Sonntag, 30. Oktober 2011

Studiengebühren gestern und heute

Oktoberzeit ist Erntezeit. Die Winzer sammeln ihren Wein ein, die Universitäten ihre Erstsemester. An der Universität Karlsruhe (Pardon: KIT Campus Süd) haben sich 4.900 dieser "Erstis" eingeschrieben; ihnen werden gute Ratschläge zur unfallfreien Überwindung der vielen Baustellen mitgegeben. An den Münchener Eliteuniversitäten ist man da schon generöser. Jeder der 9.000 Inscribenten an der Ludwig-Maximilian-Universität (LMU) erhält einen schickem Rucksack mit Aufschrift und die Alma Mater bietet sogar Einführungsseminare für das Münchener Nachtleben an. Bei der konkurrierenden Technischen Universität München (TUM) grummelten die 8.000 Erstsemester zwar über die zu wenigen Parkplätze beim Garchinger Campus, aber Präsident Herrmann konnte sie mit 5.000 Litern Freibier aus der TU-eigenen Brauerei Weihenstephan beruhigen.

Diskussionsstoff, wie in den vergangenen Jahren, boten wieder die Studiengebühren. 500 Euros müssen Alt- und Neusemester bei der Verwaltung löhnen, wenn ihre Einschreibung rechtswirksam sein soll. Vielen Studis ist diese Summe zu hoch, nicht wenige wollen sie ganz abschaffen und bedrängen mit diesem Verlangen die Politiker. Nicht ohne Erfolg, denn in den ehemaligen CDU/FDP-regierten Ländern Hamburg, Saarland, Hessen, Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg sind die Studiengebühren nach Wahlniederlagen der Konservativen bereits wieder abgeschafft; nur in Niedersachsen und in Bayern besteht man noch darauf. Aber auch im Freistaat, denkt Ministerpräsident Horst Seehofer, dieser ewige Wendehals, an deren Verzicht.

Münchener Reminiszenzen

Vor gut fünfzig Jahren, von 1952 bis 1961 studierte ich nacheinander an der Universität München und der (damaligen) Technischen Hochschule München Physik (Diplom und Dr.) sowie dann wiederum an der Universität Betriebswirtschaft (Diplomkaufmann). So kurz nach dem Krieg kam kaum ein Student mit dem eigenen Auto, stattdessen schätzte sich jeder glücklich, wenn er ein Fahrrad besass, das er während der Vorlesungen einfach an die Gebäudewand der Uni lehnte. Die Aufnahme der Erstsemester, hingegen, war nicht einfach ein bürokratischer Verwaltungsakt, sondern eine feierliche Angelegenheit. Die Zeremonie begann mit dem gemessenen Einzug des Professorenkollegiums in ihren - je nach Fakultät - verschiedenfarbigen Talaren in die prächtige Aula der Universität. Es folgte die Aufführung eines Musikstücks; nach meiner Erinnerung war es die Egmont-Ouvertüre, gespielt von den Münchener Philharmonikern unter der Leitung von Hans Knappertsbusch(!). Der Rektor, welcher auf den eindrucksvollen Namen Mariano San Nicolo hörte, wollte es sich nicht nehmen lassen, jeden der Neuinscribenden per Handschlag auf seine studentischen Aufgaben hin zu verpflichten. Es dauerte eine geschlagene Stunde bis ich, einer der Letzten, "dran war".

Aber Studiengebühren - man sprach damals vom "Unterrichtsgeld" - gab es auch schon. Und die Höhe dieses Unterrichtsgeldes war beachtlich, insbesondere, wenn man es mit dem damaligen Einkommen verglich. Zum Beweis lege ich drei Ausrisse aus meinen damaligen Studienbüchern vor, die jeder Student handschriftlich zu führen hatte. So zahlte ich im Sommersemester 1953 die stattliche Summe von 226 Deutsche Mark (DM), wobei ein chemisches Praktikum - das ich, wegen Platzmangels, in den Semesterferien ganztägig abzuleisten hatte - mit 65 DM zu Buche schlugen.

Unterrichtsgeld im Sommersemester 1953 an der Uni München

Nach sieben Semestern an der Uni wechselte ich zur nahen Technischen Hochschule (TH), weil dort ein Professor gekommen war (Maier-Leibnitz), dem man einen Forschungsreaktor in Garching versprochen hatte. Es war das später berühmt gewordene "Atom-Ei". Auch an der TH, jetzt nennt sie sich Techniche Universität, war das Studium nicht kostenlos. Der Studienbuchausriss aus dem Wintersemester 1956/57 mit 150 DM für Unterrichtsgeld beweist dies. An der TH München legte ich 1957 mein Diplom ab und promovierte 1959 zum Dr. rer.nat. Während der Promotion erhielt ich monatlich 200 DM, musste dafür aber jede Woche einen Praktikumsversuch in Kernphysik abhalten und die Übungen der Studenten korrigieren.
Unterrichtsgeld im Wintersemester 1956/57 an der TH München

Von 1957 bis 1960 schrieb ich mich wieder an der Uni ein, um (parallel zur Promotion) dort Betriebswirtschaft zu studieren. Das war damals noch möglich, aber auch dafür war ein Unterrichtsgeld fällig. Wie unten ersichtlich, zahlte ich (beziehungsweise mein Vater) im Sommersemester 1958 die Summe von 128 DM.

Unterrichtsgeld im Sommersemester 1958 an der Uni München

Zahlenspiele

Bei Durchsicht meiner drei Studienbücher komme ich auf ein durchschnittliches Unterrichtsgeld von 150 DM pro Semester. Heutzutage zahlt ein Student 500 Euro an die Universitätsverwaltung. Man kann die Frage stellen, wie diese beiden Zahlenwerte sich miteinander vergleichen. Ohne gleich eine Doktorarbeit daraus zu machen, habe ich mich an die Hauptverwaltung der IG-Metall in Stuttgart gewandt. Dort erfuhr ich die Tariflöhne von damals im Vergleich zu heute. So hatte ein Metallarbeiter 1955 einen Stundenlohn von 1,75 DM bei einer Wochenarbeitszeit von 48 Stunden. Heute bekommt der gleiche Arbeiter einen Monatslohn von 2.600 Euro und muss dafür 35 Stunden pro Woche schaffen.

