Sonntag, 26. August 2012

Deutschland, deine TV-Philosophen

Karlsruhe ist nur eine mittelgrosse Stadt, deshalb beherbergt sie auch nur wenige Prominente. Ich spreche nicht von den B-Promis, also den Bürgermeistern, Landtagsabgeordneten und Autohändlern, die man gerade noch bis Staffort und Straubenhardt kennt. Nein, ich meine die wirklich Prominenten, die A-Promis, welche in ganz Deutschland, also auch in Castrop-Rauxel und in der Uckermark bekannt sind. Wenn ich recht sehe, besitzt Karlsruhe sogar nur einen dieser Geistesriesen: den Philosophen und Professor Doktor Peter Sloterdijk. Er ist sogar ein geborener Karlsruher, auch wenn sich seine deutsche Mutter in den Nachkriegswirren von ihrem holländischen Ehemann Sloterdijk bald getrennt hat. Der Sprössling Peter wurde in diesen Tagen 65 Jahre alt, möchte aber zu diesem "Vorkommnis" keine Stellung beziehen.

Die Karlsruher sind stolz auf "ihren Sloterdijk", der in München und Hamburg Philosophie, Geschichte und Germanistik studiert und  zwischen 1978 und 1980 sogar zwei Jahre im Ashram des indischen Gurus Bhagwan Shree Rajneesh hospitiert hat. Danach wirkte er als freier Schriftsteller, schrieb die "Kritik der zynischen Vernunft" sowie den 3-bändigen schwer lesbaren Wälzer "Sphären" und ist seit dem Jahr 2001 Rektor der Staatlichen Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe, wo er gleichzeitig Philosophie und Ästhetik doziert. Seine Studenten beklagen zuweilen, dass sie ihn dort nur selten sehen, was mit der unbändigen Reiselust des Professors zusammem hängt.


Der Philosoph Peter Sloterdijk

Sloterdijk gilt als "Starkstromdenker", der heiklen Themen nicht aus dem Weg geht. In seinem Buch "Du musst dein Leben ändern" (2009) empfiehlt er der Menschheit, sich Ordensregeln zu geben, um ihr Überleben zu sichern. Bei einem Vortrag in Basel propagierte er "Regeln für den Menschenpark" was ihm heftige Schelte, vorallem aus dem Lager der deutschen Euthanasiegegner, einbrachte. Berühmt ist der Karlsruher Professor wegen seiner enormen Sprachpotenz und als Meister von Metaphern. Um ein Beispiel zu nennen: das schlichte Wort Eigenlob würde er nie in den Mund nehmen - er spricht stattdessen von autogratulatorischen Phrasen. Für Peter Weibel, seinem Freund und Nachbarn im Museum ZKM, ist Sloterdijk ein "Denk- und Sprachereignis, der mit seiner Sprache die Welt konstruiert". Er stellt ihn in eine Reihe mit den deutschen Philosophenfürsten Nietzsche und Heidegger. Böswillige Menschen, und die gibt es zuhauf, sprechen bei Sloterdijks Suada manchmal auch von "Oberflächenrhetorik".

Das Philosophische Quartett

Trotz alledem, eine gewisse Ähnlichkeit zum ebenfalls sprachgewaltigen Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki ist gegeben und so war es nicht verwunderlich, dass der Fernsehsender ZDF bei Sloterdijk anklopfte, als der Bücherfreund im Jahr 2001 sein sehr populäres "Literarisches Quartett" auslaufen liess. Auf den Grosskritiker Reich-Ranicki sollte der Grossdenker Sloterdijk folgen. Der Karlsruher sollte eine vergleichbar erfolgreiche Sendung unter dem Titel "Das Philosophische Quartett" produzieren und den Deutschen die Philosophie schmackhaft machen, ähnlich wie dies Reich-Ranicki bei den Buchrezensionen gelang.

Dieses Unternehmen ging schief, wie man im Rückblick von gut zehn Jahren leider sagen muss. Das Philosophische Quartett war kein Publikumsrenner. Mit nur einer halben Million Zuschauern hatte es eine bescheidene Quote und  die Fernsehgewaltigen des ZDF reagierten, indem sie das Format zeitlich immer weiter nach hinten verlegten. Zum Schluss mussten die nur noch spärlichen Zuschauer bis 1 Uhr 20 nach Mitternacht wach bleiben. Im Mai 2012 war Schluss; das ZDF zog den Stecker. Angeblich soll die Anweisúng zur Einstellung des Quartetts direkt vom neugewählten Intendanten Thomas Bellut gekommen sein. In der Pressemitteilung wurde dies natürlich verbrämt; die Sendung sei "auserzählt" gewesen, hiess es dort. Sloterdijk blaffte zurück und bezeichnete dies als "Euthanasieformel". Der Professor war sauer darüber, dass man ihm diese mediale TV-Bühne just beim Eintritt ins Rentenalter genommen hatte.

