Es ist gerade mal ein halbes Jahr her, dass die Medien in aller Welt zum Bersten voll waren mit den Geschehnissen in dieser japanischen Küstenregion - blosse 250 Kilometer nördlich von Tokio gelegen. Im Stundentakt waren mehrere Schicksalsschläge über diese stille ländliche Gegend hereingebrochen und hatten sich unglücklich miteinander verknüpft. Inzwischen sind die Ursachen und Auswirkungen all dieser Vorfälle recht gut erforscht und können auch technischen Laien vermittelt werden. Dies möchte ich in diesem Blog versuchen, insbesondere weil die Konsequenzen von Fukushima (in Japan und Deutschland) noch über Jahrzehnte (!) spürbar sein werden.
Luftaufnahme des Reaktorkomplexes Fukushima-Daiichi vor dem Unglück
Drei Katastrophen
Es begann mit einem gewaltigen Seebeben der Stärke 9, welches die Küstenregion von Fukushima erschütterte. Viele der leichtgebauten japanischen Häuser fielen in sich zusammen; die gesamte Stromversorgung fiel aus. Weitgehend unbeschädigt blieben die Gebäude der vier Reaktorblöcke am Standort Daiichi direkt am Meer. Block 1-3 schalteten sogar ordnungsgemäss ab, obwohl sie nur für Erdbeben der Maximalstärke 7,5 ausgelegt waren. Block 4 war ausser Betrieb. Unbeeinträchtigt blieben die Reaktorblöcke 5 und 6 am weiter nördlich gelegenen Standort Daini.
Eine knappe Stunde später erreichte eine Tsunamiwelle von 14 Metern Höhe die Standortküste und überspülte grosse Teile der Kernkraftwerke. Der zum Anlagenschutz errichtete Betonwall war nur 5,7 Meter hoch, also entschieden zu niedrig. Die Welle überflutete insbesondere die im Keller des Maschinenhauses platzierten Notstromdiesel und setzte sie ausser Betrieb.
Der Ausfall der Notdiesel war sehr folgenreich, denn von nun an konnte die immer noch produzierte Nachwärme der Reaktoren (vergleichbar mit der Nachwärme eines Elektroherds) nicht mehr durch die Kraftwerkskomponenten abgeführt werden. Diese Nachwärme betrug zwar nur noch 1 bis 2 Prozent der ursprünglichen Reaktorleistung - aber, wenn man bedenkt, dass die drei Reaktoren zusammen etwa 6000 Megawatt erzeugen, dann ergaben sich daraus immerhin noch rund 60.000 Kilowatt Nachwärmeleistung, die nicht weggeleitet werden konnte. Das entspricht etwa der Leistung von 60.000 handelsüblichen Tauchsiedern.
Die Höhe der Tsunamiwelle relativ zu Gebäuden und Komponenten
Die Aufheizung des Reaktorkerns
Durch die ständig produzierte Nachwärme - und ihre mangelnde Abfuhr - heizten sich die Reaktorkerne und die Brennelemente der drei Blöcke auf. Bei etwa 900 Grad Celsius begannen die Hüllrohre der Brennstäbe aufzuplatzen und entliessen radioaktive Spaltgase, wie Jod, Strontium, Cäsium, Xenon und Krypton. Oberhalb 1.300 Grad Celsius reagierte das Zirkalloy der Hüllrohre mit dem Wasserdampf und setzte dabei Wasserstoffgas frei. Ab 2.850 Grad Celsius begann das Urandioxid des Reaktorkerns zu schmelzen, tropfte auf den Boden des Reaktortanks und gelangte vermutlich bis in die Reaktorgrube. Die Kernschmelze war eingetreten, ein Unfall, den man in der Kerntechnik unter allen Umständen zu vermeiden sucht.
Die Auswirkungen dieser Vorgänge in den Reaktorkernen waren horrend.
Der freigesetzte Wasserstoff verband sich mit dem Sauerstoff der Luft zu Knallgas und durch einen Funken kam es zu jenen spektakulären Explosionen, die im Fernsehen gezeigt wurden und welche die Betonstrukturen der Reaktorgebäude zerstörten. Über viele undichte Stellen konnte nun das radioaktive Spaltgas austreten und die Umgebung kontaminieren. Dies erforderte die zeitweise Umsiedlung der Bevölkerung in einem Umkreis von 20 bis 30 Kilometern. Die Zahl der Evakuierten ist nicht genau bekannt, sie dürfte aber bei rund 80.000 Personen liegen. Schliesslich musste der Reaktorbetreiber TEPCO den gefährlichen Überdruck der Reaktortanks gezielt absenken und die Komponenten mit (salzhaltigem) Meerwasser kühlen. Dies war beim Abfluss natürlich radioaktiv und musste deshalb aufgefangen und aufwendig dekontaminiert werden.
