Eine böse Überraschung
Und dann kam der 15. Juni 2012 - ein schwarzer Freitag. Um 15.30 Uhr ging Hippler bei einer arrangierten Veranstaltung ans Mikrofon und verkündete: "Ich muss Ihnen leider mitteilen, dass unsere schlimmsten Befürchtungen wahr geworden sind." KIT war bei den Schlussabstimmungen der Exzellenzinitiative durchgefallen; der mit Stolz immer wieder präsentierte Titel "Elite-Universität" war futsch. Der grösste maximale Unfall war eingetreten. Kein Wunder, dass die Sekttische leer blieben.
Mit diesem Abstieg aus der Champions Liga hatte kaum jemand gerechnet. Im Gegenteil, das KIT galt als unantastbarer Favorit für eine Wiederbenennung, entsprechend war die Zuversicht - um nicht zu sagen die Euphorie. Und nun dieses Desaster. Insbesondere für die Karlsruher Lokalpolitiker jedweder Couleur kam diese Abstimmungsniederlage als Schock. Zu gerne hatte man sich im Lichte einer herausragenden Universität gesonnt. Der Personalratsvorsitzende Wolfgang Eppler sah rabenschwarz: "Das ist eine mittlere Katastrophe für das KIT. Einige hundert Beschäftigte sind direkt von den Zuschüssen der Exzellenzinitiative abhängig".
Exzellenz-Universitäten; Sieger und Absteiger (nach DFG)
Der Verlust des Elite-Titels bringt ein gewaltiges Image- und PR-Problem mit sich. Womit soll das KIT (oder Göttingen und Freiburg) künftig werben? Dass es früher einmal "elitär" gewesen ist? Das wäre kontraproduktiv und geradezu lächerlich. Die neue Situation verschiebt auch die Machtzentralen innerhalb der alma mater. Die frühere Technische Hochschule Karlsruhe war dezentral geprägt durch ihre Fakultäten und deren Lehrangebote. Die Magnifizenz, der immer wieder wechselnde Rektor, war nur die notwendige Dekoration nach aussen. KIT hingegen wurde von anfang an streng zentral konfiguriert; das Präsidium übt operative Gewalt aus - fast wie der CEO in einer Aktiengesellschaft. Um die Präsidenten herum gibt es noch einen wohlbestückten Präsidialstab mit abgeleiteten Machtbefugnissen. Die Professoren und Dekane sind gaanz weit weg. Es wird interessant sein zu beobachten, wie sich nun das neue Machtnetz konstituiert, insbesondere nachdem der Gründungspräsident - siehe unten - so abrupt abhanden gekommen ist.
Die Schwachstellen
Die Verantwortlichen für dieses Debakel waren schnell gefunden. Die Forschungsanträge in den beiden Bereichen Nanotechnologie und Informatik waren durchgefallen. Und ohne diese sogenannten Exzellenzcluster war der Elitestatus nicht zu halten. Darüberhinaus sollen nach Medienberichten die Karlsruher Vertreter gegenüber den Gutachtern zu selbstbewusst, um nicht zu sagen zu arrogant aufgetreten sein. Eine Todsünde und absolut unprofessionell - sofern dieser Vorwurf stimmen sollte.
Dass sich das Institut für Nanotechnologie (INT) mit seinem Forschungsantrag "Funktionelle Nanostrukturen" im Wettbewerb nicht durchsetzen konnte, überrascht ganz besonders. Dieses Superinstitut wurde in den vergangenen 15 Jahren mit hohem finanziellen Aufwand aufgebaut und logiert nun in einem Gebäude, an dem nichts zu fehlen scheint. Auch die personelle Ausstattung ist hervorragend. Im Organigramm des INT sind 14 Abteilungen genannt, jede geleitet von einem Professor. Darüberhinaus gibt es noch 5 Gruppen, die von promovierten Wissenschaftlern geführt werden. Was in Erstaunen versetzt ist allerdings der Aufbau der Institutsleitung. Sie wird von Professor Horst Hahn und dem französischen Nobelpreisträger Jean-Marie Lehn wahrgenommen. Letzterer wird im Karlsruher Institut nur höchst selten gesichtet. Zumeist weilt er in seinem Heimatland, wo er auch noch zwei weitere Professuren in Strassburg und Paris wahrnimmt. (Multitasking ist also doch möglich!) Sein Input auf die Leitung des INT erscheint dennoch eher marginal zu sein; möglicherweise verleiht er aber dem Institut die Aura der Nobilität!
