Aber Erbarmen mit Villis ist nicht angebracht. Schon in acht Jahren, als 63-jähriger Jungrentner, wird ihm die EnBW für seine fünf Jahre als CEO eine Jahresrente von 130.000 Euro überweisen. Für so einen stattlichen Betrag müssen gewöhnliche Omas viele Jahre lang Socken stricken. Und sollte Villis mit dieser Rente nicht auskommen, so kann er sich gelegentlich von seinem Vorgänger Utz Claassen einladen lassen, der für die gleiche Zeitspanne noch mehr Übergangs- und Rentengeld beim Aufsichtsratsvorsitzenden der EnBW herauszuschinden vermochte. Apropos Aufsichtsrat: dieses Gremium ist sehr generös. Die ehemalige Grüne und jetzige Beauftragte für die Dresdener Abwässer, Gunda Röstel, sackt für ihre "Tätigkeit" als gewöhnliches AR-Mitglied pro Jahr satte 47.750 Euro ein. Ein schönes Zubrot! Die EnBW lässt eben niemand verkommen. Steht alles auf unserer Stromrechnung.
Neue Leute braucht das Land
Die Suche nach einem geeigneten Nachfolger für Villis gestaltete sich schwierig. Reihenweise gab es Absagen, wie aus Kreisen der Headhunter zu erfahren war. Schliesslich wurde man doch fündig, übrigens bei der gleichen Firma, der auch Villis entstammte. Frank Mastiaux heisst der Heilsbringer, er war beim Versorger Eon in der Sparte "Climate & Renewables" tätig und ist promovierter Chemiker. Der neue Vorstandsvorsitzende mit französischen Vorfahren zieht demnächst mit Frau, drei Kindern und Hund von Düsseldorf nach Karlsruhe um. Als Hobbysport betreibt der 49-jährige Langstreckenlauf, was ihm bei der angeschlagenen EnBW durchaus zugute kommen könnte.
Mit geballten Fäusten
Der neue Chef der EnBW, Dr. Frank Mastiaux
Die Aktie der EnBW hat allein im Jahr 2012 satte 20 Prozent an Wert verloren und ist jetzt für unter 30 Euro zu haben. Viele Kleinaktionäre haben ihre Anteile offensichtlich verkauft. Der Rest, zumeist ehemalige Betriebsangehörige, haben wohl resigniert. Das Kommando führen die beiden Grossaktionäre, das Land Baden-Württemberg und ein Verbund schwäbischer Landkreise, welche zusammen mehr als 90 Prozent der Aktien besitzen.
Inzwischen durchmustern firmeneigene Sparkommissare mit "Biss und Birne" alle innerbetrieblichen Kostenstellen. Bei der Bewirtung für die Aktionäre der Hauptversammlung scheinen sie schon fündig geworden zu sein. Die üblichen Plastiktragtaschen für den kiloschweren Geschäftsbericht wurden gestrichen, ebenso wie die Notizblöcke. Zur Ausgabe des säuerlichen Kartoffelsalats verzichtete der Grosskonzern auf die Würstchen und zum Kaffee gab es nur labberige Laugenbretzel. Sichtbar ermüdet von diesem Goumettraktat kauerten die wenigen Prozent private Anteilseigner ziemlich teilnahmslos und müde in ihren Sesseln und liessen die Eingangsreden des Aufsichtsratsvorsitzenden (25 Minuten) und die des Vorstandsvorsitzenden (35 Minuten) ohne eine einzige Reaktion über sich ergehen. Früher ging es bei diesen Tagesordnungspunkten immer recht temperamentvoll bis tumultuös vor. Kein Wunder, dass die HV schon um 16 Uhr zu Ende war. Alle Vorschläge des Vorstands wurden mit über 90-prozentiger Mehrheit angenommen.
Viele Baustellen
In seiner Grundsatzrede benannte Mastiaux die Kernprobleme des Konzerns und identifizierte die vielen "Baustellen", denen er sich in Zukunft widmen wolle. Im Prinzip rührt die Schieflage der EnBW davon her, dass der Stromabsatz dramatisch gesunken ist, wodurch sich die Gewinne stark verringert haben und nun zuwenig Geld für notwendige Investitionen vorhanden ist. Daraus resultiert ein Kostenüberhang, auch beim Personal. Der Stromverkauf brach im Berichtsjahr 2012 um fast 13 Prozent ein, das verminderte den Cashflow um 50 Prozent und den Gewinn um 4,3 Prozent. Für die Investitionen, insbesondere auf dem Feld der Erneuerbaren Energien, standen 33 Prozent weniger zur Verfügung.
Sorge bereitet der EnBW-Spitze die allgemeine Wettbewerbslage. Die Kunden wechseln immer häufiger ihren angestammten Versorger. Lag die Wechselrate bei Privatkunden vor wenigen Jahren noch bei Null, so sucht sich inzwischen jeder Vierte regelmässig einen neuen Stromanbieter. Bei den Industriekunden ist diese Quote sogar von 25 Prozent auf 100 Prozent gestiegen.
