Sonntag, 25. September 2011

Das "magische Dreieck" der Stromwirtschaft

Es ist keineswegs eine Selbstverständlichkeit, dass die vielen Millionen deutscher Stromnutzer stets mit elektrischer Energie versorgt werden, egal wann sie ihre Geräte mit der Steckdose verbinden. Da die Elektrizität nicht lagerfähig ist, muss zu jedem Zeitpunkt genau soviel Strom erzeugt werden, wie zum Verbrauch ansteht. Deshalb ist die Versorgungssicherheit auch  ein so hohes Gut in einer modernen Volkswirtschaft. Wichtig ist zudem die Produktion des Stroms zu wirtschaftlichen Preisen und schliesslich der Umweltschutz, d. h. die Minimierung der Emissionen, wie Kohlendioxid.


Das magische Dreieck der Stromwirtschaft

Versorgungssicherheit, Wirtschaftlichkeit und Umweltschutz bedingen einander und stehen in einem Spannungsverhältnis. Diese Triade spannt ein Dreieck auf, das als "magisches Dreieck der Stromwirtschaft" bezeichnet wird. Durch den politisch aufgezwungenen Atomausstieg ist dieser Verbund, welcher Deutschland im globalen Vergleich bisher die geringsten Stromabschaltungen bescherte, nachhaltig gestört. Im Kern deswegen, weil der kontinuierlich dargebotene Strom aus Kernkraftwerken (Grundlaststrom) durch die unstete Windkraft ersetzt werden soll.


Zuverlässige Kernkraftwerke

Das typische Lastdiagramm eines deutschen Atomkraftwerks über ein Kalenderjahr hinweg zeigt eine nahezu 100-prozentige Verfügbarkeit beim erzeugten Strom. Eine Pause von vier Wochen ist üblicherweise nur für den jährlichen Brennelementwechsel und die Generalrevision vorgesehen. Sie findet im Sommer statt, wenn die Anforderungen der Industrie wegen der Urlaubszeit etc. relativ niedrig sind. Die schmalen oberen Einkerbungen auf der Verfügbarkeitslinie stellen gewollte, kurzzeitige Leistungsabsenkungen dar, bei denen Windstrom angeboten wird, der (von Gesetzes wegen) bevorzugt ins Netz aufzunehmen ist. Kernkraftwerke sind, was nicht allgemein bekannt ist, in einem Lastbereich von 60 bis 100 Prozent sehr gut und schnell regelbar.

Das Lastdiagramm des KKW Isar 2 im Jahr 2010

Die deutschen Kernkraftwerke haben haben während der vergangenen 35 Jahre im Schnitt 30 Prozent des Grundlaststroms geliefert. (Der Rest wurde durch Kohle und Wasserkraft beigestellt). Nach Abschaltung der Kernkraftwerke soll diese Stromlücke durch verstärkte Nutzung erneuerbarer Energien kompensiert werden. Dass dies nicht unmittelbar möglich ist zeigt die sogenannte Ganglinie der Windeinspeisung im Monat März des vergangenen Jahres. Sie demonstriert das Grundproblem bei der Windenergie: Der Wind bläst wo und wie stark er will. Eine verlässliche Stromerzeugung ist mit Windrädern nicht darstellbar. Zum einen, weil derzeit noch 4.000 Kilometer Hochspannungstrassen von Nord nach Süd fehlen, zum anderen wegen des Defizits von mindestens 25 Pumpspeicherkraftwerken, von denen jedes die Speicherkapazität des Walchenseekraftwerks haben müsste.


Die Ganglinie der Windeinspeisung im März des Jahres 2010

Die Rückkehr der Kohlekraftwerke

Die Versorgungssicherheit kann in den nächsten zehn Jahren nur durch verstärkten Ausbau der fossilen Kraftwerke erreicht werden.  Derzeit sind elf grosse Stein- und Braunkohlekraftwerke im Bau. Ab dem Jahr 2013 sind sechs weitere Einheiten geplant, die der Staat sogar mit Geld aus dem Klimafonds subventionieren möchte! Der Klimaschutz wird in Zukunft also sehr klein geschrieben werden. Man schätzt, dass die CO2-Emissionen im Jahr 2020 wieder auf das Niveau von 1990 ansteigen werden. Eine weitere "Reserve" stellen verstärkte Stromimporte aus Frankreich und Tschechien dar, wobei der Atomstrom dieser Länder genutzt wird - eine ziemlich schlitzohrige Strategie.

