Wenn ein Dirigent für die Tannhäuseraufführungen ausgeguckt wird, dann fragt er zuallererst die Intendanz, welche Opernfassung er wählen soll. Von Tannhäuser gibt es nämlich zwei unterschiedliche Versionen: die Dresdner und die (bei der Premiere durchgefallene) Pariser Fassung, sowie einige weitere kleinere Varianten. Katharina Wagner und ihr Halbschwester Eva Wagner-Pasquier haben vom Spielleiter Thomas Hengelbrock diesmal die Dresdner Fassung erbeten.
Die nächste Entscheidung treffen der Dirigent und der Sänger der Titelrolle. Es geht darum, was gestrichen(!) werden soll. Von dem Tenor Tannhäuser wird über drei Akte hinweg ein nahezu übermenschliches sängerisches Pensum verlangt, sodass es üblich ist, einige schwierige Stellen in der Partitur einfach wegzulassen. Angeblich hat Richard Wagner in seinen jüngeren Jahren, als er den Tannhäuser komponierte, noch keine rechte Vorstellung von den Grenzen der menschlichen Stimme gehabt.
Um Richards szenische Anweisungen kümmern sich moderne Opernregisseure und Bühnenbildner nur noch wenig; bei der diesjährigen Neuinszenierung negierten Sebastian Baumgartner und sein Architekt Joep van Lieshout die Vorschriften des Komponisten sogar gänzlich. Wagner lässt seine dreiaktige Oper bekanntlich an drei Orten spielen: auf dem Venusberg, in einem Tal vor der Wartburg und - beim Sängerkrieg - in der Wartburg selbst. Die beiden genannten Inszenierungskünstler kommen mit einem einzigen Bühnenbild aus. Es ist eine massive dreistöckige Holzarchitektur, in deren Etagen maschinenbauliche Komponenten platziert sind: ein feuerroter Alkoholator und eine blaue Biogasanlage. In dieser Fabrikatmosphäre bewegen sich - schon während des Vorspiels und in allen Pausen - sektenartig bekleidete Arbeiter, welche die Apparate bedienen. Sie fungieren (laut Programmheft) als Produzenten von Exkrementen, aus denen Biogas gewonnen wird. Dieses verwenden sie im weiteren Verlauf zur Herstellung von Nahrung und trinkbarem Alkohol!
Das Bühnenbild für "Tannhäuser" 2011
Der Venusberg ist in einer solchen Installation natürlich nicht unterzubringen. Deswegen wird er als Käfig aus dem Keller der Biogasanlage empor gezogen. Venus und Tannhäuser vergnügen sich dort inmitten bizarr wuchernder Pflanzen und fröhlich kopulierender Affen. Dass Venus zum Schluss des dritten Aktes ihr Neugeborenes zeigen darf, steht zwar nirgends im Textbuch, ist aber vermutlich eine Konsequenz dieses kreativen Ambientes.
Natürlich passt die Musik - und insbesondere der Operntext - auf ein solches Bühnenbild wie die Faust aufs Auge. Wenn die (sängerisch hervorragende) Elisabeth stirbt, dann geschieht dies bei Wagner im Verlaufe eines langen Spaziergangs vom Tal zur Wartburg. Im Bayreuth von heute nützt man die beschriebene Bühneninstallation indem Elisabeth resolut zum Biogasreaktor schreitet, durchs Mannloch klettert und dabei offensichtlich Suizid begeht. Angesichts des Gestanks der gärenden Gülle vermutlich kein Problem.
Sinnigerweise war ihr dabei der treue Freund Wolfram von Eschenbach noch behilflich, sodass man kaum zwischen Mord und Selbstmord zu trennen vermag. Das hielt den nervenstarken Wolfram aber nicht davon ab, wenige Momente später die berühmte Bravourarie "Oh du holder Abendstern" zu schmettern.Vermutlich war dieser Regieeinfall auch der Grund dafür, dass viele Zuschauer in meiner Umgebung (auf dem "Heuboden) anfingen zu buhen. Mir machte es indes Spass, die Emotionen noch etwas anzuheizen, indem ich lauthals "bravo" rief. Den grössten Jubel erntete unisono, wie immer, der fulminante Chor unter seinem Leiter Eberhard Friedrich.
Die historische Wartburg
Berechtigterweise bekam auch Tannhäuser einige Buhs ab. Der schwedische Tenor Lars Clevermann wurde im zweiten und dritten Akt immer schwächer und hatte offensichtlich Probleme mit seiner Stimme. Wie man in den Zeitungen lesen konnte, agiert er in seiner Freizeit gerne als Frontmann einer Popgruppe seines Landes. Da werden Erinnerungen wach an den unvergleichlichen Siegfriedtenor Peter Hoffmann, dem ähnliche Ausflüge in die Popwelt später die Stimme kostete.
Katharina Wagner, deutlich schlanker geworden, scheint eine Schwäche für moderne Regisseure zu haben. Für den "Ring" im Jubiläumsjahr 2013 hat sie bereits den Berliner Altrebellen Frank Castorf unter Vertrag genommen. Hoffen wir, dass ihm der Jahrhundertring gelingt und er die echten Wagnerianer überzeugen kann.
Andernfalls könnte es in den Folgejahren wieder leichter sein, an Karten für Bayreuth zu kommen.
Lied an den Abendstern
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