Sonntag, 22. Januar 2012

Das Mirakel des Hauses Brandenburg (2)

Friedrich II. von Preussen war 1759 auf dem Schlachtfeld von Kunersdorf von der vereinigten Armee der Österreicher und Russen vernichtend geschlagen worden. Der Brandenburger hatte die Topografie des Geländes falsch eingeschätzt und seine Truppen in eine Niederung geführt, wo sie von den Kanonen der gegnerischen Allianz erbarmungslos zusammengeschossen wurden. Den Rest besorgten die damals aufgekommenen Freikorps, die österreichischen Panduren und die russischen Kosaken. In Landknechtsmanier und zuweilen aus purer Mordlust töteten sie die Verwundeten und beraubten sie ihrer Kleidung und Waffen. Der Weitermarsch der feindlichen Truppen nach Berlin und die Einnahme der nahezu unbefestigten Hauptstadt war in Kürze zu erwarten. Aber nichts dergleichen geschah. Ja, nach einigen Wochen gespannter Ruhe konnten die Preussen - o Wunder - sogar beobachten, das sich die Russen nach Osten absetzten und die Österreicher sich in ihr Kernland nach Süden zurückzogen.

Was war geschehen? Nichts weniger als ein Wunder! Friedrich bezeichnete es in einem Brief an seinen Bruder Heinrich als "das Mirakel des Hauses Brandenburg". Der Grund dafür war, dass sich in Russland immer mehr die preussenfreundliche Stimmung des Grossfürsten Peter durchsetzte. Als 1761 seine Mutter, die Zarin Elisabeth II. starb und er als Peter III. ihr Nachfolger wurde, kündigte Russland das Bündnis mit Österreich auf und stellte sich an die Seite Preussens. Und im Reich der Habsburger kam es ebenfalls zu einer Wende: der brillante 38-jährige Minister Wenzel Anton von Kaunitz regelte die Bündnisstruktur Österreichs neu und stellte den Krieg mit den Preussen ein.

Im Frieden von Hubertusburg (1763) beendeten die drei Kombattanten Friedrich, Maria und Katharina - die inzwischen als Nachfolgerin von Peter III. auf dem russischen Thron sass - ihren Waffengang und damit den Siebenjährigen Krieg. Friedrich II. offenbarte sich ein weiteres Mal als gerissener Verhandler, denn er durfte alle seine früher eroberten Gebiete behalten, insbesondere Schlesien und grosse Teile von Sachsen.

Die erste Teilung Polens

Einen bedeutsamen Gebietszuwachs erhielt Preussen durch die sogenannte Erste Teilung Polens im Jahr 1772. Der Doppelstaat Polen-Litauen, ein Land grösser als Frankreich, war durch ständige innere Unruhen geschüttelt. Die Hauptursache war seine Wahlmonarchie, wobei die rivalisierenden Adelsfraktionen ständig darum kämpften, ihre jeweiligen Kandidaten auf den Thron zu hieven. Darüberhinaus lähmten strukturelle Schwächen der polnischen Verfassung das politische System, weil jedes Mitglied des Reichstags (Sejm) mit seinem Einspruch die Mehrheit lahmlegen konnte.

Diese innere Zerrissenheit Polens - auch als "polnische Wirtschaft" bezeichnet - wurde von den Nachbarländern intensiv beäugt. Als dieses Land, wegen bürgerkriegsähnlicher Unruhen, wieder einmal unfähig zur Verteidigung seiner Grenzen war, schlugen Preussen, Russland und Österreich  zu. 1772 annektierten die drei Nachbarländer grosse Gebietsteile Polens. Die Russen nahmen sich 12,7 Prozent, die Österreicher 10,8 Prozent und Preussen 5 Prozent. Letztere ergatterten damit zwar nur den kleinsten Brocken, aber er war der wichtigste: Preussen konnte mit diesem Gebiet um Bromberg die Lücke zwischen Ostpreussen und den Kernprovinzen der Hohenzollernmonarchie schliessen, was strategisch von immensem Wert war.