Berücksichtigt man, dass tarifrechtlich ein Monat 4,35 Wochen entsprechen, dann hatte der Arbeiter im Jahr 1955 einen fiktiven Monatslohn von 365 DM. Sein Kollege, der heute 2.600 Euro = 5.200 DM erhält, verdient also 14 mal soviel. Das Unterrichtsgeld von 150 DM entspricht heute also 2.100 DM bzw. 1.050 Euro. Mit ein bisschen Mut zur Extrapolation kann man also behaupten, dass die heutigen Studenten nur halb soviel an Studiengebühren berappen, wie wir damals an Unterrichtsgeld!

Ein Plädoyer für die Studiengebühr

Die Studiengebühr kommt insbesondere den Massenfächern zugute, also den Geistes-, Sozial- und Wirtschaftswissenschaften. (Die Naturwissenschaften, Medizin und Pharmazie können sich vom Überranntwerden durch den Numerus Clausus schützen). Die Ausbildung eines Germanisten, beispielsweise, kostet einer typischen Universität 5.000 Europro Semester. Die Mitfinanzierung über die Studiengebühr bedeutet zwar nur zehn Prozent, aber es ist Geld, das die Hochschulen nach eigener Einschätzung verwenden können. Zum Beispiel für die Aufstockung der Bibliothek, die Einstellung von Tutoren oder den Kauf von Musikinstrumenten.

Immer wieder ist von Härtefällen die Rede. Dabei sollte man bedenken, dass pro Familie nur ein Kind zur Zahlung der Studiengebühren verpflichtet ist; das zweite  Kind ist freigestellt und sollten drei oder mehr Kinder in einer Familie studieren, so sind überhaupt keine Studiengebühren fällig. Auch Doktoranden studieren gratis. Und für fleissige und kluge Studenten gibt es ja Stipendien. Im Ausland sind die Studiengebühren entschieden höher. In Grossbritannien liegen sie bei 1.000 bis 3.000 Pfund; in den USA - an den Eliteuniversitäten - gar bei 40.000 Dollar.

Dass ein Universitätsstudium kostenlos sein soll, hat sich seit den siebziger Jahren eben so herausgebildet, weil die Landesregierungen damals noch liquide waren. Auf andere Ausbildungsgänge ist diese Mode nicht übergesprungen. So zahlt der Handwerker, welcher ein Meisterdiplom anstrebt, sämtliche Kosten selbst. Und sogar für die Kindertagesstätten (Kitas) entstehen nicht selten Kosten von mehrere hundert Euros pro Monat(!). Einige Länder, welche die Studiengebühren abschafften, haben versprochen, diese Einnahmeverluste zu kompensieren. Doch das ist eine Mogelpackung. Zusätzliche Finanzierungen erfolgen nur, wenn die Hochschulen auch mehr Studenten aufnehmen.

Trotz manch berechtigter Kritik hat es der heutige Student viel leichter als jener in den fünfziger Jahren. Ich sass ein volles Jahr bei der Vorlesung für Experimentalphysik auf den Treppen des Hörsaals, weil die vorausgehende Vorlesung räumlich weit entfernt war. Skripten gab es nicht und die wenigen Lehrbücher in der Bibliothek waren meist über Monate hinweg vorbestellt sodass man die Ergüsse des Professors mitkritzeln musste. Auch heute sind die Hörsäle manchmal noch überfüllt, aber fast jeder Student besitzt einen Laptop und kann die Folien, welche der Professor an die Wand projiziert, schon während der Vorlesung herunterladen. Selbst Audioaufnahmen gibt es online.

Der Gipfel ist das "Electronic-Voting" bei manchen Informatikvorlesungen: per Knopfdruck kann der Student seinem Professor mitteilen, ob er ihn verstanden hat!

Sonntag, 23. Oktober 2011

Öl und Gas - (fast) in Überfluss

Dass immer wieder weniger Öl und Gas in der Erdrinde gefunden wird, gehört zum Allgemeinwissen. Die "ADAC-Motorwelt" vom Oktober 2011 titelt beispielsweise "Das Ende ist in Sicht" und "Die Länder pumpen immer weniger Rohöl aus der Erde". Doch diese Feststellung ist grundfalsch. Sie mag noch vor fünf Jahren gegolten haben, aber heute haben sich die Ressourcen an Öl und Gas beträchtlich erhöht. Der Grund dafür sind neue Explorationstechniken - und die hohen Verbraucherpreise, welche teuere Investitionen ermöglichen. Unternehmen wir eine Grand Tour um den Globus zur Bestätigung meiner Behauptungen.

Israel

Auf eine energetische Bonanza gestossen sind die Israelis. Vor der Küste von Haifa wurden im Mittelmeer die beiden riesigen Gasfelder "Tamar" und "Leviathan" entdeckt. Zusammen mit drei bereits seit längerem bekannten Feldern werden sie die israelische Stromproduktion, die bisher auf importierter Kohle basierte, von ausländischen Lieferanten unabhängig machen. Auch die (aus politischen Gründen) seit langem unterbrochenen Gaslieferungen aus Ägypten sind nun kein sonderliches Problem mehr. Im Gegenteil, man denkt sogar an den Gasexport nach Jordanien, womit die riesigen Kosten für die Exploration in der Tiefsee - man spricht von einer Million Dollar pro Tag - wieder hereingeholt werden könnten.