Weil die Stadtwerke und Kommunen immer häufiger ihre Stromnetze aufkaufen, kommt es zum Phänomen der Netzaufsplitterung. Die Gemeinden wittern im Netzzugang grosse Gewinnmöglichkeiten, sind aber häufig nicht in der Lage die erworbenen Netze zu pflegen und instandzuhalten, worunter die Stromstabilität leidet. Beispielhaft für eine aggressive Ankaufspolitik - man spricht sogar von "Kannibalisierung" - sind die Stadtwerke Stuttgart, welche alles versuchen dem "Platzhirsch" EnBW die Kunden abzujagen. Ähnliches versucht der grüne Oberbürgermeister Boris Palmer für seine Stadt Tübingen.
Inzwischen ist die konventionelle Stromerzeugung kaum mehr kostendeckend. Insbesondere die Gaskraftwerke sind nicht mehr rentabel, weil ihre Jahresbetriebszeit zuweilen auf unter hundert (!)Stunden abgerutscht ist. Die EnBW nimmt deshalb jeden Kraftwerksblock unter die Lupe und überprüft ihn auf seine Wirtschaftlichkeit.
Der Ausbau der Windenergie im Land Baden-Württemberg verläuft quälend langsam. Immer wieder stoppen Landräte die Planungen, weil von der Bevölkerung oder den Naturschutzbehörden Einwände kommen. Die grün-rote Regierungskoalition will bis zum Jahr 2020 etwa 10 Prozent des Stroms aus Wind gewinnen - bisher liegt der Anteil unter einem Prozent.
Von den offshore Windparks ist "Baltic 1" mit 21 Windrädern und 50 Megawatt bereits in Betrieb. Das Projekt "Baltic 2" mit 80 Windrädern und 288 MW soll vom Netzbetreiber "50 hertz" im nächsten Jahr angeschlossen werden. Entsprechende Pläne für die Nordsee hat der EnBW-Chef kurzerhand auf Eis gelegt, als von Netzbetreiber "Tennet" keine verbindliche Zusage für den Anschluss kam. Aus heutiger Sicht werden die beiden Windparks "Hohe See" und "He Dreiht" mit je 400 MW und einer Investitionssumme von 1,5 Milliarden Euro frühestens im Jahr 2017 in Betrieb gehen.
Der Verkauf von nicht notwendigen Beteiligungen soll 1,5 Milliarden Euro in die Konzernkassen spülen. Er läuft bislang noch etwas zäh. Im Angebot befinden sich Minderheitsbeteiligungen in Polen und Ungarn sowie beim Mannheimer Versorger MVV. Die Kölner Stromtochter "Yello" soll beim Konzern verbleiben.
Schliesslich sieht sich EnBW gezwungen, demnächst 1.350 Personalstellen abzubauen. Das soll sozialverträglich geschehen, insbesondere will man auf Altersteilzeit- und Abfindungsprogramme setzen. Für die übrigen Mitarbeiter wird in den kommenden Jahren die Erfolgsbeteiligung gesenkt werden.
Für den Rückbau der fünf Kernkraftwerke steht die auskömmliche Summe 6,5 Milliarden Euro zur Verfügung, die man aus früheren Erträgen erwirtschaftet hat. Der Abriss von Obrigheim ist bereits im Gange, Philippsburg 1 und Neckarwestheim sollen ab 2017 folgen. In Philippsburg deutet sich erheblicher Widerstand gegen den aus La Hague kommenden "Fremdmüll" an, den die Landesregierung aber bereits akzeptiert hat. Auch zur Lagerung und Bearbeitung der eigenen schwachradioaktiven Stoffe ist der Bau weiterer Zwischenläger erforderlich, was jedoch nicht ohne Einwendungen realisierbar erscheint.
Dunkle Geschäfte in Russland
Breiten Raum in der öffentlichen Diskussion nimmt seit Jahren die sog. Bykov-Affäre ein. Der russische Lobbyist Andrej Bykov schloss vor knapp zehn Jahren mit der EnBW einen Beratungsvertrag ab und der Konzern war so unvorsichtig, dafür ca. 250 Millionen Euro im Vorhinein zu überweisen. Angeblich hat der Russe seine zugesagten Leistungen nur teilweise erbracht, weswegen die EnBW 120 Millionen zurückfordert. Über verschiedene Gerichte gelang dies bisher nur teilweise, wobei Bykov bis jetzt überhaupt kein Geld zurücküberwies.
Gleichzeitig hat die EnBW vier eigene hochrangige Manager aus der Vorstandsebene verklagt, weil sie bei der Abfassung der Verträge angeblich Fehler gemacht haben sollen. Einer der Beklagten war der Technik-Vorstand Hans-Josef Zimmer. Zur Verwunderung der allermeisten Aktionäre bekleidet Zimmer aber seit Anfang 2012 wieder seinen alten angestammten Posten - und das, obwohl die EnBW weiterhin zwei Klagen gegen ihn aufrecht hält! Das verstehe wer kann.
Die beklagten Verträge reichen zurück bis in die Zeit des ehemaligen Vorstandsvorsitzenden Utz Claassen. Bei einer kürzlichen Gerichtsverhandlung in Mosbach bemühten sich die Anwälte des Konzerns, die Verantwortung für diese fragwürdigen Geschäfte vom damaligen Vorstandschef Claassen möglichst fernzuhalten. Tatsache ist, dass Claassen im Jahr 2005 in Russland - und im Beisein von Bykov - den hohen Orden des Heiligen Nikolaus erhalten hat.
Die Frage muss erlaubt sein:
was war die Gegenleistung von Utz?