Freitag, 28. September 2012

Wurde die Energiewende herbeigeschrieben?

Die sogenannte Energiewende ist jetzt etwa eineinhalb Jahre alt. Verkündet wurde sie - im Alleingang - von der Bundeskanzlerin Angela Merkel anfang April vergangenen Jahres, unmittelbar nach den Geschehnissen in Fukushima. Nachdem die technisch orientierte Reaktorsicherheitskommission an den deutschen Kernkraftwerken (nach nochmaliger intensiver Untersuchung) keine Gefährdungspunkte erkennen konnte, schlug sich eine rasch einberufene Ethikkommission, mit einer Reihe von Geistlichen, auf Merkels Seite. Im Sommer 2011 segneten Parlament und Bundesrat die Energiewende ab. Acht Kernkraftwerke wurden sofort abgeschaltet, die neun restlichen sollen zwischen 2015 und 2022 folgen.

Inzwischen sind zwei Mainzer Medienforscher, Hans Mathias Kepplinger und Richard Lemke, der damaligen Medienberichterstattung nachgegangen und haben hierüber eine Studie vorgelegt, die von der Stiftung Demoskopie Allensbach finanziert worden ist. Sie wurde den Presseagenturen im Sommer diesen Jahres vorgelegt, dort hat sie aber trotz ihrer Brisanz kein Echo gefunden. Lediglich die Tageszeitung "Die Welt" druckte einen kurzen Artikel darüber, auf den auch keine Resonanz folgte, wenn man von einem kurzen Leserbrief absieht. Die Informationen in diesen Blog sind der "Neue Zürcher Zeitung" (NZZ) entnommen, welche dieser Studie kürzlich einen Artikel gewidmet hat.


Vier Länder untersucht

Die genannten Wissenschaftler konzentrierten sich bei ihrer Studie auf die vier Länder Deutschland, Schweiz, Frankreich und Grossbritannien. In jedem dieser Länder analysierten sie im Gefolge des Störfalls in Fukushima die Fernsehnachrichten sowie die Printartikel in jeweils zwei grossen Tageszeitungen. In der Schweiz waren dies die NZZ und der "Tages-Anzeiger"; in Deutschland wählten sie die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" und die "Süddeutsche Zeitung" aus. Grosse Unterschiede gab es bereits beim Umfang der Berichterstattung. Die untersuchten deutschen Medien brachten in den ersten vier Wochen nach dem Reaktorunfall 577 Beiträge über Fukushima, in der Schweiz waren es 521, während die Forscher in Frankreich nur 319 und in England sogar nur 271 zählten.

Besonders interessant sind die Differenzen bei der Bewertung des Störfalls. Die französischen und britischen Medien beschäftigten sich vorwiegend mit dem Reaktorgeschehen in Japan selbst. Demgegenüber nahmen die deutschen und schweizer Redaktionen den Unfall zum Anlass, um die Situation im eigenen Land zu beleuchten. In 90 Prozent der Artikel wurde der Ausstieg aus der Kernenergie oder zumindest ein Moratorium verlangt. Diese negativ besetzte Berichterstattung kann man nicht allein durch die Natur des Ereignisses erklären, denn die Kernkraftwerke aller vier Länder besitzen im wesentlichen den gleichen Sicherheitsstandard. Die Autoren der Studie vermuten stattdessen dahinter langfristig gewachsene negative Meinungen der deutschen und schweizer Journalisten zur Kernenergie. So seien die negativen Aussagen der Artikelschreiber in der Süddeutschen Zeitung zumeist auch von negativen Expertenmeinungen begleitet gewesen; beim französischen "Figaro" war es genau umgekehrt.


Erdbeben und Todesfälle

Auffallend war, insbesondere in den deutschen Medien, die ungenaue Zuordnung der Todesfälle zu den Ursachen. Bekanntlich sind dem Tsunami mehr als 30.000 Menschen zum Opfer gefallen. Bei den Reaktorunfällen hingegen sind es nur drei; die Strahlung könnte vermutlich weitere 100 bis 1000 Krebstote zu einer späteren Frist fordern. Im Zuge einer stark verzerrten Berichterstattung wurden diese Zahlen immer wieder durcheinander geworfen, sodass sich für den Laien kein klares Bild ergeben konnte. Auch die Rückkehr der Bewohner in die anfangs kontaminierten Gebiete wurde nur unzureichend dokumentiert.

Dass die Studie von Kepplinger und Lemke in den Medien nicht den gebührenden Widerhall gefunden hat, hat wohl auch damit zu tun, dass die Redaktionen zögern, Berichte aufzugreifen, wenn sie dabei auf die Erstpublikation eines Wettbewerbers verweisen müssten. Trotzalledem: die beiden Medienforscher haben überzeugend beleuchtet, wie eine politische Jahrhundertentscheidung zustande gekommen ist. In Deutschland und - abgeschwächt - in der Schweiz, hat die gleiche Ursache zum Ausstieg aus einer seit Jahren bewährten Technologie geführt; in Frankreich und England werden die Kernkraftwerke, wie vorher, weiterbetrieben.

Und alle entscheidungsbefugten Politiker in den vier Ländern berufen sich auf die Fakten.



