Sonntag, 3. März 2013

Die Kunst geht nach Brot

Eines ist sicher: reich wird man durch das Plagiieren von Doktorarbeiten nicht. Diese Werke erzielen, sofern sie überhaupt als Buch gebunden werden und einen Verleger finden, nur Mini-Auflagen. Beim Versandhändler Amazon sind sie gelegentlich gelistet, ansonsten liegen sie wie Blei in den Verkaufsregalen.

Das ist anders bei Plagiaten im Bereich der Kunst. Fälschungen im Stil bekannter Maler oder Bildhauer "bereichern" seit eh und je den Kunstmarkt. Im Gegensatz zu Doktorarbeiten bleiben die Produzenten dieser Falsifikate aber im Dunkeln. Kenner des Kunstmarktes schätzen, dass 30 Prozent der angebotenen Gemälde und Skulpturen gefälscht sind. Das entspricht einem Schadensumfang von ca. 2 Milliarden Euro jährlich!

Alte Kunst ist out

Gross ist das Sehnen der Menschen nach alter Kunst. Wenn im Louvre jeden Tag 20.000 Menschen zu Leonardos Mona Lisa strömen, so kommt dies einer Reliquienverehrung oder gar einem Gottesdienst gleich. Und der unbekannte Japaner, welcher vor Jahren ein Sonnenblumenbild von Van Gogh für 100 Millionen Euro erstand und es seitdem in einem licht- und luftlosen Tresor des Genfer Zollfreilagers verwahrt, muss ein Kunstfreund besonderen Kalibers sein.

Das Angebot an alter Kunst aus dem 19. Jahrhundert und davor ist allerdings begrenzt. Zum einen, weil die Künstler nicht mehr produzieren können, da sie gestorben sind; zum anderen, weil sich auch "begabte" Fälscher nur noch selten an dieses Genre wagen. Der Grund liegt darin, dass mittlerweile die physikalischen Untersuchungsmethoden zur Feststellung von Betrugskunst immer ausgefeilter werden und Expertisen schon für wenige tausend Euro zu haben sind.



Farb- und Pigmentproben im Doerner-Institut

Das Doerner-Institut der Bayerischen Staatsgemäldesammlung durchleuchtet beispielsweise jedes eingelieferte Gemälde zunächst mit dem Infrarotreflektor. Damit kann man schon erkennen, ob sich unter der angeblichen Renaissance-Madonna eine Mickeymaus befindet, die einfach übermalt wurde. Danach wird eine Röntgenfluoreszenzanalyse erstellt, woraus man feststellen kann, welche Materialien der Maler (beziehungsweise der Fälscher) verwendet hat. Findet man Coelinblau, welches es erst seit 1860 gibt, dann hat die Madonna ausgelächelt. Mit dem Raman-Mikroskop, schliesslich, kann man organische und synthetische Malfarben erkennen, welche in der Neuzeit die klassischen Pigmente aus Pflanzen, Mineralien und Insekten abgelöst haben. Das Doerner-Institut besitzt einen ganzen Schrank mit gesammelten Material-, Farb-und Pigmentproben, die jeweils den Epochen ihres Aufkommens zugeordnet sind.


Zeitgenössische Kunst ist in

Bei der zeitgenössischen Kunst - gemeinhin als "moderne Kunst" bezeichnet - greifen die genannten physikalischen Nachweismethoden nicht. Nach dem Krieg sind kaum mehr neue Farben auf den Markt gekommen; einen Fälscher aufgrund seiner Palette zu überführen, ist praktisch unmöglich. Solange die Künstler noch leben, scheint die Verifizierung ihrer Arbeiten relativ einfach zu sein. Maler wie Gerhard Richter besitzen ein akribisch geführtes Werksarchiv - trotzdem gibt es auf dem Markte jede Menge Richter-Fälschungen. Und Maler wie A. R. Penck und Jörg Immendorff haben am Abend ihrer Karriere eine Unzahl von Assistentenarbeiten zum Gelderwerb signiert. Kein Wunder, dass Penck zu den meistgefälschten deutschen Malern gehört.