Bei Sloterdijks Quartett lief vieles schief. Schon die Auswahl der (jeweils zwei) Gäste war häufig nicht schlüssig. Mal waren es relativ unbekannte Wissenschaftler, wie Gunnar Heinsohn, mal griff er auf typische Talkshow-Promis, wie Roger Willemsen und sogar Hans-Olaf Henkel zurück. Den unsäglichen Pseudophilosophen Bazon Brock paarte er mit dem Schöngeist und Schriftsteller Martin Mosebach, was eine fruchtbare Diskussion von vornherein unmöglich machte. Hinzu kam, dass Sloterdijk zwar sprachmächtig ist, aber für das Publikum nicht so eingängig formulieren kann wie sein Kollege von der Literaturabteilung. Das begann schon mit seinen stockend vorgebrachten Einleitungen, in denen seine Gedanken ellenlang ohne erkennbares Ziel mäanderten. So erinnere ich mich, dass er dem Religionshistoriker Jan Assmann eine weit hergeholte Eröffnungsfrage stellte, welche dieser nur mit ja oder nein beantworten konnte. Darauf liess sich kein Gespräch aufbauen. Mehr als einmal musste ihm sein treuer Knappe Rüdiger Safranski aus der Patsche helfen, indem er  der Diskussion eine gewisse Systematik vorgab.

Mit der Weisheit am Ende

Für die letzte Sendung am 13. Mai ds.J. hatte sich Sloterdijk ein besonderes Thema zurecht gelegt: über die Kunst des Aufhörens wollte er mit dem Schriftsteller Martin Walser und dem Verleger Michael Krüger sprechen. Safranski fehlte in diesem Schlussquartett; er hatte sich krank gemeldet, aber schon vorher über die Medien verlauten lassen, dass er "seinen Fernseher bereits vor fünf Jahren abgeschafft" habe. Sloterdijk hoffte wohl, sich mit diesem letzten Auftritt zum "Aufhörkünstler" verklären zu können, um den Rausschmiss beim ZDF zu kaschieren. Das ging allerdings gründlich schief. Walser, das Schlitzohr,  tat ihm nicht den Gefallen, in diesem Drehbuch mitzuspielen. Im Gegenteil, immer wieder betonte er, dass Aufhören keine erstrebenswerte Kategorie sei und er rief dem Moderator zu: "Es muss immer wieder weiter gehen; hören Sie bloss nicht auf." Ein Höhepunkt (an Zynismus) war seine Frage an Sloterdijk: "Vermissen Sie sich nicht selbst, wenn Sie nicht mehr im Fernsehen auftreten?" Die Zukunft wird erweisen, wie weit der Grossmeister der TV-Droge schon erlegen ist.

Richtig fuchtig wurde der Philosoph Sloterdijk, als er hörte, wen das ZDF zu seinem de-facto-Nachfolger erkoren hat: den 47-jährigen smarten Buchautor Richard David Precht. Sloterdijk wetterte: "Precht ist vom Handwerk her Journalist und als solcher Popularisator von Beruf. Seine Klientel gleicht eher der von André Rieu, den hören vorallem Damen über fünfzig in spätidealistischer Stimmung". Rumms! Glücklicherweise ist Sloterdijk nicht Fussballer; der Schiedsrichter hätte ihm dafür wohl die Rote Karte gezeigt


Richard David Precht, auch Philosoph?

Precht ging auf diese Attacke nicht direkt ein. Stattdessen gab er in einem Interview einen einzigen Satz von sich, den man damit in Verbindung bringen könnte: "Eine Gesellschaft, die sich so sehr in die Breite vernetzt und ständig neues Wissen sammelt, tauscht ihr Personal unglaublich schnell aus und archiviert es nicht mehr".

Die neue Sendereihe von Richard David Precht beginnt am Sonntag, dem 2. September um 23.25 Uhr beim ZDF unter dem einfach zu merkenden Titel:

"Precht"

Sonntag, 19. August 2012

Kennen Sie Himmelheber?

Nein, kennen Sie nicht? - Ich gebe Ihnen einen kleinen Tip: Himmelheber war ein gebürtiger Karlsruher und hat etwas erfunden, das sicherlich auch in Ihrem Haushalt zu finden ist. - Falsch geraten, nicht das Fahrrad, das hat der Baron Drais erdacht. - Der Dübel ist auch nicht richtig, den hat der Schwabe Fischer erstmals gebastelt. - Auch die Schrauben des Künzelsauer Unternehmer Würth können Sie vergessen. - Nochmals, es ist ein Alltagsgegenstand, den Sie bestimmt schon öfters gekauft und (manchmal mühsam) nach Hause transportiert haben. - Immer noch keine Idee? Dann werde ich das Rätsel auflösen.

Himmelheber war der Erfinder...