Gasfelder vor der Küste von Israel

Europa

Auch in Europa wurden neue Öl- und Gasfelder entdeckt. Die Norweger berichten von einem grossen Fund in der Nordsee, wie er seit mehr als zwanzig Jahren nicht mehr vorgekommen sein soll. Die staatliche Ölgesellschaft Statoil schätzt die Kapazität des Feldes auf 1,2 Milliarden Fass (bzw. barrels zu 159 Litern).

Die Briten haben in der Nähe des Seebades Blackpool ein grosses Erdgasreservoir aufgespürt, das den Bedarf des Königreichs für sechs Jahrzehnte decken könnte. Der Fund entspricht damit 40 Prozent der Erdgasreserven von Norwegen, dem grössten europäischen Erdgasförderer. Es handelt sich dabei um sogenanntes "unkonventionelles Erdgas" bzw. "Schiefergas", zu dessen Förderung, wie unten beschrieben, ein Cocktail aus Wasser, Sand und Chemikalien in die Tiefe gepumpt werden muss.

Beträchtliche Schiefergasvorkommen gibt es auch in Deutschland, Frankreich und Polen. In Niedersachsen nimmt Exxon-Mobil Probebohrungen vor, kritisch begleitet von den Umweltschutzverbänden. In Frankreich, das 59 Kernkraftwerke betreibt, will man sich diese Konkurrenz vom Leibe halten und hat Bohrungen sogar verboten. In Polen hingegen ist die Exploration im Gange.


Die weltweiten Rohölreserven

Schliesslich wird in Kürze Libyen seine Ölförderung wieder aufnehmen, nachdem der Bürgerkrieg beendet ist. Dieses Land sitzt auf 3,2 Prozent der globalen Ölreserven und hat in seinen besten Zeiten zwei Prozent zur weltweiten Versorgung beigetragen. Heftig diskutiert wird derzeit noch wem überhaupt das libysche Öl gehört: der Zentralregierung oder den regionalen Stämmen.

Nord- und Südamerika

In den USA gibt es grosse Vorräte an Schieferöl in den Staaten Texas und North Dakota. Sie werden derzeit auf 2,1 Milliarden Fass geschätzt - es könnte aber auch die fünffache Menge sein! Noch bis vor kurzem schien diese Ressource nicht nutzbar zu sein, aber seit man die Methode des "Fracking" entwickelt hat, kann man auch das Schieferöl an die Oberfläche bringen. (Die Gasreserven im Schiefergestein werden schon seit einigen Jahren im grossen Stil ausgebeutet; die USA sind dadurch von Gasimporten weitgehend unabhängig geworden).


Schematische Darstellung der Fracking-Methode

Beim Fracking wird ein Loch in den Fels gebohrt, das im höffigen Schiefergestein waagrecht verläuft (1). Kleine Sprengladungen werden zur Explosion gebracht, welche Risse im Schiefergestein erzeugen (2). Eine Mischung von Wasser, Sand und Chemikalien wird unter hohem Druck in die Risse gepresst, wodurch das darin befindliche Gas freigesetzt wird (3). Schliesslich wird das Gas nach oben gepresst bzw. gesaugt und kann an der Oberfläche gesammelt werden (4).
In Australien ist diese Methode technisch verfeinert worden und der Verkauf von "Naturgas" ist dort bereits ein Milliardengeschäft. Bedeutende Rohölexporteure - zumeist in die USA - sind die Nachbarstaaten Kanada und Mexiko. In Kolumbien steigt die Produktion steil an und wird demnächst die von Libyen (Vorkriegszustand) übertreffen. Venezuelas Ölreserven übertreffen sogar jene von Saudi-Arabien, auch wenn die Förderkosten dort noch höher sind.

Brasilien vermutet riesige Mengen an Öl und Gas vor seiner Küste. Die nationale Ölfirma Petrobras investiert sage und schreibe 200 Milliarden Dollar um gegen Ende dieses Jahrzehnts 5,5 Million Fass pro Tag zu fördern. Sogar U-Boote sind in der Entwicklung, um den fossilen Reichtum des Landes strategisch abzusichern.

Mein Fazit

Es besteht überhaupt keine Veranlassung, sich aus Furcht vor dem baldigen Versiegen der Öl- und Gasquellen in eine unfertige Technologie wie die der Elektroautos zu begeben. In der Erdrinde befinden sich noch ungeheure Mengen an Öl und Gas, die man in der Zukunft mit neuen Techniken an die Oberfläche holen kann. Ein weiteres Reservoir sind die alten Quellen, welche bei weitem nicht ausgeschöpft sind und die man ebenfalls mit fortschrittlichen Explorationsmethoden wieder zum Sprudeln bringen kann.
Meine Prognose:
Rohöl und Gas wird unserer Generation nicht ausgehen, vermutlich auch nicht der unserer Kinder.
Und wahrscheinlich werden sogar unsere Enkel noch mit dem Benzinauto durch die Gegend fahren.

Sonntag, 16. Oktober 2011

Ein Abstecher nach Budapest

Wenn man schon mal in Wien ist - um zwischen Grinzing und dem Burgtheater Kultur zu tanken - dann sollte man einen Abstecher nach Budapest nicht scheuen. Gesagt, getan und so fuhren Brigitte und ich in knapp drei Stunden mit der Bahn in die ungarische Hauptstadt.

