Während dieser Blog geschrieben wird, rollt der Zug mit den fünf Castorbehältern und den 140 Glaskokillen aus der Wiederaufarbeitungsanlage Karlsruhe in Richtung Zwischenlager Lubmin. Auf der ca. 900 Kilometer langen Strecke kam es kaum zu Störungen - sieht man vom Ausgangspunkt Leopoldshafen/Karlsruhe ab. Hier hatten sich einige "Aktivisten" so effizient an die Gleise gekettet, dass sie mit schwerem Gerät - samt Schiene - herausgeschnitten werden mussten. Anschliessend wurden die Gleise auf einer Strecke von zehn Metern wieder verschweisst und festgeschraubt. Trotzdem konnte der Castortransport, wie geplant, Karlsruhe in den frühen Morgenstunden in Richtung Lubmin verlassen.
Handhabung des CASTOR vor der Verglasungsanlage (Hintergrund)
Am vorausgehenden Samstag hatten die "Umweltschützer" zu einer Demonstrationsveranstaltung auf den Karlsruher Marktplatz geladen. Es war ein buntes Treiben mit karnevalesken Zügen. Kostümierung ist derzeit offensichtlich in; ein Atomgegner demonstriert nicht mehr in seiner Privatkluft. Drei grosse Verkaufsstände, die lebhaft an die Devotionalientische in Altötting erinnerten, boten modisches Outfit und sonstige Gerätschaften an - alles gegen cash. Die Buttons "Atomkraft nein danke" gingen noch für zwei Euro weg; für die Shirts musste man schon zehn Euro löhnen, für die grossen Fahnen gar zwanzig. Trotzdem, das billig hergestellte Zeugs ging reissend weg und die "Demonstranten" fühlten sich offensichtlich wohl in ihren Klamotten.
Zum Schluss gab es sogar noch eine aufrüttelnde Rede. Ein ehemaliger Funktionär der Grünen wetterte mit allem, was seine Stimmbänder hergaben, gegen die schreckliche Kernenergie. All die falschen und halbrichtigen Behauptungen, die er im Laufe seiner gut 30-jährigen Aktivistenzeit angesammelt hatte, schüttete er (verbal) vor seinem Volk aus. Wie oft wurden diese Phrasen schon in öffentlichen Anhörungen widerlegt - er konnte trotzden der Versuchung nicht widerstehen, sie ein weiteres Mal auszubreiten.
Und genau das ist das Problem mit der deutschen Protestbewegung gegen die Kernenergie. Ihre Vertreter haben nicht die intellektuelle Kapazität, ihre Behauptungen auf den Prüfstand zu stellen. Sie scheuen die seriöse Diskussion mit den Befürwortern dieser Technologie. Ein Happening ist ihnen allemal mehr wert, als eine Debatte, bei der Rede und Gegenrede gewogen wird.
Am Anfang: eine Fehlentscheidung
Während der 20-jährigen Laufzeit der Wiederaufarbeitungsanlage Karlsruhe (WAK) wurden etwa 207 Tonnen Uran und 1165 Kilogramm Plutonium aufgearbeitet, wobei das wieder gewonnene Uran und Plutonium auf dem Brennstoffmarkt verkauft wurde. Als Abfall blieben rund 80 Kubikmeter Salpetersäure übrig , "gewürzt" mit 8 t Spaltprodukten und 200 kg Aktiniden, sowie Restmengen an Uran und Plutonium - voilà, die berühmte "Atomsuppe". Dieser Begriff entstammt dem Vokabular der Kernenergiegegner; richtigerweise spricht man von hochradioaktiver und konzentrierter Abfallösung, wofür sich der englische Begriff "high active waste concentrate" eingebürgert hat, abgekürzt HAWC. Der Flüssigabfall befand sich bei der WAK in zwei verbunkerten Edelstahlbehältern; wegen der Eigenwärme - entsprechend der Intensität von ca. hundert Tauchsiedern - musste man ihn moderat kühlen. Als 1991 die WAK stillgelegt und ihr Rückbau beschlossen worden war, entschied man sich für die Verglasung des HAWC, um ihn endlagertauglich zu machen.
