Sonntag, 1. Mai 2011

Ethikkommission vs. Realität

Die Bundesregierung hat im Gefolge von Fukushima eine Ethikkommision eingesetzt. Politische Rentner, angereichert mit dem nuklearen Sachverstand von Bischöfen und gar leibhaftigen Kardinälen, sollen über die Risiken der Atomkraftwerke befinden und Frau Merkel Vorschläge machen für einen schnellen Ausstieg aus der ungeliebten Kernenergie. In vier Wochen will die Kommission ihren Abschlussbericht vorlegen, der die Basis für ein Gesetzespaket bilden wird, mit dem - noch vor dem Sommer - die Wende in der deutschen Energiepolitik eingeläutet werden soll. Ich habe mir am vergangenen Donnerstag im TV-Kanal "Phönix" die sogenannte Expertenbefragung angehört und war verblüfft, wie einfach der Wechsel zum Sonnenzeitalter ist. Mit Ausnahme von E.ON-Chef Johannes Teyssen ("spricht nur pro domo") und weniger anderer, waren die allermeisten der geladenen Experten der Meinung, dass der Übergang keine sonderlichen Probleme bereiten würde. Eine ganz Reihe - die mir bislang als Energiefachleute noch gar nicht bekannt waren - hatten sogar  Mut zu der Feststellung, dass die besagte Energiewende ohne Strompreiserhöhungen, ohne Importe oder gar Blackouts, und bei vollem Erhalt der industriellen Wettbewerbsfähigkeit und des globalen Klimaschutzes implementiert werden könnte.

Die Situation in Baden-Württemberg

Da hatte ich vor einer Woche, bei der Aktionärsversammlung der EnBW, noch ganz anderes gehört. Der Konzernchef Hans-Peter Villis beklagte mit bewegten Worten die vom Moratorium der Kanzlerin verursachte Abschaltung seiner beiden Kernkraftwerke in Philippsburg und Neckarwestheim. KKP 1 (930 Megawatt) und GKN I (840 MW) produzierten bislang fast 2 Gigawatt Strom, den er nun aus Frankreich und Tschechien  zukaufen muss. In beiden Fällen sind die Lieferanten Kernkraftwerke jenseits der deutschen Grenze, deren Sicherheitsstandards die der heimischen nicht übertreffen. Übertreffen wird dieser Importstrom jedoch die Kosten der eigenen Produktion - weshalb das EnBW  diese Mehrkosten an ihre Kunden weitergeben wird.

In ein bis zwei Jahren werden sich diese Stromimporte reduzieren, weil dann zwei Steinkohleblöcke in Karlsruhe und Mannheim in Betrieb gehen sollen. RDK 8 (910 Megawatt) und GKM 9 (820 MW) besitzen zwar annähernd die gleiche Kapazität wie die stillgelegten Meiler - aber sie spucken viele Tonnen Kohlendioxid aus, was die deutsche Klimagasbilanz merklich verschlechtern wird. (Eine praktische Faustformel sei verraten: von der Leistung des Kraftwerks die letzten beiden Ziffern streichen, die restliche Ziffer bzw. Zahl durch 2 dividieren, dann erhält man den Jahresausstoss  an Kohlendioxid in Millionen Tonnen. Beispiel RDK 8:  = 4,5 Mio Tonnen pro Jahr.)

Ausserdem, das ist auch nicht allseits bekannt:  die Emission radioaktiver Stoffe im Normalbetrieb ist bei fossilen Kraftwerken drei Mal höher als bei den genannten Atomkraftwerken! Schliesslich, nicht ganz unwichtig, sind die Kosten der Stromproduktion bei Kohlekraftwerken signifikant höher als bei abgeschriebenen Kernkraftwerken.


Das Rheinhafendampfkraftwerk RDK 8 in Karlsruhe

Damit sind vorläufig die Standorte für Kohlekraftwerke in Baden-Württemberg ausgeschöpft. Wegen der Anlieferung der riesigen Mengen an Brennmaterial braucht man grosse Hafenanlagen, die nicht überall verfügbar sind. Mancher wird vielleicht auf den Neckar verweisen, aber dieser Fluss ist praktisch nicht mehr schiffbar. Zwischen Stuttgart und Mannheim befinden sich nicht weniger als 26 Laufwasserkraftwerke, die zwar "ökologische" Wasserkraft erzeugen, aber gleichzeitig den schönen Fluss zu einer Anreihung von Teichen machen.