...der Pressspanplatte! Ja, jener Bretter, ohne die heute keine Küche und kein Buchregal mehr denkbar ist. Hätte Max Himmelheber nicht bereits im Jahr 1932 die Spanplatte erfunden, dann wäre später wohl auch nicht die Weltfirma IKEA entstanden und ihr berühmtes Selbstbauregal Billy wäre nicht als Ausstellungsobjekt im New Yorker Museum of Modern Arts gelandet. Himmelheber war damals schon graduierter Elektroingenieur, aber auf die Probleme in der elterlichen Schreinerei noch immer ansprechbar. Dort klagte sein Vater zum wiederholtem Male über die hohen Abfallmengen beim Möbelbau: nur 40 Prozent der gefällten Holzmasse wurden wirklich für Möbelbrettter genutzt; der Rest war Abfall aller Art. Der 28-jährige Filius dachte kurz nach, schredderte die Holzabfälle zu Spänen, verleimte diese zwischen zwei Furnieren und die Spanplatte - damals noch Homogenholz genannt - war geboren. Himmelheber jun. wurde mit dieser Idee zu einem reichen (mittelständischen) Unternehmer. Er sicherte seine Erfindung über 65 Patente ab und vergab weltweit an 70 Unternehmen Produktionslizenzen. Durch den Übergang vom Vollholz zur Spanplatte veränderte sich die Möbelbranche vom Schreinerhandwerk zur Industrie. Mehr als 80 Prozent der Möbel in deutschen Wohnzimmern, Schlafzimmern und Küchen sind heute aus Spanplatten gefertigt.


Max Himmelheber (1904 - 2000)

Kurios ist, dass die Spanplattenindustrie sich derzeit in grossen wirtschaftlichen Problemen befindet. Der Grund dafür ist, dass die Fertigung der Platten zu teuer wurde. Wegen der Energiewende gibt es plötzlich viele Abnehmer für Abfallholz, welche die Holzspäne (zum Beispiel in Form von Pellets) an private Haushalte verkaufen, die sie in ihren Öfen verfeuern. Der Spanplattenindustrie gehen also ihre Vorprodukte aus. Wo sie früher alleiniger Abnehmer war, muss sie sich nun mit vielen anderen um die Holzabfälle balgen. Diese Situation hat bereits dazu geführt, dass die Weltfirma Pfleiderer AG im oberpfälzischen Neumarkt in diesen Tagen in die Insolvenz geraten ist, sodass ein Sanierungsplan aufgelegt werden musste. Ihre gepressten Spanplatten waren viel zu teuer geworden und auf dem Weltmarkt nicht mehr abzusetzen.

Technikfreak und Menschenfreund

Max Himmelheber war von der ihm umgebenden Technik des vorigen Jahrhunderts begeistert. Jede Maschine im elterlichen Betrieb konnte er bedienen und im Bedarfsfall auch reparieren. Die Verbesserung des Schienengüterverkehrs hatte es ihm besonders angetan. In mehreren technischen Veröffentlichungen setzte er sich für Neubaustrecken im Schwarzwald ein und erwarb dafür sogar den Führerschein für Lokomotiven. Auch die Fliegerei betrieb er als Hobby. Das wurde ihm fast zum Verhängnis, denn da er natürlich auch den Flugschein besass, wurde er im 2. Weltkrieg sofort als Jagdflieger eingezogen. Bei einem Erkundungsflug über England schoss ihn die dortige Flugabwehr ab, aber Himmelheber konnte seine Maschine gerade noch landen. Er geriet in Gefangenschaft, wurde aber schon 1943 im Zuge eines Austauschprogramms für Piloten wieder nach Deutschland entlassen.

Nach Beendigung des Kriegs, als Karlsruhe weitgehend zerstört war und alle Bäume des Hardtwalds als Brennholz gefällt wurden, fehlte der elterlichen Schreinerei die materielle Basis. Himmelheber übersiedelte nach Baiersbronn bei Freudenstadt, wo er inmitten des noch intakten Schwarzwalds seine Spanplattenproduktion wieder aufnahm. Dort bracht er es zu ansehnlichem Wohlstand, sodass er sich mehr und mehr seinen Hobbies als Mäzen, Philosoph und Menschenfreund widmen konnte. Besonders am Herzen lag ihm die Ausbildung der Jugend, weswegen er sich im Bund Deutscher Pfadfinder engagierte. Zur Verbreitung seiner anthroposophisch angehauchten Ideen gründete er die Zeitschrift Scheidewege, die er über die Max-Himmelheber-Stiftung finanziell unterstützte. Im Dezember des Jahres 2000 starb Himmelheber 96-jährig in Baiersbronn.

Himmelheberstrasse?  Fehlanzeige

Bei meiner Recherche zu diesem Blog fiel mir auf, das der gebürtige Karlsruher Max Himmelheber in seiner Heimatstadt nicht mit einem Strassennamen geehrt ist. Die Gründe dafür sind mir nicht bekannt. Bedenkt man die Verbreitung seiner Erfindung, so wäre das sicherlich angemessen.

Blättert man nämlich das ansehnliche Heft der Karlsruher Strassennamen durch, so sind darunter wenige Personen, die sich mit Himmelheber vergleichen können. So werden nahezu alle Stadtpolitiker, posthum und nach einer gewissen Schamfrist, damit geehrt, dass man eine Strasse oder einen Platz nach ihren Namen benennt. Diesem Schicksal wird wohl auch nicht der noch amtierende Oberbürgermeister Heinz Fenrich entgehen können. Als standhaften Verfechter der U-Bahn-Bauten und des damit verbundenen 10-jährigen Verkehrschaos, wäre es wohl angemessen nach ihm

eine Sackgasse zu benennen.