Inzwischen sind einige grosse Energieversorgungsunternehmen (EVU) bereits in finanzielle Schieflage geraten. Die EnBW, das drittgrösste EVU Deutschlands, machte im vergangenen Halbjahr einen satten Verlust von 600 Millionen Euro. Zuvor hatte sie ihren Aktionären noch jährlich 2 Milliarden Gewinn präsentieren können. Ursächlich ist die Abschaltung der beiden KKW Philippsburg 1 und Neckarwestheim 1. Inzwischen überlegen Vorstand und Aufsichtsrat, ob sie den Konzern mit Staatsmittel stützen oder ob sie ihn zu einem Stadtwerk schrumpfen lassen sollen!

Zusammenfassend kann man sagen, dass die Stromversorgung in den kommenden Jahren wohl unsicherer werden wird, da "blackouts" und "brownouts" nicht mehr auszuschliessen sind. Die Stromkosten werden in die Höhe schiessen, weil der Atomstrom von 2 bis 3 Cent pro Kilowattstunde durch Windstrom von 16 cent/kwh ersetzt werden soll. Und die Luft wird deutlich schmutziger werden, weil kurz- und mittelfristig der emissionsfreie Atomstrom durch schmutzige Kohle ersetzt werden wird. Ein ganz neues magisches Dreieck der Stromwirtschaft wird sich herausbilden, das deutlich weniger optimiert ist.

Bezüglich der Stromkosten kam kürzlich ein wegweisender Vorschlag vom Bundesumweltminister Norbert Röttgen (FAZ v. 6. Mai 2011):

"Strom aus Windkraft soll dann produziert werden, wenn der Preis hoch ist".

Sonntag, 18. September 2011

Ein überstürzter Ausstieg

Am Freitag, dem 11. März 2011, passierte das Unglück von Fukushima und schon vier Tage später, am Montag, dem 15. März, verkündete die Bundeskanzlerin Angela Merkel ihre neue Atompolitik. "Das war´s, das kerntechnische Restrisiko ist nicht mehr tolerierbar, der schnellstmögliche Ausstieg ist notwendig", soll sie in der kleinen Runde ihrer Kanzleramtszuarbeiter ("Küchenkabinett") gesagt haben. Und sogleich verkündete sie über alle Medien die sofortige Abschaltung von acht der insgesamt 17 deutschen Kernkraftwerke (KKW) sowie die gestufte Abschaltung der verbleibenden neun KKW während der kommenden zehn Jahre. Dieses sogenannte Moratorium haben Bundestag und Bundesrat im Juni/Juli 2011 (fast) einstimmig beschlossen. Es ist somit Gesetz und wohl nicht mehr rückgängig zu machen. Mir fällt kein so abruptes politisches Umsteuern im Nachkriegsdeutschland ein, das so schnell durch die Parlamente gepaukt wurde und hinter dem gleichzeitig eine solide Mehrheit der Bundesbürger (man spricht von 60 bis 70 Prozent) gestanden hat. Bundespräsident Christian Wulff hat öffentlich gerügt, dass diese fundamentale Richtungsänderung der deutschen Politik nicht vorher auf Parteitagen ausführlich diskutiert worden ist.

