Weitgehend parallel zu der Diskussion um Grass' Gedicht (oder ist es ein Essay?) tobt ein Streit der Feuilletonisten um den Roman "Imperium" des schweizer, aber deutschsprachigen Schriftstellers Christian Kracht. Er ist dem grossen Publikum weit weniger bekannt als der berühmte deutsche Nobelpreisträger, aber von der dichterischen Potenz her Grass durchaus ebenbürtig. Sein Genre sind "Abenteurerromane" in der Art von Daniel Kehlmann, dessen 2005 erschienener Roman "Die Vermessung der Welt" wohlbekannt ist.
Wer mit Christian Kracht bekannt werden möchte, der sollte zuerst seinen Debütroman "Faserland" lesen, welcher bereits 1995 erschienen ist. Er beschreibt das Lebensgefühl und die Bewusstseinskrisen der jungen Menschen in der Mitte der neunziger Jahre (dtv, 10 Euro). Ein namenloser junger Mann durchstreift als Abenteuerer ganz Deutschland von Sylt bis in die Schweiz nach Zürich und nimmt sich in der Mitte des dortigen Sees (vermutlich) das Leben. Kracht beschreibt in diesem Roman ein Land im Champagner- und Drogennebel, eine elternlose Generation auf der Suche nach Schmerz und Verletzung, ein reiches Land, das emotional arme Kinder in die Welt gesetzt hat.
Christian Kracht, 45
Krachts letzter Roman mit dem Titel "Imperium" erschien 2012 im Verlag Kiepenheuer & Witsch (18 Euro) und war von Beginn an ein Renner. Bislang sollen bereits 100.000 Exemplare ausgeliefert worden sein. Trotzdem steht er heftig in der Kritik, weil er den Autor angeblich in der Nähe von (politisch) rechtem Gedankengut zeigt.
"Imperium" erzählt von dem (historisch verbürgten) Nünberger August Engelhardt, der sich zum Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts mit einer kleinen Erbschaft in die Südsee einschiffte, um in Papua-Neuguinea (damals noch Deutsch-Guinea) ein Fleckchen Land zu kaufen, wo er ungestört der Kokosnuss, dem Freikörperkult und der Sonne frönen konnte. Der sehnlichste Wunsch des etwas verklemmten Auswanderers war es, die Kolonie Kokovaren zu schaffen, worin er sich als Missionar und Prophet und Vegetarier sah. Eigentlich eine harmlose Geschichte, aber poetisch hinreissend geschrieben.
Der Schriftsteller Kracht ein Nazi?
Doch kaum war dieser 250-Seiten-Roman veröffentlicht, als der Chefkritiker des "Spiegel", Georg Diez, seine ganz grosse Keule auspackte. Wenn man genau hinschaut, so Diez, ist der Roman von Anfang an durchdrungen von einer rassistischen Weltsicht...hier gibt es noch Herren und Diener...Weisse und Schwarze... Da Engelhardt Vegetarier und Maler war, sieht Diez in dem Werk eine Stellvertreter- und Aussteiger-Saga über Hitler (!). Und zum Schluss seiner Philippika resümiert Diez: Was will Christian Kracht? Er ist ganz einfach der Türsteher der rechten Gedanken. An seinem Beispiel kann man sehen, wie antimodernes, demokratiefeindliches , totalitäres Denken seinen Weg findet hinein in den Mainstream.
Der Roman "Imperium"
Die Replik
Starker Tobak, was der Kritiker da von sich gab. Und die Antworten liessen nicht lange auf sich warten. Verständlich, dass Helge Malchow, der Verlagsleiter von Kiepenheuer & Witsch seinem Autor sekundierte und Diez in die Parade fuhr. Er verweist auf einige andere Schriftsteller, welche das Genre der Kolonialisierung im 19. Jahrhundert ebenfalls beschrieben haben - ohne als geistige Wegbereiter Hitlers gebrandmarkt zu werden. Malchow fasst zusammen: So wird aus Literaturkritik der Versuch der Ausgrenzung eines der begabtesten deutschsprachigen Schriftstellers und aus einer Buchbesprechung wird eine Denunziation, gegen die das Opfer sich rechtfertigen muss. McCarthy reloaded.
Auch die Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek sprang Kracht bei, indem sie feststellte: Einer von uns ist verrückt, entweder Herr Diez oder ich. In der Folge unterstützten 17 Schriftstellerinnen und Schriftsteller Frau Jelinek, indem sie einen geharnischten Brief an die Redaktion des Spiegels schrieben. Nun ruderte auch der Chefkritiker Diez (partiell) zurück. Er liess in seinem Hausblatt verlauten, dass seine Türsteher-Formulierung zugespitzt war und bekannte ferner: ...das Bild ist schief, es sollte Kracht nicht verletzen...vielleicht bin ich wirklich verrückt, wie Elfriede Jelinek vermutet...in der Literatur ist nichts verboten...es ist auch nicht rechtsradikal, dieses Spiel von Kracht.
Die schweizer Zeitungen z. B. die Tageswoche, registrieren diese bierernste deutsche Debatte mit Verwunderung bis Amüsement. Die Literaturwelt hat endlich wieder einen Skandal. Sie kennen ihren Landsmann Kracht seit langem und sind stolz auf ihn. Kracht steht in der Schweiz für gebrochene Anti-Helden und wer daraus Antisemitismus herauslesen will, ist selbst schuld. In Wirklichkeit sind es zumeist bitterböse und grandiose Satiren. Er lässt keine Gelegenheit aus, um einigen Zeitgenossen heftige Seitenhiebe zu verpassen Zu diesen gehört auch ein kleiner Vegetarier mit einer absurden schwarzen Zahnbürste unter der Nase. Was ist Spiel, was ist Ernst, fragt man sich bei Kracht immer wieder. Am Schluss ist es eine Mischung aus beidem. Kracht ist eben ein Gesamtkunstwerk. Alles an ihm ist Inszenierung,
Momentan herrscht Funkstille bei den Kontrahenten der Feuilletons. Ich empfehle, während dieser Ruhephase Krachts beide Romane "Faserland" und "Imperium" zu lesen. Viel Spass!
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