Diskussionsstoff, wie in den vergangenen Jahren, boten wieder die Studiengebühren. 500 Euros müssen Alt- und Neusemester bei der Verwaltung löhnen, wenn ihre Einschreibung rechtswirksam sein soll. Vielen Studis ist diese Summe zu hoch, nicht wenige wollen sie ganz abschaffen und bedrängen mit diesem Verlangen die Politiker. Nicht ohne Erfolg, denn in den ehemaligen CDU/FDP-regierten Ländern Hamburg, Saarland, Hessen, Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg sind die Studiengebühren nach Wahlniederlagen der Konservativen bereits wieder abgeschafft; nur in Niedersachsen und in Bayern besteht man noch darauf. Aber auch im Freistaat, denkt Ministerpräsident Horst Seehofer, dieser ewige Wendehals, an deren Verzicht.
Münchener Reminiszenzen
Vor gut fünfzig Jahren, von 1952 bis 1961 studierte ich nacheinander an der Universität München und der (damaligen) Technischen Hochschule München Physik (Diplom und Dr.) sowie dann wiederum an der Universität Betriebswirtschaft (Diplomkaufmann). So kurz nach dem Krieg kam kaum ein Student mit dem eigenen Auto, stattdessen schätzte sich jeder glücklich, wenn er ein Fahrrad besass, das er während der Vorlesungen einfach an die Gebäudewand der Uni lehnte. Die Aufnahme der Erstsemester, hingegen, war nicht einfach ein bürokratischer Verwaltungsakt, sondern eine feierliche Angelegenheit. Die Zeremonie begann mit dem gemessenen Einzug des Professorenkollegiums in ihren - je nach Fakultät - verschiedenfarbigen Talaren in die prächtige Aula der Universität. Es folgte die Aufführung eines Musikstücks; nach meiner Erinnerung war es die Egmont-Ouvertüre, gespielt von den Münchener Philharmonikern unter der Leitung von Hans Knappertsbusch(!). Der Rektor, welcher auf den eindrucksvollen Namen Mariano San Nicolo hörte, wollte es sich nicht nehmen lassen, jeden der Neuinscribenden per Handschlag auf seine studentischen Aufgaben hin zu verpflichten. Es dauerte eine geschlagene Stunde bis ich, einer der Letzten, "dran war".
Aber Studiengebühren - man sprach damals vom "Unterrichtsgeld" - gab es auch schon. Und die Höhe dieses Unterrichtsgeldes war beachtlich, insbesondere, wenn man es mit dem damaligen Einkommen verglich. Zum Beweis lege ich drei Ausrisse aus meinen damaligen Studienbüchern vor, die jeder Student handschriftlich zu führen hatte. So zahlte ich im Sommersemester 1953 die stattliche Summe von 226 Deutsche Mark (DM), wobei ein chemisches Praktikum - das ich, wegen Platzmangels, in den Semesterferien ganztägig abzuleisten hatte - mit 65 DM zu Buche schlugen.
Unterrichtsgeld im Sommersemester 1953 an der Uni München
Nach sieben Semestern an der Uni wechselte ich zur nahen Technischen Hochschule (TH), weil dort ein Professor gekommen war (Maier-Leibnitz), dem man einen Forschungsreaktor in Garching versprochen hatte. Es war das später berühmt gewordene "Atom-Ei". Auch an der TH, jetzt nennt sie sich Techniche Universität, war das Studium nicht kostenlos. Der Studienbuchausriss aus dem Wintersemester 1956/57 mit 150 DM für Unterrichtsgeld beweist dies. An der TH München legte ich 1957 mein Diplom ab und promovierte 1959 zum Dr. rer.nat. Während der Promotion erhielt ich monatlich 200 DM, musste dafür aber jede Woche einen Praktikumsversuch in Kernphysik abhalten und die Übungen der Studenten korrigieren.
Unterrichtsgeld im Wintersemester 1956/57 an der TH München
Von 1957 bis 1960 schrieb ich mich wieder an der Uni ein, um (parallel zur Promotion) dort Betriebswirtschaft zu studieren. Das war damals noch möglich, aber auch dafür war ein Unterrichtsgeld fällig. Wie unten ersichtlich, zahlte ich (beziehungsweise mein Vater) im Sommersemester 1958 die Summe von 128 DM.