Richtig krachen liess es der Kunstfälscher Wolfgang Beltracchi, der vor gut 60 Jahren als Wolfgang Fischer in der nordrhein-westfälischen Kleinstadt Höxter geboren wurde. Nach dem Kurzbesuch einer Kunstschule zog er jahrzehntelang mit Kommunen durch Europa, wobei Sex, Drugs und Rock´n Roll angesagt waren. Dazwischen malte er immer wieder Bilder "im Stil bekannter Maler", wie Max Ernst, Heinrich Campendonk und Max Pechstein, die er zusammen mit seiner Frau Helene in den Kunstmarkt einschleuste. Das Paar gab an, dass sie aus einer (bis dato unbekannten) "Sammlung Werner Jäger" entstammen würden, die aber gar nicht existierte. Beltracchi schuf also Originale, nämlich ungemalte Bilder des jeweiligen Künstlers. Dabei war er zuweilen "besser" als Max Ernst oder Pechstein selbst. Einen Linkshänder malte er ebenfalls mit links und konnte damit lange Zeit alle Experten hinters Licht führen.


Kunstfälscher Wolfgang Beltracchi

Aber Beltracchi war zu fleissig, schliesslich kam man ihm doch auf die Spur. Im Oktober 2011 verurteilte ihn das Kölner Landgericht wegen gewerbsmässigen Bandenbetrugs zu sechs Jahren Haft. (Die fromme Helene erhielt vier Jahre). Zur Abkürzung des Verfahrens liess sich das Gericht auf einen "Deal" ein: als er 14 Fälschungen gestanden hatte, ging man den weiteren 44 gar nicht mehr nach. Kenner nehmen an, dass noch 100 bis 200 Arbeiten von Beltracchi im Kunsthandel zirkulieren und wohl ihre Abnehmer finden werden.

Beltracchi hätte seine Malereien nicht in den Markt einschleussen können, wenn er nicht von Gutachtern wie Werner Spies unterstützt worden wäre. Diese bekundeten durch falsche Expertisen die "Echtheit" dieser Werke und liessen sich dafür fürstlich bezahlen. Des weiteren kassierten sie Provisionen beim Verkauf der Falsifikate. So soll Spiess bis zu 400.000 Euro erhalten haben, die als Schwarzgeld auf  Schweizer Konten landeten. Die Justiz hat bei Spies offensichtlich resigniert; bewusste Beihilfe zum Betrug konnte ihm nicht schlüssig nachgewiesen werden. Er bleibt somit Ehrendoktor der Universitäten Berlin und Tübingen und behält das Grosse Verdienstkreuz mit Stern der Bundesrepublik Deutschland.


Die Gier nach dem Original

Im Mittelalter konnten sich die Menschen noch an einem Bild oder einer Holzskulptur erfreuen, der Name des Künstlers war sekundär. Schon gar nicht erwartet wurde, dass er das Werk signierte. Erst in der Neuzeit begann - in der westlichen Gesellschaft - die besondere Wertschätzung des Einmaligen und des Künstlers. Der französische Bildhauer Marcel Duchamp versuchte im vorigen Jahrhundert diesem Kult des Originals entgegenzuwirken, indem er frei käufliche Objekte wie Flaschenhalter, Urinale und Fahrad-Räder auf Podeste stellte und sie zu Kunstwerken erklärte. Die Idee des "Ready-mades" war geboren und die Kunsthistoriker sprachen fürderhin von "Konzept-Kunst". (Duchamp war allerdings clever genug, eine Unzahl seiner Flaschentrockner in Museen und Gallerien für gutes Geld zu signieren).


"Flaschentrockner" von Marcel Duchamp

Doch die Idee des Originals entwickelte sich weiter. Heute ist "Eigenhändigkeit" kein ästhetisches Wertkriterium mehr. Jeff Koons´ Plastiken werden von Werkstätten produziert und Tino Sehgals Performancekunst hinterlässt keine Spuren, die man signieren könnte. Bei der letztjährigen Dokumenta 13 in Kassel räumte man das gesamte Erdgeschoss des Museums Fridericianus leer und liess einen Windhauch (als Kunstwerk) durch die Räume wehen. Die Juristen, welche diese Art von Kunst im Urheberrecht definieren sollen, sind fürwahr nicht zu beneiden.

Die Kunst wird immer weniger greifbar, aber noch immer gilt der Spruch meines bayerischen Landsmannes Karl Valentin:
"Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit".

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