Auf eine  Kommunikation - oder gar Beratung - mit den Kernforschern, den Energieversorgungsunternehmen und den Nachbarländern, wie Frankreich, hat Frau Merkel glatt verzichtet.Trotzden folgte bis heute kein weiteres Land dem rigiden deutschen Beispiel für eine Abkehr von der Kernenergie - noch nicht einmal das hart betroffene Japan selbst. Die Schweiz, welche anfänglich den deutschen Weg einschlagen wollte, hat bereits wieder zurück gerudert. Die USA, mit über hundert Atomkraftwerken (AKW), erzeugen mehr Atomstrom denn je und halten sogar Uraltkraftwerke, wie Indian Point (70 Kilometer südlich von New York) weiterhin am Netz.

Kommissionen pro und contra

Im April und Mai hat die Bundesregierung zwei Kommissionen beauftragt, die 17 deutschen Atomkraftwerke unter technischen und "ethischen" Gesichtspunkte zu bewerten. Die Reaktorsicherheitskommission (RSK) legte einen Bericht von 120 Seiten vor, den der Bundesumweltminister Norbert Röttgen in einer Pressekonferenz so zusammen fasste: "Unsere Anlagen in Deutschland weisen alle miteinander ein deutlich höheres Sicherheitsniveau und grössere Reserven gegenüber solchen Ereignissen auf, als die betroffenen Ereignisse in Japan. Es ergibt sich aus sicherheitstechnischer Sicht keine Notwendigkeit, Hals über Kopf aus der Kernenergie auszusteigen". Die Fachleute waren von diesem Statement nicht überrascht, denn erst im vergangenen Herbst hatten die deutschen KKW von der RSK das grüne Licht zur Laufzeitverlängerung erhalten. Warum also der überstürzte Ausstieg?

Die Kernforscher, z.B. im ehemaligen Kernforschungszentrum Karlsruhe (KfK),  hätten - wären sie denn gefragt worden -  noch weitere wichtige Hintergrundinformationen geben können: durch ihre Forschungen, etwa am SNR 300, waren bereits in den achziger Jahren die zwei reaktortypischen Kernprobleme Nachwärmeabfuhr und Kernschmelze identifiziert und weitgehend entschärft worden. Die Nachwärmeabfuhr, welche in Fukushima solche Probleme verursacht hat, wurde an dem genannten Kernkraftwerk so gestaltet, dass sie automatisch, d, h, ohne menschlichen Eingriff vonstatten ging. "Passive Wärmeabfuhr" nannte man dieses System. Und zur Beherrschung der Kernschmelze wurde, zusammen mit der Siemens-Tochtergesellschaft INTERATOM eine Kernauffangvorrichtung konzipiert und gebaut ("core-catcher"), welche eventuell geschmolzenes Kernmaterial zurück hält und die befürchteten Rekritikalitäten verhindert.

Ganz im Sinne der Bundesregierung entschied sie sogenannte Ethikkommission. Sie setzte sich . a. aus Bischöfen, Erzbischöfen, Soziologen, Philosophen und Plitikwissenschaftlern zusammen, geleitet von dem früheren Bundesumweltminister Klaus Töpfer - den man getrost als politischen Wendehals bezeichnen kann. Nach wenigen Treffen kam dieses Konglomerat kerntechnischer Laien zu dem Beschluss, dass die Kernenergie "unethisch" sei und dass man sie - wie regierungsseitig bereits vorgedacht - bis zum Jahr 2022 aufgeben solle. Den Tenor gab dabei der Münchener Erzbischof und Kardinal Reinhard Marx vor, der bereits vor Beginn der Beratungen ("ex-cathedra?) öffentlich erklärte, dass die Kernenergie "Teufelszeug" sei.

Vielfache Weltmeister

Man muss aber kein Kenner des Alten und Neuen Testaments sein, es genügt schon eine gute Zeitung zu lesen, um die Zuverlässigkeit der deutschen Kernkraftwerke einschätzen zu können. Hilfreich sind die darin immer wieder veröffentlichten Zahlen der jährlichen Stromproduktion und der Vergleich mit den übrigen Kernkraftwerken weltweit. Die "atw" ist eine solche informative Zeitschrift und ihrer kürzlichen Ausgabe gibt es eine Auflistung der "Top Ten" der gegenwärtig 441 betriebenen Atomkraftwerke.