Unterrichtsgeld im Sommersemester 1958 an der Uni München
Zahlenspiele
Bei Durchsicht meiner drei Studienbücher komme ich auf ein durchschnittliches Unterrichtsgeld von 150 DM pro Semester. Heutzutage zahlt ein Student 500 Euro an die Universitätsverwaltung. Man kann die Frage stellen, wie diese beiden Zahlenwerte sich miteinander vergleichen. Ohne gleich eine Doktorarbeit daraus zu machen, habe ich mich an die Hauptverwaltung der IG-Metall in Stuttgart gewandt. Dort erfuhr ich die Tariflöhne von damals im Vergleich zu heute. So hatte ein Metallarbeiter 1955 einen Stundenlohn von 1,75 DM bei einer Wochenarbeitszeit von 48 Stunden. Heute bekommt der gleiche Arbeiter einen Monatslohn von 2.600 Euro und muss dafür 35 Stunden pro Woche schaffen.
Berücksichtigt man, dass tarifrechtlich ein Monat 4,35 Wochen entsprechen, dann hatte der Arbeiter im Jahr 1955 einen fiktiven Monatslohn von 365 DM. Sein Kollege, der heute 2.600 Euro = 5.200 DM erhält, verdient also 14 mal soviel. Das Unterrichtsgeld von 150 DM entspricht heute also 2.100 DM bzw. 1.050 Euro. Mit ein bisschen Mut zur Extrapolation kann man also behaupten, dass die heutigen Studenten nur halb soviel an Studiengebühren berappen, wie wir damals an Unterrichtsgeld!
Ein Plädoyer für die Studiengebühr
Die Studiengebühr kommt insbesondere den Massenfächern zugute, also den Geistes-, Sozial- und Wirtschaftswissenschaften. (Die Naturwissenschaften, Medizin und Pharmazie können sich vom Überranntwerden durch den Numerus Clausus schützen). Die Ausbildung eines Germanisten, beispielsweise, kostet einer typischen Universität 5.000 Europro Semester. Die Mitfinanzierung über die Studiengebühr bedeutet zwar nur zehn Prozent, aber es ist Geld, das die Hochschulen nach eigener Einschätzung verwenden können. Zum Beispiel für die Aufstockung der Bibliothek, die Einstellung von Tutoren oder den Kauf von Musikinstrumenten.
Immer wieder ist von Härtefällen die Rede. Dabei sollte man bedenken, dass pro Familie nur ein Kind zur Zahlung der Studiengebühren verpflichtet ist; das zweite Kind ist freigestellt und sollten drei oder mehr Kinder in einer Familie studieren, so sind überhaupt keine Studiengebühren fällig. Auch Doktoranden studieren gratis. Und für fleissige und kluge Studenten gibt es ja Stipendien. Im Ausland sind die Studiengebühren entschieden höher. In Grossbritannien liegen sie bei 1.000 bis 3.000 Pfund; in den USA - an den Eliteuniversitäten - gar bei 40.000 Dollar.
Dass ein Universitätsstudium kostenlos sein soll, hat sich seit den siebziger Jahren eben so herausgebildet, weil die Landesregierungen damals noch liquide waren. Auf andere Ausbildungsgänge ist diese Mode nicht übergesprungen. So zahlt der Handwerker, welcher ein Meisterdiplom anstrebt, sämtliche Kosten selbst. Und sogar für die Kindertagesstätten (Kitas) entstehen nicht selten Kosten von mehrere hundert Euros pro Monat(!). Einige Länder, welche die Studiengebühren abschafften, haben versprochen, diese Einnahmeverluste zu kompensieren. Doch das ist eine Mogelpackung. Zusätzliche Finanzierungen erfolgen nur, wenn die Hochschulen auch mehr Studenten aufnehmen.
Trotz manch berechtigter Kritik hat es der heutige Student viel leichter als jener in den fünfziger Jahren. Ich sass ein volles Jahr bei der Vorlesung für Experimentalphysik auf den Treppen des Hörsaals, weil die vorausgehende Vorlesung räumlich weit entfernt war. Skripten gab es nicht und die wenigen Lehrbücher in der Bibliothek waren meist über Monate hinweg vorbestellt sodass man die Ergüsse des Professors mitkritzeln musste. Auch heute sind die Hörsäle manchmal noch überfüllt, aber fast jeder Student besitzt einen Laptop und kann die Folien, welche der Professor an die Wand projiziert, schon während der Vorlesung herunterladen. Selbst Audioaufnahmen gibt es online.
Der Gipfel ist das "Electronic-Voting" bei manchen Informatikvorlesungen: per Knopfdruck kann der Student seinem Professor mitteilen, ob er ihn verstanden hat!