Hinreissender Anblick, verblichene Pracht

"Man muss Budapest von oben und zur Nacht gesehen haben", sagte Klaus Mann einmal und recht hat er. Der Hauptbahnhof, auf dem die Züge von Wien ankommen, sieht samt seiner Umgebung etwas ramponiert aus und so waren wir froh, als uns Freund Hess in seinem Auto sogleich auf die hochgelegene Zitadelle kutschierte. (Übrigens: ich spreche nicht von Rudolf Hess, weiland Stellvertreter des "Führers", sondern von Dr. Bernhard Hess, früher Wissenschaftler bei der Firma Interatom/Siemens, der in seiner Berufszeit die Welt mit Schnellen Brütern beglücken wollte.) Bernhard und seine charmante Frau Dagmar führten uns an die geografisch richtigen Stellen und Budapest lag buchstäblich zu unseren Füssen: im Westen der bergige Stadtteil Buda, im Osten weit hingestreckt der flache Stadtteil Pest. Beide zusammen bilden die Stadt Budapest. Und dazwischen der Donaustrom, den die Ungarn Duna nennen. Ein Fluss, der gleichermassen trennt und verbindet: vierhundert Meter breit und sechs Meter tief. Damit verglichen ist die vielbesungene Donau in Wien ein armseliges Gerinne.


Blick vom Stadtteil Buda auf Pest;
im Vordergrund die Donau und die Kettenbrücke

Neun Brücken überqueren die Donau im Bereich der Stadt Budapest. Die Kettenbrücke ist die imposanteste. Sie wurde vor hundertfünfzig Jahren, während der Habsburger Zeit, von dem Engländer Adam Clark gebaut. Er war auf sein Bauwerk so stolz, dass er öffentlich verkündete, sich in die Donau stürzen zu wollen, falls es jemand fertigbrächte, ihm einen Baufehler nachzuweisen. Das gelang schliesslich einem  Bäckerjungen, der darauf hinwies, dass die vier steinernen Löwen an Auf- und Abfahrt der Brücke in ihren aufgerissenen Mäulern keine Zungen hätten. (Es ist nicht bekannt, dass Mister Clark daraufhin den Freitod gesucht hätte.)

Budapest besitzt eine Vielzahl repräsentativer Gebäude, die zumeist aus der k u. k - Zeit stammen. Kaiser Franz-Joseph und vorallem seine ungarophile Gemahlin Elisabeth (genannt "Sisi") versorgten Budapest mit den erforderlichen finanziellen Ressourcen. So entstanden eine grosse Zahl von Bauten im Stil der Neo-Klassik, des Neo-Barocks und sogar des Jugendstils, welche Wien durchaus Konkurrenz machen konnten. Mit dem Ende des Habsburgerreiches nach dem verlorenen 1. Weltkrieg verfielen diese Bauten und der 2. Weltkrieg sowie die nachfolgende sowjetische Besatzung taten ihr Übriges. Heute ist teilweise eine verblichene Pracht sichtbar, der man gerne finanzkräftige Investoren wünschen möchte.

Wenn man als Tourist nach Budapest kommt, sollte man die Badehose im Gepäck haben. Die Stadt besitzt nämlich 120 heisse Quellen und nennt sich zu Recht "Spa Capital of Europe". Es gibt eine Unzahl prächtiger Thermalbäder, zumeist in türkischem Stil, wovon das Gellertbad mit seinen hohen Marmorsäulen und seine bunten Mosaiken wohl das bekannteste ist. Der grösste badetaugliche Thermalsee mit sage und schreibe 4,4 Hektar befindet sich am Plattensee (Balaton) und erneuert sein Wasser alle 48 Stunden. Selbst im Winter sinkt die Temperatur nie unter 23 Grad Celsius. Der Seegrund ist von radioaktivem Schlamm überzogen und dies wird offensichtlich hingenommen. (Wie die vier uralten Kernkraftwerke russischer Bauart, welche Ungarn 43 Prozent seines Strombedarfs liefern.)

"Ich denke oft an Piroschka"

Im Nachkriegsdeutschland wurde ein Film mit Liselotte Puver zum Renner. Als Piroschka und Tochter eines Stationsvorstehers lernt sie in der ungarischen Provinz den deutschen Austauchstudenten Andreas (Gunnar Möller) kennen und lieben. Die beiden kommen sich trotz der Sprachprobleme näher, aber der Name des winzigen Orts in der Puszta - den es wirklich auch heute noch gibt - war lange Zeit ein Lacherfolg für das Kinopublikum. Er hiess:  Hódmezövásárhelykutasipuszta.

Das Ungarische kennt keinen vorgeschriebenen Satzbau, stattdessen "klebt" man die Silben aneinander, was zu irritierender Länge der Ausdrücke führt. Hinzu kommt, dass die Akzente die Silben zuweilen ganz anders klingen lassen; Beispiel: Úngaarland. Mancher gebürtige Ungar, wie Franz Liszt hat darauf verzichtet ungarisch zu lernen und zeitlebens deutsch und französisch gesprochen. Andererseits konnte die schon genannte Kaiserin Sisi fliessend ungarisch sprechen, was wohl ein Grund ihrer Beliebtheit bei den Magyaren war.

Das Ungarische hat keine Verwandschaft mit den den germanischen, romanischen oder slawischen Sprachen, sondern ist in Mitteleuropa vollkommen isoliert. Angeblich ging es aus der finno-ugrischen Sprachfamilie hervor. Das bedeutet aber noch lange nicht, dass die Finnen Ungarisch verstehen oder die Ungarn Finnisch. Für einen Ausländer ist es schlechterdings unmöglich die ungarische Sprache ratend zu verstehen oder sie korrekt auszusprechen. Schon ein einfacher Akzent kann zu einer totalen Bedeutungsveränderung führen. Bekannt ist folgendes Beispiel: ein ungarisches Wort, lang ausgesprochen, hat die Bedeutung von "Zeug"; bei kurzer Aussprache aber - Pardon - von "Arsch".
Zum Glück verstehen noch viele Ungarn deutsch (oder englisch), sodass man als Tourist selten in Verlegenheit kommt.