Sonntag, 23. September 2012

Gas in Hülle und Fülle

Der Energiemarkt hat sich in den vergangenen vier Jahren total umgekrempelt. Als im Jahr 2008 die Ölpreise in die Höhe schossen, schien die Welt in einem Energiehunger zu versinken. Die Vorräte an Erdgas - so schätzten die Experten - würden in 30 bis 40 Jahren zu Ende gehen. Die USA sah sich auf ewige Zeiten als Energieimportland an. Inzwischen haben sich Angebot, Nachfrage und Preise der Ressource Gas auf dem Weltmarkt drastisch verändert: das Angebot ist deutlich gestiegen und die Preise beginnen zu fallen.


Die USA sind Selbstversorger

Die Ursache für das verbesserte Angebot an Gas in den Vereinigten Staaten ist die Förderung des Schiefergases, das allenthalben im Land gefunden wird. Es war bis vor wenigen Jahren noch unerreichbar, da es in tiefen Gesteinsschichten in nur verdünnter Form eingelagert ist. Durch die Entwicklung der "Fracking-Methode" hat sich dies grundlegend verändert. Tiefbohrungen und das Einpressen eines Gemisches aus Wasser, Sand und Chemikalien befreien dieses unkonventionelle Gas aus dem Gestein. Die Folge ist, dass die USA beim Erdgas inzwischen zum Selbstversorger auf dem Gasmarkt aufsteigen konnten, also nicht mehr auf Importe angewiesen sind. Es ist sogar wahrscheinlich, dass die Amerikaner demnächst Fracking-Gas exportieren werden. Das überschüssige Gas aus Saudi-Arabien und Afrika drängt jetzt bereits als Flüssiggas auf die Spotmärkte in Europa. Zuweilen kostet es dort nur noch die Hälfte des konkurrierenden russischen Gases aus Pipelines.

Die Unternehmensberater bei A. T. Kearney sagen in einer kürzlichen Studie einen Rückgang des Gaspreises um 60 Prozent für das Jahr 2015 voraus. Dann wird der Handelspreis auf dem Spotmarkt endgültig wichtiger sein, als der "Pipeline-Preis" der traditionellen Anbieter.

Limitierend für die Förderung des Schiefergases in den USA ist derzeit die Bereitstellung von Sand, genauer gesagt von "Fracksand". Dies ist jener Sand, welcher, wie oben beschrieben, in die Bohrlöcher gepresst wird. Die dafür benötigten Sandkörner sind runder als jene von den Sandstränden  und kommen vorallem aus dem Mittleren Westen der USA. Mit Lastwagen und Güterzügen werden sie zu den Gasfeldern transportiert. Die Nachfrage nach Fracksand ist seit dem Jahr 2009 um 300 Prozent gestiegen. Kein Wunder, dass die Lieferfirmen mit der Produktion kaum nachkommen.



Gazprom, ein schwächelnder Riese


Das verstärkte Angebot an Schiefergas (und Flüssiggas) hat den russischen Riesenkonzern Gazprom kalt erwischt. Man kann es am Börsenwert ablesen. Vor wenigen Jahren hatte diese Firma noch einen Wert von 300 Milliarden Dollar und war auf dem Weg, diesen auf eine Billion zu steigern. Inzwischen ist der Aktienwert auf 120 Milliarden Dollar abgesunken und die Internationale Energieagentur sagt sogar voraus, dass Gazprom seine Stellung als Marktführer im kommenden Jahrzehnt verlieren könnte.

Aber noch ist Gazprom ein veritabler Konzern. Im Vorjahr machte er satte 34 Milliarden Euro Gewinn, was Ministerpräsident Putin ermöglichte, damit grosse Teile seiner Staatsausgaben zu finanzieren. Ansonsten sponsern die Manager von Gazprom mit ihren Einnahmen bekannte westliche Fussballvereine wie FC Chelsea London, Schalke 04 - und Solarien für edle Rennpferde. Aber durch das auf den Markt drängende Frackinggas gerät die Firmenpolitik doch ins Schwanken. Bisher war es eiserne Strategie im Konzern, die gesamte Verwertungskette, vom Bohrloch bis zum Endverbraucher, zu kontrollieren. (Manche Ostländer sind bis zu 100 Prozent von Gazprom abhängig). Diese Monopolstellung wird in Zukunft nicht mehr zu halten sein.

Schon heute stemmen sich westeuropäische Gaseinkäufer gegen die Preispolitik des russischen Giganten. Das deutsche Energieversorgungsunternehmen Eon hat bereits kurzfristige Lieferverträge ausgehandelt und die Abkopplung der Gaspreise vom Ölpreis durchgesetzt. Damit einher gehen sehr viel niedrigere Tarife, welche hoffentlich von den deutschen Stadtwerken an ihre Privatkunden weiter gegeben werden. Auch die EU-Kommission in Brüssel attackiert Gasprom, indem sie kürzlich eine offizielle Untersuchung wegen "Missbrauchs der Marktmacht" eingeleitet hat. Das Ziel ist, dem russischen Konzern die Transportwege (Pipelines) zu entwinden, wie es bereits auf dem deutschen Strommarkt mit den nationalen Hochspannungsnetzen der EVU geschehen ist. Noch wehrt sich der Riese, aber er musste zwischen Januar und März  Preisnachlässe von 23 Prozent gegenüber dem Vorjahr zugestehen. Und das ist nur der Anfang.

