Die mit kompetenten Technikern besetzte Reaktorsicherheitskommission (RSK) sah zwar keinen Grund für diese rigide Massnahme, aber eine flugs einberufene Ethikkommission, bestückt mit hohen Geistlichen, drängte auf die Ausserbetriebnahme dieser Kraftwerke - aus ethischen Gründen. Im Sommer 2011 votierten Bundestag und Bundesrat für die Vorschläge der Regierung. Ohne Absprache mit den europäischen Nachbarländern wurde die sog. "Energiewende" verkündet. Der elektrische Strom sollte vorzugsweise durch Sonne, Wind und Biogas erzeugt werden; über 80 Prozent der deutschen Bevölkerung stimmte laut Umfragen diesem Unterfangen zu. Nicht wenige wollten sogar alle deutsche Atomkraftwerke sofort stillegen.
Die Rechnung wird präsentiert
Nunmehr sind eineinhalb Jahre vergangen und von der früheren Hochstimmung ist wenig übrig geblieben. Allenthalben knirscht es bei der Umsetzung dieses Projekts, schon werden die "Schuldigen" gesucht und einer - der frühere Umweltminister Norbert Röttgen - wurde sogar bereits gefunden und in Unehren entlassen.
EEG-Umlage und Beiträge zur Stromrechnung
Heftig diskutiert wird in den Medien das starke Ansteigen der Strompreise. Dabei hatten die Öko-Experten eigentlich das Gegenteil vorausgesagt, denn "Wind und Sonne schreiben keine Rechnung". Deutschland hat mit 25,3 Cent pro Kilowattstunde die zweithöchsten Strompreise in Europa, unmittelbar hinter Dänemark (29,8). Dahinter liegen u.a. Italien (20,8 ct/kWh), Grossbritannien (15,8), Frankreich (14,2), Griechenland (12,4) und Bulgarien (8,7). Und da der Strom aus den Solardächern und Windmühlen subventioniert werden muss, entfällt auf jeden Haushalt eine Öko-Zulage gemäss dem Gesetz über Erneuerbare Energien (EEG).
Die Umlage zur Förderung von Ökostrom nach dem EEG steigt in diesem Jahr von 3,6 Cent auf 5,3 Cent je Kilowattstunde. Das sind satte 47 Prozent. Inclusive Mehrwertsteuer erhöht sich die Belastung der Stromkunden auf 6,3 Cent je kWh. Pro Haushalt werden dies ca. 60 bis 80 Euro sein. Im kommenden Jahr wird der Ökostrom mit etwa 20 Milliarden subventioniert, was den Hartz-IV-Ausgaben für sechs Monate entspricht.
Etwa 700 Betriebe mit hohem Stromverbrauch sind von der Ökozulage aus genommen. Es handelt sich zumeist um Betriebe aus der Chemie, der Aluminiumherstellung und der Eisenhüttenbranche, die in starker Konkurrenz zu ausländischen Wettbewerbern stehen. (Die französischen Autofirmen Peugeot und Renault erhalten den Strom vom nationalen Erzeuger EdF beispielsweise für 1 bis 2 Cent pro Kilowattstunde!) Von den Grünen wird gern das Gerücht gestreut, dass diese Ausnahmeregelung die hohe Ökozulage bewirken würde. Das ist nachweisbar falsch. Selbst wenn man all diesen Betrieben den vollen Preis anrechnen würde, fiele die Ökozulage nur von 5,3 auf 4,3 pro kWh - also um 1 Cent.
Die unverstandene Grundlast
Die meisten Stromkunden hatten sich die Energiewende einfacher (und billiger) vorgestellt. Für sie war es der simple Austausch von Atomstrom gegen Sonnen- und Windstrom. Aber so einfach funktioniert dieser Systemwechsel nicht. Die Kernkraftwerke haben die Fähigkeit fast das ganze Jahr hindurch gleichmässig Strom zu liefern; die Solarmodule auf dem Dach aber benötigen dafür Sonnenschein; die Windräder drehen sich nur, wenn der Wind bläst. Im Schnitt produzieren die Sonnenkollektoren jährlich lediglich 800 Stunden Strom, die Windräder etwa 1.600 Stunden - aber das Jahr hat 8.760 Stunden! Für die stromlosen Zeiten muss also ein Gas- oder Kohlekraftwerk bereit stehen, um den benötigten Strom zu erzeugen. Diese Reservekraftwerke (auch Backup- bzw. Schattenkraftwerke genannt) werden entsprechend den Wind- und Sonnenverhältnissen in Betrieb genommen bzw. abgeschaltet. Dieser unregelmässige Betrieb verursacht hohe Kosten und beansprucht im starken Masse die Komponenten der Kraftwerke. (Vergleichbar mit einem Auto, bei dem ständig mit dem Gaspedal gespielt wird.)
