Der Winter scheint sich dem Ende zuzuneigen. Zeit für eine Rückschau in der Stromversorgung, nachdem Frau Merkel unmittelbar nach Fukushima in einer Holterdiepolterentscheidung acht deutsche Kernkraftwerke vom Netz geholt hat. Dass sie ein Risiko einging, war ihr wohl schon im März 2011 bewusst, sonst hätte sie nicht darauf gedrängt, einige Kraftwerke als sog. Kaltreserve in Bereitschaft zu halten. Anfangs dachte sie sogar an Kernkraftwerke wie Philippsburg und Biblis, aber die Betreiber mochten ihr den Gefallen nicht tun als Notnagel zu agieren. Deshalb resortierte sie zu einer Reihe von uralten Kohlekraftwerken - die dann auch wirklich benötigt worden sind.
Auf Kante genäht
Es kam, wie es kommem musste. Vom März bis zum Dezember wurde Deutschland von einem Stromexportland zu einem Importland. Die (sicherheitstechnisch) nicht besseren Kernkraftwerke in Frankreich und Tschechien haben das deutsche Stromdefizit ausgeglichen. Und - á las - für einige Tage um die Jahreswende haben wir sogar die Franzosen aus einer Bredouille geholfen und ihnen Strom für ihre privaten Heizanlagen geliefert, eine Steinzeittechnik die in Deutschland gar nicht mehr gestattet ist.
Aber zwischen dem 6. und 9. Februar 2012 kam es dann doch zu dramatischen Situationen. Der Strombedarf stieg und stieg mit der Folge, dass in aller Eile die ältesten und (ökologisch) dreckigsten fossilen Kraftwerke hochgefahren werden mussten, um das Netz nicht zusammenkrachen zu lassen. In Mannheim wurde ganz schnell der Block 3 des dortigen Grosskraftwerks in Betrieb gesetzt, der zwar schon im Jahr 1966 gebaut worden ist, der aber immerhin noch 100 Megawatt liefern konnte. Und in Österreich, bei Graz, wurde ein betagtes Ölkraftwerk hochgefahren, um den händeringenden Bitten der deutschen "Piefkes" entgegen zu kommen. Für gutes Geld, selbstredend.
Was war geschehen? Nun, in dieser frostigen Zeit des Februars 2012 stiegen die Anforderungen der Stromverbraucher. Man muss wissen, dass nicht jeder kleine Stromnutzer seine Kilowattstunden bei den Kraftwerken bestellen kann, sondern das tun - wie bei vielen anderen Produkten auch - die Grosshändler. Und das sind in der Regel Schlitzohren, sonst wären sie nicht "gross". Wegen der tiefen Temperaturen stiegen an der Leipziger Strombörse die Preise für die Ware Strom kontinuierlich. Von 50 Euro pro Megawattstunde - was ziemlich normal ist - auf bald 100 Euro, 200 Euro, 300 Euro, ja bis auf 380 Euro pro Megawattstunde. So eine Preissteigerung gab es bis dato noch nie. Und hier setzte die Strategie der Grosshändler ein: sie orderten einfach weniger Strom bei den Kraftwerken, worauf die Preise (Angebot und Nachfrage!) wieder fielen. Natürlich war das reine Augenwischerei, denn der wirkliche Strombedarf der deutschen Privat- und Industriekunden hatte sich nicht im mindesten geändert: er blieb auf Rekordhöhe.
Nun war die Deutsche Netzagentur gefordert, eine Behörde, der es obliegt Angebot und Nachfrage in Übereinstimmung zu bringen. Sie brachte wirklich das Kunststück fertig in diesen kritischen Tagen das Netz einigermassen stabil zu halten. Dafür fuhr sie nicht nur alle "alten Mühlen" hoch, wie oben beschrieben, sondern sie musste sogar die Pumpspeicherkraftwerke nutzen, deren Strom eigentlich nur als Regelleistung für die Notfälle gedacht ist. Aber der Preis für diesen Strom ist auf "nur" 100 Euro pro Megawattstunde fixiert - und darauf hatten es die schlauen Stromhändler abgesehen. Statt 380 Euro zahlten sie nur 100 Euro - natürlich bei Inkaufnahme des Risikos für einen totalen Netzzusammenbruch. Ich hoffe, dass diese Gauner nachträglich für ihre "Lastprognosefehler" entsprechend sanktioniert werden.