Zur Kompensation will Gazprom verstärkt Gas nach Asien, insbesondere nach China und Südkorea liefern. Aber die Chinesen sind zähe Verhandler und bevorzugen bislang das Gas aus Turkmenistan, welches zudem um 40 Prozent billiger ist. Für die Zukunft liebäugelt die chinesische Führung mit der Ausbeutung ihrer eigenen Vorräte an Schiefergas. Nach geologischen Schätzungen gehören sie zu den grössten der Welt; sie sollen mächtiger sein als die in den USA!


Chancen für Deutschland

Das in der Zukunft zu erwartende höhere und billigere Angebot von Erdgas wird auch den Bau von Gaskraftwerken in Deutschland beflügeln. Viele Projekte sind in der Planung (auch in Karlsruhe), aber nur drei, eher kleinere, Gasblöcke sind derzeit wirklich in Bau. Dem stehen neun, deutlich umweltschädlichere Kohle- und Braunkohlekraftwerke gegenüber. Die Kosten für die Kohleverstromung liegen bei 50 Euro pro Megawattstunde, bei Gas schlagen sie noch mit 54 Euro zu Buche.

Das wird sich ändern, wenn die oben beschriebene Gasschwemme auch permanent in Mitteleuropa angekommen sein wird. Zur Zeit fehlt es bei Flüssiggas noch an geeigneten Häfen. In den USA ist der Bau von Exporthäfen für das verflüssigte Schiefergas bereits im Gange, in Katar sind die grossen Umschlaghäfen für die Tanker erst in der Planung. Mit niedrigeren Einstandspreisen für Erdgas werden die Gaskraftwerke rentabel werden und eine wichtige Position bei der sogenannten Energiewende einnehmen. Es ist zu vermuten, dass sie die Braunkohlekraftwerke in Nordrhein-Westfalen sukzessive aus den Markt drängen werden, insbesondere, wenn der Malus für die Verschmutzungsrechte, wie politisch gewollt, wieder ansteigen wird.






Sonntag, 16. September 2012

Die Speicherung von Windstrom

Es ist eine bekannte Tatsache, dass Windstrom und Solarenergie im Tages- und Jahresverlauf stark schwanken können und, dass eine Vorhersage nur für einen kurzen Zeitraum möglich ist. Die Energieeinspeisung kann jedoch heute schon enorm sein. Wenn der Wind kräftig weht, muss der Strom aus 30.000 Megawatt (MW) Windleistung verteilt werden. Scheint mittags bundesweit die Sonne, so können noch einmal 25.000 MW an Solarleistung hinzu kommen. Zu einer windigen Stunde im Sommer könnten Wind- und Sonnenenergie also bereits heute die ganze Republik mit Strom versorgen.

Dieser an sich erfreuliche Umstand birgt aber auch ein Problem: Wohin mit dem Strom, wenn das Angebot höher ist als der Bedarf und wenn regional mehr eingespeist wird, als über die Netze verteilt werden kann? An manch windigen Tagen müssen Windparks aufgrund der knappen Leitungen "abgeregelt", d. h. abgeschaltet werden. Zwar hat dies keine finanzielle Auswirkungen (worauf clevere Betreiber wie PROKON immer wieder hinweisen), da auch die nicht erzeugte Strommenge per Gesetz vergütet wird. Im Endeffekt zahlen aber die Privatverbraucher das alles über die berüchtigte EEG-Zulage. Diese beträgt zur Zeit bei Windstrom knapp 9 Cent pro Kilowattstunde; bei Solarstrom sind es 16,5 ct/kWh.

Pumpspeicher keine Lösung

Als Ausweg in der Speicherfrage wird häufig auf die Pumpspeicherkraftwerke in den Mittelgebirgen und in den Alpen verwiesen. Im Kern entfällt damit aber nicht das Problem der unzureichend ausgebauten Stromnetze, denn auch hier liegen Energieerzeuger und Speicher zumeist räumlich weit voneinander entfernt. Idealerweise müsste sich der Energiespeicher dort befinden, wo der Strom erzeugt wird, um ihn bedarfsgerecht dahin abzugeben, wo er gebraucht wird.

Dieses Dilemma erleben zur Zeit die Schweizer Lieferanten von Pumpspeicherstrom hautnah. Deutscher Wind- und Solarstrom lässt ihre Strompreise zeitweise ins Bodenlose sinken; die Rentabilität laufender Projekte ist in Gefahr. In der Vergangenheit trieb günstiger Atom- und Kohlestrom zu Nacht- und Ferienzeiten die Pumpen in den Alpen an. Zur Mittagszeit lieferten die Schweizer Stromhändler Spitzenenergie für gutes Geld nach Norden. Heute müssen sie feststellen, dass ihr einst hochwertiger Strom dort nicht mehr gebraucht wird. "Die deutschen Wind- und Sonnenparks haben unser Geschäft kaputt gemacht", klagte kürzlich eine Stromhändlerin bewegt in der Neuen Züricher Zeitung. Im Jahr 2008 erzielten die Schweizer Pumpspeicherunternehmen noch 2  Milliarden Franken an Einnahmen; inzwischen haben sich diese halbiert. Das führt zu der brisanten Frage: Wer bezahlt für die 4,5 Mrd. Fr. teuren Spitzenkraftwerke, welche derzeit iin der Schweiz schon im Bau sind? Ein neues Geschäftsmodell wird händeringend gesucht.