Die Verglasung sollte im belgischen Forschungszentrum Mol stattfinden, wo es eine entsprechende Anlage, die sog. Pamela, dafür gab. Dazu war folgende Prozedur vorgesehen: der HAWC sollte in eine noch zu errichtende Abfüllanlage HAWA überführt und von dort in einen speziellen Castorbehälter gefüllt worden, der jedoch noch zu entwickeln war. Dieser HAWC-Castor wäre dann per Eisenbahn ca. tausend Kilometer nach Belgien transportiert worden. Am Ende der dortigen Eisenbahntrasse wäre er umgeladen worden, um als Strassentransport zur Pamela zu gelangen. Dabei hätte er verschiedene Ortschaften passiert, die nicht gerade als kernenergiefreundlich galten; ausserdem wären - wegen des hohen Gewichts - einige Brücken zu verstärken gewesen. An der Pamela selbst hätte man eine Entladestation benötigt, die ebenfalls erst zu planen und zu bauen war. Da der Spezialcastor lediglich ca. 3 cbm Flüssigkeit fassen konnte, wären 25 Transporte hin und 25 Transporte zurück erforderlich gewesen, um die WAK zu entleeren.
Aus heutiger Sicht klingt ein solcher Entsorgungsweg absurd. Jeder Laie kann sich vorstellen, dass eine solche Prozedur nicht funktioniert hätte, schon gar nicht 25 mal. Aber damals waren alle Beteiligte: das Kernforschungszentrum, der Betreiber der WAK, sowie die Allgewaltigen in Bund und Land davon überzeugt, dass es möglich sein würde. So gab der Aufsichtsrat 1993 dafür seinen Segen, womit die Verglasung in Mol war beschlossen war. Demzufolge wurde mit der Planung der Abfüllstation HAWA begonnen und eine öffentliche Anhörung durchgeführt; wesentliche Teile des Flüssigcastors wurden im Masstab 1:1 gebaut und - last but not least - wurde mit den Belgiern ein Vertrag abgeschlossen zur Verglasung des Karlsruher HAWC in Mol/Dessel.
Zwei gegen Alle
Mit Beginn des Jahres 1994 fand eine Umorganisation im Stillegungsprojekt der WAK statt, welche dem Kernforschungszentrum (KfK) höhere Kompetenzen zuwies. Zwei Manager der KfK, der Vorstand H. und sein Finanzchef M. übernahmen nun das Ruder, welche dem Transport des HAWC nach Belgien sehr kritisch gegenüber standen. Sie schlugen vor, die Verglasung in Karlsruhe, also an Ort und Stelle, durchzuführen, wobei sie auf entsprechendes know-how des nahen Entsorgungsinstituts INE verwiesen. Dort gab es eine kleine Gruppe, die sich seit Jahren erfolgreich mit den technischen Problemen der Verglasung beschäftigte.
Damit hatten die beiden Herren aber in ein Wespennest gestochen. Wie ein Mann erhoben sich die Befürworter der Transportlösung, um ihre bisherigen Arbeiten zu verteidigen. Insbesondere die Betreibermannschaft der WAK war (allerdings nur anfangs) gegen die Änderung der bisherigen Entsorgungstrategie. Die gewichtigsten Opponenten jedoch waren zwei ranghohe Landespolitiker, nämlich der Wirtschaftsminister Spöri und der Umweltminister Schäfer, beides Genossen der SPD. Diese wären formal für die atomrechtliche Genehmigung und Aufsicht der Verglasungsanlage zuständig gewesen, was sie offensichtlich mit allen Mitteln verhindern wollten.
Etwas differenzierter war die Situation auf seiten der Bundesregierung, welche damals noch in Bonn angesiedelt war. Sie liessen sich von den Argumenten der KfK-Manager überzeugen und versuchten ihrerseits das Land dafür zu gewinnen. Selbst Frau Merkel, damals noch Umweltministerin, machte sich in einem 4-seitigen Brief (von ihr persönlich unterschrieben) für die Vorortlösung stark. Aber alles Reden war vergebens, die beiden Landesminister waren nicht zu überzeugen. Stattdessen wurde externer Rat eingeholt; ein Gutachten der Essener Firma STEAG hielt die Mol-Variante für die wirtschaftlichste Lösung, eine andere Expertise der Stuttgarter Firma Fichtner stützte unsere Strategie.