Im Südwesten fehlt die Grundlast
Wegen der Abschaltung der beiden Atomkraftwerke KPP 1 und GKN I war die Stromsituation inbesondere in Baden-Württemberg sehr prekär. In diesem hochindustrialisierten Bundesland fehlt es einfach an Grundlastkraftwerken, welche die Industrie 24 Stunden am Tag sicher mit Strom versorgen können. Die zwei im Bau befindlichen grossen Kohlekraftwerke in Karlsruhe und Mannheim werden als Kompensation nicht ausreichen. Aber zusätzliche Blöcke werden dauern. Es muss daran erinnert werden, dass auch ein fossiles Kraftwerk eine Bauzeit (von der Planung bis zur Inbetriebnahme) von mindestens sechs bis sieben Jahre benötigt. Und dann darf im Genehmigungsverfahren nichts schief laufen. Hierfür gibt es leider genügend negative Beispiele, wie etwa das Kohlekraftwerk Datteln in Nordrhein-Westfalen. Auch Materialprobleme - etwa bei den Dampferzeugern - tragen immer wieder zu mehrjährigen Bauzeitverlängerungen bei, wenn man den Wirkungsgrad zu ehrgeizig nach oben treiben will.
Bei den Energiewerken Baden-Württemberg (EnBW) hat man grosse Hoffnungen auf auf den Windpark Baltic 1 in der Ostsee gesetzt. Bereits im September 2010 wurde er von der Bundeskanzlerin mit grossem Trara in Betrieb genommen. Leider konnte er erst ein halbes Jahr später ans Netz angeschlossen werden; angeblich hatte der Netzbetreiber "50 Hertz" technische Probleme mit dem Anschluss. Generell scheint man das Potential der Windparks in der Nord- und Ostsee zu überschätzen. Dort liegen 2600 Schiffswracks und die Techniker müssen höllisch genau darauf achten, wo sie Stromtrassen verlegen können. Ausserdem sind in der Nordsee die ozeanografischen Bedingungen wegen des Wellengangs und starker Strömungen sehr schwierig. So haben sich an den Gründungen der Anlage "Alpha Ventus" überraschend schnell Vertiefungen (Kolke) gebildet, welche die Standfestigkeit der Windräder gefährden können.
Die Abschaltung der zwei genannten Kernkraftwerke hat die Bilanzsituation der EnBW einschneidend verändert. Während früher durchweg ein Konzerngewinn von zwei Milliarden Euro anfiel, hatte man im Jahr 2011 erstmals einen Verlust von 500 Millionen zu beklagen. Das Unternehmen geriet in finanzielle Schwierigkeiten und musste durch staatliche Sonderfinanzierungen gerettet werden. Dem derzeitigen Vorstandsvorsitzenden Hans-Peter Villis kostete dies den Kopf; sein Vertrag wurde nicht verlängert, er muss im Herbst wohl gehen. Nachfolger werden bereits gesucht, aber sie scheinen nicht Schlange zu stehen; immerhin müssen sie mit einer grün-roten Landesregierung zurandekommen. Immer wieder im Gespräch für die Villis-Nachfolge ist die ehemalige Sprecherin der Grünen, Frau Gunda Röstel - von Beruf Sonderschulpädagogin!
Kretschmann verändert den Schwarzwald
Bei den Windmühlen vollzieht sich derzeit im Ländle ein Wechsel der Politik. Unter dem ehemaligen Ministerpräsidenten Erwin Teufel waren sie verpönt, insbesondere in der Nähe des Schwarzwaldes. Der jetzige Regierungschef Winfried Kretschmann verfolgt eine andere Philosophie, wenn er sagt: "Eine Änderung der Industriegesellschaft verändert die Landschaft; das ist der Preis, den wir für den Fortschritt zahlen müssen". Er möchte den grossflächigen Ausbau der Windenergie und will auch nicht die Kämme des Schwarzwalds von der Bebauung ausnehmen. Die rigiden Genehmigungsvorschriften seiner CDU-Vorgänger werden bereits gelockert und allseits bilden sich (unheilige) Allianzen zwischen Gemeinden, Bauern und Investoren. Für die Landwirte ist es allemal einträglicher jährlich ein- bis zweitausend Euro pro Windradbauplatz zu kassieren, als in bergiger Landschaft mühevoll Milchwirtschaft zu betreiben.
Auch die Förster sind mit im Boot. Holzpellets sind bereits zum guten Geschäft geworden, aber so richtig lukrativ sind die Windräder. Sie versprechen Pachtverträge von 10.000 Euro pro Jahr, insbesondere, wenn sie auf den Kämmen des Schwarzwalds aufgestellt werden. Derzeit diskutiert man das Münstertal südlich des (grünen) Freiburgs mit den Hausbergen Schauinsland (1284 m) und dem Belchen(1414 m) - mitten im touristischen Gebiet. Die Hotelbesitzer und Naturschutzverbände wehren sich zwar noch, aber das Spiel ist bereits verloren. In wenigen Jahren wird der Schwarzwald mit rotierenden Kaventsmännern von 200 Metern Höhe bestückt sein, welche das grösste europäische Kirchengebäude, das Ulmer Münster (161 m), locker überragen werden.
Kretschmann ficht das nicht an; er hat offensichtlich seine eigene Ästethik, wenn er sagt: "Letztlich muss man doch sagen, dass Windräder schöne Maschinen sind - eben ein Zeichen der neuen Zeit".
Nächsten Winter gibts die Nagelprobe
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