Samstag, 26. Januar 2013

Atommüllexporte - legal bis illegal

Atommüll ist ein heisses Thema, noch heisser diskutiert wird der Export von Atommüll. So war es nicht verwunderlich, dass eine Richtlinie der EU-Kommission vom Juli 2011 in Deutschland hohe mediale Wellen schlug. Nach ihr sollte der Export von Atommüll in solche Länder erlaubt sein, die zum Zeitpunkt der Ausfuhr über ein Endlager mit hohem Sicherheitsstandard verfügen. Gedacht war dies als Hilfestellung für Staaten wie Litauen und Lettland, die zwar Kernkraftwerke betreiben, denen aber der Bau eines Endlagers in ihrem kleinen Landesgebiet nicht möglich ist.

Da EU-Richtlinien in nationale Gesetze umgesetzt werden müssen, hat die Bundesregierung vor kurzem angekündigt, das deutsche Atomgesetz entsprechend zu novellieren. Ein neuer, zusätzlicher Paragraf soll "die Verbringung radioaktiver Abfälle und abgebrannter Brennelemente zum Zwecke der Endlagerung" regeln. Gleichzeitig haben die Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihr Umweltminister Peter Altmaier betont, dass der "Grundsatz der Inlandentsorgung" weiterhin gelte. Die Endlagersuche soll nach der Landtagswahl in Niedersachsen wieder aufgenommen werden.


Ab nach Sibirien

Lässt man die Geschichte der deutschen Entsorgungskonzepte Revue passieren, so gab es mehrere Versuche, heimischen Atommüll in grosse Flächenstaaten, wie der ehemaligen Sowjetunion und der Volksrepublik China, zu exportieren. Den ersten offiziellen Versuch machte die Hanauer Nuklearfirma NUKEM im Jahr 1976. Damals fanden - mit Zustimmung der Bonner Beamten - direkte Gespräche mit dem sowjetischen Botschafter Valentin Falin statt, mit dem Ziel, Atommüll und abgebrannte Brennelemente von Deutschland nach Sibirien zu verbringen. Dieses Thema stand sogar auf der Tagesordnung eines nachfolgenden Treffens zwischen Bundeskanzler Helmut Schmidt und dem sowjetischen Präsidenten Leonid Breschnew. Die Exporte kamen dann aber doch nicht zustande, weil Kanzler Schmidt dadurch das Projekt der deutschen Wiederaufarbeitungsanlage gefährdet sah.



                                    

Luftbild der Firma NUKEM  (1983)

Ein ähnliches Vorhaben wurde 2001 erneut in Moskau besprochen mit der Folge, dass dass russische Parlament im März 2002 beschloss, den europäischen EVU entsprechende Entsorgungsangebote zu unterbreiten. Auf der Basis dieser und ähnlicher Abmachungen wollte der ehemalige Bundesumweltminister Norbert Roettgen im Jahr 2010 Brennelemente vom deutschen Zwischenlager Ahaus zur russischen Wiederaufarbeitungsanlage Majak (Ural) verschicken. Es handelte sich um 951 abgebrannte BE aus den Versuchsreaktoren des Forschungszentrums Dresden-Rossendorf. Nach massiven öffentlichen Protesten liess er dieses Vorhaben fallen. Dessenungeachtet hat die deutsche Firma Urenco bis 2009 abgereichertes Uran ins sibirische Argansk geschickt.


Ab in die Wüste Gobi

Zurück ins Jahr 1984. Die Situation hatte sich geändert. Die Regierung Kohl war nun am Ruder und es durfte über wirtschaftliche Alternativen zur kommerziellen Wiederaufarbeitung nachgedacht werden. Auch Geschäfte mit China waren nicht mehr tabu. So kam es zu einer Kooperation zwischen NUKEM und der Firma Alfred Hempel KG. Letztere war als Vertreterin der staaatlichen russischen Handelsgesellschaft "Techsnabexport" an dem Kauf von Urananreicherungsleistung für deutsche EVU in der UdSSR beteiligt. Hempel hatte auch gute Kontakte zu China und so entstand die Idee, bestrahlte Brennelemente aus Europa gegen Bezahlung nach China zu exportieren und dort in der Wüste Gobi zu lagern.

In der Folge kam es zur Gründung der "INTER-NUCLEAR Servicegesellschaft für internationale Ensorgung". Daran beteiligt waren Hempel mit 55 %, NUKEM mit 35 % und Transnuklear mit 10 %. Letztere wegen der damit verbundenen interkontinentalen Transporte. Die deutschen EVU zeigten an diesem Vorhaben grosses Interesse und auch die angesprochenen Ministerien sahen zunächst keine grundsätzlichen Bedenken. Als allerdings Einzelheiten der vertraulichen Verhandlungen an die Öffentlichkeit gerieten, formierte sich politischer Widerstand, welche das Projekt, zumindest in der Bundesrepublik, unmöglich machte.