Vom Gulasch zum Tokayer

 Wer sich auf Diät befindet, beziehungsweise Vegetarier (oder gar Veganer) ist, sollte Ungarn tunlichst meiden. Die Küche der Magyaren ist ländlich und fleischlastig. Man kocht schwer, mit viel Schweineschmalz und saurer Sahne. Bei meiner Ankunft in Budapest und mit kräftigen Hunger ausgestattet, bestellte ich nach Durchsicht der Speisekarte Gulyás - worauf ich enttäuschenderweise nur eine dünne Gulaschsuppe erhielt. Noch wusste ich nicht, dass unser deutsches Gulasch im Ungarischen Pörkölt und so als Schmorgericht überall erhältlich ist. Das kleine grüne Gemüseschnitzchen (aufgestellt am Rand der Suppenschale) ass ich so nebenbei - und fiel fast vom Stuhl. Es war eine Paprikaschote und zwar von der ganz scharfen Sorte, welche man so in Deutschland nie bekommt.

Zum Repertoire der Magyarenküche gehörte in unserem Hotel auch die Gänsestopfleber (Libamáy). Sie wurde in grossen Stücken serviert und ein kundiger Hotelgast erzählte mir, dass Ungarn der grösste Gänsestopfleberproduzent der Welt sei. Der bedeutendste Abnehmer sei Frankreich und insbesondere das Departement Elsass. Ein Hoch der Grande Nation für ihre ausgezeichnete Foie Gras! Ein Beitrag der Ungarn zum weltweiten "Fast Food" ist der Lángos, ein Hefegebäck in Schmalz herausgebacken. Beim Karlsruher Weihnachtsmarkt schmeckt er mir immer ausgezeichnet, sodass ich ihn einmal im Ursprungsland geniessen wollte. Dazu begab ich mich zu den Markthallen, einem 150 Meter langen luftigen Bau aus Glas und Stahl an der Donau. Der Lángos war nicht länglich sondern kreisrund und hatte die Grösse einer mittleren Pizza. Er triefte vor Fett und war bedeckt mit einem Zentimeter intensiv gezuckertem Pfirsichmus. Nach der Hälfte musste ich aufgeben.

Kommen wir zu den Weinen. Ganz Ungarn könnte ein einziger Weinberg sein, zumindest was die klimatischen Voraussetzungen anlangt. Am bekanntesten ist die Region um Tokay im Nordosten des Landes. Der Tokayer war früher jener edelsüsse Dessertwein, den sich nur Fürsten und Könige leisten konnten. Inzwischen haben die Winzer dort ihr Sortiment verbreitert, sie bieten ihn auch sehr trocken an  - ohne an Qualität zu verlieren.
Das "Erlauer Stierblut" war früher ein ordinärer Rotwein, bei dem der anschliessende Kater gesichert war. Die ungarischen Soldaten tranken ihn vor ihren üblichen Scharmützeln mit den Türken, worauf diese regelmässig die Flucht ergriffen. Heute ist auch er in der Klasse so gestiegen, dass ihn sogar der britische Weinpapst Hugh Johnson als "Bulls Blood" der Domaine Szekszárdi Bikavér in seinem Handbuch lobend erwähnt.

Ein Erlebnis der besonderen Art war eine Weinprobe tief im "Faust-Keller" des Hilton-Hotels auf dem Burgberg. Dort konnten wir, bei anregenden Gesprächen, acht verschiedene Weiss-und Rotweine der ungarischen Provenienz geniessen. Der Keller liegt so tief, dass elektromagnetische Geräte, wie Mobiltelefon oder Kasse, nicht funktionieren. Wir mussten also bar bezahlen!

Bernhard und Dagmar wollen sich diesen Umstand nicht immer antun und haben deshalb ihren eigenen Weinberg am Balaton. Besucher sind willkommen. Stossen wir schon mal mit den beiden an:

Egészségedre!

Sonntag, 9. Oktober 2011

Wofür braucht das ITU soviel Plutonium?

  Franz Untersteller, 54,  derzeit Umwelt- und Energieminister in Baden-Württemberg sowie   Abgeordneter der Grünen, hat ein Problem. Er soll den Bau eines Atomlabors und eines Atombunkers für 180 Kilogramm Plutonium genehmigen. Passt wie die Faust aufs Auge ins grüne Parteiprogramm und den von allen deutschen Parteien erst kürzlich beschlossenen Atomausstieg. Antragsteller für dieses Unternehmen ist das renommierte Institut für Transurane (ITU), ein Ableger von EURATOM in Brüssel. Und hier fängt es an schwierig zu werden. Die Europäische Union (EU) betreibt nach wie vor Atomforschung, aber die (deutschen) Nachbarn des ITU sind streng dagegen.



Minister Franz Untersteller und Mediator Michael Sailer

Der Politiker Untersteller will Zeit gewinnen und hat deshalb eine "Mediation" anberaumt. Befürworter und Gegner dieses Projekts sollen in mehreren Sitzungen unter der Leitung eines Vermittlers einander ihre Argumente vortragen. Dieser heisst Michael Sailer und ist am Öko-Institut Darmstadt tätig. (Untersteller kennt ihn gut, da er selbst nach seinem Studium als Landschaftsarchitekt an der Fachhochschule Nürtingen einige Jahre am Öko-Institut Freiburg verbracht hat.)


Streit um den Bauantrag

Die erste Mediationsrunde war am 12. September in der Rheinhalle von Leopoldshafen. Es ging hoch her.  Man erfuhr, dass das ITU den Bauantrag für Labor und Lagerbunker im Dezember letzten Jahres ordnungsgemäss vorlegte und dass die Anliegergemeinde Eggenstein-Leopldshafen ihn ohne grössere Diskussion "durchgewunken" hat. Massiv Einspruch erhoben hat jedoch der Gemeinderat von Linkenheim-Hochstetten unter der Führung seines Bürgermeisters Günther Johs. Mit welchem Argument? Nun, die neuen Gebäude (Flügel M) liegen partiell auf der Gemarkung dieser Gemeinde. (Vielleicht ein taktischer Planungsfehler des ITU, wie man im nachhinein vermuten möchte).