Top Ten der Kernkraftwerke weltweit (deutsche KKW mit "D" gekennzeichnet)


Wer weiss schon - wer? - dass in dieser "Bundesligatabelle" die deutschen AKW zwischen 1981 und 2010 nicht weniger als volle 25 mal den ersten Rang in der Stromproduktion eingenommen haben - sozusagen "Weltmeister" waren! Unter den Top Ten der übrigen konkurrierenden AKW waren sie jeweils mindestens drei Mal, häufig aber auch sieben oder acht Mal vertreten. Zuverlässigkeit, also möglichst permanente Verfügbarkeit, ist aber auch gute Technik und wenige Ausfälle durch Störungen.

Das Kernkraftwerk "Unterweser" nimmt in dieser Auflistung im Jahr 2010 noch einen respektablen 10. Platz ein, hat also 431 global operierende KKW hinter sich gelassen. Trotzdem hat sie das scharfe Schwert von Frau Merkel getroffen: es gehört zu den acht Atomkraftwerken, welche die Bundeskanzlerin sofort stilllegen liess. Pardon wurde nicht gewährt. Als Bill Gates, der Begründer von Microsoft davon hörte, sagte er nur:

"die Deutschen müssen sehr reich sein"!


Sonntag, 11. September 2011

Blick zurück im Zorn

Fukushima?
Es ist gerade mal ein halbes Jahr her, dass die Medien in aller Welt zum Bersten voll waren mit den Geschehnissen in dieser japanischen Küstenregion - blosse 250 Kilometer nördlich von Tokio gelegen. Im Stundentakt waren mehrere Schicksalsschläge über diese stille ländliche Gegend hereingebrochen und hatten sich unglücklich miteinander verknüpft. Inzwischen sind die Ursachen und Auswirkungen all dieser Vorfälle recht gut erforscht und können auch technischen Laien vermittelt werden. Dies möchte ich in diesem Blog versuchen, insbesondere weil die Konsequenzen von Fukushima (in Japan und Deutschland) noch über Jahrzehnte (!) spürbar sein werden.



Luftaufnahme des Reaktorkomplexes Fukushima-Daiichi vor dem Unglück

Drei Katastrophen

Es begann mit einem gewaltigen Seebeben der Stärke 9, welches die Küstenregion von Fukushima erschütterte. Viele der leichtgebauten japanischen Häuser fielen in sich zusammen; die gesamte Stromversorgung fiel aus. Weitgehend unbeschädigt blieben die Gebäude der vier Reaktorblöcke am Standort Daiichi direkt am Meer.  Block 1-3 schalteten sogar ordnungsgemäss ab, obwohl sie nur für Erdbeben der Maximalstärke 7,5 ausgelegt waren. Block 4 war ausser Betrieb. Unbeeinträchtigt blieben die Reaktorblöcke 5 und 6 am weiter nördlich gelegenen Standort Daini.

Eine knappe Stunde später erreichte eine Tsunamiwelle von 14 Metern Höhe die Standortküste und überspülte grosse Teile der Kernkraftwerke. Der zum Anlagenschutz errichtete Betonwall war nur 5,7 Meter hoch, also entschieden zu niedrig. Die Welle überflutete insbesondere die im Keller des Maschinenhauses platzierten Notstromdiesel und setzte sie ausser Betrieb.

Der Ausfall der Notdiesel war sehr folgenreich, denn von nun an konnte die immer noch produzierte Nachwärme der Reaktoren (vergleichbar mit der Nachwärme eines Elektroherds) nicht mehr durch die Kraftwerkskomponenten abgeführt werden. Diese Nachwärme betrug zwar nur noch 1 bis 2 Prozent der ursprünglichen Reaktorleistung -  aber, wenn man bedenkt, dass die drei Reaktoren zusammen etwa 6000 Megawatt erzeugen, dann ergaben sich daraus immerhin noch rund 60.000 Kilowatt Nachwärmeleistung, die nicht weggeleitet werden konnte. Das entspricht etwa der Leistung von 60.000 handelsüblichen Tauchsiedern.