Aber das ist noch nicht alles. Gemäss dem EEG muss der Sonnen- und Windstrom prioritär in das Stromnetz eingespeist werden. Die fossilen Kraftwerke sind also abzuschalten, wenn unerwarteterweise die Sonne scheint oder der Wind weht. Gelingt die Einspeisung des Ökostroms nicht, etwa weil das Netz überlastet würde, so sind die Windmühlen abzuschalten, wobei deren - fiktive - Stromerzeugung aber trotzdem den Kunden in Rechnung gestellt wird.
Die sog. Grundlast, welche ständig - Tag und Nacht - zur Verfügung stehen muss, macht etwa 50 Prozent des gesamten Stromaufkommens aus. Sie wurde bisher i. w. von den konstant laufenden Kernkraftwerken mühelos (und sehr preiswert) bereitgestellt. Aus dem oben Gesagten wird deutlich, dass Wind und Sonne dies nicht leisten können, da sie in ihrem Stromangebot unvorhersehbar fluktuieren und prioritär eingespeist werden müssen. Zudem ist dieser Ökostrom wegen der unbedingt notwendigen fossilen Backup-Kraftwerke sehr teuer.
Es ist Mode geworden, die grossen Energieversorger RWE, Eon, EnBW und Vattenfall in der Öffentlichkeit ständig zu kritisieren. Sie mögen in der Vergangenheit nicht alles richtig gemacht haben, aber sie haben das Stromnetz in Deutschland stabiler gehalten als alle Konkurrenten im Ausland. Die Energiewende wird nur gelingen, wenn man den Sachverstand dieser Firmen nutzt. Strom ist ein ganz besonderer Saft und, dass aus jeder der vielen hundert Millionen Steckdosen in Deutschland immer genügend Strom herauskommt, ist keineswegs trivial. Begriffe, wie Blindstrom, Cosinus phi, Netzstabilität etc. spielen dabei eine grosse Rolle, die allerdings dem Laien kaum erklärt werden können. Die Energiewende - richtiger sollte man von der "Stromwende" sprechen - ist eine hochkomplizierte Operation am Herzen der deutschen Volkswirtschaft.
Die fehlenden Stromnetze
Wegen der grosszügigen Subventionierung werden - unkoordiniert - viele Häuser und sogar ausgedehnte Wiesenflächen mit Solarmodulen belegt. Im windreichen Schleswig-Holstein und in Niedersachsen wurden ca. 20.000 Windräder unterschiedlicher Leistung aufgestellt. Darüberhinaus rammte man in Nord - und Ostsee hunderte von sog. offshore-Windgeneratoren in den Seeboden. Sie sollen nach nach den Vorstellungen des Umwelt- und Wirtschaftsministeriums dereinst ein Sechstel der in Deutschland benötigten Strommenge liefern.
Leider gibt es aber in diesen nördlichen Bereichen kaum Industriebetriebe, welche den erzeugten Strom abnehmen können. Im hochindustrialisierten Bayern und Baden-Württemberg kommt diese Windelektrizität aber nicht an, weil dorthin die Stromnetze nicht ausgebaut sind. Dies soll durch das Grossprojekt "Netzausbau" in Zukunft nachgeholt werden. Es sieht den Bau neuer Stromleitungen von Nord nach Süd vor. Dieses grösste Infrastrukturprojekt seit der Wiedervereinigung wird mit 40 Milliarden Euro beziffert und soll in zehn Jahren abgeschlossen sein. Der Widerstand der betroffenen Grundstückseigentümer ist sicher.
So lange wollen die stromhungrigen Südländer jedoch nicht warten. Sie werden sich in Kürze unabhängig machen von den Stromlieferungen aus dem Norden. Dafür plant man in Bayern das landeseigene "Bayernwerk". Ähnliche Überlegungen gibt es in Baden-Württemberg. Es kann also sehr wohl die Situation eintreten, dass der Norden erzeugte Windstrom in zehn Jahren - wenn die Trassen stehen sollen - gar nicht mehr gebraucht wird, weil sich die Südländer inzwischen selbst versorgen. Die Ursache für dieses absehbare Fiasko liegt darin, dass es bis jetzt noch keinen gesamtdeutschen Energieplan gibt, sondern deren 16, nämlich für jedes Bundesland einen eigenen.
Die fehlenden Stromspeicher
In der neuen Konfiguration der verschiedenen Stromerzeuger sind die fehlenden Stromspeicher ein grosses Problem. Früher betrieben die Energieversorgungsunternehmen ihre Pumpspeicherkraftwerke mit billigem Nachtstrom; zur Mittagszeit liessen sie das Wasser ab und die Turbinen erzeugten Elektrizität, die teuer verkauft werden konnte. Dieses Geschäftsmodell funktioniert jetzt nicht mehr, insbesondere deswegen, weil die Sonnenkollektoren im Sommer tagsüber genügend Strom ins Netz speisen. Praktisch alle Pumpspeicherkraftwerke sind dadurch unrentabel geworden. Neue Speichersysteme, welche die volatile Sonnen- und Windenergie speichern könnten, sind jedoch nicht bekannt bzw. unwirtschaftlich.