Wind zu Gas

Statt Pumspeicher ist derzeit der Ansatz "Wind-to-Gas" in aller Munde. Aus Windstrom soll Gas gemacht werden. Gas kann man speichern und über Rohrleitungen dorthin befördern, wo es gebraucht wird. Verschiedene Verfahren sind in der Planung, wovon drei kurz beschrieben werden sollen. Bei der Elektrolyse wird die elektrische Energie (der Windräder) genutzt, um Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff zu zerlegen. Der Wasserstoff kann dann als Gas in Brennstoffzellen oder in Verbrennungsmotoren zu Strom und Wärme gewandelt werden. Allerdings lässt sich reiner Wasserstoff schwer speichern, da das Gas sehr flüchtig ist. Die Speicherung unter hohem Druck und niedrigen Temperaturen erfordert spezielle Tanks und der Komprimierungsvorgang verschlingt nochmals 10 bis 20 % der eingesetzten Energie. Eine Alternative ist die Beimischung des Wasserstoffs in das Erdgasnetz, was aber nur bis zu einem Anteil von 5 % zulässig ist. Der Grund: viele Gasturbinen in konventionellen Gaskraftwerken funktionieren bei einem höheren Wasserstoffgehalt im Erdgas nicht mehr.

Ein anderer Prozess, der unter dem Ansatz Wind-zu-Gas verfolgt wird, ist die Methanisierung. Dazu wird mit einer Luftzerlegungsanlage Kohlendioxid aus der Umgebungsluft gefiltert. Den im Kohlendioxid enthaltenen Kohlenstoff lässt man mit dem zuvor gewonnenen Wasserstoff reagieren und erhält sodann Methan. Dieses Erdgas kann man ohne Probleme in das bestehende Erdgasnetz einspeisen. Das Gasnetz ist dabei Speicher und Transportweg zugleich. Die Erdgasspeicherkapazitäten in Deutschland sind riesig und können, je nach Witterung, die ganze Republik für 2 bis 5 Monate vollständig mit Energie (Strom und Wärme) versorgen.

Eine dritte Methode wird von dem schon erwähnten Betreiber Prokon propagiert. Sie beruht auf der Umwandlung des "Windgases" in flüssige Kohlenwasserstoffe für Autos, was sich bereits jetzt bei hohen Benzinpreisen lohnen soll. Entsprechende Forschungsarbeiten sind bei dieser Firma im Gange.

Wirtschaftlichkeit und Finanzierung

Ein Knackpunkt bei all den genannten Verfahren ist ihre Wirtschaftlichkeit und, damit verbunden, die Finanzierung. Sowohl für die Aufspaltung des Wassers, als auch für die Luftzerlegung, benötigt man viel Energie, was mit den Wirkungsgraden dieser Prozesse zusammen hängt. Für die Erzeugung von Wasserstoff rechnet man mit Wirkungsgraden von 57 bis 73 %, für die Methanisierung mit 50 bis 64 %. Erzeugt man aus diesem Gas wiederum Strom, so fallen die Wirkungsgrade auf bescheidene 34 bis 44 %, bzw. 30 bis 38 %. Das bedeutet, dass rund zwei Drittel der ursprünglichen Stromenergie verloren gehen. Nutzt man noch die entstehende Wärme aus (durch Kraftwärmekopplung), so steigen die Wirkungsgrade bei Wasserstoff auf 48 bis 62 % an, bei Methan auf 43 bis 54 %. Da nicht nur in Deutschland, sondern weltweit, an diesem Problem gearbeitet wird, darf man in Zukunft wohl auf eine Steigerung der Effizienz hoffen.

Bleibt noch die Finanzierung als Problempunkt. Heute kann ein Windpark an Land mit der gesetzlich festgelegten Vergütung von 8,93 ct/kWh wirtschaftlich betrieben werden. Dieser günstig hergestellte Strom muss dann eigentlich nur noch zum Verbraucher kommen, der dafür heute allerdings im Schnitt 25 ct/kWh bezahlen muss. Woher kommt dieser riesige Unterschied? Die untenstehende Abbildung zeigt die Kostenkomponenten des Strompreises im Jahr 2011 für Privathaushalte. Viele verdienen sich daran eine goldene Nase, deren Beteiligung an der Wertschöpfung fraglich ist. Aber das muss - und sollte - nicht auf alle Zeiten so bleiben. Lässt man nur die Umsatzsteuer gelten, so könnten beispielsweise die Netzentgelte, Konzessionsabgabe und (mittelfristig) auch die EEG-Umlage zur Finanzierung der oben genannten Verfahren herangezogen werden.


Aufteilung des Strompreises 2011 für Privathaushalte

Eines kann man jetzt schon vorhersagen: will man grossflächig auf Wind- und Solarenergie umstellen, dann wird die deutsche Stromwirtschaft total umgekrempelt werden müssen. Dazu müssen auch noch die technischen und wirtschaftlichen Besonderheiten der Biogasanlagen und der kleinen Blockkraftwerke berücksichtigt werden, die oben noch gar nicht angesprochen wurden.

