Sonntag, 17. Februar 2013

Ramschtitel Dr. med

Es ist bekannt, dass die Universität Düsseldorf den angeblichen Verfehlungen von Frau Schavan mit geradezu jacobinischer Strenge nachgegangen ist und diese mit der Maximalstrafe - Entzug des Doktortitels - sanktioniert hat. Nach etwaigen Fehlern im eigenen Universitätsbereich, worauf die grossen Wissenschaftsorganisationen mehrfach hingewiesen hatten, haben Fakultät und Verwaltung nicht gesucht. Wie schwer die Hochschulen sich damit tun, eigenes Fehlverhalten aufzuarbeiten und entsprechend zu bestrafen, zeigt sich an einem besonders grotesken Beispiel bei der Julius-Maximilians-Universität Würzburg.


Die Würzburger Doktorfabrik

Es handelt sich um den Fall des Professors Dr. Dr. Dr. h.c. Gundolf Keil. Er wirkte von 1973 bis 2003 als Ordinarius für die Geschichte der Medizin an der medizinischen Fakultät der Würzburger Universität. Seine Spezialität waren mittelalterliche Schriften über Heilpflanzen und Kräuter, wofür er unter anderem das Bundesverdienstkreuz erhielt und Mitglied im päpstlichen Ritterorden vom Heiligen Grab zu Jerusalem wurde. Als er 2003 mit grossem Pomp verabschiedet wurde, hatte er 250 Dissertationen, fast alle auf dem Gebiet der Medizinhistorie und Kräuterkunde betreut.


Universität Würzburg (Hauptgebäude)

Seinem Nachfolger, Professor Michael Stolberg, kamen die letzten 25 Doktorarbeiten sehr merkwürdig vor. Sie hatten weitgehend den gleichen Wortlaut und entsprachen in der Diktion dem Schreibstil von Doktorvater Gundolf Keil. Auf die Urheberschaft des erzkatholischen Professors Keil deuteten auch die seltsamen Datumsangaben in den Dissertationen hin. So hiess es dort "Würzburg, am Tag des Heiligen Abtes Romanus 2002" oder "Würzburg, am Tag vor Lichtmess 2003". Die Doktoranden waren vielfach Ärzte und Zahnärzte aus Norddeutschland, die gar nicht in Würzburg studiert hatten und schon lange im Berufsleben standen.

Nach und nach wurde bekannt, dass ein sogenannter Promotionsberater im Spiel war. Er besorgte Professor Keil diese Doktoranden, welche wohl mit dem Titel Dr. med. ihre Visitenkarte verschönern wollten. Darüberhinaus wurde bekannt, dass dabei Geld geflossen ist. Sowohl der Promotionsberater M. als auch die Doktoranden "spendeten" Beträge zwischen 8.000 und 15.000 Mark an die "Würzburger medizinhistorische Gesellschaft", die allein von Keil verwaltet wurde.

Weil die aushäusigen Doktoranden wenig Zeit hatten, verfertigte Keil mindestens vier Doktorarbeiten praktisch allein. Diese beschäftigten sich thematisch mit einem mittelalterlichen Arzneihandbuch und sind im Aufbau und Text nahezu identisch. Vom Umfang her umfassten sie 30 bis 40 Seiten. Zieht man die ellenlangen Einleitungen, das Quellenverzeichnis und die Danksagung ab, so verblieben für den eigentlichen Text kaum mehr als zehn Seiten. Zumeist war auch dies nur belangloses Geplapper.

Zugute kam Keil eine Promotionsordnung der Fakultät, die eine Richtzahl von maximal 40 Seiten für eine Arbeit zum Dr. med. vorgab. Darin hiess es sogar, dass "der Betreuer der Dissertation Mitarbeiter dieser Arbeit" sein kann.  So war es nicht verwunderlich, dass im Institut für Medizingeschichte Aufzeichnungen des Doktorvaters Keil gefunden wurden, die zum Grossteil mit den eingereichten Dissertationen identisch waren. Da war sogar der Universitätspräsident Alfred Forchel schockiert, als er feststellte: "Ich bin Physiker, da sind Doktorarbeiten hochkarätige Werke".


Halbherzige Sanktionen

Angestossen durch Keils Nachfolger Stolberg, nahm sich im Herbst 2006 die "Ständige Kommission zur Untersuchung wisenschaftlichen Fehlverhaltens" dieser Doktorarbeiten und der dabei geflossenen Spenden an. Ein knappes Jahr später übergab sie der Würzburger Staatsanwaltschaft ihren Untersuchungsbericht. Diese interessierte sich kaum für Form oder Inhalt der Dissertationen, belegte Keil aber mit einen Strafbefehl über 14.400 Euro, weil er nachweislich Geld vom Promotionsvermittler M. angenommen habe. Keil bezahlte ohne Widerspruch. Ein Disziplinarverfahrengegen den Beamten Keil wurde von der Universitätsverwaltung nicht eingeleitet. Die Doktores wurden nicht beschuldigt.