Die Höhe der Tsunamiwelle relativ zu Gebäuden und Komponenten

Die Aufheizung des Reaktorkerns

Durch die ständig produzierte Nachwärme - und ihre mangelnde Abfuhr -  heizten sich die Reaktorkerne und die Brennelemente der drei Blöcke auf. Bei etwa 900 Grad Celsius begannen die Hüllrohre der Brennstäbe aufzuplatzen und entliessen radioaktive Spaltgase, wie Jod, Strontium, Cäsium, Xenon und Krypton. Oberhalb 1.300 Grad Celsius reagierte das Zirkalloy der Hüllrohre mit dem Wasserdampf und setzte dabei Wasserstoffgas frei. Ab 2.850 Grad Celsius begann das Urandioxid des Reaktorkerns zu schmelzen, tropfte auf den Boden des Reaktortanks und gelangte vermutlich bis in die Reaktorgrube. Die Kernschmelze war eingetreten, ein Unfall, den man in der Kerntechnik unter allen Umständen zu vermeiden sucht.

Die Auswirkungen dieser Vorgänge in den Reaktorkernen waren horrend.
Der freigesetzte Wasserstoff verband sich mit dem Sauerstoff der Luft zu Knallgas und durch einen Funken  kam es zu jenen spektakulären Explosionen, die im Fernsehen gezeigt wurden und welche die Betonstrukturen der Reaktorgebäude zerstörten. Über viele undichte Stellen konnte nun das radioaktive Spaltgas austreten und die Umgebung kontaminieren. Dies erforderte die zeitweise Umsiedlung der Bevölkerung in einem Umkreis von 20 bis 30 Kilometern. Die Zahl der Evakuierten ist nicht genau bekannt, sie dürfte aber bei rund 80.000 Personen liegen. Schliesslich musste der Reaktorbetreiber TEPCO den gefährlichen Überdruck der Reaktortanks gezielt absenken und die Komponenten mit (salzhaltigem) Meerwasser kühlen. Dies war beim Abfluss natürlich radioaktiv und musste deshalb aufgefangen und aufwendig dekontaminiert werden.

Das Erdbeben und der Tsunami haben 23.000 Menschenleben gefordert, darüberhinaus ist eine grosse Anzahl von Verletzten zu beklagen. Weniger bekannt ist, dass es am Kraftwerksstandort Fukushima bisher keine nuklear bedingten Todesfälle gab. Zwei Reaktormitarbeiter ertranken im Wasser des Tsunamis, einer starb an Erschöpfung und ca. dreissig wurden durch sonstige Ereignisse verletzt.

Derzeit, nach einem halben Jahr, ist die Nachwärme weitgehend abgeklungen, sodass von ihr keine Gefahr mehr ausgeht. In den Reaktortanks ist die Temperatur auf unter hundert Grad abgesunken. Auch die freigesetzte Radioaktivität nimmt ab, wobei das gefährliche Jod mit seiner kurzen Halbwertszeit von 10 Tagen bereits gänzlich verschwunden ist. Die Firma Tepco beabsichtigt die zerstörten Reaktorgebäude mit einer Kunststoffhaut zu überziehen, sodass die Anlage Ende diesen Jahres wohl in einem einigermassen stabilen Zustand überführt sein wird. Der gezielte Rückbau der Reaktoren, insbesondere die Bergung des geschmolzenen Brennstoffs wird wohl noch zehn Jahre oder länger andauern.


Liste historisch belegter, durch Erdbeben ausgelöster Tsunamis an Japans Küsten


Trauriges Fazit

Rückblickend muss man leider sagen, dass die Tragödie von Fukushima die Folge einiger weniger - aber haarsträubender - Planungs-und Betriebsfehler war. Sie sind schnell aufgezählt:

1.  Die Reaktorgebäude waren nicht hinreichend gegen Tsunamis von 14 Metern Wasserhöhe ausgelegt. Es stand lediglich ein Betonwall von 5,7 m zur Wasserabwehr bereit. Aus der obigen Tabelle ist aber ersichtlich, dass in Japan Tsunamis mit weit grösseren Wasserhöhen relativ häufig vorkommen.

