Sonntag, 9. September 2012

KIT oder der Abstieg der Professoren

Unter Wilhelm von Humboldt war die Universität ein Ort der "Lehrenden und Lernenden", also der Professoren und der Studenten. Diese beiden Gruppen sucht man im Organigramm des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) vergeblich. Dort (Stand November 2011) steht das Präsidium mit seinen zwei Präsidenten und vier Vizepräsidenten im Mittelpunkt. (Inzwischen hat ein Präside das Weite gesucht). Darüber rangiert der industrielastige Aufsichtsrat, darunter sind die Chief Officers angesiedelt, deren Aufgabe diffus ist und für die es keinen deutschen Namen gibt. Erst danach - in der 4. Ebene - werden die Fakultäten der ehemaligen Technischen Universität aufgezählt. Namentlich werden weder die Dekane noch die Professoren erwähnt. Die Institutsleiter des früheren Forschungszentrums FZK sind ebenfalls namenlos. Ihre Institute werden erst auf der 6. Hierarchieebene genannt. Das Organigramm deklariert, wer bei KIT das Sagen hat: das Präsidium! Die Professoren als Träger der wissenschaftlichen Arbeit bleiben anonym.

Ein aufschlussreicher Schlüsselroman

Kann man sich, bei diesen klaren Rangabstufungen zuungunsten der Professoren, überhaupt vorstellen, dass etwa ein Dekan des heutigen KIT mit dem derzeitigen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann korrespondiert und ihm - ohne das Präsidium zu fragen - den Doktortitel honoris causa seiner Fakultät anbietet?  Heute wäre das vollkommen ausgeschlossen, aber vor 29 Jahren ist genau dies geschehen. Nichts bescheinigt den Abstieg der KIT-Professorenschaft deutlicher, als diese Geschichte. Sie ist in dem Buch "Monrepos" von Manfred Zach nachzulesen, etwa in der Mitte des 500-Seiten-Romans unter den Kapiteln "Honoris causa" und "Kaskaden und Kurven". Bei einer kürzlichen Lesung in den Räumen der Karlsruher Literarischen Gesellschaft hat der Autor auf Nachfragen bekräftigt, dass alle im Buch genannten Behauptungen voll der Realität entsprechen.

Der Schlüsselroman "Monrepos" über die Ära Lothar Späth

Monrepos ist ein Schlüsselroman, der die Ereignisse während der Regierung des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Lothar Späth wahrheitsgetreu darstellt, allerdings die Namen der verschiedenen Politiker und Beamten verschlüsselt. So heisst Lothar Späth dort Oskar Specht, sein Minister Mayer-Vorfelder wird zu Müller-Prellwitz und der Author und Späths Pressereferent Manfred Zach hat sich selbst in Werner Gundelach umbenannt.

Ein mutiger Dekan

Die Geschichte beginnt mit einem Brief des Karlsruher Professors Rudolf Henn (alias Werner Wrangel), der 1983 Dekan der wirtschaftwissenschaftlichen Fakultät an der Technischen Universität war. Henn fragte beim Öffentlichkeitsreferat des Ministerpräsidenten an, ob MP Späth geneigt wäre , den Ehrendoktor seiner Wirtschaftsfakultät anzunehmen. Die Anfrage löste etwas Erstaunen aus, aber das Referat beschloss,  Manfred Zach nach Karlsruhe zu schicken, um darüber nähere Informationen einzuholen.

Dort traf Zach erstmals auf Henn, welcher Direktor des Instituts für Mathematische Wirtschaftstheorie und Operations Research sowie Dekan der Fakultät war. Zach beschreibt Henn im Buch als einen kleinen und hageren Mann mit federndem Gang und einem Händedruck wie ein Schraubstock. Der Professor war sehr angetan von der Wirtschaftspolitik des Ministerpräsidenten, die durch Technologietranfer und staatlich geförderte Infrastrukturprogramme charakterisiert war. Dafür habe der MP seines Erachtens den Ehrendoktor verdient. Zach fiel fast vom Stuhl, als der Professor ihm lachend eingestand, dass er von dieser Absicht weder den Rektor, noch den Grossen Senat, ja, noch nicht einmal den eigenen Fakultätsrat informiert habe. Beruhigend fügte er hinzu: Machen Sie sich keine Sorgen, ich setze das schon rechtzeitig durch; aber vorher muss ich wissen, ob dem MP eine Promotion politisch überhaupt in den Kram passt.





Der Autor Manfred Zach  (um 1996)


Etwas besorgt fuhr Ministerialrat Zach in die Villa Reitzenstein (Monrepos) zurück und bastelte an einer Vorlage für seinen Chef. Überraschenderweise fand der Nichtabiturient Späth aber Gefallen an dieser vorgeschlagenen Ehrung und man liess Henn/Wrangel wissen, dass das Sommersemester 1984 der geeignete Zeitraum dafür sei. Schon kurze Zeit später signalisierte Henn an Zach, dass die Fakultät für Wirtschaftswissenschaften einstimmig und ohne Enthaltung beschlossen habe, dem Ministerpräsidenten die Würde des Doktors der Wirtschaftswissenschaften ehrenhalber (Dr. rer. pol.h.c.) zu verleihen. Über die Einbeziehung des Rektors verlor er kein Wort. Stattdessen waren offensichtlich einige Honorarprofessoren - Vorstände von Banken, Versicherungen und Bausparkassen - sehr hilfreich, als es galt, zögerliche C4-Professoren von den wissenschaftlichen Qualitäten des Landesvaters zu überzeugen.

Das Festkolloquium im Audimax der Technischen Universität Karlsruhe fand vor einer beeindruckenden Kulisse statt. Der akademische Hochadel war bis aus der Schweiz angereist und die neugierigen Studenten belegten den Saal bis zur letzten Reihe. Professor Henn hielt die Laudatio und warf mit Hilfe des Overheadprojektors Philippskurven, Hicksdiagramme, komparative Analysen und totale Differentiale an die Wand. Sie alle bestätigten, dass die Späthsche Technologie- und Infrastrukturförderung dem Musterländle gut bekommen ist. Der Geehrte war klug genug, sich nicht auf dieses Terrain zu begeben. Stattdessen plauderte er in seiner Dankesrede locker über (das damals noch musterhafte) Japan und die Eskapaden des Grafen Lambsdorf, womit er die Lacher auf seiner Seite hatte. Anschliessend nahm er strahlend die Doktorurkunde in Empfang.

Von da an dauerte es keine zwei Wochen mehr, bis der neue Titel Briefbögen und Visitenkarten des Dr. h. c. Lothar Späth zierte.

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