                            Die Baumassnahmen am ITU und Gemarkungsgrenze

Bürgermeister Johs - seit 1991 im Amt und wahrscheinlich noch bis 2015 - hatte einen weiteren cleveren Schachzug getan. Gleich nach der Antragsstellung des ITU liess er von seinen Räten den Flächennutzungsplan der Gemeinde ändern und, siehe da, plötzlich war (auf dem Gelände der WAK) und in direkter Nähe zum ITU ein "Tagungs- und Kongresshotel" ausgewiesen. In bewegenden Worten machte Johs dem Mediator Sailer klar, dass er keinen Investor für diesen Standort gewinnen könne, wenn nebenan ein Plutoniumbunker steht. Ein Schelm, wer da an "Verhinderungsplanung" denkt.

Aber auch der Antragsteller, Professor Thomas Fanghänel, seines Zeichens Chef des ITU, zeigte Kante. Er betonte immer wieder, dass er auf er auf seinen Antrag bestehen und notfalls sogar Klage einreichen werde. Zur anwaltlichen Unterstützung hat er schon mal die Kanzlei Bodensohn und Partner beauftragt. Diese hatte im April diesen Jahres Schadensersatzansprüche gegen das Land Baden-Württemberg und die Gemeinde Linkenheim in Aussicht gestellt mit folgender Begründung:
Mit Artikel 2 Abs. (1) S. 1 des Standortüberlassungsvertrags vom 21.12.1060 hat das Land Baden-Württemberg als Eigentümer der streitgegenständlichen Grundstücke die Europäische Atomgemeinschaft (EURATOM) ermächtigt, sämtliche bauliche Massnahmen auf diesem Grundstück durchzuführen, welche notwendig sind zur Erreichung der Zwecke des ITU.  
Peng!


Streit um die Kernbrennstoffe

Wahrscheinlich wäre der Streit um die Baumassnahmen des ITU nicht so ausgeufert, wenn Fanghänel bei der Beantragung seiner Kernbrennstoffmengen etwas bescheidener gewesen wäre. Aber so kam heraus, dass das ITU bereits seit den 1960er Jahren eine unbefristete Umgangs- und Lagergenehmigung  für 180 Kilogramm Plutonium besitzt. Im Jahr 1997 wurde nochmals eine atomrechtliche Genehmigung für 50 kg Uran 233 mit einer Anreicherung von 93 Prozent erteilt. Und im geplanten Neubau beantragte das ITU weitere Genehmigungen für 80 kg Uran 233 und 300 kg schwach angereichertes Uran sowie 450 kg Thorium. Das sind riesige Mengen für ein Forschungslabor und es stellt sich sofort die Frage: was machen die damit?

Die Kritiker wiesen darauf hin, dass mit dem Bau des beantragten Laborflügels die Reaktorforschung an diesem Standort für mindestens weitere 20 Jahre festgeschrieben wird. Die Frage nach dem derzeitigen radioaktiven Inventar im ITU wollte Fanghänel nicht beantworten; er berief sich auf seine Geheimhaltungsvorschriften. Das vermehrte noch den Unmut der etwa hundert Zuhörer und Medatior Sailer musste um Ruhe bitten. Schliesslich stand die exorbitante Zahl zehn hoch sechzehn Bequerel im Raum. Eine Eins mit sechzehn Nullen. Jemand im Auditorium stellte flugs einen Vergleich an: nach Tschernobyl haben wir gelernt, dass ein Salatkopf nicht mehr als 500 Bequerel haben darf; damit kann man viele Salatköpfe kontaminieren!

Schliesslich meldete sich ein ranghoher Beamter aus Unterstellers Umweltministerium mit einem Kompromiss zu Wort. Er bot den anwesenden Bürgermeistern Johs und Stober an, sie im Ministerium im Rahmen einer "Lesestunde" über das tatsächlich gelagerte Plutonium zu informieren. Allerdings mit der Auflage, in der Öffentlichkeit darüber nicht zu berichten. Doch die Bürgermeister lehnten das Angebot ab. Sie betrachten sich als Bedenkenträger ihrer Bürger und haben an "Geheimwissen" kein Interesse. Johs gab bei dieser Gelegenheit nochmals kund, wie oft er schon vom früheren Kernforschungszentrum und der Wiederaufarbeitungsanlage "betrogen" worden sei: erstere habe Klärabfälle mit Plutonium in seinen Altrheinarm geleitet und letztere habe die Flüssigabfälle der WAK nicht vollständig verglast, weshalb noch zwei Kubikmeter Konzentrat mit viel radioaktivem Cäsium und Technetium in der VEK herum stünden.


Streit ums Forschungsprogramm

Angeregt durch die hohen Kernbrennstoffmengen wurde immer wieder nach dem Forschungsprogramm des ITU gefragt. Am 26. September, bei der 2. Mediationssitzung, hatte der Moderator Sailer deshalb dieses Thema auf die Tagesordnung gesetzt. Professor Fanghänel gab einen länglichen Überblick seiner Institutsarbeiten, wobei er besonders auf die Grundlagenforschung abhob. So beschrieb er ausführlich die Herstellung von Alphapräparaten für die Krebsforschung, die Beiträge des ITU zur Bekämpfung des Nuklearschmuggels und die Unterstützung der Behörden zur Nichtweiterverbreitung von Bombentechnologie. Weitere Programme seien die Sicherheit in Reaktoren und im Brennstoffkreislauf sowie die Endlagerfrage.