Sonntag, 9. September 2012

KIT oder der Abstieg der Professoren

Unter Wilhelm von Humboldt war die Universität ein Ort der "Lehrenden und Lernenden", also der Professoren und der Studenten. Diese beiden Gruppen sucht man im Organigramm des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) vergeblich. Dort (Stand November 2011) steht das Präsidium mit seinen zwei Präsidenten und vier Vizepräsidenten im Mittelpunkt. (Inzwischen hat ein Präside das Weite gesucht). Darüber rangiert der industrielastige Aufsichtsrat, darunter sind die Chief Officers angesiedelt, deren Aufgabe diffus ist und für die es keinen deutschen Namen gibt. Erst danach - in der 4. Ebene - werden die Fakultäten der ehemaligen Technischen Universität aufgezählt. Namentlich werden weder die Dekane noch die Professoren erwähnt. Die Institutsleiter des früheren Forschungszentrums FZK sind ebenfalls namenlos. Ihre Institute werden erst auf der 6. Hierarchieebene genannt. Das Organigramm deklariert, wer bei KIT das Sagen hat: das Präsidium! Die Professoren als Träger der wissenschaftlichen Arbeit bleiben anonym.

Ein aufschlussreicher Schlüsselroman

Kann man sich, bei diesen klaren Rangabstufungen zuungunsten der Professoren, überhaupt vorstellen, dass etwa ein Dekan des heutigen KIT mit dem derzeitigen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann korrespondiert und ihm - ohne das Präsidium zu fragen - den Doktortitel honoris causa seiner Fakultät anbietet?  Heute wäre das vollkommen ausgeschlossen, aber vor 29 Jahren ist genau dies geschehen. Nichts bescheinigt den Abstieg der KIT-Professorenschaft deutlicher, als diese Geschichte. Sie ist in dem Buch "Monrepos" von Manfred Zach nachzulesen, etwa in der Mitte des 500-Seiten-Romans unter den Kapiteln "Honoris causa" und "Kaskaden und Kurven". Bei einer kürzlichen Lesung in den Räumen der Karlsruher Literarischen Gesellschaft hat der Autor auf Nachfragen bekräftigt, dass alle im Buch genannten Behauptungen voll der Realität entsprechen.

Der Schlüsselroman "Monrepos" über die Ära Lothar Späth

Monrepos ist ein Schlüsselroman, der die Ereignisse während der Regierung des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Lothar Späth wahrheitsgetreu darstellt, allerdings die Namen der verschiedenen Politiker und Beamten verschlüsselt. So heisst Lothar Späth dort Oskar Specht, sein Minister Mayer-Vorfelder wird zu Müller-Prellwitz und der Author und Späths Pressereferent Manfred Zach hat sich selbst in Werner Gundelach umbenannt.

Ein mutiger Dekan

Die Geschichte beginnt mit einem Brief des Karlsruher Professors Rudolf Henn (alias Werner Wrangel), der 1983 Dekan der wirtschaftwissenschaftlichen Fakultät an der Technischen Universität war. Henn fragte beim Öffentlichkeitsreferat des Ministerpräsidenten an, ob MP Späth geneigt wäre , den Ehrendoktor seiner Wirtschaftsfakultät anzunehmen. Die Anfrage löste etwas Erstaunen aus, aber das Referat beschloss,  Manfred Zach nach Karlsruhe zu schicken, um darüber nähere Informationen einzuholen.

Dort traf Zach erstmals auf Henn, welcher Direktor des Instituts für Mathematische Wirtschaftstheorie und Operations Research sowie Dekan der Fakultät war. Zach beschreibt Henn im Buch als einen kleinen und hageren Mann mit federndem Gang und einem Händedruck wie ein Schraubstock. Der Professor war sehr angetan von der Wirtschaftspolitik des Ministerpräsidenten, die durch Technologietranfer und staatlich geförderte Infrastrukturprogramme charakterisiert war. Dafür habe der MP seines Erachtens den Ehrendoktor verdient. Zach fiel fast vom Stuhl, als der Professor ihm lachend eingestand, dass er von dieser Absicht weder den Rektor, noch den Grossen Senat, ja, noch nicht einmal den eigenen Fakultätsrat informiert habe. Beruhigend fügte er hinzu: Machen Sie sich keine Sorgen, ich setze das schon rechtzeitig durch; aber vorher muss ich wissen, ob dem MP eine Promotion politisch überhaupt in den Kram passt.





Der Autor Manfred Zach  (um 1996)


Etwas besorgt fuhr Ministerialrat Zach in die Villa Reitzenstein (Monrepos) zurück und bastelte an einer Vorlage für seinen Chef. Überraschenderweise fand der Nichtabiturient Späth aber Gefallen an dieser vorgeschlagenen Ehrung und man liess Henn/Wrangel wissen, dass das Sommersemester 1984 der geeignete Zeitraum dafür sei. Schon kurze Zeit später signalisierte Henn an Zach, dass die Fakultät für Wirtschaftswissenschaften einstimmig und ohne Enthaltung beschlossen habe, dem Ministerpräsidenten die Würde des Doktors der Wirtschaftswissenschaften ehrenhalber (Dr. rer. pol.h.c.) zu verleihen. Über die Einbeziehung des Rektors verlor er kein Wort. Stattdessen waren offensichtlich einige Honorarprofessoren - Vorstände von Banken, Versicherungen und Bausparkassen - sehr hilfreich, als es galt, zögerliche C4-Professoren von den wissenschaftlichen Qualitäten des Landesvaters zu überzeugen.