Einen interessanten Versuch in dieser Richtung machte vor einigen Jahren das Forschungszentrum Jülich. Der Strom einer Solaranlage wurde durch Elektrolyse in Wasserstoffgas umgewandelt, das man in Druckflaschen zwischenspeicherte. In Brennstoffzellen der üblichen Bauart wurde daraus wieder Strom gemacht und ins Netz abgegeben. Der Wirkungsgrad für dieses System lag bei enttäuschenden 1 Prozent. Es macht also keinen Sinn, diesen Prozess im grossen Stil zu etablieren. Strom aus Fotozellen sollte man direkt ins Netz abgeben - sofern dieses nicht bereits überlastet ist.
Auch die Speicherung von Solar- und Windstrom in Lithium-Ionen-Akkus kann man vergessen. Um den zweitägigen Strombedarf auch nur einer Grosstadt wie München in einer solchen Batterie zu speichern, bräuchte man einen würfelförmigen Akku von 50 Metern Kantenlänge. Bei einem Bleisäure-Akku, wie er in Autos verwendet wird, würden der Würfel auf 100 Meter Kantenlänge anwachsen!
Fazit
Bei der Einführung der sog. Energiewende wurden eine Menge Fehler gemacht. Die wichtigsten und nachhaltigsten seien kurz rekapituliert.
1. Die Bundeskanzlerin Merkel hat wenige Tage nach den Ereignissen in Fukushima, in überhasteter Form und ohne Beratung, die weitreichende Entscheidung zum Atomausstieg praktisch allein getroffen. Richtiger wäre es gewesen, den im Herbst 2010 ausgearbeiteten Beschluss zur (geringfügigen) Laufzeitverlängerung beizubehalten, evtl. modifiziert durch die Abschaltung einiger älterer Kernkraftwerke mittlerer Leistung.
2. Die Förderung der Sonnenenergie ist aus dem Ruder gelaufen. Für mehr als 100 Milliarden wird - auf Kosten der Stromkunden - eine Technologie subventioniert, die nur mit drei Prozent zum Stromaufkommen beiträgt. Diese hohe Förderung der Solartechnik hat ausländische (vorallem chinesische) Billigkonkurrenten nach Deutschland gelockt mit der Folge, dass praktisch alle heimischen Solarfirmen bankrott gegangen sind. Kürzlich hat sogar die Weltfirma Siemens beschlossen, aus der Solartechnik auszusteigen; die Firma Bosch steht möglicherweise kurz davor.
3. Im Norden Deutschlands wurden (onshore und offshore) eine Unzahl von Windräder aufgestellt, die keine Netzanbindung an die stromhungrigen Südländer Bayern und Baden-Württemberg besitzen. Gemäss dem Gesetz für Eneuerbare Energien müssen diese Windräder aber selbst bei Stillstand subventioniert werden.
4. Die Probleme des Netzausbaus für die Stromleitung von Nord nach Süd wurden drastisch unterschätzt. Es wird mindestens zehn Jahre dauern, bis die 4.000 Kilometer Trassen gelegt sind und es wird um die 40 Milliarden Euro kosten.
5. Völlig ungelöst ist das Problem zur Speicherung des fluktuierenden Wind- und Solarstroms. Es ist durchaus möglich, dass es dafür überhaupt keine Lösung gibt.
6. Die prioritäre Einspeisung von Wind- und Solarstroms erfordert eine Unzahl fossiler Reservekraftwerke. Wegen ihres unsteten Betriebs sind diese Kraftwerke teuer und tragen massgeblich zu den hohen Stromkosten für die Kunden bei.
7. Zur Winterzeit, insbesondere an kalten und windstillen Tagen und wenn der Himmel bedeckt ist, wird in Zukunft in Deutschland eine erhöhte Gefahr für Stromausfall bestehen. Das Risiko für Blackouts und Brownouts wird sich noch weiter steigern, wenn ab dem Jahr 2015 die grossen Kernkraftwerke abgeschaltet werden und ein drastischer Mangel an Grundlast aufkommen wird.
8. Selbst jetzt - eineinhalb Jahre nach dem Atomausstieg - gibt es noch keine nationale Strategie zur Beherrschung der damit verbundenen Probleme. Als Folge davon werden die Verantwortlichen in den Bundesländern nervös und jeder der 16 Ministerpräsidenten bastelt bereits an einem Energieplan für sein eigenes Land. Diese fehlende Gesamtkoordination wird den Strom zusätzlich teuerer machen und die Versorgungssicherheit gefährden.
9. Von klimagerechter Stromerzeugung ohne CO2 redet niemand mehr. Fossile Kraftwerke, auch auf Braunkohlenbasis, sind auch im rot-grünen Nordrhein-Westfalen wieder in - weil ohne sie die Stromwirtschaft zusammenbrechen würde.