Trotzdem: die Zeit drängt. In etwa zehn Jahren sollen auch die restlichen Kernkraftwerke der EnBW  abgeschaltet sein. ( Der Experte des World Wild Life Fund hielt sogar den Atomaustieg bis 2017 für möglich). Das trifft  die beiden grossen Blöcke KPP 2 (1.460 Megawatt) und GKN II (1.400 MW). Fast 3 Gigawatt sind dann zu ersetzen - und wenn es nach der Ethikkommission geht -  vorzugsweise durch Solar- und Windenergie. Bilanzieren wir diese Kapazitäten, wobei ich mich auf den Geschäftsbericht der EnBW berufe, sowie sonstige Firmenunterlangen:

Derzeit betreibt unser Landes-EVU Solarkraftwerke auf eigenen Dächern sowie auf Wiesen in den schönen Orten Leibertingen und Eggingen. Etwa 10 Megawatt kommen dabei zusammen - wenn die Sonne scheint. Den Windstrom sammelt die EnBW ausserhalb des Ländles. Im niedersächsischen Buchholz, kurz hinter Hanover drehen sich - onshore - 18 Windräder. In der Ostsee, also offshore, wird derzeit nördlich von Zingst der Windpark Baltic 1 mit 48 MW in Betrieb genommen. Weiter östlich soll die vier mal so grosse Anlage Baltic 2 folgen, in einer Meerestiefe zwischen 23 und 44 Metern. Die Ingenieure klagen über die technischen Probleme bei der Fixierung der Monopiles und über die horrenden Umweltauflagen. Die Dänen und Briten sind in dieser Hinsicht wesentlich smarter: sie installieren ihre Windgeneratoren im Seichtwasser des Ufergebiets.

Damit ist der Strom aber noch nicht in Baden-Württemberg. Neue Hochspannungsleitungen sind erforderlich und mindestens 4 Pumpspeicherkraftwerke von der Grösse des Walchenseekraftwerks. Geografisch infrage kommt dafür eigentlich nur der Schwarzwald. Das Geschrei der Anlieger und Naturfreunde ist jetzt schon zu hören.

Fassen wir zusammen: die Umstellung des EnBW-Konzerns von der bisherigen Stromerzeugung auf Erneuerbare Energien ist eine Herkulesaufgabe für den Vorstandsvorsitzenden Villis. Sie wird in dieser Dekade nicht zu schaffen sein. Bei weiteren politischen Eingriffen, etwa durch den designierten Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann und seiner Crew, besteht die reale Gefahr, dass der Konzern in Schieflage gerät und nicht mehr zu steuern ist. Dass dies negative Auswirkungen auf die heimische Industrie haben wird, liegt auf der Hand.

Die Situation im übrigen Deutschland

Ausserhalb von Baden-Württemberg, im Westen, Norden und Osten Deutschlands, liegt das Verbreitungsgebiet der übrigen drei Stromgiganten. Es ist der Beritt von RWE, E.ON und Vattenfall. Dort wurden aufgrund des Fukushima-Moratorium sechs weitere grosse Kernkraftwerke urplötzlich abgeschaltet, nämlich: Biblis A (mit 1.250 Megawatt), Brunsbüttel (800 MW), Isar 1 (910 MW), Biblis B (1.240 Mw), Krümmel (1.400 MW) und Gundremmingen B (1.350 MW). Nochmals sieben Anlagen, zumeist die grösseren Schwesterkraftwerke, stehen bis zum Jahr 2020 zur Stillegung an.