Das Erdbeben und der Tsunami haben 23.000 Menschenleben gefordert, darüberhinaus ist eine grosse Anzahl von Verletzten zu beklagen. Weniger bekannt ist, dass es am Kraftwerksstandort Fukushima bisher keine nuklear bedingten Todesfälle gab. Zwei Reaktormitarbeiter ertranken im Wasser des Tsunamis, einer starb an Erschöpfung und ca. dreissig wurden durch sonstige Ereignisse verletzt.
Derzeit, nach einem halben Jahr, ist die Nachwärme weitgehend abgeklungen, sodass von ihr keine Gefahr mehr ausgeht. In den Reaktortanks ist die Temperatur auf unter hundert Grad abgesunken. Auch die freigesetzte Radioaktivität nimmt ab, wobei das gefährliche Jod mit seiner kurzen Halbwertszeit von 10 Tagen bereits gänzlich verschwunden ist. Die Firma Tepco beabsichtigt die zerstörten Reaktorgebäude mit einer Kunststoffhaut zu überziehen, sodass die Anlage Ende diesen Jahres wohl in einem einigermassen stabilen Zustand überführt sein wird. Der gezielte Rückbau der Reaktoren, insbesondere die Bergung des geschmolzenen Brennstoffs wird wohl noch zehn Jahre oder länger andauern.
Liste historisch belegter, durch Erdbeben ausgelöster Tsunamis an Japans Küsten
Trauriges Fazit
Rückblickend muss man leider sagen, dass die Tragödie von Fukushima die Folge einiger weniger - aber haarsträubender - Planungs-und Betriebsfehler war. Sie sind schnell aufgezählt:
1. Die Reaktorgebäude waren nicht hinreichend gegen Tsunamis von 14 Metern Wasserhöhe ausgelegt. Es stand lediglich ein Betonwall von 5,7 m zur Wasserabwehr bereit. Aus der obigen Tabelle ist aber ersichtlich, dass in Japan Tsunamis mit weit grösseren Wasserhöhen relativ häufig vorkommen.
2. Die Notstromdiesel waren im Keller des Maschinengebäudes falsch platziert. Sie hätten auf höheren Standorten aufgestellt werden müssen. Ausserdem waren sie nicht hinreichend gegen Wassereinbruch verbunkert.
3. Nach Ausfall der gesamten Stromversorgung hätten umgehend mobile Notstromgeneratoren (per Hubschrauber) herangeschafft werden müssen. Dies hätte die Abführung der Nachwärme ermöglicht und die Übertemperaturen und Schmelzvorgänge in den Reaktortanks verhindert. Leider wurde hier zuviel kostbare Zeit vergeudet.
4. Die Reaktorblöcke in Fukushima besassen keine Vorrichtungen zur Vermeidung von Knallgasexplosionen. International üblich sind dafür sogenannte Rekombinatoren. Dies sind passive autokatalytische Geräte, welche den entstehenden Wasserstoff gefahrlos mit Sauerstoff rekombinieren. Sie benötigen keine Stromversorgung und arbeiten völlig autark.
In einem Hochtechnologieland wie Japan hätten diese Fehler nicht passieren dürfen. Sie waren wohl nur deshalb möglich, weil der Einfluss der Aufsichts-und Genehmigungsbehörden auf die Betreiberfirmen in diesem Land unterentwickelt ist.
three-eleven...nine-eleven
Das Unglück von Fukushima ereignete sich am Freitag, dem 11. März 2011 um 14:46 h Ortszeit, bzw. um 6:46 h Mitteleuropäischer Zeit (MEZ).
Während ich diesen Blog am Sonntag, dem 11. September 2011 schreibe und (als Frühausteher) um 6:46 h auf die Veröffentlichungstaste drücke,
ist also - exakt - ein halbes Jahr vergangen.
Ein Druckbehälter ist eigentlich ein gutes Beispiel zur Erreichung eines weltweiten Sicherheitsstandards. Das wären Sicherheitsventile, Berechnungsmethoden, Werkstoffspezifikationen, Qualitätssicherung usw.
AntwortenLöschenWarum kann eigentlich jedes Land bei Kernkraftwerken einen eigenen Sicherheitsstandart festlegen.
Aus reinem Selbsterhaltungstrieb müßten da alle EVUs an einem Strang ziehen, um solche gravierende und systematischen Defizite in Technik mit sehr hohem Gefahrenpotential auszuschließen.
Wie soll man verunsicherten Gesprächpartner glaubhaft machen, daß auch unsere Nachbarländer einen Sicherheitsstandart haben, der mit unseren vergleichbar ist, wenn wir jetzt so tun, als ob der japanische Sicherheitsstandard in Europa und in Wien nicht bekannt war.