Villis ist ein ruhiger, zurückhaltend auftretender Zeitgenosse, der nun schon drei Jahre bei EnBW wirkt, den aber trotzdem noch nicht jeder zu kennen scheint. Als Arbeiterkind im Ruhrgebiet geboren, wohnt seine Familie heute noch in dem schönen Städtchen Castrop-Rauxel. Sein Fussballverein ist nicht der VfB Stuttgart oder der KSC, sondern der VfL Bochum, wo er sogar im Aufsichtsrat sitzt.
Der Chef spricht
Bei seinem Geschäftsbericht kam Villis sogleich auf Fukushima und die Folgen für seine Firma zu sprechen. Mit Neckarwestheim 1 und Phillipsburg 1 sind zwei seiner vier Meiler von Merkels Moratorium betroffen und liefern auf absehbare Zeit keinen Strom ins Netz. Das bedingt den Zukauf von ca 2.000 Megawatt aus dem benachbarten Ausland (Frankreich, Tschechien) zu deutlich erhöhten Preisen, worauf sich die Kunden einstellen müssen. Die EnBW erwirtschaftet 90 Prozent ihres Gewinns aus der Stromerzeugung; dreiviertel davon liefert die Kernenergie! Sollten die beiden Kernkraftwerke in diesem Jahr nicht mehr ans Netz gehen, so prognosziert Villis für 2011 einen Gewinnausfall von bis zu 500 Millionen Euro.
Vorstandsvorsitzender Hans-Peter Villis
Aber auch die künftigen Investitionen sind von diesen Gewinnreduktionen betroffen. Allein wegen der Brennelementsteuer und der Ökofondseinzahlungen hätte der Konzern seine Investitionen von 8 auf 5 Milliarden Euro senken müssen; nun kommt noch die Abschaltung der Kernkraftwerke hinzu. Die EnBW plant deshalb den Verkauf von Beteiligungsfirmen, welche derzeit strategisch weniger wichtig sind. Ausserdem sind Spar- und Effizienzprogramme im dreistelligen Millionenbereich angedacht.
Dabei wären gerade jetzt höhere Investitionsmittel erforderlich, wenn man den Konzern "umsteuern" will, wie Politik und Öffentlichkeit fordern. Der Umstieg auf erneuerbare Energien kostet viel Geld - und bringt derzeit erst geringe Rendite. Immerhin, der Windpark Baltic 1 wurde gerade in Betrieb genommen, Baltic 2 soll folgen. Der Bau von Windmühlen im Ländle scheitert zur Zeit noch am Widerstand der Bevölkerung. Weiter voran kommt der Ausbau der Wasserkraft. Rheinfelden liefert bereits zuverlässig Strom und bei Iffezheim will man eine weitere Turbine einbauen. Die Modernisierung des Pumpspeicherkraftwerks Forbach ist geplant. Für ein Gaskraftwerk gibt es zwar eine Genehmigung, aber noch keinen wirtschaftlich akzeptablen Gasliefervertrag.
Anders als die übrigen grossen Stromlieferanten will die EnBW ihr Stromnetz im Besitz behalten. Die sorgfältige Wartung der Trassen führte zu den niedrigsten Stromausfallzeiten in ganz Europa. Aktuell werden im Raum Karlsruhe die 220 KV-Leitungen auf 380 KV umgestellt, wodurch sich die derzeitige Netzkapazität beträchtlich erhöht. Trotzdem sieht der Netzentwicklungsplan zum Durchleiten der erneuerbaren Energien auch den Bau von Höchstspannungstrassen vor.
Kritische Aktionäre
An den Vortrag des Vorsitzenden schloss sich eine mehrstündige Diskussion der Aktionäre an, die zum Teil in heftiger Tonart geführt wurde. Viele sahen die EnBW in einer schwierigen, manche sogar in einer ausweglosen Situation. Einerseits fallen die Gewinne der Kernkraftwerke weitgehend weg, andererseits müsste - zum Umsteuern - gerade jetzt massiv in erneuerbare Energien investiert werden. Dass die EnBW Daimler und Bosch als Grosskunden verloren hat, wird als bedenkliches Zeichen gewertet. Hinzu kommen noch die Bestrebungen einiger Städte, wie Stuttgart und Tübingen, ihre eigene (dezentrale) Energieversorgung aufzubauen. Zum Schluss bleibe dem Konzern nur noch die Aufgabe das Netz elektrotechnisch zu stabilisieren - wobei zu bedenken ist, dass die Fotovoltaikdächer nicht "schwarzstartfähig" sind.