Der Transnuklear-Skandal

Von den knapp einem Dutzend Geschäftsbereichen und Beteiligungsgesellschaften der NUKEM war die Transnuklear-Gruppe eine der rentabelsten. Die Transnuklear Hanau (TNH) konnte von 1980 bis 1986 ihren Umsatz von 20 auf 54 Millionen DM steigern und angemessene Gewinne erwirtschaften. TNH hatte sich auf den Transport radioaktiver Abfallstoffe sowie abgebrannter Brennelemente spezialisiert und erreichte mit diesem Geschäftsmodell fast eine monopolistische Stellung - bis ihr 1987 die atomrechtliche Genehmigung für die Nukleartransporte entzogen wurde.

Den Stein ins Rollen gebracht hatte ein neu eingestellter Geschäftsführer der TNH. Ihm fielen falsche und überhöhte Abrechnungen der Abteilung "Radioaktive Abfälle" im Wert von 5 bis 6 Mio DM auf. Die Betriebsprüfungen ergaben, dass damit rund 100 Mitarbeiter von deutschen Kernkraftwerken und Elektrizitätskonzernen bestochen worden waren, um lukrative Entsorgungsaufträge zu erhalten. Mit den Bestechungsgeldern wurden Fernseher, Autos, Bordellbesuche und anderes mehr finanziert.

Noch bedenklicher waren die "Geschäfte" mit dem belgischen Kernforschungszentrum CEN in Mol. TNH hatte im Auftrag deutscher Kernkraftwerke sowie der NUKEM radioaktive Abfälle zur Verbrennung und anschliessenden Verdichtung nach Mol verbracht und später diesen konditionierten Abfall wieder in Fässern an ihre Kunden zurückgeliefert. Bei der Überprüfung stellte sich jedoch heraus, das der rücktransportierte Abfall nicht genau dem angelieferten Material und den Begleitpapieren entsprach. Eine Inventur ergab, dass rund 2.000 Fässer falsch deklariert waren und Rückstände wie Kobalt und Plutonium enthielten, die gar nicht nach Mol angeliefert worden waren. Für die in Belgien nicht erbrachten Leistungen soll TNH gleichwohl Zahlungen in Millionenhöhe kassiert haben. Später kam noch der schreckliche Verdacht auf, dass atomwaffenfähiges Material nach Libyen und Pakistan geliefert worden sei. Das konnte aber nicht bewiesen werden.

Die Strafen und Folgen für diese Missetaten waren heftig. Der Geschäftsführer von TNH und sein zuständiger Chef von der Mutterfirma NUKEM wurden auf der Stelle entlassen und gerichtlich belangt. Ähnliches geschah mit einer Reihe hochstehender Manager. Die Anklage gegen diese leitenden Angestellten umfasste mehr als 1.200 Seiten. Den Vorwurf des Betrugs wegen der falschen Deklaration des Atommülls liess das Gericht fallen, weil sich die Kraftwerksbetreiber nicht betrogen fühlten. Vor Gericht machten sie deutlich, dass sie froh gewesen seien, "das Zeugs loszuwerden". Auch Todesopfer forderte der TNH-Skandal. Ein Sachbearbeiter des EVU Preussen-Elektra, der auf der Liste der Schmiergeldempfänger gestanden haben soll, warf sich vor einen Zug. Ein entlassener Prokurist der TNH nahm sich während der Untersuchungshaft das Leben.

Weitreichend waren die Konsequenzen für die Firmen Transnuklear und NUKEM, welche den Skandal ausgelöst hatten. Im Dezember 1987 entzog der Bundesumweltminister Klaus Töpfer der TNH die Genehmigung zum Transport radioaktiver Stoffe. Damit war die Firma am Ende, Transporte dieser Art wurden künftig über die Firma Schenker, einer Tochter der Deutschen Bundesbahn abgewickelt. Auch die NUKEM geriet zeitweilig in existenzielle Nöte. Der hessische Umweltminister Karlheinz Weimar verfügte im Juli 1987 die teilweise Stilllegung der Anlagen bis zur Abarbeitung einer "Mängelliste". In der Folge wechselten mehrmals die Gesellschafter der NUKEM. Die Anlagen (siehe Bild oben) wurden weitgehend stillgelegt und rückgebaut. Bis mitte 2006 war die "Rest-NUKEM" Teil der RWE Solutions im RWE Konzern, allerdings mit stark verändertem Aufgabenbereich. Nach dem Verkauf dieser Gruppe an den Finanzinvestor Advent International wurde der Name wieder in NUKEM umgewandelt.

Totgesagte leben länger.








 

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