Die Erste Teilung Polens
(Preussens Landgewinn senkrecht schraffiert und rot umrandet)

Der Vorschlag zur Aufteilung von Polen-Litauen kam übrigens von Friedrich II. In seinem politischen Testament von 1752 verglich er Polen mit einer "Artischocke", die man "Blatt für Blatt" essen müsse. Bei der 2. Teilung Polens im Jahr 1793 (nach Friedrichs Tod) gingen weitere grosse Gebietsteile an die Nachbarn, wodurch Polen nur noch ein Rumpfstaat war. Und zwei Jahre danach (3. Teilung) wurde auch noch der Rest dieser einst mächtigen Adelsrepublik aufgeteilt.

Starke Frauen

Friedrich II. war umgeben von zwei charismatischen Herrscherinnen: Maria Theresia von Österreich und der Zarin Katharina II. von Russland, welche später den Ehrentitel "die Grosse" erhielt. Obschon charakterlich total verschieden, waren beide sehr kluge Politikerinnen - jedenfalls im Sinne der damaligen Zeit.

Maria Theresia war die Tochter von Kaiser Karl VI., der ohne männliche Nachkommen starb. Eigentlich stand ihr die Kaiserwürde zu, aber sie verzichtete darauf zugunsten ihres Gatten Franz Stephan von Lothringen, der 1745 als Franz I. Stephan zum römisch-deutschen Kaiser gewählt wurde. In praxi war aber Maria Theresia nicht nur die regierende Erzherzogin von Österreich und Königin von Ungarn, sondern auch die (ungekrönte) Kaiserin, da ihr Ehemann sich wenig bis gar nicht um seine Regierungsgeschäfte kümmerte. Das Paar führte eine mustergültige Ehe aus der 16 Nachkommen hervor gingen, welche sie mit grosser Liebe umsorgten und die sie strategisch gut verheirateten ("tu felix Austria nube").

Ein anderes Kaliber war Katharina II. von Russland. Sie war eine geborene deutsche Prinzessin aus dem Hause Anhalt-Zerbst und wurde 1744 - auf Vermittlung ihres Cousins Friedrich II. - mit dem russischen Thronfolger und Grossfürsten Peter verheiratet. Die Ehe war nicht glücklich, denn Peter haftete ein albernes Gehabe an und ausserdem war er ständig betrunken. Zudem hatte er eine grosse Vorliebe für die Preussen und deren Militärwesen. Als er 1762, nach dem Tod der Zarin Elisabeth, sogar die preussischen Militäruniformen beim russischen Heer einführte und einen Sonderfrieden mit Friedrich schloss (ein weiteres "Mirakel") wurde er von den beiden adeligen Brüdern Orlow erdrosselt und seine Witwe als Katharina II. zur Zarin ausgerufen. Die junge Herrscherin machte zwar auch ihren Frieden mit dem Preussenkönig, aber gleichzeitig dehnte sie den russischen Machtbereich immens aus. In zwei Kriegen gegen die Türken eroberte sie den Zugang zum Schwarzen Meer sowie weite Küstengebiete. Zusammen mit den Teilungen Polens gewann sie mehr als eine Million Quadratkilometer neues Land, sodass sie als Katharina die Grosse in die russische Geschichte einging.

Katharina galt als sexbesessen; mehr als zwanzig Liebhaber sind namentlich bekannt. Einer der ersten war der Grossfürst Orlow (der mutmassliche Mörder ihres Ehemanns), ein anderer der Fürst Potjomkin, der die Schwarzmeerflotte befehligte. Ihre ehemaligen Liebhaber bedachte sie mit grosszügigen Geschenken, sodass ihr von ihnen keine Gefahr drohte. Katharina starb 1796 in St. Petersburg im Alter von 67 Jahren an einen Schlaganfall.