Einige Aktionäre kritisierten Villis dafür, da er (nicht wie RWE) Klage gegen die Abschaltung seiner Kraftwerke eingereicht habe. Aber EnBW ist da wohl in einer anderen Position, insbesondere seit mit dem Land ein weiterer Grossaktionär (über den Aufsichtsrat) mitbestimmt. Und der vermutliche neue Ministerpräsident Kretschmann hat zudem noch nicht zu erkennen gegeben, wohin mit den Grünen die Reise des Konzerns gehen soll. Manche der Diskutanten stellten sogar keck die Frage, wozu man die Grosskonzerne überhaupt noch brauche, wenn in Zukunft doch alles dezentral ablaufen werde. Nun, wer mit Giganten, wie dem französischen EdF oder dem russischen Gazprom mithalten will, muss schon ein gewisses eigenes Kaliber mitbringen. Das besitzen die verschiedenen Stadtwerke nicht.
Nicht wenige Aktionäre sehen auch den Umstieg auf Windräder sehr kritisch. Zum einen, weil insbesondere die Offshore-Projekte sehr viel Kapital binden, zum anderen, weil sie terroristischen Anschlägen ausgesetzt sind. Vorallem aber, weil man Zweifel daran hegt, dass der im Norden erzeugte Windstrom in den kommenden Jahren überhaupt nach Süddeutschland gelangen wird. Wie bekannt, sei der Bau von 3.600 Kilometern Hochspannungstrassen sowie die Errichtung weiterer 25 Pumpspeichkraftwerke der Kapazität des Walchenseewerks erforderlich. Die Umsetzung auf erneuerbare Energien ist eine Arbeit für Jahrzehnte - und inzwischen wird man viele (schmutzige) Kohlekraftwerke in Betrieb nehmen müssen, welche Deutschland weit von den Kyoto-Zielen wegführen werden. Ein Aktionär sprach den bemerkenswerten Satz aus: "Auf Herrn Villis wartet eine Aufgabe, die wirtschaftlich so anspruchsvoll ist wie die Wiedervereinigung und politisch so umstritten, wie die Ostpolitik."
Armer Villis!
Neue Männer braucht das Land
Den Abschluss der Veranstaltung bildete die Wahl von etwa einem halben Dutzend Aufsichtsräten. Normalerweise ist dieser Tagesordnungspunkt wenig umstritten und zumeist im Voraus unter den Grossaktionären schon ausgekungelt. Letzteres war auch diesmal wieder der Fall, aber die von der Altregierung Mappus entsandten Kandidaten Helmut Rau (CDU) und Ulrich Goll (FDP), beides ehemalige Minister, wollte das Wahlvolk nicht schlucken. Trotzdem, sie wurden natürlich von den beiden Grossaktionären OEW und Land - je 47 Prozent - durchgedrückt und dürfen sich einiger zehntausend Euro erfreuen, auch wenn sie im Mai schon wieder zurücktreten sollten. Sie werden trotzdem Hartz 4 nicht zur Last fallen. Wie sagte die Sängerin Ina Deter anno 1982: "Neue Männer braucht das Land".
Trotzdem auch zur Verbesserung der Frauenquote wurde etwas getan. Gunda Röstel, ehemals Chefin der Grünen und nun Leiterin der Dresdner Stadtentwässerung, war diesem hohen Gremium willkommen.
Hans-Peter Villis, der Vorstandsvorsitzende, enthielt sich während der ganzen langen Veranstaltung jedweder Kritik an den Politikern in Berlin und Stuttgart. Manchem war er zu ruhig.
Möglicherweise lag das einfach daran, dass sein Vertrag als EnBW-Chef nächstes Jahr ausläuft - und er ihn gern verlängert haben wollte.