Zwei volle Jahre ging es so argumentativ hin und her; keine Seite wollte nachgeben. Die KfK war aufgrund ihrer organisatorischen Kompetenz jedoch am längeren Hebel. Die genannten Manager blockierten einfach die Transportvariante, indem sie keine weiteren Aufträge und Verträge unterschrieben. Im Sommer 1996 hatte das verbale Ping-Pong-Spiel ein Ende: im Land Baden-Württemberg wurde ein neues Parlament gewählt und es kam zu einer CDU/FDP - Koalition. Spöri und Schäfer wurden (mit guten Pensionen) in die Wüste geschickt; stattdessen übernahmen Döring (FDP) und Schaufler (CDU) das Wirtschaftsministerium resp. das Umweltressort. Beide unterstützten die Verglasung in Karlsruhe und im Herbst 1996 wurde die VEK (=Verglasungseinrichtung Karlsruhe) nun auch offiziell auf Kiel gelegt.
Langwieriger Bau, zügiger Betrieb
Das technische Konzept der Verglasungseinrichtung VEK beruhte auf langjährigen Erfahrungen des KfK-Instituts INE. Deren Schmelzofentechnik war bereits bei der belgischen Pamela-Anlage angewandt worden, wo man von 1985 bis 91 immerhin 900 Kubikmeter Flüssigabfall der dortigen Wiederaufarbeitungsanlage EUROCHEMIC verglast hatte. Die zentrale Komponente bei beiden Anlagen war ein elektrisch beheizter Schmelzofen mit keramischer Auskleidung. Das Verfahren sah vor, den HAWC aus den Lagerbehältern und die Glasfritten kontinuierlich in den Schmelzofen einzuspeisen, wodurch es zu einer innigen Verschmelzung der radioaktiven Substanzen mit dem Glas kommt. Nach einer mehrstündigen Durchmischungsphase wird am Boden des Schmelzofens eine Öffnung freigegeben und das Gemisch aus Glas und strahlenden Isotopen in einen Stahlbehälter (Kokille) abgelassen.
Der Schmelzofen der Verglasungsanlage
Die Planung der VEK begann in geradezu atemberaubendem Tempo. Bereits Ende 1996 lag ein (vorläufiger) Sicherheitsbericht vor, der die Unterlage für die nachfolgende öffentliche Anhörung und die 1. Teilerrichtungsgenehmigung bildete. Schon eineinhalb Jahre später, im Sommer 1998, konnte man beim Institut INE die Prototypversuchsanlage PVA besichtigen, welche die spätere VEK im Masstab 1:1 nachstellte. Dass es dann doch noch bis zum Sommer 2009 dauerte, bis die erste HAWC-Lösung in die VEK eingespeist werden konnte, mag deshalb erstaunen. Die Ursache für diese 13-jährige Planungs-und Errichtungsphase lag wohl darin, dass das Projekt VEK nach Paragraf 7 des Atomgesetzes begutachtet und genehmigt werden musste. Damit war es in der gleichen genehmigungstechnischen Kategorie wie ein Kernkraftwerk - und das zu einer Zeit, in der es in Deutschland nahezu unmöglich geworden war, solche Objekte zu bauen. Rigorose Auflagen gab es insbesondere auf dem Gebiet des Erdbebens und des Flugzeugabsturzes. Ganz zum Schluss musste noch für viele Ankerplatten der Stabilitätsnachweis erbracht werden.
Blick auf das Gelände der WAK (in rot: VEK)
Nun: Ende gut, alles gut, möchte man sagen. Nach der Fertigstellung lief der Betrieb umso perfekter. Schon nach einem Jahr (anstelle der geplanten zwei) war der HAWC im Sommer 2010 zur Gänze verglast und in 140 Kokillen verstaut, die ihrerseits in 5 Spezial-Castorbehälter untergebracht wurden. Allen Beteiligten gebührt Respekt für diese Leistung! Wie man hört, sind die Chinesen sehr an einer Lizenz für das deutsche Verglasungsverfahren interessiert; das würde die Entwicklungskosten der VEK
- man munkelt von 3-400 Millionen Euro - etwas drücken.
Und wie geht´s nun weiter beim Abriss der gesamten WAK-Anlage? Nun, in gut zehn Jahren soll alles zurückgebaut sein - für vermutete 2,6 Milliarden Euro. Zuerst ist das Prozessgebäude mit den Laboranlagen an der Reihe, dann folgt - per fernbedientem Abriss - die fast noch jungfräuliche VEK mit den angrenzenden Lägern.
Die Vision für das Jahr 2025 sieht so aus:
Grüne Wiese