Das Festkolloquium im Audimax der Technischen Universität Karlsruhe fand vor einer beeindruckenden Kulisse statt. Der akademische Hochadel war bis aus der Schweiz angereist und die neugierigen Studenten belegten den Saal bis zur letzten Reihe. Professor Henn hielt die Laudatio und warf mit Hilfe des Overheadprojektors Philippskurven, Hicksdiagramme, komparative Analysen und totale Differentiale an die Wand. Sie alle bestätigten, dass die Späthsche Technologie- und Infrastrukturförderung dem Musterländle gut bekommen ist. Der Geehrte war klug genug, sich nicht auf dieses Terrain zu begeben. Stattdessen plauderte er in seiner Dankesrede locker über (das damals noch musterhafte) Japan und die Eskapaden des Grafen Lambsdorf, womit er die Lacher auf seiner Seite hatte. Anschliessend nahm er strahlend die Doktorurkunde in Empfang.

Von da an dauerte es keine zwei Wochen mehr, bis der neue Titel Briefbögen und Visitenkarten des Dr. h. c. Lothar Späth zierte.

Samstag, 1. September 2012

Meine unmassgebliche Meinung zur Euro-Schulden-Krise

Über den Euro, die Gemeinschaftwährung von 17 europäischen Staaten, wird seit Jahren heftig diskutiert. Die einen möchten sie abschaffen, die anderen beibehalten. Manche denken über einen "Nord-Euro" nach und wollen damit die Südstaaten ausschliessen. Im Folgenden möchte ich die wichtigsten Probleme unserer Gemeinschaftswährung darlegen.


1.  Der Euro, keine unvernünftige Idee

Vor 20 Jahren wurden im holländischen Maastricht die gesetzlichen Grundlagen für eine zukünftige Währungsunion im Rahmen der Europäischen Union (EU) gelegt. Bundeskanzler Helmut Kohl und sein Finanzminister Theo Waigel waren bei den Verhandlungen die ranghöchsten deutschen Vertreter. Bestimmend war dabei die Überzeugung, dass ein so grosser Wirtschaftsraum wie die EU auch eine eigene Währung haben müsse, um im globalen Handel keine Nachteile durch Kleinmärkte verschiedener Währungen zu erleiden. Dass die Deutschen im Nachgang der Wiedervereinigung von den Franzosen gezwungen wurden ihre starke D-Mark aufzugeben, wird immer wieder als Vermutung geäussert, ist wohl eher ein Märchen. Die Stärke der DM beruhte auf der Stärke der deutschen Wirtschaft und sonst nichts. Dies gilt bis heute - auch unter der Eurowährung.

Da schon damals die Mittelmeeranrainer als "unsichere Kantonisten" galten, wurden zwei Klauseln im Vertrag verankert: jeder Staat sollte für seine eigenen Schulden aufkommen müssen ("no bail out") und es sollten keine Finanzausgleiche zwischen den Mitgliedsstaaten stattfinden ("no transfer"). Beide Bedingungen wurden in der Folge verletzt, wie wir weiter unten sehen werden. Im Jahr 2002, also zehn Jahre später, wurde in 17 Staaten der Euro als Geldwährung eingeführt. Griechenland schaffte es durch Betrug in die Währungsunion zu kommen. Die europäische Kommission in Brüssel ist dafür zu rügen, dass dort nicht besser aufgepasst wurde, aber auch die damalige rot-grüne deutsche Regierung (mit Finanzminister Hans Eichel) war in fahrlässiger Weise sorglos.





2.  Der Weg ins Schuldenloch und zum Vertrauensverlust

In den Jahren nach 2002 waren die Zinsen sehr niedrig - international und auch in der EU. Die Regierungen verschiedener Länder in der Euro-Währungsunion nutzten dies, indem sie sich über Staatsanleihen extrem verschuldeten und dabei auch die grossen nationalen Banken involvierten. Zu nennen sind insbesondere die sogenannten "PIIGS"-Länder, nämlich Portugal, Irland, Italien, Griechenland und Spanien. Genutzt wurden diese "Staatseinkünfte", um riesige Bauprogramme aufzulegen (Spanien), oder geradewegs zur betrügerischen Bestechung der eigenen Wähler (Griechenland).

Seit etwa drei Jahren wurden die Käufer dieser Staatsanleihen (deutsche Rentenversicherungen, amerikanische Pensionsfonds etc.) zunehmend skeptischer bezüglich der Rückzahlfähigkeit der Schuldnerländer, insbes., weil auch deren Bewertungen durch die internationalen Ratingagenturen immer schlechter wurden. Es war bald erkennbar, das einige Länder praktisch zahlungsunfähig waren und im privaten Bereich eigentlich Insolvenz hätten anmelden müssen. Die Staaten sassen im selbst bereiteten Schuldenloch. Sie hatten - und das war besonders wichtig - das Vertrauen ihrer Investoren verloren. Ihre Staatsanleihen wurden entweder überhaupt nicht mehr gekauft oder nur noch zu hohen Risikoaufschlägen. Der Zinssatz für mehrjährigen "Schuldscheine" dieser Art war bei 8 Prozent angelangt.

