem Natrium gekühlt wird und der sich in einer Art austauschbaren Kartusche befindet.
Es ist kaum zu glauben, aber selbst der Microsoftbegründer Bill Gates hat sich den kleinen Kernkraftwerken verschrieben. Die von ihm finanzierte Firma TerraPower arbeitet am sogenannten Laufwellenreaktor. Bei diesem Reaktortyp wandert die Kernspaltungszone langsam durch einen länglichen Reaktorkern - vergleichbar mit der Flamme im Docht einer Kerze. Aus dem abgereichertem Uran wird Plutonium erzeugt, welches aber sofort wieder - unter Energieerzeugung - verbrannt wird. Eine solche "Welle der Kernspaltung" soll über einen Zeitraum von 50 bis 100 Jahren kontinuierlich Strom erzeugen können, u. zw. ohne, dass Kernbrennstoff nachgeladen werden muss! Noch existiert der Laufwellenreaktor nur im Supercomputer. An der Realisierung arbeitet aber schon Gates Unternehmen TerraPower in Kooperation mit dem japanischen Konzern Toshiba.
Ein Spruch aus den siebziger Jahren scheint Wiederauferstehung zu feiern:
"Small is beautiful".
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