Die Einbettung des ITU (Kreis) im ehemaligen Kernforschungszentrum

Hier hakte insbesondere Harry Block vom BUND ein, der einwendete, dass man für solche Kleinversuche keinesfalls diese riesigen Brennstoffmengen benötige, für welche das ITU eine Genehmigung habe. Er vermute stattdessen, dass das Institut Brennstäbe herstelle, wofür auch die Kooperationsverträge mit der französischen Firma AREVA sprächen. Ganz offensichtlich beteilige man sich an der Entwicklung fortgeschrittener Reaktoren der 4. Generation - wenn auch nur auf dem Gebiet der Brennstoffentwicklung. Dies seien u. a. Schnelle Brüter mit einem hohen Plutoniuminventar, wie sie gegenwärtig in Frankreich mit dem Prototyp "Astrid" geplant würden.

Auch die Aktinidenforschung betrachteten die Hauptkritiker - Johs, Block und der Linkenheimer Gemeinderat Professor Jaki - sehr skeptisch. Das sogenannte "partitioning" sei nichts anders als die Renaissance der Wiederaufarbeitungstechnologie, die in Deutschland mit WAK und Wackersdorf endlich zu Grabe getragen worden sei. Die Abtrennung der hochgefährlichen Transurane, wie Neptunium, Curium etc. solle man den Franzosen überlassen. Der Vertreter des Umweltministerium musste allerdings zugeben, dass das Institut in Sachen Forschung eine weitgehende Autonomie geniesse, welche die Behörde in der Genehmigung keine Einschränkung könne.

Fanghänel wies des öfteren darauf hin, dass es im Interesse Deutschlands sei, zu wissen was im benachbarten Ausland in der Kerntechnik geplant sei. Dies verfing bei den Kritikern allerdings kaum; sie brachten Beipiele aus der Vergangenheit, wonach insbesondere Frankreich jede "Inspektion" ihre Anlagen immer strikt abgelehnt habe.

Fazit:  In zwei weiteren Sitzungen wird über Emissionen und andere Themen diskutiert werden. Man kann aber schon jetzt sagen, dass die Eingriffsmöglichkeiten des Landes - ganz zu schweigen von der Gemeinde Linkenheim - nur sehr begrenzt sind. Da gibt es alte Verträge, die einzuhalten sind und Brüssel ist eine Behörde, die turmhoch über Stuttgart steht. Durch die Mediation gewinnt man etwas Zeit, aber an der vertraglichen Situation ändert sich - wie bei Stuttgart 21 - rein gar nichts. Ausserdem: der neue Lagerbunker ist -  im Gegensatz zum Bestehenden - gesichert gegen Erdbeben und Flugzeugabsturz. Wer wollte da schon gegen dieses Bauwerk sein?

Vielleicht denkt Minister Untersteller auch an die 400 Arbeitsplätze und die 45 Millionen Euro Fördergelder aus Brüssel, als er am 29. Juli 2011 in der Zeitung BNN verkündete:
"Die Arbeit des ITU wird noch wichtiger".

Sonntag, 2. Oktober 2011

Die Sehnsucht der Physiker nach der Weltformel

In der Physik wird seit jeher in zwei Abteilungen geforscht - und das mit grossem Erfolg. Die Experimentalphysiker stellen mit ihren Versuchen grosse Datenmengen bereit, die Theoretiker verdichten diese zu abstrakten Gedankengebäuden oder gar zu Axiomen. Einige Beispiele aus den verschiedenen Fachgebieten der Physik soll dies veranschaulichen.

Die klassische Mechanik befasst sich mit den Bewegungen der Körper und lässt sich bis zur Antike zurückverfolgen. Das Hebelgesetz oder die Wurfparabel kennt jeder Gymnasiast. Dem Engländer Isaac Newton gelang es bereits 1687 all diese Bewegungsphänomene in nur drei allgemeingültige Gesetze zu packen. Das zweite newtonsche Axiom heisst beispielsweise: Die Bewegungsänderung einer Masse ist proportional zur einwirkenden Kraft.

Auf dem Gebiet der Elektrik entwickelte der Schotte James Clerk Maxwell 1864 seine berühmten Maxwell-Gleichungen. In nur vier mathematischen Beziehungen beschrieb er den Zusammenhang von elektrischen und magnetischen Feldern mit elektrischen Ladungen und dem elektrischen Strom.



Eine der vier Maxwell-Gleichungen

Das Gebiet der Wärmelehre bzw. der Thermodynamik haben die Theoretiker durch drei sogenannte Hauptsätze strukturiert. Einer heisst z. B. ganz lapidar: Der absolute Nullpunkt ist unerreichbar. Ein anderer bestimmt, dass ein "perpetuum mobile" - also eine Maschine, die dauernd Arbeit leistet ohne, dass man ihr Energie zuführt - unmöglich sei. ( Viele "Erfinder" hat das allerdings bis heute nicht davon abgehalten, solche Maschinen dem Publikum vorzustellen). 


Die Kernphysik im Visier

Nach dem 2. Weltkrieg beschäftigten sich viele Physiker mit der Physik der Elementarteilchen. Die immer mehr ausufernde Kernphysik war ihnen jedoch ein Gräuel und sie versuchten dieses Fachgebiet in ein theoretisches Korsett zu pressen. Der deutsche Nobelpreisträger Werner Heisenberg war der erste, welcher 1958 mit seiner sog. Weltformel an die Öffentlichkeit ging. Das riesige Gebiet der Kernphysik hatte er auf eine einzige Gleichung reduziert. Leider war sie falsch und er musste sie bald darauf zurückziehen.

Auch Albert Einstein beschäftigte sich damals mit ähnlichen Ideen zur formalen Reduktion der Kernteilchenphysik. Er war jedoch klug genug, seine Gedanken darüber nicht zu veröffentlichen. Sie wären - wie die Durchsicht seines Nachlasses ergab - ebenfalls nicht richtig gewesen.