Trotzdem: die relative Verschuldung dieser Länder - bezogen auf die Einwohnerzahl - wird zumeist stark überschätzt. Nehmen wir Deutschland als Beispiel, das, besonders unter der Regierung Schröder, auch einen grossen "Schluck aus der Pulle" nahm. Inzwischen sind wir in der Staatsverschuldung bei 2.000 Milliarden Euro angelangt. Diese Zahl klingt ungeheuerlich, wird aber schnell relativiert, wenn man sie auf die 80 Millionen deutsche Einwohner bezieht. Wie leicht durch Division zu errechnen ist, beträgt die (fiktive) Verschuldung jedes Deutschen - vom Säugling bis zur Grossmutter, vom Hartzempfänger bis zum Milliardär - überschaubare 25.000 Euro. Ähnlich ist dieses Verhältnis in den meisten anderen Schuldnerstaaten. In den USA liegt die Verschuldung sogar bei satten 50.000 Dollar und in Japan ist sie ähnlich hoch.

Diesen 25.000 Euro Staatsverschuldung pro deutschem Bürger steht aber - und das ist wichtig - ein enormes staatliches und privates Vermögen gegenüber. Man könnte diese Verschuldung durch drastische Massnahmen sofort auf Null bringen - anders als in den Inflationsjahren 1923 und 1948, als praktisch alle Vermögenswerte in Deutschland vernichtet waren.





3.  Selbstfinanzierung der Euro-Länder wäre möglich

Eigentlich sollte es die Angelegenheit der Schuldnerländer sein, für die Gesundung ihrer Staatsfinanzen selbst zu sorgen. So ist es in den Verträgen von Maastricht angelegt. Das könnte auf verschiedene Weisen geschehen. In erster Linie über allgemeine Steuererhöhungen, z. B. auf Vermögen und Erbe, was im souveränen Recht jeden Staates liegt. (In Spanien wird gerade die Mehrwertssteuer von 18 auf 21 Prozent angehoben). Man kann aber auch die Wohlhabenden gesondert herausgreifen, indem man sie mit einer "Reichensteuer" belegt. Voraussetzung ist, dass sie ihren Wohnsitz noch im Schuldnerland haben und nicht (wie die meisten griechischen Oligarchen) bereits nach London ausgewichen sind. Im Gespräch sind auch "Zwangsanleihen" für die Reichen, welche den Charme haben, dass sie rückgezahlt werden. In Spanien und Italien sind die Privatvermögen vier Mal so hoch wie die Staatsschulden; warum also der Ruf nach deutschem Geld?

Ein interessanter Vorschlag zur Senkung der Zinslast finanzschwacher Eurostaaten kommt aus Finnland. Dort wurden die sogenannten "Pfandanleihen" ins Spiel gebracht. Spanien und vergleichbare Länder sollen ihre Anleihen mit Beteiligungen an staatlichen Unternehmen koppeln, was die Sicherheit erhöhen und die Zinsen erniedrigen würde. Im Falle der Insolvenz würde der Investor zum Eigentümer des jeweiligen Pfandes.



4.  Die derzeitige Rettungsarchitektur der Währungsunion

Erstaunlicherweise hat man sich schon bald nach Eintreten der Euroschuldenkrise in Brüssel auf die sogenannten Eurobonds verständigt. Der Euro-Gruppenchef Jean-Claude Juncker, ehemals luxemburgischer Ministerpräsident, war einer ihrer heftigsten Verfechter. Eurobonds sind Zinspapiere, die von allen Eurostaaten begeben werden und für die alle gemeinsam haften. Sie würden das Prinzip von Risiko und Haftung in eklatanter Weise aushebeln. Bundeskanzlerin Merkel hat sie zur Bewältigung der anstehenden Krise abgelehnt und allenfalls als spätere Möglichkeit erwogen, wenn wieder Stabilität eingekehrt ist.

Die Mittel der Wahl zur Rettung der Währungsunion sind derzeit der Fiskalpakt und der Rettungsschirm ESM. Der Europäische Fiskalpakt soll die verstärkte Zusammenarbeit der EU-Staaten auf dem Gebiet der Finanzpolitik erreichen. Insbesondere sollen die Staatsschulden zurückgeführt werden (Schuldenbremse!) durch verstärkte Überwachung  und Genehmigung neuer Kredite durch die Brüsseler Kommission. Die Verpflichtungen müssen in den jeweiligen nationalen Verfassungen ihren Eingang finden.