Auch der deutsche Institutsleiter Horst Hahn ist in Karlsruhe nur zeitweise anzutreffen, da er gleichzeitig an der TU Darmstadt noch das Gemeinschaftslabor Nanomaterialien führt. Offensichtlich hat der frühere Geschäftsführer des Forschungszentrums (Popp ?) das genannte Führungsduo mit grosszügigen Anstellungsverträgen ausgestattet. Von einer Präsenzpflicht in Karlsruhe scheint darin nicht die Rede zu sein. Egal, wo man die Schuld für die Ablehnung des Forschungsantrags sucht: das INT hat sich dabei - trotz seiner opulenten Ausstattung - nicht mit Ruhm bekleckert.
Im Bereich der Informatik wurde der Forschungsantrag "Verlässliche Software" ebenfalls abgelehnt. Hier scheint die Ursache klarer zu sein als im Falle der Nanotechnik. Das KIT ist in der Informatik im Vergleich zu früher zurückgefallen, wenn man den neuesten Bericht des CHE-Rankings zugrunde legt. Es belegt im Bewerberfeld der Universitäten nur noch einen guten Mittelplatz. Das KIT wird bei diesem Vergleich auf die gleiche Stufe gestellt wie die Uni Augsburg, die TU Clausthal, die TU Darmstadt, die Uni Kaiserslautern, die Uni Paderborn und das HPI Potsdam. Überflügelt wird das KIT von der Uni Passau und der Uni Saarbrücken. Von da her gesehen ist das Scheitern des KIT beim Exzellenzwettbewerb keineswegs überraschend. Es hat seine frühere Dominanz in der Informatik längst verloren. Die anderen waren einfach besser.
Der Kapitän geht von Bord
Das Scheitern des KIT hat tragische Züge, wenn man die jungen Forscher und die vielen kleinen Zulieferbetriebe ins Auge fasst. Sie tragen im Alltag zum grossen Teil die wissenschaftliche und betriebliche Last. Mit kurzlaufenden Verträgen und Aufträgen ausgestattet, werden sie die ersten sein, welche im KIT "freigesetzt" werden. Eine Korrektur des Auswahlergebnisses ist kurz- und mittelfristig nicht möglich, da die jüngste Initiative die letzte ihrer Art war. Wer jetzt "Elite" ist, bleibt es zumindest bis zum Jahr 2017; wer den Titel verloren hat, kann nicht nochmals antreten.
Vielleicht hat das KIT eine Chance bei der Auswahl zur Bundesuniversität, aber die baden-württembergische Wissenschaftsministerin Theresia Bauer hat hier bereits ihre Vorbehalte angemeldet. Und die Bundesbildungsministerin Annette Schavan ist wegen der immer noch andauernden Plagiatsdiskussion um ihre Doktorarbeit derzeit zu stark angeschlagen, um zu intervenieren. Der weitgehende Wegfall der Exzellenzmittel koinzidiert mit der Reduktion der Landesmittel im Gefolge des allgemeinen Sparprogramms. Frau Bauer hat bereits angekündigt, dass sie das wissenschaftliche Profil des KIT genau unter die Lupe nehmen wird. Es wäre nicht verwunderlich, wenn der Rotstift dabei die Restbestände der Kernforschung treffen würde, z. B. die Transmutation und die neuen Reaktoren.
Dass in dieser prekären Situation Professor Hippler, der "Vater" des KIT, Karlsruhe verlässt, um den vergleichsweise unwichtigen Job bei der Hochschulrektorenkonferenz in Hamburg anzutreten, ist schlechterdings unverständlich. Der Kapitän verlässt ( nach schlechtem italienischem Vorbild) das sinkende Schiff vorzeitig. Denn Hippler hat seine Arbeit bei KIT noch längst nicht getan. Im Gegenteil, der Rückschlag bei der Exzellenzinitiative fordert jetzt eigentlich jeden Mann - insbesondere ihn. Er hätte, zumindest bis Vertragsende, seine Stellung bei KIT halten sollen. So aber überlässt er seinem Co-Präsidenten Eberhard Umbach die ganze Last, das 9.200-Mann-Dickschiff KIT durch die Untiefen zu steuern. Eine grosse Aufgabe für jemanden, der bisher an der Universität Würzburg nur einige Dutzend Mitarbeiter ( mit grossem Erfolg) geführt hat.
Nein, Capitano Hippler hätte in Karlsruhe bleiben sollen, um sein Werk KIT nicht zu gefährden. In längst vergangenen Zeiten hätte man ihm zugerufen:
"Hic Rhodos, hic salta!