In den siebziger Jahren hatte man über Beschleunigerexperimente in Europa und den USA mittlerweile mehr als 200 Elementarteilchen entdeckt, die sich durch Merkmale, wie Masse, Ladung, Spin, Strangeness etc. voneinander unterschieden. Es war Zeit, eine gewisse Ordnung in diesen "Teilchenzoo" zu bringen. Das gelang mit dem sogenannten Standardmodell. Seine fundamentalen Objekte sind Raumfelder, innerhalb derer die schwachen und die starken Kernkräfte, sowie die elektromagnetischen Kräfte wirken. Viele Voraussagen des Standardmodells wurden später durch Experimente bestätigt.

Mit der Zeit deuteten sich aber auch die Defizite dieser Theorie an. Sie konnte beispielsweise das vermutete Higgs-Boson nicht erklären, ebensowenig wie die Asymmetrie zwischen Materie und Antimaterie. Darüberhinaus enthielt sie nicht weniger als 18 freie Parameter, also Naturkonstanten, die man erst durch Messungen bestimmen musste und die nicht vom Standardmodell vorhergesagt wurden. Eine neue Theorie war also fällig geworden.


Die Stringtheorie - eine harte Nuss

Mitte der siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts tauchte eine neue Idee zur Vereinheitlichung des physikalischen Wissens auf, die bis heute die klügsten Köpfe der Physik in ihrem Bann hält. Ausgangspunkt war das scheinbar unlösbare Problem, dass die Gleichungen für die Kernteilchen immer wieder kollabierten, weil man sie als unendlich kleine Punkte betrachtet hatte. Der neue Ansatz war, dass man nun von Fäden bzw. Saiten endlicher Länge ("strings") ausging. Die Stringtheorie war geboren.



Verschiedenartige Strings und deren Umwandlung

Die Schwingungen dieser Saiten waren typisch für die bekannten Elementarteilchen. Alle Vibrationen zusammen liessen eine "Symphonie" erklingen, welches den Namen "Universum" trug. Die Physiker waren euphorisch. Aber nicht nur deswegen, sondern auch weil die Stringhypothese erlaubte, die vierte Kraft - die Gravitation - in das Gedankengebäude einzubeziehen. Jetzt hatte man endlich eine Theorie, welche in der Lage war, den Mikrokosmos und den Makrokosmos zu vereinen. Die Quantenphysik und Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie waren unter einem Dach. Die angelsächsischen Physiker prägten den Begriff  "Theory Of Everything" (TOE), der fortan den europäischen Terminus "Weltformel" ersetzen sollte.

Doch bald kehrte die Ernüchterung ein. Die strings "weigerten" sich, in einem dreidimensionalen Raum, wie es unserer Vorstellung entspricht, ihre Vibrationen auszuführen. Stattdessen benötigte man eine zehndimensionale Raumzeit. Da nun aber die für uns sichtbare Welt eindeutig dreidimensional ist (bzw. vierdimensional, wenn man die Zeit hinzurechnet), waren die sechs Zusatzdimensionen zu erklären. Die Theoretiker John Schwarz und Michael Green fanden den Ausweg, indem sie diese sechs Dimensionen als "zusammengeknäult" betrachteten. Sie waren also für das menschliche Auge nicht sichtbar, da sie zu einem winzigen Gebilde "kompaktiert" waren. Bald waren auch die "Superstrings" geboren, die ein ausserordentlich reichhaltiges Schwingungsspektrum zeigten, was auf einen neuen Satz von Elementarteilchen hindeutete. Sie werden in der Nomenklatur durch den Zusatz "-ino" gekennzeichnet. Dementsprechend hat jedes Photon ein Photino als Pendant und so fort.

Aber die Probleme mit der neuen Theorie setzten sich fort. Es stellte sich nach einiger Zeit heraus, dass es mindestens fünf Stringtheorien gab. Nur eine konnte unser Universum beschreiben. Welche Bedeutung hatten die vier anderen; wer lebte in jenen Universen? Die Hilfe kam bei diesem Dilemma von Edward Witten, einem US-Physiker, der schon im Alter von 28 Jahren den Lehrstuhl für theoretische Physik an der renommierten Universität von Princeton inne hatte. Wir befinden uns mittlerweile bereits im Jahr 1995, als er die sogenannte M-Theorie aufstellte und damit die "zweite Stringrevolution" einläutete. (Die erste war von Schwarz und Green begründet worden.). Witten verkündete, dass die früheren fünf Stringtheorien nichts weiter seien als spezielle Erscheinungsformen eines einzigen Urgesetzes, nämlich seiner M-Theorie. Dabei liess er offen, ob der Buchstabe M für Membran, Magie oder Mysterium steht. Das US-Nachrichtenmagazin "Time" bezeichnete ihn daraufhin "als den vielleicht brillantesten Physiker, der je gelebt hat". (Journalisten wissen darüber Bescheid.)



Offener String endet auf Membrane

Aber auch Witten musste Kompromisse machen. Seine M-Theorie benötigt nicht nur zehn sondern sogar elf Dimensionen. Und von der Verifikation durch Experimente ist sie weit entfernt. Die ca. 3.000 Stringforscher in aller Welt sind frustriert, weil sie anerkennen müssen: die Theorie ist intelligenter als wir. Die Kritik, insbesondere von Seiten der Experimentalphysiker wächst. Die meisten können diese mathematischen Exkursionen nicht nachvollziehen; nicht wenige halten sie für naturwissenschaftliche Esoterik. Neunzig Prozent der personellen und finanziellen Ressourcen für die theoretische Physik sind während der vergangenen 35 Jahre in die Stringtheorie gegangen, ohne, dass sich ein sichtbarer (oder verwertbarer) Erfolg gezeigt hätte. Die Community wird allmählich ungeduldig; sie ist unsicher, ob sie die Zukunft der Physik erlebt - oder deren Ende.

Der Fels in der Brandung sind die Auguren in Stockholm. Sie beobachten -
und haben bisher noch keinen einzigen Nobelpreis an die Stringtheoretiker vergeben.

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