Der Europäische Stabilitätsmechanismus, kurz ESM,  wird auch Euro-Rettungsschirm genannt. Er ist eine Finanzinstitution in Luxemburg, die mit einem Kapital von 700 Milliarden Euros ausgestattet ist. Der ESM soll Notkredite und Bürgschaften an zahlungsunfähige Mitglieder gewähren, allerdings unter rigiden Bedingungen . (Deswegen windet sich derzeit Spanien noch, sich unter diesen Rettungsschirm - bzw. seinen Vorläufer EFES -  zu begeben). Der ESM ist eine Art Bank und soll von einem Deutschen geleitet werden. Gegen den ESM wurde beim Bundesverfassungsgericht Klage erhoben. Das Urteil soll am 12. September 2012 verkündet werden. Ich halte es für unwahrscheinlich, dass die Richter dieses 700-Seiten Vertragswerk in toto kippen werden. Wahrscheinlich sind allerdings einige zusätzliche Auflagen. Der ESM wurde inzwischen von allen Staaten der Währungsunion ratifiziert, ausser Estland, Italien und Deutschland. Das deutsche Risiko beim ESM liegt bei unter 200 Milliarden Euro; ich betrachte das Geschrei darüber für überzogen.

Dann gibt es noch diejenigen, welche die Integration der EU zu einem einzigen Staatenbund wollen. Dieser Megastaat wird noch lange nicht kommen. Ausserdem: wäre ein Bundeskanzler oder ein Präsident in Brüssel für alle eigentlich wünschenswert? Die Geschichte der einzelnen europäischen Länder, ihre verschiedenen Sprachen und Mentalitäten lassen sich nicht so schnell in einen Gesamtstaat vereinigen - sicherlich nicht in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts.



5.  Die Europäische Zentralbank als Retter in der Not

Die Europäische Zentralbank (EZB) in Frankfurt ist für die Geldwertstabilität innerhalb der Eurozone verantwortlich, allerdings - im Nebenzweck - auch für die Vermeidung konjunktureller Verwerfungen, wie einer Rezession. Sie kam in letzter Zeit in die Kritik, weil sie finanzklammen Staaten gelegentlich aus der Patsche half, indem sie ihre Anleihen (zu einem moderaten) Zinssatz aufkaufte und dafür Euros aushändigte. Im Ganzen sollen es 211 Milliarden Euro sein. Das war bei ihrer Gründung nicht vorgesehen, weswegen die deutschen Direktoriumsmitglieder Axel Weber und Jürgen Stark aus Protest schon dieses Gremium verliessen. Derzeit streitet sich der Bundesbankchef Jens Weidmann mit dem italienischen EZB-Chef Mario Draghi. Vielleicht wir auch Weidmann bald das Weite suchen. Es ist ein Konstruktionsfehler für die EZB, dass Malta das gleiche Stimmgewicht besitzt wie Deutschland mit seinen 27 Prozent des Risikos.

Betrachtet man das Ganze mit weniger Aufregung, so muss man sagen: Draghi (und sein Vorgänger Trichet) haben das Notwendige in einer schwierigen Situation getan. Wenn man den schlimmsten Schuldnerländer solidarisch, also mit Hilfe der Währungsunion helfen wollte, so blieb nur die Soforthilfe der EZB übrig. Weder der ESM noch der Fiskalpakt wirken in einen Notsituation spontan, sondern ihre Medikamente helfen nur mittel- und längerfristig. Nur die unabhängige EZB kann in kürzester Frist Hilfestellung geben, notfalls innerhalb eines Tages. Allerdings haben auch die Kritiker dieser Notfallmassnahmen nicht ganz unrecht: die EZB muss mit ihrer Kompetenz zur Geldschöpfung vorsichtig und sparsam umgehen, weil sie praktisch keine Bedingungen daran knüpfen kann. Aber die Inflationsgefahr ist in der nicht ausgelasteten europäischen Wirtschaft zur Zeit noch kein allzu grosses Risiko.



6.  Der Ausblick: eher optimistisch

Was die Lösung der Euroschuldenkrise anlangt, bin ich eher optimistisch. Die geschilderten Massnahmen beginnen zu greifen. In allen Ländern (ausgenommen vorläufig noch Italien) beginnen die Lohnstückkosten zu sinken, was ein wichtiger Gradmesser für die Wettbewerbsfähigkeit eines Landes ist. Entsprechend ziehen die Exporte an. Alle Schuldnerländer konnten in den vergangenen zwei Jahren ihre Ausfuhren steigern. Auch Italien bemüht sich. Der Premierminister Mario Monti will im nächsten Jahr seinen Haushalt ausgleichen, womit er auf einem ähnlichen Niveau wie Deutschland läge. Portugal hat sein Minus in den öffentlichen Kassen seit 2009 halbiert und auch Spanien kommt voran. Merklich besser geht es Irland; es kann sich schon wieder Geld auf den internationalen Märkten leihen. Früher oder später werden sich die guten Nachrichten durchsetzen und das Vertrauen der Investoren wird zurückkehren.

Ein Sonderfall ist Griechenland. Dieses Land ist extrem verschuldet und es wird noch lange dauern, bis es sich wieder auf dem Pfad der Tugend befindet. Sofern die kontrollierende Troika im Oktober nichts Allzuschlimmes entdeckt hat, sollte man auch dieses Land in der Eurozone belassen. Die (psychologischen) Vorteile wiegen schwerer als die monetären und ein paar weitere Jahre Zeitaufschub.

Wir gehen spannenden Zeiten entgegen. Vielleicht könnten auch die einmal Sorgen bekommen, die zuviel Gold und Immobilien gehortet haben.