2.  Die Notstromdiesel waren im Keller des Maschinengebäudes falsch platziert. Sie hätten auf höheren Standorten aufgestellt werden müssen. Ausserdem waren sie nicht hinreichend gegen Wassereinbruch verbunkert.

3.  Nach Ausfall der gesamten Stromversorgung hätten umgehend mobile Notstromgeneratoren (per Hubschrauber) herangeschafft werden müssen. Dies hätte die Abführung der Nachwärme ermöglicht und die Übertemperaturen und Schmelzvorgänge in den Reaktortanks verhindert. Leider wurde hier zuviel kostbare Zeit vergeudet.

4.  Die Reaktorblöcke in Fukushima besassen keine Vorrichtungen zur Vermeidung von Knallgasexplosionen. International üblich sind dafür sogenannte Rekombinatoren. Dies sind passive autokatalytische Geräte, welche den entstehenden Wasserstoff gefahrlos mit Sauerstoff rekombinieren. Sie benötigen keine Stromversorgung und arbeiten völlig autark.

In einem Hochtechnologieland wie Japan hätten diese Fehler nicht passieren dürfen. Sie waren wohl nur deshalb möglich, weil der Einfluss der Aufsichts-und Genehmigungsbehörden auf die Betreiberfirmen in diesem Land unterentwickelt ist.


three-eleven...nine-eleven

Das Unglück von Fukushima ereignete sich am Freitag, dem 11. März 2011 um 14:46 h Ortszeit, bzw. um 6:46 h Mitteleuropäischer Zeit (MEZ).
Während ich diesen Blog am Sonntag, dem 11. September 2011 schreibe und  (als Frühausteher)  um 6:46 h auf die Veröffentlichungstaste drücke,

ist also - exakt -  ein halbes Jahr vergangen.

Sonntag, 4. September 2011

Tannhäuser - Der Tod im Biogasreaktor

Als geborenen Fichtelgebirgler zieht es mich (und meine Frau Brigitte) alljährlich zu den Wagnerfestspielen ins nahe Bayreuth. Richards Musik ist einfach berauschend, seine selbstverfertigten Libretti sind hohe Poesie. Tickets zu ergattern ist nicht leicht; diesmal mussten wir uns mit zwei separaten Plätzen in der 10. und 25 Parkettreihe zufrieden geben - immerhin noch für 260 bzw. 185 Euro. Auf dem Programm stand die Neuinszenierung von "Tannhäuser und der Sängerkrieg auf der Wartburg".

Wenn ein Dirigent für die Tannhäuseraufführungen ausgeguckt wird, dann fragt er zuallererst die Intendanz, welche Opernfassung er wählen soll. Von Tannhäuser gibt es nämlich zwei unterschiedliche Versionen: die Dresdner und die (bei der Premiere durchgefallene) Pariser Fassung, sowie einige weitere kleinere Varianten. Katharina Wagner und ihr Halbschwester Eva Wagner-Pasquier haben vom Spielleiter Thomas Hengelbrock diesmal die Dresdner Fassung erbeten.

Die nächste Entscheidung treffen der Dirigent und der Sänger der Titelrolle. Es geht darum, was gestrichen(!) werden soll. Von dem Tenor Tannhäuser wird über drei Akte hinweg ein nahezu übermenschliches sängerisches Pensum verlangt, sodass es üblich ist, einige schwierige Stellen in der Partitur einfach wegzulassen. Angeblich hat Richard Wagner in seinen jüngeren Jahren, als er den Tannhäuser komponierte, noch keine rechte Vorstellung von den Grenzen der menschlichen Stimme gehabt.