Der Alte Fritz

Doch zurück zu Friedrich II. Durch die drei Schlesischen Kriege und den Landraub an Polen hatte er Preussen  als fünfte Grossmacht (nach Frankreich, Österreich, Russland und England) auf die politische Landkarte gebracht. Dafür mussten 400.000 Landeskinder ihr Leben lassen, immerhin zehn Prozent der Gesamtbevölkerung. Zur Abschreckung der Nachbarn unterhielt Friedrich weiterhin eine grosse Armee von 195.000 Soldaten bei einer Einwohnerzahl von 5,8 Millionen. Spötter sagten deshalb: "Die preussische Monarchie ist nicht ein Land, das eine Armee hat, sondern eine Armee, das ein Land hat, in dem diese einquartiert ist.

Trotzdem, die letzten 23 Jahre vom Ende des Siebenjährigen Krieges bis zu seinem Tode war Friedrich II. pazifistisch gestimmt - von einem kleinen Scharmützel in Böhmen während des Bayerischen Erbfolgekrieges einmal abgesehen. Nach seiner trostlosen Jugend und seiner Phase als Kriegsherr war die Periode des "Alten Fritz" angebrochen. In seiner von Schnupftabak befleckten alten Hauptmannsuniform bereiste er unentwegt sein Land und die Menschen fürchteten ihn nicht mehr sondern begannen ihn zu achten, ja zu lieben. Er milderte die Leibeigenschaft (trotz heftigen Widerstands des Landadels) und entwickelte sein Rechtsempfinden zum "Allgemeinen Landrecht". Berühmt wurde die Affäre des Müllers Arnold, dem er zu seinem Recht verhalf, als ein benachbarter Junker den Mühlbach in seine Karpfenteiche ableiten wollte. Die Trockenlegung des Oderbruchs und insbesondere die Einführung der Kartoffel als Grundnahrungsmittel fielen in seine Regentschaft. Zudem wurden Hunderte von Schulen gebaut. Da es jedoch an ausgebildeten Pädagogen mangelte, kommandierte Friedrich ehemalige (meist kriegsversehrte) Unteroffiziere als Lehrer ab, die häufig aber selbst nicht des Lesens und Schreibens kundig waren.


Der Alte Fritz (um 1781)

Friedrich blieb ohne Nachkommen und bestimmte seinen Neffen Friedrich Wilhelm als seinen Nachfolger. Im Gegensatz zu seinem Onkel war dieser ein wahrer Luftikus. Seine erste Ehe wurde schon bald nach beiderseitigen Seitensprüngen geschieden; aus der zweiten Ehe gingen sieben Kinder hervor. Daneben hatte Friedrich Wilhelm sieben weitere Nachfahren aus einer lebenslangen Beziehung mit einer Mätresse und zwei Ehen "zur linken Hand". Friedrich II. war es mit einer strengen Haushaltsdisziplin gelungen einen Staatsschatz von 58 Millionen Talern zu hinterlassen. Sein Nachfolger Friedrich Wilhelm II.verschleuderte diese gewaltige Summe innerhalb von elf Jahren!

Der lange Reise nach Sanssouci

Friedrich der Grosse starb am 17. August 1786 im Alter von 74 Jahren in seinem Stuhl auf Schloss Sanssouci. Eigentlich wollte er mit seinen Hunden auf der Terrasse seines Sommerschlosses begraben werden, aber der Thronfolger Friedrich Wilhelm II. ignorierte diesen Wunsch seines Onkels und liess ihn stattdessen in der Potsdamer Garnisonskirche beerdigen - neben dem ungeliebten Vater, dem Soldatenkönig! In der Endphase des 2. Weltkriegs wurde der Sarg 1944 in die Elisabethkirche nach Marburg verbracht und später in die Kapelle der Burg Hohenzollern.  Erst am 17. August 1991, also nach 205 Jahren, wurde Friedrich endlich auf den Terrassen von Sanssouci feierlich beigesetzt. Bundeskanzler Kohl und die Spitzen der deutschen Politik waren bei diesen Akt vertreten.

Friedrichs schriftlicher Anweisung "ich habe als Philosoph gelebt und will als solcher begraben werden, ohne Gepränge, ohne feierlichen Pomp, ohne Prunk" wurde damit ein weiteres Mal nicht entsprochen.

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