An deren Stelle sollen etwa zwei Dutzend Stein- und Braunkohlekraftwerke treten, die schon im Bau bzw. zumindest in der Planung sind. Viele sind - verglichen mit den Kohlekraftwerken der EnBW in Karlsruhe und Mannheim - wahre Giganten (um nicht zu sagen Monster). In Stade, bei Hamburg, neben dem stillgelegten Atomkraftwerk, entstehen gleich drei Steinkohleeinheiten mit 800 und zwei Mal 1.100 MW. Darüberhinaus baut Vattenfall im benachbarten Moorburg ein riesiges Kraftwerk mit 1.650 MW, das noch in diesem Jahr in Betrieb gehen soll. Und in Schlewig-Holstein, neben dem abgeschalteten Atomkraftwerk Brunsbüttel, wird nächstes Jahr ein Steinkohleblock mit 1.800 MW angefahren werden. In Hamm, Westfalen, in der Umgebung des  in den achziger Jahren auf politischen Druck hin abgeschalteten Hochtemperaturreaktors, werden ebenfalls nächstes Jahr zwei Steinkohleblöcke mit insgesamt 1.600 MW in Betrieb gehen. Den Vogel schiesst aber RWE mit seinen zwei Braunkohleanlagen von insgesamt 2.200 MW ab, die letztes Jahr in Neurath in Betrieb gesetzt wurden. Neurath kann wahrscheinlich nicht jedermann geografisch verorten: es liegt mitten zwischen Köln, Düsseldorf und Mönchengladbach. Hier wird in einem Superkraftwerk Braunkohle der übelsten Sorte verbrannt. Man schätzt seinen CO2-Austoss auf 15 Millionen Tonnen pro Jahr. Das ist so viel wie ganz Boliven produziert!

Steinkohlekraftwerke sind, über das Jahr gesehen, nur halb so lang mit Volllast an Netz wie Kernkraftwerke. In Zukunft wird diese Verfügbarkeit sogar noch sinken, weil nach dem deutschen Erneuerbare-Energien-Gesetz sie den alternativen Technologien untergeordnet sind. Wenn ein Windmüller Strom anliefert und das Netz ausgelastet ist, dann muss ein Kohlekraftwerk zurückgefahren oder ganz abgeschaltet werden, um Netzüberlastung zu vermeiden. Auch wenn das Kohlekraftwerk seinen Strom billiger anbietet. Daraus ergibt sich, dass die Elektrizitätserzeugung bei fossilen Kraftwerken inhärent teurer ist. Ganz abgesehen von den Kapitalkosten, welche bei den heutigen Kernkraftwerken nicht mehr zu Buche schlagen, da sie abgeschrieben sind, während sie bei den genannten Neuinvestitionen noch jahrzehntelang finanziell wirksam sind.


Volllaststunden der deutschen Kraftwerke im Jahr 2009

Die Braun- und Steinkohlekraftwerke (nebst einigen Gaskraftwerken) werden die deutsche Stromproduktion in den kommenden Jahrzehnten bestimmen. Wind- und Sonnenenergie ist demgegenüber untergeordnet, solange nicht effiziente Stromspeicher installiert sind. Dafür wären im genannten Verbreitungsgebiet etwa 20 Pumpspeicherkraftwerke von der Grösse des oben genannten Walchenseekraftwerks erforderlich. Dafür infrage kämem die deutschen Mittelgebirge vom Fichtelgebirge bis zum Hunsrück. Von den 3.600 Kilometern neuer Stromtrassen ganz zu schweigen.

Fazit

Die Ethikkommission mag entscheiden wie sie will:  kurzfristig wird es in Deutschland kaum zu Abschaltungen kommen, weil wir umgeben sind von vielen Nachbarländern, die bereit sind, ihre Produktion hochzufahren und Strom an uns zu exportieren. Mittel- und längerfristig wird die deutsche Atomstromerzeugung ausgetauscht werden durch die fossile Produktion aus Braun- und Steinkohle. CO2-freier Strom wird zu schmutzigem Strom! Und der Strom wird teurer werden mit allen Konsequenzen für den industriellen Wettbewerb unserer Firmen im weltweiten Bereich.

Die politischen Implikationen dieser Energiewende sind enorm: die Risiken eines regional begrenzten Atomunfalls werden ausgetauscht gegen die globalen Risiken einer Klimakatastrophe. Bei zukünftigen internationalen Klimakonferenzen wird die Bundeskanzlerin nicht mehr als Hüterin des Weltklimas auftreten können. Die Chinesen und Inder werden sagen:

"Madam, mind your own business"

2 Kommentare:

  1. Die Deutschen fühlen sich besser und können sich anderen Apokalypsen zuwenden.

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  2. Die Deutschen fürchten nicht Gott, aber sonst fast alles auf der Welt
    ( Bischof Dyba )

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