Um Richards szenische Anweisungen kümmern sich moderne Opernregisseure und Bühnenbildner nur noch wenig; bei der diesjährigen Neuinszenierung negierten Sebastian Baumgartner und sein Architekt Joep van Lieshout die Vorschriften des Komponisten sogar gänzlich. Wagner lässt seine dreiaktige Oper bekanntlich an drei Orten spielen: auf dem Venusberg, in einem Tal vor der Wartburg und - beim Sängerkrieg - in der Wartburg selbst. Die beiden genannten Inszenierungskünstler kommen mit einem einzigen Bühnenbild aus. Es ist eine massive dreistöckige Holzarchitektur, in deren Etagen maschinenbauliche Komponenten platziert sind: ein feuerroter Alkoholator und eine blaue Biogasanlage. In dieser Fabrikatmosphäre bewegen sich - schon während des Vorspiels und in allen Pausen - sektenartig bekleidete Arbeiter, welche die Apparate bedienen. Sie fungieren (laut Programmheft) als Produzenten von Exkrementen, aus denen Biogas gewonnen wird. Dieses verwenden sie im weiteren Verlauf zur Herstellung von Nahrung und trinkbarem Alkohol!


Das Bühnenbild für "Tannhäuser"  2011

Der Venusberg ist in einer solchen Installation natürlich nicht unterzubringen. Deswegen wird er als Käfig aus dem Keller der Biogasanlage empor gezogen. Venus und Tannhäuser vergnügen sich dort inmitten bizarr wuchernder Pflanzen und fröhlich kopulierender Affen. Dass Venus zum Schluss des dritten Aktes ihr Neugeborenes zeigen darf, steht zwar nirgends im Textbuch, ist aber vermutlich eine Konsequenz dieses kreativen Ambientes.

Natürlich passt die Musik - und insbesondere der Operntext - auf ein solches Bühnenbild wie die Faust aufs Auge. Wenn die (sängerisch hervorragende) Elisabeth stirbt, dann geschieht dies bei Wagner im Verlaufe eines langen Spaziergangs vom Tal zur Wartburg. Im Bayreuth von heute nützt man die beschriebene Bühneninstallation indem Elisabeth resolut zum Biogasreaktor schreitet, durchs Mannloch klettert und dabei offensichtlich Suizid begeht. Angesichts des Gestanks der gärenden Gülle vermutlich kein Problem.

Sinnigerweise war ihr dabei der treue Freund Wolfram von Eschenbach noch behilflich, sodass man kaum zwischen Mord und Selbstmord zu trennen vermag. Das hielt den nervenstarken Wolfram aber nicht davon ab, wenige Momente später die berühmte Bravourarie "Oh du holder Abendstern" zu schmettern.Vermutlich war dieser Regieeinfall auch der Grund dafür, dass viele Zuschauer in meiner Umgebung (auf dem "Heuboden) anfingen zu buhen. Mir machte es indes Spass, die Emotionen noch etwas anzuheizen, indem ich lauthals "bravo" rief. Den grössten Jubel erntete unisono, wie immer, der fulminante Chor unter seinem Leiter Eberhard Friedrich.


Die historische Wartburg

Berechtigterweise bekam auch Tannhäuser einige Buhs ab. Der schwedische Tenor Lars Clevermann wurde im zweiten und dritten Akt immer schwächer und hatte offensichtlich Probleme mit seiner Stimme. Wie man in den Zeitungen lesen konnte, agiert er in seiner Freizeit gerne als Frontmann einer Popgruppe seines Landes. Da werden Erinnerungen wach an den unvergleichlichen Siegfriedtenor Peter Hoffmann, dem ähnliche Ausflüge in die Popwelt später die Stimme kostete.

Katharina Wagner, deutlich schlanker geworden, scheint eine Schwäche für moderne Regisseure zu haben. Für den "Ring" im Jubiläumsjahr 2013 hat sie bereits den Berliner Altrebellen Frank Castorf unter Vertrag genommen. Hoffen wir, dass ihm der Jahrhundertring gelingt und er die echten Wagnerianer  überzeugen kann.

Andernfalls könnte es in den Folgejahren wieder leichter sein, an Karten für Bayreuth zu kommen.

Lied an den Abendstern

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