Die begehrte Bedeckung

So wäre die Situation wohl heute noch, wenn nicht im März 2011 eine anonyme Gruppe für Unruhe gesorgt hätte. Sie nannte sich "Freunde des Instituts für die Geschichte der Medizin" und versandte ein 40-seitiges Dossier zu den beschriebenen Vorfällen an Zeitungsredaktionen und Justizbehörden. Darin beschuldigten sie die alma mater, eine regelrechte "universitäre Doktorfabrik" zu betreiben. Die Würzburger Hochschule sah sich nun gezwungen, das Verfahren gegen Keil wieder zu eröffnen.

Mittlerweile war ein weiterer Verdacht aufgekommen. So soll Keil nicht nur Doktorarbeiten, sondern auch Habilitationsarbeiten verkauft haben. Letztere zum höheren Preis von 33.000 Mark. Ja selbst gegen den Lehrstuhlnachfolger Michael Stolberg gibt es nun belastendes Material: gemäss einem von Keil angefertigten "Eigenbeleg" soll Stolberg 16.000 Euro an Keil gezahlt haben, für das "Betreiben meiner Nachfolge". Stolberg selbst bezeichnet diese Anschuldigung als "perfide Fälschung und Verleumdung". Bezichtigungen und Korruptionsverdacht allenthalben.

Nach fast zwei Jahren ist die Universität mit der Aufarbeitung dieses Sumpfes nicht sehr viel weiter gekommen. Ganze zwei Doktortitel wurden bis November 2012 "wegen Plagiats" entzogen, wobei man sich im Fahrwasser der öffentlichkeitswirksamen Fälle Schavan bis Guttenberg bewegte. Die restlichen 248 Fälle - Verjährung ist ja nicht eingetreten - harren noch der Aufarbeitung. Derzeit werden 20 Arbeiten zum Dr. med. genauer überprüft; nach Angaben des Präsidenten Forchel wird das mindestens noch ein Jahr in Anspruch nehmen.

Inzwischen nimmt der numehr 78-jährige Gundolf Keil  sein Recht als Emeritus wahr:
er hält an der Universität Würzburg weiterhin Seminarvorlesungen über Heilpflanzen.



Nachschrift:  Als gebürtigen Franken tut es mir weh, dass die altehrwürdige fränkische Universität Würzburg in diesem Blog so schlecht weg kommt. Deswegen möchte ich hinzufügen, dass die Julius-Maximilians-Universität seit ihrer Gründung immerhin acht Nobelpreisträger hervorgebracht hat, nämlich: Wilhelm Conrad Röntgen, Physik, 1901 -  Emil Fischer, Chemie, 1902 - Eduard Buchner, Chemie, 1907 - Wilhelm Wien, Physik, 1922 - Hans Spemann, Medizin, 1935 - Klaus von Klitzing, Physik, 1985 - Hartmut Michel, Chemie, 1988 - Harald zu Hausen, Medizin, 2008.

Der Medizinhistoriker Gundolf Keil ist also eher ein Ausreisser.

3 Kommentare:

  1. Hallo,

    das ist ja kaum bekannt bisher. Es müsste doch eigentlich ein öffentlicher Aufschrei erfolgen, oder?!

    Man verliert jegliche Achtung vor all diesen Leuten. Schlimm!

    Grüße
    Cornelia

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  2. Das ist alles nicht nur haarsträubend, sondern als höchst kriminell einzustufen.
    Gibt es denn überhaupt keine Rechtssicherheit mehr?
    Man kann ja jegliche Hochachtung vor den Titelträgern verlieren und nur noch skeptisch zurückhaltend sein.
    Danke für die Offenlegung und weiterhin viel Mut für die Wahrheit!
    MfG,

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  3. Naja, leider ist Herr Keil wohl nicht der alleinige "Ausreißer" an der Universität Würzburg: Ein gewisser Lothar Bossle, damals eigenhändig von FJS an der Würzburger Uni installiert, hatte damals wohl auch eine Doktormühle aus seinem Fachbereich gemacht. Hier ein interssanter Artikel dazu (von 1995): http://www.zeit.de/1995/35/Neues_von_einem_Herzblutsoziologen

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